Klaus Eylmann

!muarT nie run tsi se ,rim tgaS

War das wieder ein Abend gewesen! Hans lag in seinem Sessel vor dem Fernseher und zappte von einem Kanal zum anderen. Er hatte einen schalen Geschmack im Mund. Automatisch griff er zur Bierflasche und spülte nach.
Tagesschau um Mitternacht, und der Sprecher dröhnte herum. – Mann, das war wieder ein Abend. Hans und Udo hatten im Ballhaus Barmbeck an der Theke gesessen und über die ältlichen Verkäuferinnen von Karstadt gelästert, die mit schräg aufgesetzter Perücke einfielen. Udo war Schubbootfahrer im Hamburger Hafen, was auch immer das war, aber man konnte sich gut mit ihm unterhalten; und dann strich Elsa an ihnen vorbei, lächelte sie beide an.
“Kennst du die?”, hat Udo gefragt.
“Ja. Wohnt in Steilshoop, in einer dieser Neubauwohnungen.”
“Warst du schon da?”
“Ja.”
“Ich auch. Sieht nicht gut aus, geht aber ab wie ne Rakete.”
“Kannst du laut sagen.”
Hans zappte weiter. Was war das? Eine schicke, adrett angezogene junge Frau. Vor ihr stand eine Reihe von Männern, fünf muskulöse Body Builder und ein Liliputaner.
“Sie schrieben uns, Frau Schrieber-Schmidt, Sie seien schwanger und benötigten unsere Hilfe. Stimmt das?”
“Genau, Herr Dietrick. Ich möchte den Erzeuger meines Kindes kennenlernen.”
Dietrick wandte sich an die Männer. “Trete der doch bitte vor, der Frau Schrieber-Schmidt seinen Samen gespendet hat.” Der Kleinwüchsige trat aus der Reihe.
“Hier haben sie ihn, gnädige Frau,” strahlte Dietrick, doch seine Miene schlug in Bestürzung um, als die Frau ohnmächtig zu Boden sank.
Hans schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. Na so was. Mannomann.
Dietrick blickte in die Kamera. “Meine Damen und Herren, die Freude hat Frau Schrieber-Schmidt anscheinend überwältigt. Und damit verabschieden wir uns von Ihnen bis zum nächsten Mittwoch.”

Dietricks freundliches Gesicht füllte den ganzen Bildschirm aus.
“Sind Sie taubstumm? Rufen Sie uns an.
Haben sie Angst vor Telefonen? Rufen Sie uns an.
Sind Sie daran interessiert, ins Fernsehen zu kommen, um sich demütigen und Ihren Hausfrieden komplett zerstören zu lassen? Rufen Sie uns an.
Wurden Sie durch einen Ausserirdischen geschwängert und danach sitzengelassen? Rufen Sie uns an.
Sind Sie jemand, der übermässig masturbiert? Lassen Sie alles fallen und rufen Sie uns an.

So, das wars erst Mal für heute. Und denken Sie daran: In unserer nächsten Sendung reden wir über déjà vu. In unserer nächsten Sendung reden wir über déjà vu. Ihr Dick Dietrick.”

Hans gluckste vor Lachen, als er auf einen anderen Kanal schaltete.
“…dass die dunkle Energie, die den grössten Anteil an unserem Universum ausmacht, auf unerklärliche Weise abnimmt.”
Drei Männer lagen in ihren Sesseln und betrachteten sich schweigend. Ihre Augen wurden zunehmend glasiger.
“Wir haben durch Beobachtungen mit Wetterballons herausgefunden, dass die Gravitationswellen, die während der ersten fünfhunderttausend Jahre nach dem Urknall das Universum gekräuselt hatten, einen Anteil an der Vernichtung der dunklen Energie haben.”
“Im Endeffekt sind es ja die schwarzen Löcher, die mit ihren gewaltigen Energien alles schlucken und verschwinden lassen, inklusive der Lichtstrahlen nahestehender Sonnen,” meinte der zweite und zog an seiner Pfeife.
“Was, meine Herren, können wir denn für die Zukunft daraus schliessen?” fragte der Moderator. Hans bemerkte verblüfft, dass dem Mann die Haare zu Berge standen.
“Nun,” lachte der erste Mann verkrampft. “Was heisst Zukunft? Gibt es noch eine? Das uns bekannte Universum, unser Universum, dehnt sich nicht mehr aus. Die letzten astronomischen Beobachtungen haben ergeben, dass sich der Hubble-Effekt bereits umgekehrt hat und aus der Rot- eine Blauverschiebung geworden ist. Mit anderen Worten, das Universum schrumpft bereits. Über die Konsequenzen sind wir uns noch nicht im Klaren, doch werden auch wir davon betroffen sein. Bedenken Sie bitte, dass auch die Zeit bei der Geburt des Universums entstanden ist. Sie lief, genau wie das Weltall selbst, nur in eine Richtung. Nun fragen wir uns, da das Universum die andere Richtung eingeschlagen hat: Was passiert mit der Zeit?”
Der Moderator blickte zur Uhr. “Ich verstehe das nicht, es müsste doch längst…”.
Hans zappte weiter. War das alles? Ah, da waren Captain Kirk und Spock mit den Tribbles. Schon zehn mal gesehen. Hans schaltete den Fernseher aus, schlurfte ins Bad und putzte sich die Zähne. Wieder im Wohnzimmer, ging er zum Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Auf der anderen Seite der Strasse wanderte das Rot einer Leuchtreklame langsam von links über die Buchstaben. “Beck’s Bier, Beck’s Bier.”
Ein Krankenwagen kroch mit aufgedrehtem Horn auf der Strasse unter ihm vorbei und verschwand zwischen den Häusern.
Hans liess die Vorhänge zurückfallen, und blickte auf die Uhr. Zwei Uhr morgens. Zeit für eine Mütze Schlaf.
Nach einer Weile wachte er auf und blickte auf den Wecker. Es war zwei Uhr und fünf Minuten. Hans schlief wieder ein, dann schreckte er hoch. Wie spät war es? Zwei Uhr? Es war doch schon zwei Uhr fünf gewesen! Verblüfft stellte er fest, dass er rückwärts das Bett verliess, sich anzog und rückwärts zu den Fenstervorhängen ging, die zur Seite schob. Ein Krankenwagen kam mit hoher Geschwindigkeit zwischen den Häusern hervor und fuhr mit aufgedrehtem Horn rückwärts an ihm vorbei. Das Rot der Leuchtreklame zog nun von rechts über die Lettern. Hans fiel ein, was die Männer im Fernsehen gesagt hatten. Es konnte nicht anders sein: die Zeit lief rückwärts! Es trieb ihn rückwärts ins Bad. Das Wasser spritzte ihm aus dem Ausguss in den Mund. Hans erschrak. Ihm wurde flau im Magen. Himmel, was wird noch passieren?! Wann hatte er zuletzt gegessen, war er zuletzt auf der Toilette gewesen? Hans zitterte am ganzen Leib. Sein Kopf rötete sich, die Augen quollen aus den Höhlen und voller Panik brüllte er in die Wohnung hinein:
. “!muarT nie run tsi se ,rim tgaS”


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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