M. Kupfer

Erwachen


Weite, weite Welt. Voll von Zeit.
Blasses Licht im Spiel der Wolken...
Blinzelt steift mein Blick über die endlose Ebene so natürlich und rein wie es nur ein Ort vermag zu flüstern, der von Menschenhand noch nie berührt.
Ein Land mit Seen so grundlos wie die Einsamkeit, Wäldern so geheimnisvoll wie der Tod und Wiesen so unendlich wie die Neugierde...
Leiser Wind schleicht durch das Gras und umschlingt mich. Ich gehe ein paar Schritte mit geschlossenen Augen, lasse mich wiegen, spiele mit den Berührungen der Pflanzen und tanze zu der Musik der Natur. Dann öffne ich sie wieder und stehe auf der höchsten Spitze eines Berges. Der Schnee brennt unter meinen Füßen doch ich merke den Schmerz nicht, gefesselt von der Unendlichkeit des Seins.
Irgendwo verschmilzt der Horizont mit den weißen Bergspitzen und tief unter mir beginnt das Tal. Es ist geschützt von dem undurchdringbaren Gebirge, das es einbettet, in Geborgenheit.
Ein Weißkopfseeadler fliegt über meinem Kopf hinweg und lässt sich über das Tal gleiten. Die Sonnenstrahlen brechen sich auf seinem weißen Gefieder.
Etwas in mir erwacht. Ich will nicht, dass er fort fliegt. Ich will mit ihm. Niemand hält mich zurück. Nichts bindet mich. Ich bin freier als jeder andere.
Ich lebe in der wundervollsten Welt die sich der menschliche Verstand nur vorstellen könnte.
In diesem Augenblick trifft sich mein Blick mit dessen des Adlers. Seine schwarzen Augen spiegeln...nichts. Niemanden. Ein Land, eine Welt nicht geschaffen für niemanden. Nur nicht geschaffen für Menschen.
Existiere ich überhaupt? Ich lasse mich nach vorne fallen. Der blaue Himmel rutscht nach oben aus meinem Blickfeld. Meine Füße verlieren den Bodenkontakt. Könnte man freier sein?, frage ich mich fallend und schließe die Augen.
Als ich sie öffne sehe ich, dass ich mich Unterwasser befinde. Licht sticht gedämpft durch die Oberfläche und malt Muster auf meine Haut.
Ich fühle mich leer. Ein Schwarm glitzernder Fische schwimmt direkt auf mich zu, und ich spüre wie mich Schuppen streifen. Dann sind sie wieder fort.
Ich höre nicht auf zu sinken. Ich bin am Ende der Welt.
Schwärze bricht herein.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Es fühlt sich an wie ein eisernes Schwert das meine Brust durchbohrt. Ich bin allein. Allein. Allein...
Wie lange schon?
 Immer tiefer sinke ich und jeden Meter wird mir Kälter. Ich sehe meine Hand nicht mehr vor meinem Gesicht. Hätte ich sie bei Licht denn überhaupt gesehen? Wer sagt mir dass ich noch da bin? Ich bin ein Niemand...
Nein! Ich bin jemand. Ich bin Realität! Und in der Realität kann ich nicht Unterwasser atmen. Ich öffne meinen Mund und atme ein. Meine Lungen füllen sich mit Wasser. Es brennt. Ich muss ersticken!
Der Film reißt ab. Ich huste, spucke und drehe mich röchelnd auf die Seite. Doch als ich die Augen öffne sehe ich kein Wasser. Mein Mund ist staubtrocken.
Ich nehme ein schnelles aufgeregtes Piepen wahr. Es kommt von einem Gerät vor mir. Es ist eins von vielen Geräten. Die Türe geht auf und eine Frau in weiß gefolgt von einem Mann stürmen herein.
„Um alles in der Welt! Was für ein Glück.“, höre ich den Mann sagen und sehe misstrauisch in die zwei lächelnden, verblüfften Gesichter. „Was ist hier los?“, stammele ich und merke dass ich viele Schläuche in meinen Armen habe. „Wenn ich mich vorstellen darf ich bin Doktor Heller. Sie sind aus dem Koma erwacht obwohl das in ihrem Fall nur eine Chance von 10 Prozent war.“, antwortet der Arzt.
Ich sehe an ihm vorbei durch das Fenster. Draußen strahlt die Sonne es scheint Frühling zu sein, denn der Kirschbaum blüht in zartem weiß und rosa.
Ich versuche mich zu Erinnern. An alles. Doch mein Kopf ist leer. „Wer bin ich?“, frage ich in das freundliche Gesicht der Krankenschwester die mir ein Glas zu trinken reicht. Ihr lächeln erstirbt und ihr Blick sucht hilflos den des Arztes.
Ich verlor mein Gedächtnis. Ich würde es vielleicht nicht mehr wieder erlangen...
Und noch während ich den Ausführungen des Arztes lausche wird mir klar: Ich BIN niemand.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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