Helmut Wurm

Sokrates und die Bildungsministerin Annette Schavan

(Das Gespräch fand am 25. 2. 09 statt. Es handelt sich diesmal um keines der typischen Gespräche mit Sokrates, in dem er das Nachdenken des Anderen fördern will, also kein Mäeutik-Gespräch, sondern um ein Tröstungsgespräch. Denn Trösten und wieder Mut machen kann Sokrates auch)

Sokrates sitzt in Stuttgart vor dem baden-württembergischen Landtag. Obwohl gerade Fastnachtszeit ist, die auch in Süddeutschland gefeiert wird und die auch dort eine gewisse politische Kurzpause bewirkt, kommen doch hin und wieder einige Politiker aus dem Landtag bzw. gehen hinein. Das gibt vielleicht die Möglichkeit für ein interessantes Gespräch, denn die Politiker sind derzeit nicht so gehetzt. Sokrates muss nicht lange warten. Aus dem Seiteneingang des Landtagsgebäudes kommt die Bildungsministerin Frau Annette Schavan, etwas bedrückt-verlegen, heraus. Sie hat sich grade die von ihrem Referenten für Öffentlichkeitsarbeit gesammelten Zeitungsberichte zu ihrem jüngsten Vorschlag über den Einsatz von externen Fachkräften in den Schulen geholt. Die Reaktionen auf ihren Vorschlag sind überwiegend kritisch, obwohl er auch manche indirekte Zustimmung erfährt. Sie kommt langsam an Sokrates vorbei, sieht ihn und bleibt zögernd stehen. Sie erwartet offensichtlich von ihm etwas Zuspruch.

Annette Schavan: Guten Tag Sokrates, es ist vielleicht ganz gut, dass ich dich treffe.... Du bist doch ein anerkannter Fachmann in Pädagogik wie kaum ein zweiter...(etwas verlegen) Ganz gerne würde ich nämlich mal deine Meinung zu dem Wirbel hören, den ich da vor 2 Tagen entfacht habe. Ist der Vorschlag wirklich so falsch gewesen?

Sokrates (legt ihr freundlich die Hand auf den Arm): Annette, komm setze dich einfach her zu mir. Du hast Sorgen, das sieht man. Darüber reden kann etwas erleichtern. (Sokrates stellt sich bewusst unwissend, weil dann der derzeitige Gesprächspartner etwas genauer seine Probleme schildert, obwohl er schon längst richtig vermutet, worum es geht, denn er liest täglich und gründlich die Zeitungen) Worum geht es denn eigentlich?

Annette Schavan: Ich fühle mich blamiert. Diese Reaktionen von allen Seiten habe ich nicht erwartet. Ich habe den Vorschlag gemacht, externe Fachkräfte aus der Wirtschaft in den Schulen dort einzusetzen, wo Lehrer fehlen. Und jetzt entrüstet man sich über diesen Vorschlag und ein Kritiker nennt ihn sogar einen Karnevalsscherz.

Sokrates: Ich für meinen Teil finde deinen Vorschlag gar nicht schlecht. Wenn die Schüler für das Leben vorbereitet werden sollen, als auch für das künftige Berufsleben, dann können das am besten Personen aus der Praxis tun.

Annette Schavan: Das denke ich auch. Denn die meisten Lehrer sind leider nur Theoretiker in Sachen Berufswirklichkeit und Wirtschaftspraxis. Sie hängen in Folge ihrer Ausbildung noch zu einseitig einem allgemeinen Bildungsziel an und sind weniger für die Vorbereitung auf die außerschulische Wirklichkeit geschult.

Sokrates: Das können sie auch nicht vermitteln, denn sie müssen sich doch auf die Vermittlung von Grundkenntnissen und theoretischen Fachkenntnissen konzentrieren und dazu noch pädagogisch die Schüler betreuen. Man kann nicht alles von den Lehrern verlangen. Dazu müssten die Lehrer regelmäßig in den Ferien Praktika in der Wirtschaft machen, und zwar in den ihren Fächern nahen Bereichen der Wirtschaft. Dazu werden die wenigsten, ich sage ehrlich, leider bereit sein.

Annette Schavan: Eben, das meine ich auch. Und wenn die Lehrer zu wenig während ihrer Berufszeit in die Wirtschaft hineinschauen, dann muss eben die Wirtschaft in die Schulen kommen. Ein Volkswirt oder Betriebswirt kann zur realen Wirtschaftswelt sicher gute Ergänzungen zu Unterricht und Schulbuch vermitteln. Ein Ingenieur oder Chemiker könnte besser als mancher Lehrer die Welt der Technik und der Labore erleben lassen. Und ein Mathematiker aus der Wirtschaftspraxis kann den Schülern und Lehrern besser verständlich machen, wofür mathematische Kenntnisse benötigt werden und welche Bereiche der Mathematik außerhalb der Schule von Bedeutung sind. Und die Vorteile von Dolmetscher-Hilfen in den Fremdsprachen brauche ich wohl nicht zu erklären...

Sokrates: Das meine ich auch. Aber es geht sicher nicht nur um Berufswelt und Wirtschaftswelt, sondern ich kann mir denken, dass jemand, der beruflich viel reist, auch im Erdkundeunterricht besser von Land und Leuten außerhalb Deutschlands berichten kann. Und für religiöse Themen und Fragen ist häufig ein Pfarrer/Pastor am kompetentesten.

Annette Schavan: Die Pfarrer im Schuldienst werden nicht als überflüssig und ungeeignet eingestuft. An die hat man sich schon gewöhnt. Aber ein Diplom-Betriebswirt im Fach Wirtschaftskunde, eine Übersetzerin im Fach Englisch, ein Diplom-Physiker in einem gymnasialen Physik-Leistungskurs, das findet man unpassend oder sogar einen Karnevalsscherz...

Sokrates: Das ist für die meisten Menschen ungewohnt. Sie haben noch die traditionelle überholte Vorstellung, dass Lehrer alles ausreichend vermitteln könnten. Es bedeutet eine gewisse Revolution, sogar ein Sakrileg, wenn der durch ein Pädagogikstudium „geheiligte“ Lehrerberuf künftig durch „profane“ externe Zugängen abgewertet würde. Denn das hieße ja, es könnten auch externe Fachleute ohne vorheriges Pädagogikstudium gute Lehrer sein. Und das geht gegen das Selbstbewusstsein der Lehrerverbände.

Annette Schavan: Die Lehrerschaft, die immer mehr belastet ist und immer mühsamer alle die an Schule gestellten Anforderungen erledigen muss, soll ja nur durch externe Fachleute ergänzt werden. Solche Externen müssten parallel zu ihrem Einsatz natürlich auch pädagogisch vorbereitet bzw. weiter gebildet werden. Die Pädagogik soll ja nicht abgeschafft werden... Und mancher dieser Externen kann sich auch als ungeeignet erweisen und müsste dann ersetzt werden. Aber die Pädagogik ist nicht die alleinige Tür zu einem guten Lehrer...

Sokrates: Ich kann dir ja vertraulich meine private Meinung von manchem Pädagogik-Kollegen an den Universitäten und von manchem Pädagogik-Studium, vor allem früher, sagen. Manche pädagogische Ausbildung an Universitäten war, und ist es noch, derart theoretisch, dass sie keine große Hilfe für den praktischen Lehreralltag darstellte. Und mancher Pädagogik-Professor würde, in der Schule eingesetzt, jämmerlich scheitern...Insofern brauchen sich Lehrerverbände nicht zu stolz auf das Pädagogik-Studium berufen.

Annette Schavan: Deshalb ist ja die permanente Lehrerfortbildung so wichtig. Dabei lernen die Lehrer für ihre Praxis oft mehr als während ihres ganzen Studiums.

Sokrates: Und dann noch etwas ganz privat gesagt, liebe Annette. Trotz eines guten Pädagogikstudiums sind ein Teil der Lehrer für ihren Beruf nur wenig geeignet. Eine jüngste Studie an der Universität Trier will angeblich auf einen Prozentsatz ungeeigneter Lehrer von 30 % gekommen sein. Sie wären von Anfang an überfordert mit ihren Aufgaben und hätten den Lehrerberuf mehr aus praktisch-nützlichen Erwägungen gewählt...

Annette Schavan: So etwas darf eine Schulpolitikerin nicht öffentlich sagen, sie darf es nicht einmal denken... Aber wenn du es so sagst, natürlich nur im Vertrauen,... Ich habe das eine oder andere auch erfahren... Weshalb sollen externe Fachleute, die gerne Unterricht leisten und sich parallel dazu auch pädagogisch ausbilden lassen, keine guten Lehrer sein können? Das kann ich nicht verstehen...

Sokrates: Noch wichtiger als die pädagogische Ausbildung ist für mich das „pädagogische Herz“ des Unterrichtenden. Ich meine damit, dass es letztlich darauf ankommt, wie gerne jemand die Jugend unterrichtet, fortbildet, auf das Leben vorbereitet...

Annette Schavan: ...und zum Nachdenken anregt, wie du das tust. Das meine ich auch. Aber was soll ich jetzt tun? Zu Kreuze kriechen? Alles dementieren?

Sokrates: Das musst du nicht, tue das bitte nicht. Du hast einen richtigen Ball in die Diskussion geworfen und nun musst du der Sache erst einmal ihren Lauf lassen. Ab und zu musst du wieder an diese Möglichkeit erinnern, auf Schulen hinweisen, wo dein Vorschlag aufgegriffen wurde und Erfolg zeigt. Denn dieser Vorschlag braucht viel Zeit und die Kritiker müssen sich erst allmählich diesem Vorschlag öffnen. Die Menschen sind in der Regel nicht flexibel... Wenn ich an die Schwierigkeiten denke, die im 19. Jahrhundert das Realgymnasium hatte, sich gegen die humanistische Bildung mit Griechisch durchzusetzen? Griechisch fördere das Denken, argumentierte man damals, und sein Abbau in der Schule mache die Deutschen dümmer... Dieses Argument ehrte meine Muttersprache, aber man kann das Denken auch anders fördern. Und dann die Schwierigkeiten der jungen emanzipierten Frauen gegen Ende des 19. Jhs., sich das Recht zum Studieren zu erkämpfen. Frauen seien für ein Studium nicht intelligent genug, argumentierten damals die Gegner... Und in den letzten Jahrzehnten die oft mühevolle Ausweitung des Prinzips „Lernen lernen“ statt Unterrichtsdrill und des Ganztagesschulgedankens... Alle Reformen brauchen ihre Zeit, besonders bei den Deutschen....

Annette Schavan: Du meinst also, ich solle mich durch die Kritik an meinem Vorschlag nicht verunsichern lassen, sondern zäh und kontinuierlich auf seine allmähliche Umsetzung hinarbeiten?

Sokrates: Das meine ich in der Tat, liebe Annette. Langfristig wird in unserer modernen globalisierten Welt kein Weg daran vorbei gehen, auch wenn der akute Lehrermangel behoben sein sollte. Die moderne Welt benötigt eine immer engere Verzahnung zwischen Lehrern und externen Fachleuten, eine Vernetzung zwischen Schule und außerschulischer Wirklichkeit. Ich weiß, dass du als Bildungsministerin gewissermaßen zwischen allen Landesstühlen sitzt. Aber dein Ministerium kann neben den Bemühungen um Harmonisierung der Bildungssysteme und Landesbildungs-Niveaus auch die Anforderungen der Zukunft an ein modernes Bildungswesen erarbeiten und dazu gehört u. a. die immer engere Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischer realer Welt. Das ist eine notwendige und wichtige Aufgabe, die aber Standfestigkeit verlangt...

Annette Schavan: Lieber Sokrates, ich danke dir für das Gespräch. Es hat mich wieder mutiger gemacht... Und bei den vielen „Schlägen“, die mich erwarten, werde ich an deine Beispiele denken... Man braucht in Deutschland wirklich viel Zeit für Reformen. Tschüss Sokrates.

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