Karl-Heinz Fricke

Der Stiefvater

 

Der kleine Ort in der Lüneburger Heide war an jenem denkwürdigen Morgen noch nicht erwacht, nur Nachbar Hunde kläfften sich Morgengrüße zu. Wilhelm Meiners, von der Nachtschicht kommend, stellte sein Fahrrad ab und betrat seine Wohnung. Zu seinem Unmut wälzte sich seine Ehefrau Else scheinbar noch in den Federn und auch Sohn Hans schien noch zu schlafen, obwohl er in Kürze zur Schule gehen müsste.. Sein Frühstück stand nicht wie gewohnt auf dem Tisch und Zornesröte zeichnete sich auf dem Gesicht des Kalfaktors ab, denn zu mehr als einen Arbeiter mit unwichtigen Aufgaben hatte es Meiners nicht gebracht. Die ständigen Morgenstreitereien und Vorhaltungen würden eine Verschärfung erfahren, denn zu Hause fühlte er sich als Herr.

Merkwürdig, das Ehebett war unberührt, und nun machte Nachdenklichkeit dem Zorn Platz. Hatte sie endlich wahrgemacht, dass sie eines Tages fortgehen würde ? Als er den kleinen fensterlosen Nebenraum der Küche betrat, weiteten sich seine Augen schreckerfüllt. Der Junge kniete schluchzend vor den Füßen seiner Mutter, die vor ihm hingen. Mit dieser Tat beendete Else ihr unglückliches Eheleben und zog den Freitod weiterer Seelenschmerzen vor. Jetzt war sie fortgegangen.

Ein anderes Familiendrama vollzog sich fast zur gleichen Zeit in Hildesheim. Ich war gerade vier Jahre alt geworden, als sich meine Eltern scheiden ließen. Mein Vater wurde mir später als ein Mensch geschildert, der seine Pflichten als Familienvater sehr vernachlässigt hätte und, obwohl meistens arbeitslos, seinen Neigungen nachging, während meine Mutter uns beiden Jungens die Pflege angedeihen ließ, an der es oft wegen Armut mangelte. Mutter beklagte sich bei den Eltern und Geschwistern meines Vaters über ihn, fand aber wenig Verständnis für ihre berechtigten Klagen. Nach vierjähriger Ehe kam es dann zur unvermeidlichen Scheidung, und unsere Mutter zog mit uns zu meiner Großmutter nach Goslar, die uns liebevoll aufnahm, obwohl auch bei ihr Armut Küchenmeister war.

Mit meiner Großmutter, gerade 49 Jahre alt, war das Schicksal hart umgegangen. Mit ihren vier kleinen Töchtern, von denen Mutter die Älteste war, verlor sie ihren Mann nach Beginn des ersten Weltkriegs beim Vormarsch in Belgien. Die kärgliche Witwenrente reichte jedoch nicht aus, um ihre Kinder und sich zu ernähren. Sie verdingte sich bei Bauern, die ihr eine Kate zustanden. Später siedelte Großmutter mit ihren anderen Töchtern nach Goslar über, die aber dann nacheinander die kleine Wohnung verließen, um die Mutter zu entlasten.

Als wir nach der Scheidung von Hildesheim dort eintrafen, wurde entschieden, dass sich meine Mutter um uns und den Haushalt kümmern sollte, während meine Großmutter zu unserer Ernährein wurde und für ein großes Hotel die Wäsche wusch. Ich sehe sie noch heute in den Brodenschwaden in der Waschküche die Wäsche kochen, auswringen und im Hof auf die Leine hängen. Sie tat mir immer so leid, wenn ich sie besuchte. Erschöpft kam sie abends nach Hause.

Natürlich war das keine Dauerlösung für die arme Frau. Sie hatte in den Kriegs -und Nachkriegsjahren viel erleben und gedulden müssen, uns sie sehnte sich nach Ruhe. So war es nicht verwunderlich, dass sie meine Mutter drängte sich wieder zu verheiraten. Die Auswahl war jedoch nicht sehr groß. Die Arbeitslosigkeit schlug in Deutschland große Wogen, und wer konnte schon eine geschiedene Frau mit zwei Kindern ernähren? Es gab aber auch Männer, die aus gleichen oder ähnlichen Gründen eine Frau benötigte..

Unglücklicherweise entdeckte meine Mutter in der Tageszeitung die Annonce des Wilhelm Meiners, der für seinen Sohn eine Ersatzmutter suchte. Der Kontrakt einer Zweckehe wurde in der Goslarer Wohnung ausgehandelt. Meiners stellte die Bedingungen. Damals wurde ich als Siebenjähriger aus witschaftlichen Gründen einer der Hauptverhandlungspunkte. Meiners weigerte sich mich in die Familie aufzunehmen. Er habe nur einen Sohn, und meine Mutter dürfte auch nur einen von uns in die Heide mitnehmen. Anstatt. dem Kerl nach diesen Worten die Tür zu weisen, erklärte sich meine Oma bereit mich bei sich zu behalten. Da sie weiterhin ihrer Arbeit im Hotel nachging, wurde ich zu einem Schlüsselkind. Mangels elterlicher Erziehung wurden mir viele Dummheiten nachgesagt, die ich aber nach kurzer Zeit abwarf.

Als ein Jahr vergangen war, verlangte meine Großmutter, dass es so nicht weiterginge, denn ihre Kräfte ließen merklich nach. Ich müsste nun in die Familie aufgenommen werden. Das wiederum traf den Widerspruch Meiners, aber meine Mutter muss sich durchgesetzt haben, denn kurz darauf befand ich mich per Reichsbahn auf dem Wege nach Wietze. Nie vergesse ich die ablehnenden Blicke meines Stiefvaters und ich konnte es auch nicht über mich bringen, ihn Vater zu nennen. Glücklicherweise hatte er im Norden der Heide Arbeit gefunden, denn er kam nur an den Wochenenden nach Hause. Wenn er jedoch daheim war, wurde ich Mittelpunkt endloser Debatten, und als ein Jahr vergangen war befand ich ich mich wieder in einem dritter Klasse Bahnabteil mit einem Pappschild um den Hals, auf dem Goslar stand. Ich kehrte wieder zur Großmutter zurück.

Nach weiteren zwei Jahren fand in Goslar die große Familienvereinigung wirklich statt. Meine Mutter kehrte mit Meiners und den beiden Jungens nach Goslar zurück. Großmutter überließ uns die Wohnung. Sie fand eine kleine Bleibe in der Altstadt. Natürlich änderte sich nichts an Meiners seiner Einstellung mir gegenüber.

Im Jahre 1942 traf ich 14-jährig meine Lehre als Kaufmannsgehilfe an. Stiefbruder Hans wurde 1943 zur Infanterie eingezogen und später nach Russland abkommandiert. Nach seinem ersten Heimaturlaub kam er er nicht wieder zurück. Dieser Schicksalsschlag erschütterte Meiners, der sonst nicht fähig war irgendwelche Emotionen zu zeigen. Er selbst war wegen seines Asthmaleidens zu Dienstleistungen in der Heimat eingezogen worden.

Im Jahre 1941 verschied meine gute Oma 58-jährig an Herzschwäche. Als ich im Jahre 1947 meine Frau kennenlernte, versuchte Meiners mich schlecht zu machen. Hildegard könne sicherlich einen Besseren finden. Ich arbeite damals schwer als Hauer im Erzbergwerk. Im Jahre l949 gaben Hildegard und ich uns das Jawort, und nun in wenigen Monaten feiern wir unsere Diamanten Hochzeit. Unsere Ehe stand von Beginn auf soliden Füßen.

Die dauernden unliebsamen familiären Probleme und Zerwürfnisse trugen nicht wenig zu unserem Entschluß bei im Jahre l956 nach Kanada auszuwandern. Wir wollten endlich ein Leben in Ruhe und Frieden leben. Im Lande des Ahorns fanden wir zu uns selbst.

Meine Mutter überlebte Meiners um 17 Jahre, der 71-jährig plötzlich in der Wohnung zusammenbrach und auf der Stelle tot war. Mein leiblicher Bruder starb 75-jährig in Offenbach an Speicheldrüsen Krebs. So bin ich der einzige Überlebende der zusammengewürfelten Familie.

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