Engelbert Blabsreiter

Das tote Pferd

 Es war einmal in einem fernen Königreich am anderen Ende des Ozeans.

 

Viele Menschen dieses Landes waren besessen vom Gedanken ihre Besitztümer und ihren Wohlstand zu vermehren.

Neid, Gier und Missgunst waren die Triebfedern für ihr tun und in ihren Herzen war kein Platz mehr für ein Gewissen.

Sie wollten das größte Haus oder das schnellste Pferd ihr eigen nennen und Menschen die in Bescheidenheit oder Armut leben mussten
wurden wie Aussätzige behandelt , ja sogar verachtet.

Kein Platz für Mitleid und Nachsicht oder auch nur ein Hauch von Vertrauen anderen Menschen gegenüber.
Wie wäre das auch möglich wenn jede Person jederzeit damit rechnen musste von einem  Gierhals übers Ohr gehauen zu werden.


So ergab es sich eines Tages, dass ein Landwirt sein altes und nicht mehr zur Arbeit taugliches Pferd zum Pferdemetzger bringen wollte,
um noch ein paar Geldstücke damit zu verdienen. 
 

Er brauchte das Geld um ein neues Pferd zu erwerben, denn die von ihm produzierten Lebensmittel wurden von den Händlern nur sehr schlecht bezahlt
und ohne Pferd konnte er seine Äcker nicht mehr bestellen.

An jedem seiner Produkte fanden sie irgendwelche erfundenen Mängel, die den damit erzielbaren Erlös immer noch niedriger machen konnten.

So fuhr er mit dem Pferd zum Pferdemetzger und spannte es dort vom Wagen ab.  

Doch kaum hatte er die Zügel an den Wagen gehängt, brach das Pferd vor seinen Augen mitten auf dem Marktplatz zusammen und war auf der Stelle tot.


Der Metzger kam in diesem Moment aus der Metzgerei, sah das tote Pferd dort liegen und scheuchte den Bauern vom Marktplatz.
Was soll ich mit einem toten Pferd das ist keinen Pfifferling wert schrie er dem Bauern nach. Der Bauer musste noch den Wagen zurück lassen,
hatte er doch jetzt nicht genügend Geld um ein neues Pferd für die Rückreise zu kaufen. Und so machte er sich tief betroffen zu Fuß auf den Heimweg.


Der Friseur im Geschäft neben dem Metzger begutachtete kopfschüttelnd den Kadaver des Pferdes und seine Frau wandte sich mitleidlos und angeekelt von dem toten Tier ab.
Der Apotheker machte den Metzger sofort auf die seuchenrechtlichen und hygienischen Folgen eines Kadavers auf dem Marktplatz aufmerksam
und der Hutmacher der zufällig vorbeikam zog seinen Hut tief ins Gesicht um nicht auf das tote Tier schauen zu müssen. 
 
Der Schuhmacher machte den Metzger für das herumliegende Tier verantwortlich und die Frauen die sich durch das tote Tier beim Einkaufen belästigt fühlten
beschwerten sich beim Bürgermeister über den Kadaver und den üblen Geruch der angeblich von ihm ausging.

So lag das Pferd herrenlos vor dem Geschäft des Metzgers bis ein paar Stunden später ein Börsenmakler auf das tote Pferd aufmerksam wurde.
Er wunderte sich, dass sich niemand um das tote Pferd kümmerte und fragte den Metzger wem das Pferd gehört. 
 

Der Metzger erwiderte nur erbost, er könne das Pferd jederzeit mitnehmen bevor es zu stinken anfinge und womöglich seine Kundschaft vertriebe.
 

 Der Börsenmakler ließ das Pferd sitzend aufrichten und sich mit ihm fotografieren.

Dabei hielt er den Kopf des Pferdes so als ob es noch leben würde und strahlte über das ganze Gesicht.

Anschließend ließ er das Pferd sofort in eine andere Stadt transportieren und dort bei einem  Metzger zerlegen.
Das Fleisch wurde in Stücke geschnitten und an den Metzger verkauft der es ursprünglich kaufen wollte, die Haut zum einen Teil an den Hutmacher,
der andere an den Schuhmacher verkauft, das Fett, die Öle und Innereien gingen an den Apotheker. 

Der Erlös aus dem Kadaver betrug 505 Taler und hätte dem Bauern als Zugabe zum Kauf eines neuen Pferdes gerade noch gereicht.


Als der Bauer mehrere Stunden nach dem Tod seines Pferdes mit dem Pferd seines Nachbarn zurückkam um seinen Wagen  und den Kadaver zu holen
musste er feststellen, dass der Wagen gestohlen worden war.
Irgend jemand, so berichtete der Bürgermeister hatte offensichtlich damit ein totes Pferd abtransportiert.


Der Börsenmakler ließ für 5 Taler eine Annonce mit dem Bild von ihm und dem scheinbar ruhendem Pferd in der Tageszeitung einer Großstadt veröffentlichen
und bot dabei das Pferd in 100 Optionsscheinen zu je 50 Talern zum Kauf an. 
 

Er pries das Pferd als Champion im Pferderennsport und stellte den zukünftigen Besitzern ein enormes Gewinnpotential in Aussicht.  


Ein Jahr nach dem Verkauf der Optionsscheine, so hieß es, würde ein Los gezogen und einer der Optionsscheinbesitzer
würde alleiniger Besitzer dieses großartigen Pferdes sein. Bis dahin würden alle Gewinnprämien die durch das Pferd bis dahin erzielt würden auf alle Optionsscheinbesitzer anteilmäßig verteilt. 
 

Die Optionsscheine wurden in kürzester Zeit verkauft. Wie verlockend war doch der Gedanke mit Gewinnprämien überschüttet zu werden
und gleichzeitig noch Besitzer eines Rennpferdes werden zu können.

Der Börsenmakler erzielte 5000 Taler aus dem Optionsscheinverkauf und 505 Talern aus der Verwertung des Kadavers abzüglich 5 Taler für eine Zeitungsannonce.  


Nach etwa 12 Monaten überwies er jedem der 100 Optionsscheinbesitzer 5 Taler Gewinnprämie, also 10% Gewinn und kündigte den Termin zur Verlosung
des vermeindlichen Rennpferdes an. So verblieben ihm am Tag der Verlosung immer noch 5000 Taler. 
 

Ein paar Tage später schrieb er 99 Optionsscheinbesitzern Briefe des Bedauerns darüber, dass ihre Optionen unglücklicherweise wertlos geworden sind.
Ein Optionsscheinbesitzer erhielt ein Glückwunschschreiben zum Gewinn des Rennpferdes.

Als der glückliche Optionsscheinbesitzer seine Option einlösen und das Rennpferd abholen wollte, erhielt er einen Brief des Bedauerns über die notwendige Notschlachtung des Pferdes wegen eines kurz vorhergehenden Beinbruchs. 
Dem Brief war ein detailierter Bericht eines Pferdemetzgers über die Verwertung des Pferdes und ein Scheck über 450 Taler beigefügt.

200 Taler für Fleisch und Wurstwaren vom Metzger
50 Taler Pferdehaut von einem Hutmacher zur Fertigung von Hüten
50 Taler Leder von einen Schuhmacher für Einlagen in Schuhe
200 Taler vom Apotheker für Fette und Öle sowie Innereien zur Erstellung von Schönheitscremes und Seifen.
Abzüglich 50 Taler Schlachtsteuer für den Bürgermeister.

So verblieben dem Börsenmakler für ein totes Pferd noch immer 4500 Taler.

5 Taler davon investierte er in eine Annonce der Tageszeitung einer großen Stadt.

In großen fetten Buchstaben stand dort:

  "Kaufe jedes tote Pferd"

  Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen bzw. Pferden sind rein zufällig.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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