Jürgen Dammann

Ich liebe dich nicht mehr

Fortsetzung und Einleitung in geändeter Form

Prolog

 

Patrick und Martina Mertens leben in einer Niedersächsischen Kleinstadt. Sie sind seit zwanzig Jahren verheiratet. Ihre beiden Kinder, Björn und Isabell sind 16 und 18 Jahre alt. Sie gehen beide auf ein Privat Gymnasium. Björn spielt Tennis und Fußball. Isabell nimmt Klavierunterricht. Sie haben ihren Eltern noch nie Kummer bereitet.

Patrick ist ein erfolgreicher Eventmanager. Martina, Hausfrau und Mutter. Mit ihrer besten Freundin Heike verbringt sie sehr viel Zeit, da Patrick einen 12 Stunden Arbeitstag hat und meistens müde und abgespannt nach hause kommt. Vor zehn Jahren bezogen sie ihr eigenes Haus, das am Rande eines Waldes liegt. Die Welt war für alle in Ordnung, so schien es jedenfalls.

Doch eines Morgens beim Frühstück, blickte Patrick über den Rand der Zeitung in Richtung seiner Frau. Niemand konnte ahnen, wie diese Worte das Leben Martinas verändern sollten!

 

„Ich liebe dich nicht mehr…“.

 

Martina sah Patrick fassungslos an.

„Wie du liebst mich nicht mehr“?

„Ja, so ist das nun mal. Ich liebe dich nicht mehr“.

Sie sprang auf und schrie durch die Küche.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein, nach all den Jahren“?

„Genau, nach all den Jahren“, erwiderte er.

„Darf ich erfahren warum“?

Zögerlich bereitete er die Antwort.

„Du bist langweilig, läufst rum wie meine Großmutter“.

Jetzt war sie gar nicht mehr zu halten. Wie eine wildgewordenen Katze sprang sie durch die Küche, rang hilflos nach Luft und den passenden Worten.

„Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen“? stotterte sie.

„Doch, das kann ich. Im Gegensatz zu dir habe ich einen Job.

Wir reden heute Abend“.

 

Völlig aufgelöst griff Martina nach ihrem Handy.

 

„Hallo Schatz, was gibt es“? klang Heikes Stimme am anderen Ende.

 

„Heike, weißt du was Patrick mir eben mal so ganz nebenbei  beim Frühstück mitgeteilt hat“?

„Wie kann ich es wissen“?

„ Ganz nebenbei sagte er, ich liebe dich nicht mehr“.

„Wie er liebt dich nicht mehr, warum“?

„Das habe ich ihn auch gefragt. Seine Antwort, ich bin langweilig und laufe rum wie seine Großmutter“.

„Das hat er dir wirklich so an den Kopf geknallt“?

„Ich denke wir sollten uns treffen, um 12 Uhr bei Giovanni, ist das ok“?

„Ja, ich werde da sein“, meinte Martina und beendete das Gespräch.

 

Als Martina wieder zuhause eintraf war sie immer noch sehr aufgebracht. Das Gespräch mit Heike hatte sie nicht wirklich beruhigt. Zwei Stunden, zwei Cappuccino und zwei Glas Prosecco, analysierte sie mit ihrer besten Freundin den Verlauf ihrer Ehe. Wobei Heike immer noch einmal mit ein paar männerfeindlichen Sprüchen versuchte, sie aufzuheitern. Einer ihrer Lieblingssprüche war: Wenn ein Mann eine Frau aus dem Fenster wirft, steht es in der Bildzeitung. Wenn eine Frau einen Mann aus dem Fenster wirft, steht es bei Schöner Wohnen. Fast hätte sie Martina noch ein kleines Lächeln aus ihrem hübschen Gesicht entlockt, wenn da nicht dieses folgenschwere Problem im Raum gestanden hätte.

 Wie konnte Patrick nur so gemein sein? Sie hatte doch immer alles für die Familie getan. Für sie gab es doch nur die Familie. An sich hatte sie eigentlich nie gedacht. Ab und zu mal ein Friseur Besuch oder mal mit Heike schoppen. Das war es auch schon. Ja, und mit dem Sex war ihrer Meinung nach auch immer alles in Ordnung. Jedenfalls hatte Patrick nie etwas anderes gesagt. Plötzlich war sie langweilig wie ihre Großmutter. Ne, damit wollte sie sich nicht so einfach abfinden. Heike fragte sie: „ vielleicht gibt es da eine andere Frau, und er möchte mit dem was er dir an den Kopf geknallt hat von dem eigenen schlechten Gewissen ablenken“. Eine andere Frau? ihr wurde schlecht bei dem Gedanken. Wie sollte sie denn heute Abend Patrick begegnen? Wie sollte sie das Gespräch aufnehmen? Von ihrem Haus zu Patricks Arbeitsplatz war eine gute Stunde zufahren.

“ Ich muss raus bekommen, ob da wirklich eine andere Frau im Spiel ist“. Ging es ihr durch den Sinn.

Sie schnappte die Autoschlüssel, rannte aus dem Haus wobei sie mühsam versuchte sich  in die Jacke zu zwängen. Die Kinder, die gerade aus der Schule kamen, nahm sie gar nicht wahr. Fast rannte sie sie noch um.

„Was ist denn in die gefahren“? fragte Isabell ihren Bruder erstaunt.

„Wie soll ich das wissen“?

Bis zum späten Abend wartete Martina in einem kleinen Bistro, das gegenüber Martins Firma lag. Sie hatte einen Platz am Fenster eingenommen, von dem aus sie den Eingangsbereich gut überblicken konnte, so, dass man sie aber nicht entdecken würde. Mit verwundertem Blick sah der Wirt öfter mal zu Martina hinüber, immer mit der Frage ob es denn noch etwas sein dürfe.  Nachdem sie schon vier Wasser, drei Cappuccino und zwei Cola getrunken hatte, wurde ihr langsam schlecht, ihre Blase drohte zu platzen. Sie konnte aber nicht auf die Toilette gehen. Was, wenn Patrick in der Zeit, wo sie auf die Toilette verschwand, das Gebäude verlassen würde? Nein, sie musste durchhalten. Eigentlich flachten die Gespräche mit Patrick in der letzten Zeit immer mehr ab. Die Unternehmungen mit ihm und den Kindern waren auch seltener geworden, da die Kids  immer öfter ihre eigenen Vorstellungen von Freizeitgestaltung wahr nahmen. Sie waren ja schließlich alt genug und schämten sich etwas mit den Eltern zu unternehmen.

Wenn sie Patrick fragte, ob er mit ihr ins Kino oder auch mal zum Tanzen gehen wollte. Kam immer nur die Antwort.

Ich muss die ganze Woche hart arbeiten, da möchte ich am Wochenende wenigstens meine Ruhe haben. Meinst du ich habe Lust auf laute Musik oder ein dunkles Kino? Da schlafe ich sowieso gleich ein, wenn das Licht aus geht.

Langsam wurde ihr bewusst, ihr Leben war eigentlich nur noch Routine. Wäsche, einkaufen, Mann und die Kids versorgen. Das war seit Jahren das, was den Alltag und die Wochenenden ausfüllte. Und Patrick warf ihr an den Kopf sie sei langweilig. Tränen rannten ihr über die Wangenknochen. Sie schnaubte gerade in das Taschentuch als Patrick das Gebäude verließ. An seiner Seite eine gutaussehende blonde, junge Frau. Sie gingen Hand in Hand, fröhlich lachend die Straße hinunter. Martina war wie versteinert. Hatte sie sich doch so sehr gewünscht, dass da keine andere Frau sein würde. Wie konnte er ihr nur so etwas antun. Was wollte er denn heute Abend mit ihr bereden. Das es eine andere gibt und er ausziehen will? Nachdem sie sich so einigermaßen gesammelt hatte, rief sie Heike an und erzählte ihr, was sie gerade gesehen  hatte. Heike war zornig.

„Und, was willst du jetzt machen“? schimpfte sie.

„Ich weiß es auch noch nicht, ich werde nicht mehr nach Hause fahren“, seufzte sie leise, weinend ins Handy, steckte es in die Tasche und legte einen fünfzig Euroschein auf den Tisch.  Benommen wie eine Drogensüchtige, die sich gerade einen Schuss gesetzt hatte, verließ sie das Bistro. Für sie war Vertrauen und Ehrlichkeit so wichtig, wie die Flasche für einen Alkoholiker.

 

Es war 22:30 als Heikes Handy klingelte.

„Hallo Heike hier ist Patrick. Ist Martina bei dir“?

„Nein, warum sollte sie so spät noch bei mir sein“? stellte sie sich dumm.

„Wir hatten heute Morgen eine kleine Auseinandersetzung. Die Kinder erzählten mir, dass sie wie eine Wilde aus dem Haus gerannt ist. Es ist schon spät und ich mache mir so langsam Sorgen. Ist sie nun bei dir oder nicht“?

„Nein, sie ist nicht hier und war es auch nicht. Ich weiß nicht wo sie sich aufhält. Ich weiß nur, dass du ein großer Arsch bist und du wohl am besten wissen müsstest warum sie nicht zu Hause ist“.

Nach diesen klaren Worten beendete Heike das Gespräch. Sie wusste schon warum sie nicht auf Männer stand. Zu Beginn der Freundschaft hatte sie sich unsterblich in Martina verliebt. Als sie aber merkte, dass Martina niemals ihre Gefühle erwidern und die Familie aufgeben würde, wollte sie wenigstens die Freundschaft zu ihr aufrechthalten, so konnte sie, wann auch immer, die Nähe zu ihr genießen, wenn auch ohne Sex. Die Hoffnung, dass vielleicht doch einmal eine  engere Beziehung entstehen könnte, vergrub sie tief in ihrem Unterbewusstsein.

 

„Wohin Senhorita“? fragte der Taxifahrer während er auf seinem Zigarrenstummel lutschte.

„Playa del Ingles - Hotel Don Miguel“, war die Antwort der gutaussehenden jungen Frau.

„Zu Befehl Senhorita“, sagte er, grinste und gab Gas.

Die Fahrt dauerte schon eine gute Stunde. Sie hatte den Eindruck gewonnen als führen sie durch eine karge Mondlandschaft. Nichts als Lavagestein, ab und zu mal ein trockener Busch am Straßenrand und eine Ziege, die irgendetwas kaute. Als das Taxi über die Bergkuppe kam, erblickte sie Playa del Ingles, Palmen und den Ozean. Die vielen bunten Farben nahmen ihr die anschleichende Depression.

„Na Senhorita, da staunen sie was? Es ist immer wieder eine Freude für mich, wenn ich die erstaunten Gesichter der Fahrgäste sehe, wenn ich über den Berg komme“, sagte er lachend.

„Daran erkenne ich, dass sie das erste Mal auf dieser wunderschönen Insel sind, stimmt `s“?

„Ja, ich bin das erste Mal hier und ich bin auch erstaunt wie schön es hier doch ist“.

„Hotel- Rio Don Miguel, Senhorita, wie sie es wünschten, das macht fünfundsechzig Euro“, sagte er, nahm das Geld das Martina ihm reichte und fuhr davon.

Alles was Martina als Gepäck hatte, war eine kleine Stofftasche. Wie in Trance fuhr sie geradewegs zum Flughafen nach Hannover, räumte ihr Konto buchte den Flug und verschwand. Sie wollte einfach nur weg. Ihr war alles egal, auch die Kinder. Sechs Stunden verbrachte sie auf der unbequemen Bank auf dem Flughafen. Der Aufruf des Airportlautsprechers weckte sie aus dem leichten Dämmerschlaf. Dann endlich startete der Flieger in eine ihr unbekannte, ferne Zukunft.

Mit zitternden Händen versuchte sie die Karte, die ihr der Portier an der Rezeption gab, in den dafür vorgesehenen Schlitz der Zimmertür zu stecken. Mit leisem Klick öffnete sich die Tür. Sie war sehr erstaunt als sie das großzügige Appartement betrat. Mit einer schnellen Bewegung schob sie die Gardine an die Seite, öffnete die Balkontür, beugte die Arme auf die Brüstung und genoss die Aussicht. Minutenlang schweifte ihr Blick über das azurblaue Meer. Fischerboote, begleitet von kreischenden Möwen,  brachten ihren Fang an Land zum Markt, wo die Händler und Restaurantbesitzer schon ungeduldig warteten. Von der Schönheit dieser Insel fasziniert, liefen ihr wieder die Tränen. Nein, nachgeben wollte sie nicht, saß doch der Schmerz den Patrick ihr versetzt hatte zu tief. Sie werden es auch ohne mich schaffen, sie werden es einfach müssen, trotzte sie dem sich ihr anschleichenden schlechten Gewissen.

Nein, nein, ich habe die ganzen Jahre nur an euch gedacht und war immer für euch da. Genug ist genug. Wütend schnaubte sie ins Taschentuch, lief in die Küche zur Minibar, nahm den erstbesten Drink und schluckte ihn ohne abzusetzen hinunter. Nach dem dritten wurde ihr schon leichter, kichernd stammelte sie.“ Er wird schon sehen was er davon hat“. Das Handy, das pausenlos klingelte, versenkte sie in der Toilette. Nach dem sechsten Drink fiel sie auf `s Bett und schlief tief und fest.

 

Patrick sowie Heike hatten pausenlos versucht Martina über das Handy zu erreichen, was sie ja auf ganz unkonventioneller Art zu verhindern wusste. Patrick war außer sich vor Wut. Wie konnte sie es wagen, ihn und die Kids sitzen zu lassen. Wie konnte sie es wagen, ihn sitzen zu lassen. Hatte er doch die ganzen Jahre das Geld verdient, den Luxus den sie sich leisteten, dafür hatte er ja schließlich gesorgt. Was hatte sie schon dazu beigetragen, das bisschen Haushalt? Sie brauchte sich um nichts Sorgen, es lief doch alles Super. Eigentlich wollte er ihr doch am Abend sagen, dass er erst mal ausziehen wird. Das er erst einmal zu sich selber finden möchte. Ihr von der anderen erzählen, dass wollte er noch nicht, dazu war er zu feige. Er konnte die Kinder doch jetzt nicht auch noch alleine lassen. Was sollte er denn jetzt machen. Wie sollte er es Jessica, so hieß seine Neue, beibringen? Hatten sie doch schon gemeinesame Zukunftspläne gemacht. Jessica würde ausrasten. Patrick meldete sich erst einmal Krank. Er brauchte nun für sich Zeit, er brauchte Zeit um nachzudenken. Seine Frau hatte ihn zu tiefst in seiner Eitelkeit verletzt. Er bestimmte doch immer wo es lang ging. Und nun warf ihn die Handlung seiner Frau aus der Bahn. Wie konnte sie sich so etwas nur wagen. Wie konnte sie es wagen, nicht ans Telefon zu gehen. Wie konnte sie es wagen ihn einfach sitzen zu lassen. Patrick nahm die Porzellanstatue, die seine Frau von ihren Eltern geerbt hatte, die ihr sehr viel bedeutete und knallte sie an die Wand. Die Splitter verteilten sich im Raum und der Lärm rief die Kinder auf den Plan. Die aber gleich wieder verschwanden als sie ihren Vater in diesem traurigen, sich selbst bemitleidenden Zustand erblickten.

 

Martina wusste nicht wie lange sie geschlafen hatte. Der Inhalt der Minibar, den sie entleert hatte, versetzte ihr einen brumm Schädel. Sekt trank sie öfter aber diese harten Sachen, wie Wodka und Whisky, dass war doch für ihren Kreislauf zu viel. Nach einer ausgiebigen wechsel Dusche, ging es ihr wieder besser. Jetzt wollte sie sich erst einmal neu einkleiden. Sie brauchte ja eigentlich alles. Nachdem sie mehr als vier Stunden durch sämtliche Läden und Butiken  geschlendert war, hatte sie so ziemlich alles neu.  Sie hatte Mühe die vielen Taschen mit Unterwäsche, Kleider, Hosen, Blusen, Schuhe und Kosmetika zu transportieren und war froh wieder in ihrem Apartment zu sein. Nachdem sie ausgiebig geduscht hatte, veranstaltete sie, für sich ganz alleine, eine Modenschau. Sie probierte und kombinierte, sämtliche Hosen, Röcke zu verschiedenen Blusen. Flache, hohe, offene Schuhe. Bis sie endlich ein geeignetes Arrangement zusammen gestellt hatte. Seidene Unterwäsche in weiß. Eine durchsichtige, enganliegende hellblaue Bluse, Ein kurzer weißer Rock und weiß mit blau abgesetzte Schuhe.

Ja, dass sollte es sein. Immer wieder drehte sie sich vor dem Spiegel nach links, dann wieder nach rechts. Und befand, ja, ich sehe gut aus. So wollte sie nun zum Friseur. Nach drei Stunden war es vollbracht. Sie erkannte sich selber nicht wieder. Vorher hatte sie dunkelblonde, schulterlange Haare. Jetzt waren sie blond und ganz kurz. Als sie die Promenade entlang schlenderte, bemerkte sie nur zu genau wie die Männerblicke sie in Gedanken auszogen und genoss dieses erotische, warme Gefühl, dass sie schon eine Ewigkeit nicht mehr für sich wahr genommen hatte. In einem kleinen gemütlichen Straßenlokal ließ sie sich nieder.

In der Speisenkarte fand sie eine Auswahl der Inselköstlichkeiten, wovon sie sich etwas bestellte. Dazu trank sie einen lieblichen, gekühlten  Weißwein. Sie verschwendete keinen Gedanken an zu Hause. Genoss die warme Sonne auf ihrer Haut, die wohlschmeckende Speise und den leckeren Wein. Irgendwie gefiel ihr diese ungezwungene Lebensweise. Sie brauchte sich um nichts und niemanden kümmern. Nicht einkaufen, nicht kochen, nicht Wäsche waschen. Nicht das Gejammer ihrer Kinder oder das ihres Mannes, der mal wieder hart arbeiten musste, ertragen. Sie war frei. Dieses Gefühl kannte sie nicht. Früh geheiratet kamen auch gleich die Kinder. Patrick wollte nie, dass sie arbeitet. Sie sollte nur für die Familie da sein. Dadurch gelang es ihr auch nie eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Selbst das Geld teilte er ihr zu. Durch das Erbe ihres Vaters hatte sie ein kleines Vermögen auf dem Konto, wovon sie Patrick nie etwas erzählte. Eigentlich sollte es irgendwann einmal in die Familie fließen. Jetzt war sie froh es für sich behalten zu haben. So war sie nun doch

unabhängig. Ohne Geld hätte sie diesen Schritt nie gewagt, ja auch nicht können. Die Blicke des am Nachbartisch sitzenden Mannes, dessen Alter sie auf dreißig schätzte, entgingen ihr nicht. Er beobachtete sie schon eine geraume Zeit. Immer wenn sich ihre Blicke begegneten, lachte er sie an, wobei seine weißen Zähne strahlten. Martina blickte dann sofort in eine andere Richtung. Ihr war es peinlich und doch spürte sie einen Hauch von einem Gefühl, dass sie nicht zu deuten vermochte. Es war ihr aber nicht unangenehm. Als sie wieder in die Richtung des Mannes sah, war er plötzlich nicht mehr da. Er war nirgends wo mehr zu sehen. Eine gewisse Enttäuschung machte sich in ihr breit, die sie sich aber nicht erklären konnte.

Sie zahlte und ging zurück zum Hotel. Immer noch schweifte ihr Blick in alle Richtungen, in der Hoffnung, sie würde den jungen Mann doch wieder entdecken, was aber nicht geschah.

 

Seine Frau war nun schon ein paar Tage verschwunden. Aus Verzweiflung ließ Patrick Heike zu sich kommen. Aber die Suche nach Martina blieb ohne Erfolg.

Aus anfänglicher Wut und Enttäuschung, waren sie jetzt in großer Sorge. Heike verstand es auch nicht, dass ihre beste Freundin sich nicht einmal bei ihr meldet.

Der Polizist, bei dem Patrick die Vermisstenanzeige erstattete, sah ihn und Heike skeptisch an. Irgendwie wollte er noch abwarten. Aber gegen die Hartnäckigkeit Patricks vermochte er nicht an zu kommen. So nahm er widerwillig die Anzeige auf.

„Sie werden sehen, wenn sich ihre Gattin beruhigt hat, wird sie ganz plötzlich wieder auf der Matte stehen. Streit kommt doch in den besten Familien mal vor“, rief er den Beiden beim Verlassen des Büros hinterher.

 

„Was bildet sich dieser Volltrottel überhaupt ein“, schimpfte Patrick als er ins Auto einstieg. Unbeherrscht, wutgeladen knallte er die Tür zu. Worüber Heike sehr erschrak.

 

„Ich weiß auch nicht, ob erst etwas passieren muss, damit die Polizei aktiv wird“? meinte sie, um nur etwas zu antworten.

 

In der Anzeige erzählte Patrick was passiert war, dass seine Frau mit dem Auto verschwunden ist. Darauf der Beamte eine Fahndung nach dem Fahrzeug rausgab. Patrick war alles Recht, er wollte nur, dass endlich Bewegung in die Sache kommt. Er wollte seine Frau wieder haben. Die Kinder waren auch seit Tagen unglücklich. Sie vermissten ihre Mutter sehr. Erst jetzt, wo sie nicht mehr da war, jetzt spürten sie den Verlust. Patrick hatte sich Urlaub genommen. Er konnte unter diesen Bedingungen nicht arbeiten. Heike bezog das Gästezimmer, wollte sich so um die Familie kümmern. Patrick und sie waren eigentlich immer wie Hund und Katze. Aber in dieser Situation nahm  er das Angebot, der Hilfe dankend an. Wenn Martina wieder da ist, dann könnte er ja wieder den Kontakt meiden, dachte er sich.

 

Martina verbrachte die Tage am Strand. Die Nächte in ihrem Apartment. So ganz allein wollte sie sich doch nicht ins Nachtleben der Insel begeben, denn dazu fehlte ihr der Mut.  Bei der Bank Santandera  eröffnete sie ein Konto, auf dem sie ihr Geld einzahlte. Sie wollte diese große Summe nicht mehr ständig bei sich haben. Jetzt fühlte sie sich wohler. Der Bankier verlangte noch einen Herkunftsnachweis.

„Damit alles seine Ordnung hat Senhorita“, sagte er lächelnd, während er das Dokument durchlas.

 

Heute wollte Martina das kleine Fischerdorf Arinaga besuchen. Es waren gut drei Stunden Fußmarsch. Natürlich hätte sie auch den Bus oder einen Mietwagen nehmen können. Nein, es war ein so schöner warmer, sonniger Tag. Sie entschied sich den Weg zu Fuß am Strand entlang. Die Wellen waren heute außergewöhnlich hoch und machten es ihr oft unmöglich, den Weg am Strand, wo die Felsenküste aus dem Wasser ragte, entlang zu gehen. Sie war gezwungen über die Felsen zu klettern, was sich als sehr beschwerlich erwies. An Händen und Füßen hatte sie nach der ersten Kletterpartie kleine blutende Wunden. Der Bikini mit Wickelrock und die dünnen Leinenschuhe, schützten sie nicht vor den scharfen Felsenkanten. Aufgeben wollte sie aber nicht, sie wollte sich beweisen, sie  wollte auch etwas durchstehen. Eine Sache mal alleine zu ende bringen. Der Weg über die Felsen verlängerte ihre Ausflugszeit um mehrere Stunden. Die Sonne versank im Meer und die Dunkelheit nahm diesem herrlichen Flecken Erde ihre Faszination. Martina schaute besorgt in die Ferne. Weit und breit kein Licht, weit und breit kein Mensch. Tagsüber war es sehr heiß, nachts aber, wurde es bitterkalt. Angst machte sich breit. Zitternd vor Kälte stolperte sie in die Dunkelheit. Die Wellen schlugen gegen die Felsen und der heftige Passat Wind drang ohne Widerstand, durch sie hindurch. Die salzhaltige Luft ließ ihre Wunden unerträglich schmerzen, dazu kam der Durst. Wie konnte sie nur so leichtsinnig handeln. Wer wusste denn schon wo sie war, wer würde sie hier vermissen? Sie traute ihren Augen nicht. Aus der Dunkelheit flackerte ein Licht.

Schneller, immer schneller lief sie auf diese, sie sah es als ein Zeichen Gottes,   sich offenbarende Lichtquelle zu. Mit einem Ruck öffnete sie die alte morsche Holztür, die fast aus der Verankerung fiel. In der Ecke am lodernden mit Holz gefüllten Ofen, saß ein alter Mann auf einer Bank. Der vom Rauch seiner Pfeife umhüllt wurde. Er sah aus wie Robinson Crusoe. Graue, struppige Haare. Der Bart ragte bis auf seine Brust, die von einem dünnen, grauen Leinenhemd bedeckt wurde.

„Na, Senhorita, so stürmisch“? krächzte er.

„Ich bit-te mei mein schroffes Eindringen zu ent- entschuldigen“, stotterte Martina vor Kälte.

„Ich ha habe mi mich verlaufen und wur wurde von der Dunkelheit überrascht“.

„Na, nun beruhigen sie sich erst einmal“, krächzte er wieder.

Nachdem er die Wunden versorgt, ihren Durst gelöscht hatte, erzählte Martina  wie sie in diese missliche Lage geraten ist.

„Heute Nacht können sie hier bleiben. Natürlich nur wenn sie es wollen“? ergänzte er schnell seine Einladung.

„Sehr gerne, ich danke dafür. Sie sind mein Lebensretter“, hauchte  sie dem Alten lächelnd zu.

Martina versuchte das Alter des Mannes zu schätzen, was ihr aber nicht gelang.

Das schummrige Licht und der Haarwuchs ließen ein genaues Erkennen nicht zu.

„Was machen sie hier so ganz allein in der Einsamkeit“? wollte Martina wissen, während sie an ihrem lieblichen Rotwein nippte, den der Alte ihr eingeschenkt hatte.

„Ich rette Nachts Senhoritas, die sich verlaufen“, kam spontan die Antwort, wobei er zu lachen begann.

Das Lachen wurde immer heftiger und Martina konnte sich ihrem nicht mehr erwehren, so dass beide Lachen heftig in einander verschmolzen.

Als sich der Alte zu Martina an den Tisch setzte, erkannte sie im Lichtschein der Kerze, dass er doch nicht so alt war, wie sie es anfangs zu erkennen vermochte.

„Wissen sie Senhorita? Ich lebe schon sehr lange hier. Ich brauche nicht viel. Alles was ich zum Leben brauche gibt mir die Natur“. Als er dieses sagte, erkannte Martina  Zufriedenheit, aber auch eine gewisse Schwermut in seinen Worten.

„Aber sie, sie machen doch bestimmt Urlaub hier, Senhorita“? versuchte er von sich abzulenken.

Martina  empfand eine ungewöhnliche Vertrautheit zu dem Alten, wollte aber nicht mehr von sich erzählen. Deshalb antwortete sie: „Ja, ich mache Urlaub hier“, dabei zeigte sie eine gewisse Müdigkeit.

 

„Gute Nacht Senhorita“. 

„gute Nacht mein Retter“, flüsterte Martina nachdem sie Quartier bezogen hatten, das der Alte aber nicht mehr verstand, da die Müdigkeit ihr die Kraft zu sprechen nahm.

 

Als sie am Morgen erwachte, war der Alte fort.

Arinaga wollte sie jetzt aber nicht mehr erwandern. Sie wollte nur so schnell es ging ins Hotel und eine warme Dusche genießen.

Der heftige Wind hatte sich verzogen und die kalte dunkle Nacht mit sich genommen. Ein herrlicher sonniger warmer Morgen ließ die letzten Stunden schnell vergessen. Nur die Begegnung mit dem Alten ging ihr nicht aus dem Sinn. Aus der Ferne sah sie den Bus näher kommen. Der sie dann auch ohne Mühe ins Hotel zurück brachte.

 

„Mertens, was gibt es“? fragte Patrick aufgeregt, als sich der Kommissar am Telefon gemeldet hatte.

„Herr Mertens, wir haben das Fahrzeug ihrer Frau am Flughafen Langenhagen gefunden. Es stand auf dem Parkplatz direkt vor dem Eingangsportal. Es war nicht verschlossen, der Schlüssel steckte noch. Wir wissen nicht was wir davon halten sollen“?

 

„Und von meiner Frau fehlt jede Spur“? wollte Patrick wissen.

 

„Ja, bis jetzt noch. Wir sind dabei sämtliche Fluggesellschaften nach ihrer Frau zu befragen. Wenn sie geflogen ist, werden wir es bald wissen. Ich werde mich, so wie es etwas Neues gibt, bei ihnen melden. Mehr können wir im Moment nicht machen. Sollten sie etwas Neues erfahren, geben sie mir bitte auch Bescheid“.

 

„Ja, danke“. Mehr konnte Patrick nicht darauf antworten.

 

Als Patrick die Post durch sah, war eine Karte dabei. Sie war von Martina.

„Hallo Patrick, liebe Isabell, lieber Björn. Ich möchte euch sagen, dass es mir gut geht. Ihr braucht euch keine Sorgen machen.  Martina, Mutti

 

 Martina hatte die Karte einem alten Ehepaar, das ihren Urlaub beendet hatte, mit der Bitte mitgegeben, diese erst in Deutschland einzustecken. So wollte sie vermeiden, dass Patrick ihren Aufenthaltsort erfährt.

Der Kommissar dem Patrick die Karte vorgelegt hatte. Stellte die Ermittlungen nach Martina, mit den Worten: „ Habe ich doch gleich gesagt“. umgehend ein.

Patrick war außer sich, er wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren, musste sich aber der Anordnung fügen.

 

Thomas, Frauke, Lydia, Kai, Tobi und Helena lernte Martina am Pool, wo sie den Vormittag verbrachte, kennen. Es war eine lustige Truppe, die aus Hamburg kommend hier vierzehn Tage ihren Urlaub verbringen wollte. Für den Abend verabredeten sie sich an den Strand, wo eine große Beachparty statt finden sollte.

Trotz des lustigen Vormittags erwischte Martina sich ständig dabei, wie sie immer wieder an den Alten aus der Hütte denken musste.

Nach dem Essen mietete sie sich einen Suzuki Allrad und fuhr zu der Bucht, in der sie glaubte, die Hütte des Alten zu finden. So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte die Hütte nicht entdecken. Von einem Felsvorsprung versuchte sie die Orientierung zu finden. Es kam ihr nur alles fremd vor. Enttäuscht fuhr sie die Küstenstraße zurück zum Hotel.

Die Clique aus Hamburg wartete schon in der Hotellobby.

„Wo bleibst du denn“? fragte Tobi.

„Ich ziehe mich nur rasch um, dann komme ich nach“. Rief sie ihnen zu und verschwand im Aufzug.

Wow, meinten die Männer als Martina im Strandpavillion nach einiger Zeit ankam.

„Du siehst hinreißend aus“, sagte Kai und pfiff dabei.

„Ja genau, ich kann mich dem Kompliment nur anschließen“, meldete sich Thomas aus der Ecke.

Martina fühlte sich sehr gut. Die Komplimente der Männer genoss sie in vollen Zügen. Auch die Frauen aus der Clique musterten sie und befanden sie als schick und schön.

Der Abend war lustig. Es wurde viel gelacht und getanzt. Die Cocktails zeigten  ihre Wirkung. Sie tranken die Karte rauf und runter. Martina fühlte sich einfach nur gut. Wann hatte sie das letzte Mal so einen schönen Abend, zu Hause in Deutschland mit Patrick gehabt? Schnell verscheuchte sie diesen Gedanken.

„Komm lass uns tanzen, Tobi“, rief sie ihm zu und zog ihn am Hemd hinter sich her.

Ausgelassen tanzten sie einen Flamenco, wenn auch nur laienhaft. Wobei die anderen Männer sich nieder knieten und im Rhythmus dazu klatschten. Martina wollte sich nun ein wenig am Wasser abkühlen. Tobi schlich ihr nach. Die anderen feierten ausgelassen, tranken Cocktails, tanzten und waren einfach nur gut drauf.

Tobi hielt Martina am Arm, riss sie zu sich herum, versuchte sie zu küssen. Was sie aber nicht wollte. Erregt, außer sich, warf er sie in den Sand. Tobi versuchte Martina den Slip runterzuziehen wobei er zerriss.

„Nein, lass das“, zischte Martina ihn an. „Ich möchte das nicht“.

Tobi war außer sich und wollte sich mit Gewalt nehmen was ihn so erregte.

Martina war zu schwach. Der Schock versetzte sie in eine Besinnungslosigkeit.

„Du willst es doch auch“, stöhnte Tobi, du willst es doch auch“.

Noch bevor er in Martina eindringen konnte versetzte ihm irgendetwas einen harten Schlag auf den Hinterkopf. Benommen, sich die Hose hochziehend, taumelte er zurück zu den anderen.

„Wo ist Martina“? wollte Frauke wissen.

„Was weiß denn ich, wir sind ans Wasser gegangen um uns abzukühlen. Ihr wurde mit einem Mal schlecht. Ich glaube sie ist ins Hotel zurück“.

Martina erwachte im Lichtschein der Kerze. Sie war wieder in der Hütte, in der sie schon eine Nacht verbracht hatte.

„Wie komme ich hier her“? fragte sie den Alten.

„Senhorita, ich habe sie bewusstlos am Strand gefunden. Was ist geschehen“?

Wollte der Alte nun von ihr wissen.

Martina fing an zu weinen. „Ich war mit ein paar Bekannten, die ich im Hotel kennengelernt habe am Strand feiern. Wir tanzten und haben Cocktails getrunken. Tobi, so heißt einer der Männer ist dann über mich hergefallen. Und hat mich, hat mich vergewaltigt“. Jetzt konnte sie sich gar nicht mehr halten.

Der Alte hatte sichtlich Mühe sie zu beruhigen.

„Senhorita, ich habe ihnen einen Kräutertee aufgegossen. Bitte trinken sie ihn so lange er heiß ist. Er wird sie beruhigen und tief und fest schlafen lassen“. Noch während er zu ihr sprach trank sie von dem Tee. Es dauerte auch nicht lange und sie schlief tief und fest, wie er es voraus gesagt hatte.

Am Morgen als sie erwachte, saß der Alte auf der Bank und rauchte seine Pfeife.

„Na, Senhorita, wie fühlen sie sich“?

„Ich weiß nicht wie ich hier her gekommen bin. Ich fühle mich sehr gut. Ich weiß, dass ich am Strand war. Aber mehr Erinnerung habe ich nicht.

„Das ist gut so“, krächzte der Alte mit rauchiger Stimme und verschwand.

Martina rief ihm noch etwas hinterher.  Doch diese Worte erreichten ihn nicht mehr, der Wind trieb sie ungehört aufs Meer hinaus. Martina war neugierig geworden. Sie wollte mehr über den Alten erfahren. In der Hütte entdeckte sie nichts, was etwas über ihn aussagt. Martina hatte so viele Fragen. Was macht er hier? Wo geht er hin? Wer ist er? Von nun an wollte sie sich um die Beantwortung der Fragen kümmern. Irgendwie hatte der Alte sie in seinen Bann gezogen. Als sie von der Hütte zum Meer hinunter lief, lag dort ein altes Fischerboot. Das Meer hatte es vor langer Zeit hier angespült. Dieses alte Wrack sollte ihr als Zeichen dienen. Von hier aus konnte sie die Hütte leicht wieder finden, dachte sie. Und machte sich auf den Weg.

 

Zurück im Hotel, saßen die anderen betrübt in der Lobby.

„Was ist denn geschehen“? fragte Martina.

„Wo warst du denn“? fauchte Frauke sie ohne Begrüßung an.

„Tobi ist tot“, schrie Kai in den Raum. „Er ist in der Nacht noch im Meer schwimmen gegangen und nicht wieder gekommen“.

Martina empfand keine Trauer, konnte sich dieses aber nicht erklären.

„Wir reisen Heute noch ab“, meinte Frauke.

Martina war es aus unerklärlichen Gründen nur recht. Sie empfand für diese Leute keine Sympathie mehr. Von mir aus verschwindet nur, dachte sie und ging in ihr Apartment um ein bisschen zu ruhen.

 

Patrick und Heike verbrachten Tage auf dem Flughafen, sie gingen von einem Schalter zum anderen, zeigten Fotos von Martina, aber niemand erinnerte sich an diese Frau.

„Wissen sie wie viele Menschen hier täglich abfliegen und landen“? wurde Patrick von der jungen Mitarbeiterin einer Fluggesellschaft gefragt. Aus Datenschutzgründen konnten sie keine Auskunft über die Flugpassagiere geben.

Patrick war außer sich vor Wut. Seit Tagen versuchte er und Heike nun schon etwas über den Verbleib seiner Frau in Erfahrung zu bringen.

„Was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und so tun als sei alles in Ordnung“? aus Patricks Worten klang  Verzweiflung.

„Vielleicht sollten wir es doch so machen und einfach abwarten. Martina wird sich schon bei uns melden, wenn sie so weit ist“. Heike wählte diese Worte um Patrick zu beruhigen. Ob es wirklich so ist, daran glaubte sie selber nicht.

 

„Sie hatte rausbekommen, dass du mit einer anderen Frau zusammen bist. Du hast sie zu tiefst verletzt. Das muss sie nun erst einmal für sich verarbeiten. Ich denke du solltest ihr einfach der Fairness wegen diese Möglichkeit einräumen“.

 

Diese Worte versetzten Patrick doch einen starken emotionalen Hieb. Er wollte sich wieder in die Arbeit stürzen und Heikes freundschaftlichen Rat befolgen.

Er zog Heike an sich heran, gab ihr einen Kuss auf die Wange, mit den Worten:

 

„ Ich danke dir für deinen Rat und deine Hilfe“.

 

Heike wischte sich mit der Hand über die geküsste Stelle, verzog das Gesicht und meinte nur: „ Ist ja schon gut“.

 

„Sie kann doch nicht einfach weglaufen“, Patricks Worte klangen traurig, verständnislos und immer noch wütend.

 

„Weist du“? fragte Heike.

„Warum suchst du den Fehler bei Martina, wenn du selbst nicht frei von Fehlern bist? Wenn man es schon nicht schafft die eigenen Fehler zu beheben, sollte man sie nicht dem anderen vorhalten“.

 

Patrick sah Heike sprachlos an und kommentierte diese Worte nicht.

„Kannst du denn noch bei den Kindern bleiben. Oder willst du weg“?

lenkte er vom Thema ab.

 

„Nein, ich will nicht weg. Ich muss nur mal wieder bei mir die Blumen gießen, nach Post sehen und mir andere Sachen zum anziehen holen“.

 

In der Post fand Heike einen Brief von ihrer besten Freundin. Endlich hatte Martina ihr geschrieben. Ungeduldig riss sie den Umschlag auseinander.

 

Liebe Heike,

 

ich denke, ich muss mich bei dir entschuldigen. Du kannst doch nichts dafür, dass Patrick so ein Arsch ist. Ich habe die Nerven verloren, bin einfach weggelaufen. Ich konnte nicht mehr klar denken. Erst jetzt bin ich emotional in der Lage meine Gefühle dir gegenüber zu erklären.

Mir geht es gut. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Wenn ich zu mir gefunden habe, zu dem was ich will, werde ich dich darum bitten her zukommen. Aber im Moment möchte ich einfach nur alleine sein. Ich brauche Zeit, Zeit um mir über mein weiteres Leben klar zu werden. Was will ich eigentlich? Ich war eine Gefangene und hatte mich all die Jahre damit abgefunden. Jetzt in der Ferne entdecke ich mich neu. Nein, nicht neu, ich entdecke mich überhaupt. Es gibt vieles worüber ich nachdenke. Es gibt vieles was ich entdecke und kennenlerne. Es sind Dinge, Situationen aber auch neue Menschen. Ich bin neugierig auf alles und auf jeden neuen Tag. Anfänglich hatte ich ein schlechtes Gewissen und wollte zurück. Heute bin ich froh, nicht meinem Gewissen gefolgt zu sein. Vielleicht ist es egoistisch von mir, meine Kinder im Stich gelassen zu haben. Aber sag mir, waren sie nicht auch immer auf dem Egotrip? Nein, verzeih, wenn ich mir jetzt keine Sorgen um meine Familie mache. Patrick kann seine Mutter zu uns holen. Sie ist alleine und bestimmt froh, sich um die Kinder zu kümmern.

Ich mache nun Urlaub.

 

Alles Liebe

 

Martina

 

Heike, war traurig, aber auch froh endlich ein paar Zeilen von ihrer besten Freundin gelesen zu haben. Jetzt wusste sie, dass es ihr gut geht. Patrick sollte nichts vom Brief erfahren. Er sollte sich ruhig weiter Sorgen machen. Schließlich war er es ja, dem sie diese Situation zu verdanken hatte. Den Vorschlag, dass er seine Mutter für die Kinder holen sollte, verpackte sie als eigene Idee. Was aber von allen mit viel Widerstand abgelehnt wurde.

 

Martinas Aufenthalt im Hotel kostete sie ein kleines Vermögen. Sie war nicht länger dazu bereit diesen Betrag so sinnlos auszugeben. Ihr Vater war zu Lebzeiten, in der Stadtverwaltung als Kämmerer beschäftigt und somit immer darauf bedacht das Geld zusammen zu halten, beruflich wie privat. Sein Kredo lautete, erst was auf die hohe Kante für schlechte Zeiten. Aus diesem Grund wurde sie von ihren Eltern zur Sparsamkeit erzogen. Was Patrick mit der Einteilung des Haushaltsgeldes auch weiterhin praktizierte. In der City hatte sie beim Schoppen  ein Schild mit der Aufschrift- Don Philippo Castell Makler -, dass nur noch von einem Nagel an einer uralten verzierten eichenen Tür gehalten wurde, entdeckt.  Neugierig, was sie wohl erwarten würde, betrat sie das dunkle Büro. Der Makler, der hinter einem genauso alten Schreibtisch kauerte, wie die Tür zu sein schien, reichte ihr die Hand, stellte sich mit den Worten „ Don Phillippo Castell, aber meine Freunde nennen mich schlicht Castello“, vor.  „Was kann ich für sie tun Senhorita“? Sie hatte den Eindruck, als würde die Körperhülle dieses Mannes aus reinem Knoblauch bestehen, was er bei jedem Ausatmen eigentlich auch bestätigte. Hat der überhaupt Freunde? Dachte sie unverhüllt. Martina teilte ihm ihren Wunsch nach einem eigenen Apartment mit.

 

„Mieten oder Kaufen“? kam ihr in einer Knoblauch verpackten Fahne entgegen.

„Ich dachte an mieten. Ist das nicht möglich“? fragte sie ein wenig verunsichert.

„Doch, doch, natürlich es ist beides möglich. Wobei das Kaufen immer noch die bessere Lösung ist. Kapitalanlage, wenn sie verstehen was ich meine“? dabei grinste er und zwinkerte mit dem rechten Auge.

 

Eine Stunde zeigte er ihr nun schon die Fotos von Mietobjekten, wobei er bei jedem einzelnen gleich ein Angebot eines zu verkaufenden beilegte. Martina fehlte so langsam der nötige Sauerstoff in diesem stickigen Büro, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Eigentlich zweifelte sie an dem geschäftlichen Erfolg dieses Mannes und beendete das Gespräch, mit den Worten:

„ Ich werde mir das in aller Ruhe überlegen“, dann verließ sie ohne seinen  Händedruck  zu erwidern, das Büro.  Nach Luft ringend verweilte sie erst einmal an einer der Hausecken. Die Apartments aber auch die Häuser entsprachen nicht ihren Vorstellungen. Es waren schlicht weg baufällige Ruinen, die schon längst nach deutschem Baurecht, hätten abgerissen werden müssen. So einfach lasse ich dem nicht mein Geld verdienen, dachte sie sich und ging zum Strand hinunter.

Sie legte sich auf einer der Liegen, die von jungen Einheimischen zu überteuerten Tagespreisen an die Touristen vermietet wurden, beobachtete die spielenden Kinder und wunderte sich über eine Unterhaltung und Gestiegen, zweier ältere Spanierinnen, die den Strand von Unrat befreiten, den die Touristen hier achtlos verteilten, die sie aber nicht verstand, da sie kein Spanisch sprach.

„Ha oido? Chefartzt desde  el hospital local esta buscando a sus hijos a tener una ninera“?

„Si, este percance. Su esposa fue tan de repente desgarrada por la vida, es simplemente horrible, los ninos pobres percance“, jammerte die eine Alte und streckte die Arme in den Himmel.

„El probe Hombre“, erwiderte die andere.

„Entschuldigen sie, dass ich mich in ihr Gespräch einmische. Was ist denn passiert“? fragte Martina etwas besorgt, neugierig.

„Esa Tragdia, por ejemblo, una desgracia“,  jammerten die beiden alten und stolperten durch den weichen Sand davon, sich wundernd, was diese Frau von ihnen wollte.

„Senhorita, ich glaube, sie haben nichts von dem verstanden worüber die Alten gejammert haben, oder“? wurde Martina von einem der Jungen gefragt, der mit den Händen im Sand buddelte und auf seine Liegen aufpasste.

„Ja, dass ist so, ich spreche kein Spanisch. Worüber haben sie denn so gejammert“?

„Sie haben sich über den Doktor der hiesigen Klink unterhalten. Seine Frau hatte vor einiger Zeit einen schweren Unfall gehabt, sie wurde dabei getötet. Es ist eine große Tragödie“. Abwartend, was Martina darauf antworten würde, buddelte er weiter im Sand.

Nach eine Weile fragte Martina: „ Was ist mit dem Doktor“?

„Niemand weiß wo er ist. In der Taverne spricht man davon,  er sei seiner Frau in den Tod gefolgt“.

„Wie ist denn seine Frau verunglückt „? Wollte Martina wissen.

„Sie ist mit dem Auto die Klippen hinabgestürzt.

„Andere sagen, er ist Schwachsinnig geworden und schleiche des Nachts, wie ein Geist am Strand umher. Aber was wirklich mit ihm ist, kann niemand sagen. Er bleibt verschwunden“. Mit diesen Worten wandte sich der Junge von Martina ab. Eine Familie wollte Liegen mieten und rief nach ihm. Das Geschäft war  wichtiger.

Martina hätte diese Unterhaltung sehr gerne fortgesetzt. Aus unerklärlichen Gründen wollte sie mehr über diese Tragödie erfahren. Irgendwie kam ihr der Alte in den Sinn. Sie mietete sich wieder einen Wagen und fuhr in die Bucht in der sie ihm das erste Mal begegnete. Vom gestrandeten Fischerboot sah sie in der Ferne, im Dunst der Hitze die Hütte. Vor Freude getrieben, aber auch irgendwie aufgeregt, rannte sie darauf zu. Die Tür stand weit offen. Mit einem Sprung stand sie in dem kleinen dunklen, fensterlosen Raum. Jetzt, bei Tageslicht konnte sie sehen, dass die Hütte direkt an die Felsen gebaut war.

Von dem Alten war nichts zu sehen, was sie traurig stimmte. Wo sollte sie ihn denn finden, wenn nicht hier?

Der Zustand der Hütte ließ erkennen, dass er auch schon einige Tage nicht hier gewesen ist. Martina setzte sich ins Auto und fuhr in die Stadt zurück. Sie wollte die Klink aufsuchen, von der der Junge am Strand gesprochen hatte. An der Kreuzung, die sie gerade überquerte. Stand ein Übergroßes Schild mit der Aufschrift- Klinik Puerto San Sebastian- Zehn Kilometer. Sie wusste nicht ob es die Richtige war, wollte es aber hier zu erst versuchen. Die Straße führte an der Küste entlang. Palmen und Aloevera Pflanzen zierten sie und machten aus ihr eine paradiesische Allee. Der Blick von hier über das Meer ließ sie melancholisch werden. Sie sehnte sich nach ihren Kindern. Ach könntet ihr doch auch nur hier bei mir sein. Muttergefühle überfielen sie. Tränen nahmen ihr die klare Sicht und zwangen sie am Straßenrand zu halten. Es dauerte einige Zeit bis sie diesen Weinkrampf überstanden hatte und sie die Fahrt fortsetzte. Die letzten Kilometer führten sie durch eine bergige Gegend. Bis sie endlich vor der natursteinernen Mauer, die das Klinikgelände wie ein überdimensionaler Bilderrahm umgab, stand. Am großen eisernen Tor, dass ihrer Meinung nach, noch aus der Zeit stammte, wo Piraten sich und ihre Beute, vor den königlichen Brigaden versteckten, stieg sie aus.  Privatklinik-Puerto San Sebastian-Doktor  Petro Emanuel, stand auf einem blank geputzten Messingschild. Die tiefstehende Sonne spiegelte sich darauf und blendete sie. Martina öffnete das schwere Tor und ging den Weg hinauf zur Klinik. Es war ein wunderschönes Gebäude, das noch aus der venezianischen Zeit stammen musste. Der Gärtner, der diesen Park pflegen würde, liebte seinen Beruf  bestimmt über alles. Es gibt doch noch ein Paradies, dachte Martina als sie ihren Blick über dieses Anwesend sinnen ließ und setzte ihren Weg fort. Ein großer aus Bronze bestehender Löwenkopf zierte die Mitte der Eingangstür, dessen Ring, der daran befestigt war diente als Klopfhebel. Nachdem sie mehrmals den Ring auf die darunter liegende Platte geschlagen hatte, öffnete sich knarrend die Tür. Eine gepflegte alte Dame stand vor Martina und fragte:

„Ja, Senhorita, was kann ich für sie tun“? Sie sprach Deutsch mit spanischem Akzent. Irgendwie musste sie Martina ansehen, dass sie aus Deutschland kam. Martina wusste nicht was sie sagen sollte.

„ Eigentlich suche ich für meine Mutter eine Klinik, in der sie sich mal richtig erholen kann“, war ihre Notlüge.

„Es tut mir sehr leid Senhorita, hier kann niemand mehr aufgenommen werden. Die Klinik ist geschlossen. Nur Gott weiß wie es weitergehen wird“? 

„Was ist denn passiert“?  fragte Martina. Sie ahnte, dass sie den richtigen Ort gefunden hatte.

„Ein großes Unglück ist passiert. Aber das verstehen sie nicht. Leben sie wohl Senhorita“, mit diesen Worten verschwand sie und verschloss die Tür.

Martina wollte sich nicht so abwimmeln lassen.

Als sie um die Hausecke bog sah sie den Gärtner, der aus den Rosen die vertrockneten Blüten pflückte. Verwundert sah er Martina an, die aus einiger Entfernung immer wieder rief.

„Ola Senior“. Ola Senior“? Das waren die einzigen Worte, die sie auf Spanisch sprechen konnte. Was so viel heißt, wie hallo Herr.

„Si, lo que quieren”? antwortete er. Was Martina aber nicht verstand.

„Doktor Emanuel“? fragte sie den Gärtner. Der sie wieder verwundert ansah und mit den Schultern zuckte.

„Senhorita, entiendo que no lo son”?

Hinter Martina klangen die Worte. „Ich verstehe sie nicht gnädige Frau“.

„Mein Vater spricht kein Deutsch und sie kein Spanisch, ja. Kann ich ihnen helfen“?

Martina drehte sich in die Richtung von wo aus die Worte kamen.“Ich suche den Doktor Petro Emanuel. Können sie mir sagen wo ich ihn finde“?

Den Sohn des Gärtners schätzte sie auf Mitte zwanzig. Schwarzes, schulterlanges Haar, braune Augen und strahlend weiße Zähne. Er trug nur eine halblange weiße Leinenhose, der Oberkörper war muskulös und braun gebrannt.

„Was wollen sie denn von ihm“? fragte er und grinste sie frech und verführerisch an.

Martina erzählte ihm, wie auch der Dame an der Tür, dass sie ihre Mutter in die Klinik bringen möchte.

Ohne darauf einzugehen, reichte er ihr die Hand entgegen. „ Mein Name ist Diego und wie heißen sie“?

„Ich heiße Martina. Warum ist die Klinik geschlossen“?

„Sie wissen davon“, fragte Diego und sah Martina verwundert an.

„Ja, die Dame in der Klinik hat es mir erzählt“.

„Das ist Rosa, sie ist die Hausdame vom Doktor. Normalerweise ist sie nur in seiner Villa für ihn tätig. Aber seit dem Unglück, sieht sie ab und zu auch in der Klinik nach dem Rechten. Der Doktor ist verschwunden. Niemand weiß wo er ist. Wir nehmen an, dass auch er tot ist“.

„Was ist denn passiert, was für ein Unglück“? Diego nahm Martina an die Hand und zog sie hinter sich den Berg hinauf, wo die prächtige Villa des Doktors wie ein Schloss thronte. Auf der Terrasse ließen sie sich in den weißen Sesseln nieder.

„Möchten sie Limonade“? fragte Diego.

„Gerne“, antwortete Martina kurz.

„Mit Eis“?

„Sehr gerne“, ergänzte sie.

 Nachdem Diego sie mit eisgekühlter Limonade versorgt hatte, begann er ihr von dem Unglück zu erzählen.

„Der Doktor und seine Frau hatten wieder mal Streit. Es ging immer um das gleiche Thema. Sie war Alkoholikerin. Von Tag zu Tag trank sie mehr. Der Doktor ließ alle Flaschen, die er fand in den ausgetrockneten Brunnen werfen.

Irgendwie gelang es ihr aber immer wieder sich dieses Dreckszeug zu besorgen. Mit Geld kann man auch hier alles erreichen“. Als Diego einen Schluck von der Limonade trank fragte Martina ihn:

„Warum wurde sie denn zur Alkoholikerin?

Diego hatte mit dem Beginn der Erklärung sichtlich Probleme. Eigentlich wollte er es nicht erzählen. Martinas erwartungsvoller Blick ließ ihm aber keine Wahl.

„Pietro, dass ist der Name des Sohnes, den der Doktor und seine Ehefrau überalles liebten. Pietro hielt sich jede freie Minute in der Klinik auf. Seine Zukunft war bestimmt. Er wollte genauso ein tüchtiger und berühmter Arzt wie sein Vater werden. Egal ob eine Operation oder auch nur ein Verbandwechsel, Pietro war dabei. Er war ein Musterschüler und seinen Klassenkameraden immer ein paar Schritte voraus. Sein Abitur machte er mit summa cum Lauda. Der ganze Stolz der Familie Emanuel“. Diego zögerte nahm einen Schluck von der Limonade. Martina war in einer Erwartungshaltung gefangen. Sie sprach nicht, bewegte sich nicht.

„Pietro war auch bei seinen Freunden sehr beliebt. Eigentlich liebte jeder Pietro.

Sein Humor, seine Lebensfreude machten es ihm auch sehr leicht von allen geliebt zu werden“.

Wieder machte Diego eine Pause, starrte in die Gegend und fragte Martina: „Wollen sie es wirklich wissen“?

„Ja, ich möchte es wissen, ich möchte alles wissen. Erzählen sie doch weiter. Warum zögern sie“?

„Pietro war auch mein bester Freund. Was rede ich, er war so etwas wie mein kleiner Bruder. Was mit Pietro geschehen ist hat mich viele Monate verfolgt. Ich bin Heute noch nicht darüber hinweg. Dieses scheiß Zeug hat eine wundervolle Familien Idylle zerstört. Eines Abends, wir waren mit Freunden am Strand zu einer Lagerfeuerfete. Es war eine super Stimmung. Literweise haben wir Sangria getrunken. Ne, nicht getrunken, es war saufen. Pietro nahm ein kleines Fläschchen aus der Tasche zog den farblosen Inhalt in eine Spritze, schnürte seinen Oberarm. Die Ader in seiner Armbeuge wurde immer dicker, sie drohte zu platzen. Pietro setzte die Spritze gegen sie und stach zu. Langsam sickerte die Flüssigkeit in seinen Arm. Niemand von uns wusste was er sich da gespritzt hatte. Niemand von uns verhinderte es. Als das Zeug zu wirken begann wurde er immer hemmungsloser. Er begann sich auszuziehen. Nicht einmal die Badehose hatte er angelassen. Dann tanzte er splitternackt, wie ein Wichtel um das Feuer, brüllte irgendein wirres Zeug und verfiel in ein nichtaufhörendes Gelächter, was schließlich wie im Wahn endete“. Als Diegos Worte verstummten erkannte Martina, dass er mit den Tränen kämpfte.

„Das war der Beginn einer Höllenzeit für die Familie, für uns alle. Pietro wurde süchtig, er wurde ein Junkie. Sein Vater hat ihn in die teuersten Kliniken zum Entzug gebracht. Aber kaum war er wieder draußen, begann das Martyrium aufs Neue. Es ging über Jahre. Es folgten Vergewaltigungen, Diebstähle, Gefängnisaufenthalte. Aus dem anfänglichen Genie wurde ein Irrer, ein Wahnsinniger. Eines Tages fand ihn die Hausdame tot in seinem Zimmer. Er hatte sich eine Überdosis gespritzt. Er ist an seiner eigenen Kotze erstickt. Seine Mutter ist über diesen Verlust nie weggekommen. Sie gab ihrem Mann die Schuld. Er hatte ja die Drogen in seiner Klinik.

 

Der Doktor versuchte alles sie von dem Alkohol wegzubekommen“.

Jetzt erhob Diego seine Stimme.

„Aber er war machtlos. Als er wieder Mal alle Flaschen vernichtet hatte. Setzte sie sich in den Wagen, wollte in die Stadt um sich Alkohol zu besorgen. Von dieser Fahrt kehrte sie nie zurück. Die Polizei fand das ausgebrannte Wrack mit der Leiche in der Schlucht. Der Doktor gab sich die Schuld an ihrem Tod.

Diegos Stimme verstummte.

Sein anfänglich fröhlicher Blick verdunkelte sich. Er wandte sich von Martina  und sah einfach nur noch dem Himmel entgegen.

Martina fand auch nicht die richtigen Worte um ihn zu trösten.

Nach einer Weile fragte sie:

„Können sie mir Fotos von dem Doktor und seiner Familie zeigen“?

Als Martina den verfremdeten Blick des jungen Mannes sah, war auch sie über diesen Wunsch verwundert.

„Warum wollen sie Fotos sehen, kannten sie die Familie näher“?

„Nein, ich weiß auch nicht warum ich danach gefragt habe“? stotterte Martina. Man sah ihr an, dass ihr diese Situation nun sehr unangenehm war.

„Wenn sie es möchten, dann hole ich ihnen die Fotoalben. Ich bin hier immer ein und aus gegangen und kenne mich sehr gut aus.

Der Doktor war ein Bildhübscher Mann, er erinnerte sie an die Romanfigur Schiwago von Pasternak. Seine Frau war genauso schön.

„Wie ein Model“, sagte sie mit leiser Stimme.

„Ja, dass war sie auch. In den jungen Jahren wurde sie zur Miss Spain gewählt.  Sie ließ viele Männerherzen höher schlagen, aber das des Doktors eroberte sie“.

„Es war eine sehr schöne Hochzeit. Es war die große Liebe. Ich war zehn, erinnere mich aber noch sehr genau daran“. Diese Worte ließen das anfängliche Strahlen seiner Augen zurückkehren.

Martina hatte jetzt schon einige Bilderalben angesehen. Von Pietro war nicht ein einziges Bild in den Alben, nur freie Flächen, an denen mal ein Bild war.

„Warum sind hier keine Fotos von dem Sohn“? fragte sie verwundert.

„Der Doktor hatte alles, was an seinen Sohn erinnerte aus dem Haus verbannt“.

„Und wo ist der Doktor jetzt“? Martina stellte diese Frage ohne ihren Blick von den Fotos abzuwenden.

„Wenn wir das wüssten. Erst der Sohn und dann die Frau. Was kann das Schicksal schlimmeres mit einem anstellen“?

Die Zeit verging wie im Fluge. Martina wollte nicht wieder in der Dunkelheit fahren.

„Danke“. Sagte sie. Während Diego sie zum Auto begleitete.

„Fahren sie vorsichtig Martina“.

Er winkte ihr hinterher, bis sie in der Dämmerung verschwand. Diese Nacht

konnte sie nicht einschlafen, Diegos Worte, diese Empfindungen, ließen es nicht zu. Immer wieder sah sie das Gesicht des Doktor vor sich, diese braunen stechenden Augen, die sie zu kennen schien.

Mit einem Glas Wein setzte sie sich auf den Balkon und ließ die Gedanken in den Sternenhimmel schweifen. Nach dem dritten Glas wurde sie endlich müde, legte sich aufs Bett und schlief ein.

 

Morgens beim Frühstück fragte Diegos Vater seinen Sohn:

„Que es lo que los alemanes“? „Was wollte die Deutsche“?

Diego antwortete:

„ Ellos querian una estancia eu el hospital para organizer su madre”.

“Sie wollte einen Klinikaufenthalt für ihre Mutter organisieren“. Diegos Vater gab sich mit dieser Antwort zufrieden und verschwand im Garten.

Diego griff nach dem Helm, setzte ihn auf und fuhr mit seinem roten Roller nach Playa del Ingles. Das Hemd, das er offen trug, flatterte wie eine Flagge im warmen Inselwind. Die Nacht hatte er von Martina geträumt. Martinas Rock war, als sie sich in den Sessel setzte hoch gerutscht, dabei konnte Diego den Spitzenansatz ihres Tangas sehen, was ihn sehr erregte. Natürlich ließ er es sich nicht anmerken. Immer öfter sah er dort hin und genoss es. Ganz nebenbei hatte sie ihm erzählt, dass sie im Hotel Don Miguel wohnt, sich aber ein Apartment mieten möchte. Der Vater eines Freundes hatte mehrere Apartments, die er an Touristen vermietete. Den wollte er fragen, ob es auch über einen längeren Zeitraum möglich ist? Es war möglich. Mit dieser guten Nachricht wollte er Martina im Hotel besuchen. So hatte er einen Grund sie wieder zu sehen. Vom Portier erfuhr er die Nummer des Apartments. Leise, fast ein wenig schüchtern klopfte er an die Tür. Martina hörte es nicht. Musik und das Geräusch des Wassers, das aus der Dusche kam, übertönten das Klopfen. Immer wieder klopfte er an die Tür. Jetzt schon lauter.

Nach geraumer Zeit öffnete sie, nur mit einem Handtuch umwickelt, leicht neugierig, wer wohl so früh an der Tür war.

„Diego, sie“? fragte Martina als sie durch den Spalt der geöffneten Tür sah.

Diego nahm sofort das Wort an sich. Ohne zu atmen plapperte er los.

„Martina, ich habe eine gute Nachricht für sie. Wir können uns gleich ein Apartment ansehen. Der Vater eines Freundes von mir will es ihnen für längere Zeit vermieten. Wir müssen uns nur schnell entscheiden. Eh, ich meine natürlich, sie müssen sich schnell entscheiden“. Martina musste lachen als Diego seinen Versprecher richtig stellte.

„Kommen sie rein. Ich muss mich erst einmal anziehen. Sie können mir alles in Ruhe erzählen“. Wobei die Betonung auf aller Ruhe lag.

Diego setzte sich auf die Bettkante und konnte im Spiegel, der an der Wand befestigt war, Martina beobachten, wie sie sich im Bad anzog. Sie war eine wunderhübsche Frau. Wieder erregte ihn dieser Anblick. Er genoss jedes Detail ihres anziehen. Mit Freunden war er schon oft in einer Strippbar. Bis jetzt hatten Frauen ihn nur erregt, wenn sie sich auszogen. Nun erlebte er es einmal anders, wie sich eine anzog. Ein seidener, weißer mit Spitzen benähter BH, den Martina mit Leichtigkeit um ihre festen Brüste legte, ließ ihn schwer atmen. Dazu der passende Stringtanga, in den sie rein schlüpfte, der ihre Scham bedeckte, ließ ihn es nicht länger auf der Bettkante aushalten. Als Martina angezogen aus dem Bad kam, sah sie wie Diego nach Luft ringend auf dem Balkon stand.

„Ist ihnen nicht gut, sie wollten mir doch von dem Apartment erzählen“?

„Doch, doch, mir geht es gut. Ich brauche nur ein wenig frische Luft“.

Auf dem Weg zu seinem Roller, erzählte er von dem Apartment.

„Sie können den Helm nehmen. Es ist nicht so weit. Für die kurze Strecke geht es für mich auch mal ohne“.

Martina sah zu erst auf Diego, dann auf den Roller.

„Fahren wir mit diesem Ding“?

„Ja, warum denn nicht. Damit komme ich hier überall rasch hin. Mich interessieren die Staus nicht“. Sagte er wehrend er den Motor startete. Der Helm  war ihr sichtlich zu groß und rutschte ihr über die Augen.

Diego befestigte ihn am Lenker, nachdem Martina ihn ihm zurück gegeben hatte und auf dem Sozius Platz nahm.

Die Fahrt ging die Strandstraße entlang. Vorbei an mächtige Ferienanlagen, Bars und Restaurants. Touristen überquerten die vierspurige Straße. Einige liefen  wild durch die Automassen, andere standen diszipliniert an den mit Ampeln bestückten Fußgängerüberwegen. Bei jedem Anfahren gab Diego Vollgas. Um nicht nach hinten zufallen klammerte sich Martina fest um seinen gut gebauten Oberkörper, was Diego sehr gut gefiel und er deshalb immer wieder ruckartig Gas gab.

Nach einer halben Stunde Fahrzeit waren sie am Ziel. Die Anlage lag im Süden der Insel, umgeben von Wanderdünen. Segeljachten und die schönsten Motorboote ankerten im Hafen und machten deutlich, hier herrscht das Kapital.

„Und“? fragte Diego

„“Ich bin beeindruckt. Ist wirklich nett hier“.

„Nett“? Diego war ein wenig verwundert über diese einfache Aussage.

Was Martina schelmisch grinsen ließ.

„Nein, nicht nett. Es ist einfach nur Zauberhaft diese Gegend“.

„Na, das hört sich doch schon anders an“. Sagte Diego triumphierend.

Wobei er Martina tief in die blauen Augen sah.

Als sich ihre Blicke trafen, sah sie verlegen zur Seite. Von dieser Situation, der sie nicht gewachsen war lenkte sie mit den Worten. „Ist denn jemand da“? ab.

„Ja, wir sind mit dem Eigentümer verabredet.

„Na, Diego, ist das die schöne Frau von der du am Telefon so geschwärmt hast“? Rief ihnen lachend die freundliche Stimme des Mannes, der die Beiden an der Eingangstür erwartete, entgegen.

Diego strahlte überglücklich, seine weißen Zähne blitzten in der Sonne.

 

Nachdem sie sich vorgestellt hatten. Öffnete Senior Pancheta die Tür des Apartments. Martina war beeindruckt. Die Inneneinrichtung erinnerte an die, von Hollywood Schauspielern, die sie in den Illustrierten gesehen hatte.

Alle Möbel waren weiß. Glasvitrinen gefüllt mit Kostbarkeiten aus Porzellan, standen an den Wänden. Maritime Gemälde zierten die Abstände zwischen ihnen. Dicke helle Teppiche lagen auf den Fliesen. Die Fenster gingen bis auf den Fußboden und konnten zur Seite auf geschoben werden. Im Schlafzimmer befand sich ein überdimensionales Bett, das mit einem weißen Stoffhimmel überdacht war. Martina traute ihren Augen nicht. Nachdem sie alle Räume besichtigt hatten gingen sie auf die Terrasse. Martina kam aus dem staunen nicht mehr raus. Die Terrasse lag auf Säulen und ragte hoch über dem Meer. Der Pool war mit Liegen umgeben. Das Wasser glitzerte in der Mittagssonne und ließ Martina nun endgültig sprachlos erscheinen. Was das wohl kosten mag? Ist bestimmt viel zu teuer für mich. Schade eigentlich. Bevor sie sich über den Preis unterhalten konnten, hatten sie diese negativen Gedankenspiele schon aus ihren Träumen gerissen. 

„Na, Senhorita Martina, gefällt es ihnen“?

„Oh ja sehr. Wie hoch ist denn die Miete“? fragte sie plump.

Senior Pancheta zögerte eine Weile und ließ Martina schlimmes erwarten.

„Ich habe so an vierhundertfünfzig inklusive Nebenkosten gedacht“.

Martina stockte der Atem: „Pro Tag“?

„Nein“, erwiderte er lachend. „Nicht pro Tag. Das ist die Monatsmiete“.

Martina traute ihren Ohren nicht. Diesen Preis zahlte sie für das einfache Apartment in der Anlage für eine Woche.

„Sie können es sich ja überlegen. Aber nicht zu lange. Es ist schnell vermietet. Hier bleibt nichts lange leer stehend. Hätte Diego heute Morgen nicht angerufen. Ich hatte schon wieder einen Mieter dafür“.

„Ich brauche nicht überlegen. Ich nehme es. Erst Mal für drei Monate und dann sehe ich weiter. Ist das in Ordnung“?

„Ich werde den Vertrag ausfertigen lassen und komme die Tage hier vorbei. Ich freue mich Senhorita Martina. Es ist eine gute Entscheidung. Nachdem er ihr die Schlüssel übergeben hatte, verabschiedete er sich von den Beiden mit den Worten: „ Na dann viel Spaß auf dieser schönen Insel“.

Martina war außer sich vor Glück. Sie rannte auf die Terrasse wo Diego es sich auf einer Liege gemütlich gemacht hatte.

Sie riss ihn an den Armen zu sich hoch, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke Diego, es ist wunderschön hier. Dieses wunderschöne Apartment verdanke ich ihnen“.

Diego erwiderte ihre Umarmung. Ihre Lippen berührten sich. Es war der erotischste Kuss, den sie jemals erlebt hatte. Dieses Glücksgefühl ließ alle Hemmungen von ihr fallen. Der Altersunterschied, auch den machte diese explodierende Stimmung unwichtig. Als Martina im Himmelbett erwachte, lag sie im Arm von Diego. BH, Slip und die übrigen Sachen lagen verteilt im Raum.

Draußen war es dunkel und der leichte Wind ließ die Vorhänge an den geöffneten Fenstern hin und her flattern. Vorsichtig legte sie Diegos Arm an die Seite und sprang aus dem Bett. Was ist nur passiert, was hatte sie gemacht? So langsam realisierte sie was eigentlich geschehen war. Wie konnte sie sich nur dazu hinreißen lassen? Nein, sie hatte es ja auch gewollt. Es war ja auch schön. Diego ist ein guter Liebhaber. Noch nie hatte sie einen so intensiven Orgasmus erlebt, wie mit ihm. Patrick dachte immer nur an sich. Wenn er fertig war drehte er sich auf die Seite und schlief ein. Jetzt wusste sie, was ihr immer gefehlt hatte. Jetzt wusste sie was ein Orgasmus ist, von dem alle immer redeten, den sie bei Patrick nie erlebt hatte. Überglücklich zündete sie sich eine Zigarette an, die sie sich von Diego aus seinem Etui nahm. Nackt wie sie war setzte sie sich ans Fenster und sah hinaus. Der Vollmond spiegelte sich im Meer und ließ die schattigen Umrisse der Fischerboote erkennen, die wieder zum Fang hinaus fuhren. Der tiefe Lungenzug ließ sie einen Hustenanfall bekommen, wodurch sie

ungewollt Diego weckte.

„Was ist los“? fragte Diego als er Martina husten hörte.

„Ich habe nach langer Zeit mal wieder eine Zigarette geraucht. Mir war einfach danach. Der Lungenzug war wohl nicht so gut“, röchelte sie.

Diego fing an zu lachen, sprang nackt wie er war aus dem Bett, näherte sich Martina, kniete sich neben sie, drückte sie fest an sich und hauchte ihr zärtlich ins Ohr.

„Ich liebe dich. Ich war schon den ersten Tag in dich verliebt als ich dich bei uns im Garten gesehen habe“.

Martina wusste nicht so recht wie sie mit diesen Worten umgehen sollte. Sex, dass war die eine Sache. Aber Liebe, dass ging ihr nun doch zu schnell. Egal wie schön der Orgasmus auch war. Liebe bedeutete für sie etwas ganz anderes. Patrick liebte sie. Egal, was er ihr auch angetan hatte. Sie liebte ihn immer noch.

Für sie sollte es ein einmaliges Erlebnis sein. Von dem sie niemandem etwas erzählen wollte. Vielleicht nur ihrer besten Freundin Heike. Aber da war sie sich noch nicht so sicher. Diego nahm Martina auf den Arm, legte sie zurück aufs Bett. Gegen seine Verführungskünste war sie machtlos. Wieder und wieder erlebten sie einen explodierenden Orgasmus nach dem anderen. Immer wieder biss sie sich vor Wollust auf die Lippen. Sie hatte Mühe, nicht laut los zu schreien.

Irgendwann schliefen sie erschöpft ein.

Die Morgensonne und die kreischenden Möwen rissen sie aus ihrem Schlaf. Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, suchte sie in der Küche nach Essbarem zum Frühstück. Der Kühlschrank glich einem kleinen Kühlhaus einer Restaurantküche. Es war alles vorrätig. Martina wunderte sich über diese Fülle in einem zu mietenden Apartment. Nachdem sie ein lukullisches Frühstück zubereitet, es auf der Terrasse angerichtet hatte, weckte sie Diego. Er zog Martina wieder zu sich aufs Bett. Erfolgreich wehrte sie es mit den Worten:

 „ Ich habe Frühstück fertig“, ab.

Diego schlüpfte in seine Leinenhose und nahm auf der Terrasse neben Martina platz.

„Ich habe Hunger wie ein Raubtier“., sagte er wehrend er wieder einen Bissen von seinem Brötchen nahm. Dazu schluckte er Kaffee, Orangensaft und sein Ei.

„Ein himmlisches Frühstück, daran könnte ich mich gewöhnen“. sagte er lachend und biss wieder in das Brötchen. Dieser Ausspruch beunruhigte Martina ein wenig.

„Ich werde mir einen Wagen mieten und meine Sachen holen. Sonst muss ich noch für die ganze Woche die Miete zahlen und das muss ja nicht sein“.

„Toll, dann können wir bei mir vorbei fahren und auch ein paar Klamotten  holen“.

Martina sah Diego verwundert an.

„Was ist mit dir? Du schaust so komisch. Ich liebe dich und möchte mit dir zusammen sein. Mit der Frage. „Ist es zu viel verlangt“, verdüsterte sich sein Blick.

„Diego, es geht mir einfach zu schnell. Ich habe dir nicht die Wahrheit über mich erzählt. Ich hatte dir gesagt, dass ich eine Klinik für meine Mutter suche. Das stimmt nicht. In Wirklichkeit bin ich von zu Hause weggelaufen weil mein Mann mich betrogen hat“. Diego zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug, pustete Martina den Rauch ins Gesicht und schrie sie an: „Ich werde dich niemals betrügen. Ich liebe dich“. Mit der Faust schlug er über den Tisch. Gegenstände die auf dem Tisch standen flogen durch die Luft. Diego sprang auf  schrie: „ Das ist also der Dank“, und rannte aus dem Apartment. Martina hörte nur das aufheulen des Motors seines Rollers und wie er in der Ferne immer leiser wurde. Über diesen Wutausbruch war sie sichtlich verstört. Sie konnte damit nicht umgehen. In der Nacht war er so zärtlich und jetzt dieser Wutausbruch. Was ist denn in den gefahren? Machte sie sich Gedanken und auf den Weg.

Sie war gerade dabei ihre Sachen in den Schrank zu räumen, als es an der Tür klingelte, sie öffnete und Diego stand mit einem Strauß Rosen vor ihr.

„Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Noch nie zuvor habe ich eine Frau wie dich kennen gelernt. Ich liebe dich, ich habe Angst dich wieder zu verlieren“.

„Was man nicht besitzt kann man auch nicht verlieren“. Antwortete Martina ihm, wehrend sie ihn rein bat.

Diegos Blick verfinsterte sich wieder. Er ging auf die Terrasse, zog sich aus und sprang in den Pool.

„Komm rein, es ist schön kühl, gut gegen diese Hitze“. Seine Worte waren fordernd nicht bittend.

„Nein, ich will jetzt nicht schwimmen. Wir müssen uns unterhalten. Komm bitte raus und zieh dir etwas an“.

Nach einigen Bahnen, die er noch schwamm, kletterte er aus dem Pool, schlüpfte in seine Jeans und setzte sich neben Martina auf die Liege.

„Was gibt es“? fragte er neugierig und legte den Arm um sie.

„Lass das. Ich möchte dir etwas sagen“.

Diego sprang auf setzte sich Martina gegenüber.

„Diego, es war sehr schön, die letzte Nacht. Ich habe noch nie so etwas erlebt, wie mit dir. Du bist ein außerordentlicher, toller Mann. Ich möchte es aber bei dieser einen Nacht belassen. Ich liebe dich nicht“. Martina empfand Erleichterung als sie diese Worte endlich gesagt hatte. Befürchtete aber das Schlimmste, als sich Diegos Augen eng zusammen zogen. Wutschnaubend sprang er auf. Mit den Worten: „ Das wirst du bereuen, rannte er raus. Die Tür knallte er so heftig, das Martina erschrak und zusammen zuckte. Sie hatte das Gefühl, als sei sie aus dem Rahmen gefallen. In Stressfällen rief sie zu Hause immer Heike an um sich zu entladen. Hier hatte sie niemanden. Martina fing bitterlich an zu weinen. Das schöne Apartment, das sie nun bewohnte konnte sie nicht genießen. Erst war es die Klicke aus Hamburg, wo sie froh war, das sie wieder weg waren. Jetzt das Erlebnis mit Diego. Sind die denn alle bescheuert? schimpfte sie. Die letzten Tage ging sie nicht raus. Nur der Drang auf die Toilette ließ sie das Bett verlassen. Als es an der Tür klingelte, erschrak sie. Was wollte sie machen, wenn es wieder Diego ist? Vorsichtig schlich sie zur Tür, durch den Spion  erkannte sie Senior Pancheta. Sichtlich erleichtert öffnete sie.  

„Guten Tag Senhorita Martina. Haben sie sich gut eingelebt? Wie versprochen bringe ich ihnen den Mietvertrag.

Was ist mit Ihnen. Geht es ihnen nicht gut. Gefällt ihnen das Apartment doch nicht“?

„Doch, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur etwas Migräne“. Log sie.

Sie gingen noch einmal alle Punkte des Vertrages durch und setzten ihre Unterschrift darunter. Wehrend Herr Pancheta sie zu dieser schönen Wohnung beglückwünschte, bedankte sie sich gleichzeitig dafür.

„Sagen sie Senhorita Martina, ich will ja nicht neugierig sein, aber was haben sie eigentlich mit Diego zutun“? Diese Frage verwunderte sie doch ein wenig.

„Ach, ich habe ihn im Garten der Klinik von Doktor Emanuel kennengelernt.

Er bat mir seine Hilfe an und so sind wir zusammen gekommen, warum“? fragte sie ihn mit erstauntem Blick.

„Ach nur so. Eigentlich ist es ja nicht so wichtig“, wollte er die Frage abtun.

„Doch, nun sagen sie schon“.

„Diego ist als Einzelgänger bekannt. Er hat keine Freunde. Eine Zeit lang konnte er sich Freunde erkaufen, weiß der Teufel wo er das viele Geld her hat. Aber als sie ihn näher kannten, verzogen sie sich genauso schnell, wie sie gekommen waren. Mein Sohn war auch mit ihm befreundet. Irgendetwas muss da vorgekommen sein. Er hat nie darüber gesprochen aber den Kontakt zu ihm abgebrochen.“. Herr Pancheta ließ es bei dieser Aussage, verabschiedete sich von Martina mit den Worten: „Ich muss noch zu einem anderen Mieter. Der Euro muss rollen“, lachte er und verschwand.

 

Martina wählte Heikes Handynummer. Auf dem Display sah Heike eine ihr nicht bekannte Nummer. Sie zündete sich eine Zigarette an und verschwand in ihr Zimmer.

„Hallo, wer da“. Fragte sie lustig.

„Hier ist Martina“.

„Schatz, du. Wie geht es dir? Schön deine Stimme zu hören. Was machst du? Ich habe ja lange nichts von dir gehört“.

„Es geht so. Ich habe es mir alles leichter vorgestellt“. Martina konnte nur mit sehr viel Mühe ihr Weinen zurückhalten.

„Sag, was machen die Kinder. Geht es ihnen gut und was macht Patrick“?

„Den Kindern geht es gut. Sie sind alt genug und verstehen dich, nachdem ich ihnen alles erzählt habe. Patrick verbringt so manche Nacht außer Haus. Er sagt immer, er müsse viel arbeiten, wer es glaubt“?

„Er schläft woanders“? Martina war geschockt. Glaubte sie doch, dass Patrick sie vermisst und alles dafür unternehmen würde um sie zurück zubekommen.

„Sag, was machst du so den ganzen Tag, hast du schon jemanden kennengelernt“?

„Ich bin sehr oft am Strand. Vor ein paar Tagen habe ich ein eigenes Apartment bezogen. Es ist wunderschön“. Die Frage, ob sie schon jemanden kennengelernt  habe, ignorierte sie.

„Hört sich an, als würdest du wirklich lange fort bleiben“.

„Ich war mir nicht mehr so sicher. Jetzt wo du mir erzählt hast, dass Patrick oft nicht zu Hause ist, fällt es mir wieder leichter“.

„Ja, was soll ich dich belügen“. Stöhnte Heike ins Telefon.

„Sag, wann kann ich denn zu dir kommen. Die Kinder sind alt genug und fühlen sich durch meinen Aufenthalt hier, genervt“.

„Lass mir noch ein bisschen Zeit. Ich bin immer noch nicht mit mir im reinen. Ich muss mich nun an dieses Apartment und Inselleben gewöhnen“.

„Ich vermisse dich so sehr“. Jammerte Heike ins Telefon.

„Ich dich auch. Ich werde mich jetzt öfter bei dir melden, versprochen.

„Dann mach es mal gut, tschüss“. Beendete Martina das Gespräch.

Noch bevor Heike sich richtig verabschieden konnte. Drückte Martina das Handy aus. Heikes Stimme machte ihr wieder Mut. Patricks Verhalten bestärkten sie in ihrer Entscheidung, sich hier nun doch für längere Zeit nieder zulassen.

Sie wollte sich nicht länger über Diegos Verhalten fürchten. Es war eine schöne Nacht, mehr nicht. Sie war sich sicher, sie könne ihn in die Schranken weisen, sollte er wieder bei ihr auftauchen und randalieren. Die Frage, des Seniors Panchet machten sie doch sehr nachdenklich. Ihr gegenüber hatte Diego doch von seinen Freunden erzählt. Auch, dass der Sohn des Seniors Panchet, ein Freund von ihm sei. Aber warum hatte er ihr das Apartment vermietet, wenn er nichts von ihm halten würde. Martina wollte am nächsten Morgen wieder zu der Klinik fahren. Sie wollte sich auch in der Villa genauer umsehen. Beim letzten Besuch war sie nur kurz auf der Toilette. Ihre Neugierde konnte sie nicht befriedigen, beobachtete doch Diego jeden Schritt den sie unternahm. Warum konnte Diego der Sohn des Gärtners, in der Villa ein und ausgehen? Warum kannte er sich so gut aus? Wenn es stimmte, dass er mit Geld nur so um sich schmiss, woher hatte er es? Wohin war der Doktor Emanuel verschwunden?

Wer war der Alte, dem sie schon mehrmals begegnet war? Die Augen des Alten, diesen stechenden Blick. Es waren die Augen des Doktors, dessen war sie sich nun sicher. Was geht es mich eigentlich an? Was kümmert es mich, wo der Doktor abgeblieben ist, was, wo der Alte? Sie konnte sich aber nicht von diesen Fragen abwenden, egal was sie auch unternahm, immer wieder sausten wilde Gedanken aus ihrem Unterbewusstsein und besetzten ihr Bewusstsein. Irgendetwas zwang sie dazu, nach dem Doktor zu suchen. Was es war, sie vermochte es sich nicht zu erklären.

Sie nahm die Zeitschrift, die sie sich in der City gekauft hatte, holte sich eine eisgekühlte Cola und setzte sich an den Pool. Boris Becker hatte sich schon wieder von seiner Neuen getrennt. Die Überschrift nahm sie auf aber den Artikel, die Hintergrundinformation las sie nicht. Weltwirtschaftskrise, da kann ich froh sein, mein Geld auf einem einfachen Konto gehabt zu haben, dachte sie und freute sich. Sie schaute sich die Seiten an, blätterte ohne zu lesen weiter.

Ihre Gedanken kreisten überall rum, nur nicht in der Zeitung. Sie legte sie auf den Tisch, sah sich eine Weile das Treiben am Strand an und schlief ein. Die Sonne hatte sich hinter die Berge verzogen, ein kühler Windzug ließ sie erwachen. Als sie auf die Uhr sah, stellte sie mit erstaunen fest, sie hatte drei Stunden geschlafen. Leicht unterkühlt zog sie sich den Jogginganzug über. Im Vorratsschrank fand sie eine Dose Fischsuppe. Die Suche nach dem geeigneten Öffner konnte sie auch für sich erfolgreich abschließen. Im Ofen wärmte sie sich ein halbes Baguette auf, füllte die Suppe in eine Schüssel, stellte den Fernseher an und genoss die leckere Speise und den Fernsehfilm.

 

Heute Morgen wollte sie in die City, sich ein eigenes Auto kaufen. Ein Leihwagen genügte für den Urlaub, war aber auf dauer zu teuer. Der überaus freundliche Händler beglückwünschte sie zu diesem einmaligen Schnäppchen.

„Sie werden auf der ganzen Insel kein besseres Auto zu diesem Preis finden“.

Diese Worte klangen ihr noch im Ohr, als sie um die Ecke bog und bei einem anderen Händler den Wagen eintausend Euro billiger sah. Ärgern wollte sie sich nicht. Wer weiß was mit dem Auto los ist? Beruhigte sie sich. Sie war sich sicher, dass es auf dieser Insel nie regnen würde. Und von einem Cabriolet hatte sie immer schon geträumt. Warum soll ich mir meine Träume nicht erfüllen? Zufrieden mit sich und der Welt fuhr sie in Richtung Klinik. Auf halber Strecke wendete sie und fuhr zu der Küste wo die Hütte stand. Das angeschwommene Wrack diente wieder zur Orientierung. Alles war so wie beim letzten Aufenthalt, die Hütte war leer, von dem Alten war wieder weit und breit nichts zu sehen. Also musste sie doch zu der Klinik um dort etwas in Erfahrung zu bringen. Das Auto stellte sie in einem Seitenweg ab. Vom Tor aus sah sie sich erst einmal um. Vielleicht war Diegos Vater wieder im Garten am werken. Aber es war niemand zu sehen. Sie musste weiter auf das Grundstück vorrücken. Zuerst wollte sie in die Villa um dort nach zu sehen. Eine Weile versteckte sie sich hinter Koniferen, die dicht an der Terrasse gepflanzt waren. Erst als sie sich einigermaßen sicher sein konnte, dass niemand da war, schlich sie zu der Terrassentür. Merkwürdiger Weise stand diese weit offen. Ein bedrohliches Gefühl überkam sie. Was, wenn Diego sich hier aufhält?

Sie könnte ja sagen, sie hätte es vor Sehnsucht nicht ausgehalten. Mit dieser Ausrede war sie zufrieden und schlich ins Haus. Die Luft anhaltend stand sie in dem großen Zimmer und lauschte nach irgendwelchen Geräuschen. Die Spannung wurde immer unerträglicher, sie entschied sich laut zu rufen. Hallo ist hier jemand…, ist jemand da…? Es rührte sich nichts. Wieder rief sie, jetzt etwas lauter. Ist jemand hier…? Hallo, hallo, ist hier jemand? Jetzt war sie sich sicher, es war niemand da. Was mache ich hier? Wonach suche ich? Wenn man nicht weiß wonach man sucht, wie und was soll man dann finden. Martina du bist bescheuert, waren ihre Gedanken. Sie befand sich nun in der Halle des Eingangsbereiches. Diese hatte die Größe wie das Kirchenschiff in dem sie und Patrick sich das Jawort gaben. Von hier aus gingen mehrere Türen ab.

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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