Ingrid Grote

TOPP, die Wette – Wie es weiterging...4

 

NATURELEMENTE...

 

„Ich komme heute besser nicht...“ In Irmas Stimme schwang ein leicht bedauernder Unterton mit. Zumindest bildete Chris sich das ein, während er sich gleichzeitig darüber wunderte, dass Irma ihn überhaupt anrief. Normalerweise rief sie ihn doch nie an, das hatte sie ja nicht nötig...

„Was ist denn los?“ fragte er locker und versuchte, seine Stimme nicht allzu besorgt klingen zu lassen.

„Ich fühl’ mich nicht so. Also lassen wir es lieber...“ Und schon legte sie auf, und er stand, beziehungsweise saß da wie ein Idiot. Ein mit einer weiblichen Phrase abgespeister Idiot.

Was zum Teufel war da los?

Dann auf einmal dämmerte ihm was. Ach das, sie hatte ihre Tage...

Na und, was sollte der Scheiß? Er musste nicht unbedingt mit ihr schlafen. Unterhalten ging auch, TV schauen, Musik hören, über Bücher sprechen. Das war doch gar kein Problem.

 

Er will schon nach dem Telefon greifen und sie anrufen, aber dann stutzt er und zieht seine Hand so schnell zurück, als hätte ihn ein giftiges Insekt gestochen.

Okay, jetzt versteht er es. Sie will nicht mit ihm zusammen sein. Sie will zwar mit ihm schlafen, aber sonst will sie nichts von ihm.

Diese Erkenntnis ist erschreckend, und irgendwie scheint der Boden unter ihm leicht zu schwanken – so oder ähnlich muss sich ein Erdbeben anfühlen – und er fragt sich, warum er ihr eigentlich die Schlüssel gegeben hat. Es war so ein Reflex, er konnte nicht anders. Hat sich wohl im Unterbewusstsein vorgestellt, dass sie schon da wäre, wenn er nach Hause käme... Pustekuchen! Dieses sture Weib denkt nicht im Traum dran, einfach mal bei ihm vorbeizukommen. Die doch nicht!

Chris fasst sich an den Kopf. Er weiß nicht, wieso diese Tussi ihm so viel Ärger macht und warum er sich ihretwegen immer so zornig fühlt. Von Anfang an war es so. Er erinnert sich daran, wie er auf Ibiza darüber nachgrübelte, wie er seinen Ärger in den Griff kriegen könnte. Und er zitiert sich selber: Sie sollte sich in ihn verlieben, dann wäre es gut, und er könnte sie verlassen.

Was für ein Idiot er doch war! Von wegen war... Er ist es noch immer, und es wird immer schlimmer. Verflucht, das reimt sich sogar: Er ist es noch immer, und es wird immer schlimmer. Mutiert er etwa zum Dichter? Nein, um Himmelswillen nein! Trotz seines Grolls auf Irma muss er kurz auflachen, aber dann geht die Grübelei weiter:

Jedenfalls hat sich gar nichts geändert in ihrem Verhalten, sie ist reserviert, sie lässt keinerlei Vertraulichkeiten zu, und sie blockt alles ab, was auf ihr Gefühlsleben hindeuten könnte. Falls sie denn überhaupt eins hat. Mittlerweile bezweifelt er es.

Herr des Himmels, er schläft jetzt schon seit vier Wochen mit Irma, aber es geht nicht weiter, es tut sich nichts. Zumindest bei ihr tut sich nichts. Sie ist so cool, sie macht sich nichts aus ihm, bis auf die körperliche Sache natürlich. Und sie hat ihm nie die Zärtlichkeiten gegönnt, nach denen er sich sehnt.

Oh Scheiße! Er sehnt sich nach Zärtlichkeiten? Das ist neu für ihn und auch ziemlich beängstigend. Chris schüttelt ratlos den Kopf und weigert sich, weiter darüber nachzudenken, der Gedanke ist nämlich erschreckend.

Was zum Teufel hat Irma mit ihm angestellt? Vor ihr war das Leben einfach, ab und zu eine Frau aufreißen, sie schnell wieder loswerden, mit den Kumpels aufs Land fahren, dort auch ab und zu eine Frau aufreißen, sie schnell wieder loswerden... Chris denkt angestrengt nach. Was hat er eigentlich für ein Leben geführt? Im nachhinein kommt ihm alles so fürchterlich sinnlos und leer vor, obwohl es doch von Zeit zu Zeit recht befriedigend war. Hauptsächlich deswegen, weil er sich nie die Kontrolle aus der Hand nehmen ließ.

Aber jetzt ist er machtlos.

Danke Irma! Du hast mein altes Leben zerstört, und was habe ich dafür gekriegt? Nichts... Irgendwie hast du mich um meine Selbstachtung gebracht, und ich fühle mich unsicher, wenn du da bist. Gleichzeitig bin ich froh, wenn du da bist. Obwohl du doch nur Sex von mir willst.

 

Das ist der Punkt! Tatsächlich kommt er sich allmählich vor wie ein Deckhengst, einer der immer gut sein muss, einer der nur dazu da ist, um Irma die größten körperlichen Wonnen zu verschaffen. Obwohl er selber ja auch wahnsinnig davon profitiert. Aber trotzdem... Sie mag ihn nicht, sie benutzt ihn nur. Er ist eben ein Idiot für sie. Warum fragt sie ihn nicht mal um Rat oder erzählt ihm irgendwas Persönliches? Nein, Irma tut so etwas nicht...

Sie ruft ihn ja auch nicht an, außer um ihm abzusagen. Ja, wirklich toll! Es ist zum aus der Haut fahren! Er sollte sie abschießen, sie passt nicht in sein Schema von Frauen, sie ist unverschämt, sie ist überhaupt nicht lästig, sie ist amüsant, und er findet sie immer hübscher. Aber vor allem ist sie so flüchtig wie eine Gaswolke, was ja eigentlich seinem Idealbild von einer Frau entsprechen müsste. Aber bei Irma hasst er das!

Chris muss sich widerstrebend eingestehen, dass er sich selber nicht verstehen kann – und dass er auch Irma nicht verstehen kann, aber dass er sie verstehen möchte auf eine verzweifelte Art. Denn so kann es nicht weitergehen. Er geht dabei zu Grunde...

Wieder wundert er sich über seine Gedanken, was soll das? Was ist los mit ihm? Warum geht er zu Grunde?

Peinlich genau denkt er nach. Warum geht er zu Grunde?

Weil sie ihn zornig macht, weil er dagegen nichts tun kann, dass sie ihn zornig macht. Warum machte sie ihn zornig? Weil sie ihn beschäftigt. Weil er immer an sie denkt. Warum denkt er an sie? Weil sie ihn zornig macht. Warum macht sie ihn zornig? Das ist eigentlich die beste Frage von allen, aber er kann sie nicht beantworten.

Und muss er dauernd an sie denken. Er stellt sich vor, wie sie am Freitag Nachmittag zu ihm kommt, wie sie zusammen fernsehen und sich unterhalten, wie sie in die Kneipe gehen und eng nebeneinander sitzen, während er knobelt. Sie hat ein neues Knobelspiel eingeführt, nämlich das Schocken, ein wirklich geiles Spiel. Sie kann selber saumäßig gut knobeln, aber sie spielt nur selten mit, sie sieht ihm lieber zu, und ganz selten sagt sie etwas, gibt ihm leise einen Rat, den er natürlich nicht befolgt, und dann verliert er das Spiel. Hat er es nicht sowieso schon verloren, das Spiel? Er erinnert sich an dieses Stück von Deine Lakaien, nämlich THE GAME…

Das hat die gleiche seltsam sentimentale Wirkung auf ihn wie Irma. Dieses Stück und Irma gehören zusammen, bei ihr hat er es zum ersten Mal gehört, und er war einfach... Baff. Bei ihr hat er es zum ersten Mal erfahren, dieses seltsam irrationale Gefühl. Bei ihr und bei ihrer Musik. Ihre Musik schafft ihn, und Irma schafft ihn auch. Wenn er nur wüsste, warum!

Er denkt daran, wie es ist, mit ihr zu schlafen. Unbeschreiblich ist es, und er ist immer kurz davor, sich in ihr zu verlieren.

Er denkt daran, wie sie neben ihm liegt. Sie berühren sich nie, sie entfernt sich immer unauffällig von ihm, obwohl er sie am liebsten festhalten möchte. Aber er tut es nicht, denn er hat Angst, sie könnte ihn abweisen.

Er denkt daran, wie er sie vermisst, wenn sie ihn am Samstag Morgen einfach allein lässt.

Er vermisst Irma. Er vermisst sie, obwohl sie ihn zornig macht. Das ist die Tatsache. Aber warum vermisst er sie? Und was hat diese Frau an sich, dass er solche blöden Gedankengänge wälzt. So was wie: Es geht nicht weiter, es tut sich nichts.

Und was erwartet er denn? Es ist doch alles bestens. Überwältigender Sex, keine Verpflichtungen, eine absolut unaufdringliche und vor allem geile Frau...

 

Das Telefon läutet, und er stürzt sich förmlich darauf, vielleicht hat sie es sich ja anders überlegt und wird doch noch kommen...

Es ist seine Schwester, und sie kündigt ihm für morgen Besuch an, irgendeine Kusine, die am Wochenende in der Stadt ist.

„Soll ich mich mit einem Kind beschäftigen?“ fragt Chris belustigt, er hat sich schnell wieder in den Griff gekriegt.

„Als Kind würde ich die nicht bezeichnen“, seine Schwester fängt an zu lachen. „Immerhin ist sie schon achtzehn...“

„Noch schlimmer!“

„Ich dachte, du würdest dich freuen...“

„Ach verdammt! Weiber! Im Moment bin ich nur sauer auf sie.“

„Chrissie, NEIN!“ Seine Schwester kreischt das förmlich. „Hat es dich endlich erwischt? Du bist doch nicht etwa verliebt? Nein, das glaube ich nicht!“

Chris schweigt daraufhin grimmig vor sich hin. Aber nach einer Weile sagt er irgendwie trotzig: „Wann kommt denn das Mädel? Ich hoffe doch, sie ist hübsch!“

„Das ist ein schnuckeliges Häschen, allerdings ist sie ein bisschen nervig. Und sie kommt morgen Nachmittag. Tut mir leid, dass ich sie dir aufs Auge drücken muss, aber ich habe leider keine Zeit...“

„Und wo schläft sie?“ fragt er muffig. „Sag’ jetzt nicht, bei mir...“

„Nein um Himmels Willen! Also wirklich, ich würde doch nie so ein unschuldiges Lämmchen, wie sie es ist“, seltsamerweise lacht sein Schwesternherz bei diesen Worten, „bei dir schlafen lassen. Sie schläft natürlich bei Dad...“

„Das ist immer noch verdammt nahe. Und hoffentlich hängt sie mir nicht dauernd auf der Pelle...“

„Ist doch nur für einen Abend, Chrissie. Am Sonntag fährt sie wieder nach Hause.“

„Gott sei Dank!“ ächzt Chris erleichtert.

 

Na toll! Und was soll er morgen mit dieser liebreizenden Kusine anstellen? Er überlegt angestrengt und kommt plötzlich auf eine glorreiche Idee.

Er wird mit ihr in die Oper gehen!

Das ist genial! Ihm ist nämlich gerade eingefallen, dass Irma auch morgen in die Oper geht, in Lucia di Lammermoor – und er verspürt den unbezwingbaren Drang, sie zu sehen, wenn sie schon nicht bei ihm vorbei kommen will.

Er will einfach wissen, was sie so treibt. Und jetzt hat er sogar eine Begleiterin, zwar ein halbes Kind, aber immerhin weiblich, falls Irma ihn zufällig sehen sollte... Eifersüchtig ist sie bestimmt nicht, also kann sie ihn ruhig mit einer anderen Frau sehen. Oder ist sie doch eifersüchtig? Das wäre toll! Das wäre ein Zeichen. Andererseits hat er keine Ahnung, was sie überhaupt so empfindet, aber er muss sie unnbedingt sehen!

Hoffentlich gibt es noch Karten. Wo zum Teufel kriegt man Opernkarten her? Computer befragen. Und vielleicht gibt es auch eine Vorverkaufsstelle, wo man die Karten direkt besorgen kann. Man sollte unbedingt auf Nummer sicher gehen...

 

„Bist du noch da, Chrissie? Was brütest du denn aus?“

„Ich überlege, ob ich mit ihr in die Oper gehen soll...“

„Wie denn, was denn? Ich traue meinen Ohren nicht!“ Wieder fängt seine Schwester an zu lachen. „Da ist doch was im Busch! Wieso gehst DU freiwillig in die Oper?“

„Warum nicht. Ist doch mal was anderes...“

„Ein Kulturprogramm? Tja, warum nicht. Aber wieso hab’ ich das Gefühl, dass die Oper dich magisch anzieht?“

„Gar nichts zieht mich an! Ich will einfach nur in die Oper!“ Chris’ Stimme klingt trotzig wie die eines Kindes.

„Stampf’ doch mit den Füßen auf! Ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß, wobei auch immer.“ Wieder muss seine Schwester lachen, und dann legt sie endlich auf.

 

Chris hört sie im Geiste noch kichern, und er verzieht das Gesicht.

Wieso denkt sie, man wäre verliebt, nur weil man mal in die Oper gehen will. Das ist doch völliger Blödsinn!

 

Fortsetzung folgt

Alle Irma-Chris Geschichten sind auf meiner Homepage, und zwar dort:
http://ingridgrote.de/html/bucher.html
Ingrid Grote, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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