Andreas E. Gebel

Der Buseinstieg - Aus der Reihe: Leben unterm Rettungsschirm

Es war
so ein typischer deutscher Tag. So grau und trist wie die Tage im April nun mal
in Deutschland sind. Wieder einmal war ich auf dem Weg zur Arbeit und wartet auf
den Bus. Auch diese Bushaltestelle war grau und trist und dadurch auch
irgendwie typisch deutsch: Ein einfaches Glashäuschen aus Stahlrohen welche die
Glasscheiben hielten und welche sicherlich mal weiß gewesen sein mussten, denn
an einigen Stellen ragte noch die ein oder andere hellweiße Stelle heraus. An
den restliche Rohen war, durch den vielen Regen in dieser Gegend, die Farbe
schon seid längerem abgeblättert und der Stahl hatte an zahleichen Stellen
angefangen zu rosten. Wie in jeder vernünftigen Großstadt hatten auch an dieser
Haltestelle zahlreiche Graffiti-Sprüher Ihre Markenzeichen auf Scheiben, Rohren
und Sitzen hinterlassen. Die Sitze der Haltestelle waren ebenfalls typisch
deutsch: Orangefarbene Sitzschalen die sicherlich allen Sicherheitsbestimmungen
gegen herunterfallen, abrutschen und wunden Popo sowie sämtlichen
Brandschutzverordnungen entsprachen. Natürlich waren sie eben in dieser Art von
Farbe ausgesucht worden, die so hässlich war, dass diese Sitze sicherlich
niemand stehlen würde, um sie bei sich zuhause oder im Schrebergarten
aufzustellen. Bestimmt war der Farbton auch nach allen Gesichtspunkten des „Anti-Aggressions-Programm
gegen städtisches Eigentum“ ausgesucht worden, und hatte sicherlich eine
beruhigende Wirkung auf alle Arten von wartenden. Sogar auf diese, die bereits
über 60 Minuten auf Ihren 10 Minuten Pendelbus warteten. Eben alles richtig
typisch Deutsch!


 
Etwas
besonderes war jedoch an dieser durchschnittlichen Bushaltestelle: Sie war auch
Startpunkt der „Stadtrundfahrt“ für die Besucher dieser Stadt sowie Busbahnhof
für Reisebusse in sämtliche Himmelsrichtungen des modernen Europas. So fuhren
hier eben nicht nur Reisebusse noch stark pubertierende Erwachsene an die Costa
Brava zur 14 tägigen Dauerparty „Sponsored by Daddy“ sondern pendelten hier
auch die Busse in und aus den Länder des früheren Ostblockes welche heute
„osteuropäischen Mitgliedstaaten“ waren. Da auch heute wieder alle Busse welche
die Berufspendler zu Ihren Arbeitsstätten bringen sollten, aufgrund irgendeiner
städteplanerischen Katastrophe im alltäglichen Stau steckten, hatten alle
Wartenden Zeit sich mit den Live-Bildern vor Ihren Augen zu beschäftigen:
Da stand zum Beispiel der Bus der 4 Tages-Tour nach Paris. Ein großer
5-Sterne-Luxus Bus der Premium Class, welcher 55 hochverdiente Senioren der
deutschen Ober- und oberen Mittelschicht für 4 Tage in die Stadt der Liebe und
des Varietés bringen würde. Selbstverständlich inklusive eines Besuches des
legendären Rougies Marktes mit Champagner-Trüffel-Lunch am Marktstand
von Monsieur Jacques sowie mehreren Besuchen Pariser Museen, Stadtrundfahrt und
6-Gänge-Menü im Restaurant „Vinaigrette“. Einem der derzeit angesagtesten 3
Sterne Restaurants der Stadt. Interessant war auch mit welcher Sorgfalt die
Startvorbereitungen durch die Reisebegleiter vor und im Bus vorgenommen wurden.
Da wurden noch mal alle Sessel – ja es waren wirklich eher Sessel als Sitze in
dem Bus – mit einem Handstaubsauger abgesaugt damit kein, etwa von der letzten
Reise verbliebener Lachs-Sandwich-Krümel die Anzüge oder Kleider der
Herrschaften beschmutze. (Vielleicht hatte man auch einfach keinen Lust mehr
die fingierten Reinigungsrechnungen zu zahlen, welche immer wieder einmal von
dem ein oder anderen Reisenden eingingen, mit der Behauptung er habe sich auf
der Fahr den Anzug „völlig verunstaltet und sein Reiseerlebnis sowie das seiner
Gemahlin seien hierdurch nachhaltig gestört worden.“) Da wurde auf jeden Sitz
ein „Reisetagebuch“ gelegt, in dem alle Sehenswürdigkeiten, Haltepunkte
(Event-Stops), Museen- und Restaurantbesuche bereits aufgelistet waren, so dass
der verehrte Reisende nur noch abhaken musste bzw. auf den drei zur Verfügung
gestellten „Notizzeilen“ seinen Kommentar („unglaublich schön“ oder „nicht dem
Preis entsprechend“) festhalten konnte. Der Busfahrer der sich später als
„stets Ihr Herman J. Schulze oder für Sie einfach: Heinz“ vorstellen würde,
räumte die letzten Kisten mit Prosecco Picollos ( Später für € 9,50 inkl.
zweier Plastikkelche erhältlich) in die Kühlung und kontrollierte ein letztes
Mal die Kühlboxen mit den Lachs-Gurken-Sandwiches für den ersten Tankstop an
der Belgischen Grenze. Welchen die Gäste in Wirklichkeit natürlich dem an die
Tankstelle angrenzenden Shop mit „Original Brüsseler Porzellan zum
Aktionspreis“ zu verdanken hatten und der sich abhängig vom erzielten Umsatz
mit bis zu 50 % an den Tankkosten des Busunternehmers sowie an den Spesen von
Heinz beteiligen würde.

Die Kühlung und die Sandwichs
waren in Ordnung so dass Heinz eine Katastrophe wie in der Toskana ausschließen
konnte ...

Vor dem Bus hatten die beiden
Hostessen Julia und Jannette beide ehemalige, in die Jahre gekommene Lufthansa
Stewardessen, welche sich mit diesen Kurztrips Ihre ansehnliche und noch
staatlich geförderte Frühpension aufbesserten, mehrere Hinweis- und
Willkommensschilder aufgestellt bzw. am Bus angebracht: Da klebte (natürlich
ablösbar) einmal links und rechts an jeder der 2 Eingangstüren ein großes
Schild „Vorsicht! Letzte Stufe vor Paris!
Ein Witz der gerade bei den Herren sehr gut ankam und sofort multipliziert
wurde: „Schatz, Vorsicht! Letzte Stufe vor Paris, verstehst`e, letzte Stufe!
Ha, ha, ...! Zusätzlich waren vor und hinter dem Bus sowie neben den Türen
mannshohe Pappfiguren in Form von Napoleon aufgestellt, welcher wiederum ein
Schild in den Händen hielt auf welchen in geschwungenen Buchstaben PARIS
geschrieben war.

Und damit gar nichts schief gehen
konnte und niemand falsches in den Bus einstieg riefen Julia und Jannette in
regelmäßigen Abschnitten den wartenden Gästen zu: „Platin City Reisen nach
Paris, hier bitte, Platin City Reisen nach Paris, hier bitte, ...! Während
diesen Ausrufen wedelten beide mit einem Pappschild in den Farben der „Trikolore“
auf dem sich das Logo des Reiseveranstalters fand (Das Wort „Platin“ war in die
Form einer Erdkugel gebracht worden, vor der ein schwarzer Bus prangte bei dem
mehrere wilde Striche unter seinen Rädern wohl eine Umrundung der Erdkugel
andeuten sollten) sowie erneut das Wort PARIS.


 
Was dann geschah war eigentlich
nicht möglich: Langsam aber gezielt steuerte eine größere Anzahl der Platin
Paris Senioren auf die Eingangstür des Busses zu, an der Julia gerade wieder
rief: „Platin City Reisen nach ... !“, vorbei am Papp-Napoleon geradewegs auf
das Schild „Vorsicht! Letzte Stufe vor ...“ zu und stellten die Frage die
sämtlichen Betrachtern dieses Live-Events das Blut in den Adern gefrieren ließ:
„Nach Paris, richtig?“ Ein zucken ging durch die Pendler, die Schüler und
sonstige Wartenden. Totenstille herrschte an der Bushaltestelle, die Zeit
schien stehen geblieben zu sein und alle warteten auf die Reaktion von Julia
und oder Jannette.

„Ja, wohin denn sonst Du, der mit
der Erbschaft Deiner Kinder um Dich werfende, nie zufrieden seiende, stets über
Zugluft nörgelnde Super Senior. Na, wollen wir es vielleicht gemeinsam auf den
Schildern lesen? Ja, was steht denn da, naa? PPAARRIISS!  Hat die Kasse wohl die letzte Porschebrille
nicht gezahlt was? Warum stehen denn hier eigentlich seid über einer Stunde die
verdammten, von einer viel zu teuren Werbeagentur entworfenen und meiner
Meinung nach völlig hässlichen Schilder herum? Warum brüllen wir hier wohl seid
nahezu 30 Minuten „Paris, Paris, wir fahren nach Paris?“ Damit wir uns doch
wohl nicht mit so blöden Fragen wie dieser rumschlagen müssen, oder? Ja, glaubt
ihr im Ernst mir macht das hier Spaß, bei diesem Wetter, in diesem hässlichen
Vollplastikkleid hier herum zu machen und „Paris, Paris“ zu brüllen. Schrie
Julia, mit der Frustenergie von 800 Innerlands und 350 Interkontinental Flügen,
2 Notlandungen und einer Entführung nach Papaneuguinea, die Gäste natürlich nicht an! Sondern legte Ihr Lächeln
auf, mit dem sie auch dem frustrierten Ehemann in Papaneuguinea die Handgranate
aus der Hand genommen hatte und ihm gesagt hatte: „Nun ist aber auch genug,
oder?“ und nickte jedem der einsteigenden Gästen mit den Worten zu: „Platin
City Reisen – nach Paris, jaa!“ „Platin City Reisen – nach Paris jaa!“ „Platin
City Reisen – nach Paris ...“ so circa 27 – 43 mal.

Als mein Bus kam der mich zur
Arbeit brachte, grübelte ich immer noch über das gerade erlebte und ob es sich
so zugetragen hatte wie ich es vermeidlich glaubte.


 
Noch lange erzählte man: So hätte
es sich zugetragen aber vielleicht war auch dies nur eine von diesen typischen
Stadtgeschichten ...
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.01.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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