Christel Großmann

Zirkusprinzessin

Florian und der Zirkus

Florian ist sechs Jahre alt.
Florian möchte in den Zirkus.
Er nervt seine Mutter: „Mama, wann gehen wir in den Zirkus?“
„Bald, mein Junge!“
„Mama, wann ist bald?“
„Der Zirkus ist nicht immer in der Stadt. Wenn der Zirkus kommt, gehen wir hin.“
„Mama, wann kommt der Zirkus?“
„Florian, hör´ mir zu: Ich kenne keinen Zirkusdirektor, also weiß ich auch nicht wo jetzt ein Zirkus gastiert. So heißt das nämlich, wenn ein Zirkus kommt. Du musst dich also gedulden, bis die Plakate uns Bescheid sagen.“
Damit muss Florian sich zufrieden geben. Er hat ein Bilderbuch, das vom Zirkus erzählt. Er hat es sich schon so oft angesehen, dass er alles auswendig kennt:
Die Clowns, die Pferde, die Zirkusprinzessin, die Elefanten und die Seelöwen. Am besten gefällt ihm der Clown.
Eines Tages ist es so weit.
Florian geht mit seiner Mutter einkaufen und entdeckt an der Seite des Parkplatzes Plakate:
DER ZIRKUS KOMMT
So heißt sein Bilderbuch. Die gleichen Worte stehen auf dem Plakat.
„Mama, Mama, der Zirkus kommt“, ruft er atemlos.
Mit roten Backen vor Aufregung studiert er die Bilder auf den Plakaten.
„Geh´ nur einkaufen, Mama, ich lese so lange.“
Florian kann noch nicht richtig lesen. Ein paar Zahlen und Buchstaben hat er sich aber schon bei seiner Schwester abgeschaut. Die ist zehn Jahre alt und kann schon richtig lesen.
Ganz genau schaut Florian sich die Bilder an: Der lustige Clown gefällt ihm am besten. BALDUIN liest er mühsam, so heißt der Clown.
Ein Mädchen, das ungefähr so alt aussieht, wie Florian selbst, steht auf einem Bein auf einem Pferderücken. Es sieht aus, als wenn sie auf dem Pferd tanzt. Die Unterschrift kann er nicht lesen. Er dreht sich um und entdeckt eine ältere Frau: „Können sie mir das bitte vorlesen?“
Erstaunt tritt die Frau näher: „Was machst du denn hier, so ganz allein, wo ist deine Mutter?“
„Meine Mutter kauft ein. Ich darf mir inzwischen die Plakate ansehen. Ich will nämlich zum Zirkus. Können sie mir das bitte vorlesen?“
TARANTELLA * DIE JÜNGSTE KUNSTREITERIN * DER * WELT
liest die Frau ganz langsam und betont. Sie zeigt beim Lesen mit dem Finger auf die Buchstaben.
„Danke,“ sagt Florian. Das hat er sich schon gedacht. Tarantella ist auch die Jüngste, genau wie er. Er schaut auch die anderen Plakate an, die da hängen. Es ist überall das Gleiche: Tarantella tanzt auf dem Pferd.
Florian überlegt ernsthaft, ob er das wohl auch lernen könnte und probiert schon mal, auf einem Bein zu balancieren: „Meine Güte, ist das schwer und dann noch auf einem Pferd. Da werde ich doch besser Clown.“
„Florian, was machst du denn da für Verrenkungen,“ ertönt plötzlich die Stimme seiner Mutter hinter ihm.
„Ach, ich hab´ nur mal ausprobiert, ob ich auch wie Tarantella auf einem Bein stehen kann. Es geht nicht, ich glaube ich werde Clown. Wann gehen wir in den Zirkus, Mama?“
„Eigentlich passt es mir heute am besten. Wir werden heute Abend hingehen, aber jetzt fahren wir nach Hause. Deine Schwester kommt gleich aus der Schule. Ich muss Mittagessen kochen.“
Florian ist für den Rest des Tages auffallend still. Er will auf keinen Fall, dass die Mutter ärgerlich wird und den Besuch streicht. Das Mittagessen will ihm nicht so recht schmecken, er ist einfach zu aufgeregt. Endlich ist auch das Abendbrot vorbei und die Mutter nimmt ihren Autoschlüssel vom Haken: „So nun komm! Wir müssen fahren, sonst bekommen wir keine Karten mehr.“
Der Zirkus hat sein Zelt auf einem großen Platz am Rande der Stadt aufgebaut. Schon beim Näher kommen kann Florian die bunten Lichter bewundern, die wie Girlanden von der Spitze des Zeltes bis zum Boden reichen. Vor der Kasse stehen viele Leute in einer langen Schlange. Nur langsam schieben sich die Menschen am Kassenhäuschen vorbei in das große Zelt. Mutter kauft einen Platz in der vorderen Reihe, da kann man alles gut sehen. Bevor der Zirkus richtig anfängt, spielt eine Kapelle, die auf einem Balkon über den Besuchern sitzt, laut und fröhlich Musik. Die Musiker sind ganz bunt gekleidet, sie sehen ein wenig wie Soldaten aus.
Endlich, endlich geht es los. Der Zirkusdirektor in einem schwarzen Anzug begrüßt die Gäste.
Er ist noch gar nicht fertig mit seiner Rede, da kommt plötzlich ein Clown auf einem Einrad angesaust und wirft den Herrn Direktor einfach um. Mit einer tiefen Verbeugung sagt er: „Verzeihung werter Herr Direktor, ich konnte nicht mehr bremsen.“
Der Direktor steht auf und schüttelt den Sand von seinem Anzug. Er droht mit dem Finger und schimpft: „Wenn du nicht besser aufpasst, gibt es heute Abend keinen Schokoladenpudding.“
Dann geht er schnell durch den Vorhang nach draußen.
Der Clown dreht sich um und ruft den Zuschauern zu: „Der kann seinen Schokoladenpudding selber essen. Ich mag sowieso lieber grüne Götterspeise.“
Der ist ja ganz schön frech, denkt Florian, aber er musste doch lachen, als der Herr Direktor in den Sand flog.
Nun zaubert der Clown aus seinen riesigen Hosentaschen ein paar weiße Schüsseln hervor, in denen scheinbar grüne Götterspeise ist und fängt an, mir ihnen zu jonglieren. Jedes Mal glaubt man, die ganze Götterspeise fällt auf den Boden.
Während der eine Clown mit den Schüsseln spielt, hat hinter ihm ein zweiter Clown ganz still und heimlich eine rote Leiter aufgebaut. Er hat einen Eimer und einen Pinsel bei sich, klettert auf die Leiter und tut so, als ob er eine Wand anmalen wollte. Die Leiter wackelt ein paar Mal gefährlich hin und her und da plötzlich ist es passiert: Der volle Eimer mit weißer Farbe landet auf dem Kopf des Clowns mit den Schüsseln voller Götterspeise. Alle Leute müssen lachen. Der Clown weint ein paar dicke blaue Tränen und beide verschwinden schnell nach hinten.
„Mama, wo gehen die jetzt hin,“ fragt Florian in der kleinen Pause.
„Die haben hinten auf dem Platz ihre Wohnwagen, da können sie sich waschen und umziehen.“
„Wann kann ich das sehen?“ fragt Florian
„Das kannst du nicht sehen, mein Junge, da ist das Publikum nicht zugelassen.“
Ein Elefant schreitet in die Arena. Er dreht gemächlich eine Runde und kommt ganz dicht an Florian vorbei. Meine Güte ist der groß. Ein Mann mit einem Turban auf dem Kopf ruft dem Elefanten Befehle zu und der riesige Kerl stellt sich auf die Hinterbeine und richtet sich auf. Dann macht er einen Diener und kratzt mal mit dem linken und mal mit dem rechten Vorderfuß.
Ich glaube, der Mann kann die Elefantensprache, denkt Florian.
Er schaut sich alles ganz genau an, die Turner, die Überschlag machen und wie Gummipuppen den Kopf zwischen den Beinen durchstecken und einander auf die Schulter springen und einen richtigen Turm aus Menschen bauen. Dann kommt ein Seelöwe hereingewatschelt, der mit einem großen Wasserball jongliert.
Mehrere Male treten noch Clowns auf, auch ein ganz kleiner ist dabei, und ein Mann mit Beinen so lang, dass man an ihm hinauf schauen muss. Aber wo bleibt Tarantella, die Kunstreiterin?
Erst mal gibt es eine große Pause und Florian bekommt einen Schreck. Er dachte nämlich, dass nun schon alles vorbei ist. Die Mutter kauft ihm ein Eis, von dem Clown, der mit einem Kasten vor dem Bauch durch die Reihen geht. Ein Bauchladen ist das, sagt die Mutter.
Nach der Pause kommt wieder der Herr Direktor hinter dem Vorhang hervor: „Meine Damen und Herren!“ verkündet er laut, „nun sehen sie den Höhepunkt des Abends, unsere absolute Attraktion: Tarantella, die jüngste Kunstreiterin Deutschlands!“
Das Publikum klatscht, der Vorhang geht auf und drei Pferde traben herein. Hübsch geschmückt mit roten Decken und silbernem Zaumzeug laufen sie erst mal eine Runde. Auf dem einen Pferd hockt ein kleiner Hund und auf dem mittleren Pferd steht Tarantella. Florian kann sie ganz deutlich sehen und vergisst vor Aufregung ihr zuzuwinken. Das hatte er sich ganz fest vorgenommen. In der zweiten Runde laufen die Pferde nicht mehr nebeneinander, sondern hintereinander. Jetzt beginnt die kleine Künstlerin mit ihren Vorführungen. Sie dreht sich zur Musik im Kreise, macht Handstand auf dem Pferd, hängt an seinem Hals und lässt sich herum tragen. Sie schwingt sogar unter dem Pferd durch und taucht an der anderen Seite wieder auf. Schließlich laufen die Pferde noch einmal nebeneinander und Tarantella hüpft von einem Tier zum anderen, als wenn sie auf der Straße spielen würde. Jetzt kommt auch der kleine Hund in Bewegung und hopst hinter ihr her. Das sieht sehr lustig aus
Tarantella verbeugt sich. Ihr Auftritt war der letzte Teil des Programms. Das Publikum klatscht begeistert und lange. Dann erheben sich die ersten Besucher von ihren Plätzen und schnell entsteht ein ziemliches Gedränge.
Florians Mutter entdeckte in der großen Pause eine Bekannte in der Reihe hinter sich und setzte sich zu ihr, um ein wenig zu plaudern und den Sohn trotzdem im Auge zu behalten. Jetzt verabschiedet sie sich von ihrer Bekannten und schaut auf die erste Reihe in der eben noch ihr Sohn saß. Aber Florian ist nicht mehr da, Florian ist verschwunden.
Die Mutter setzt sich erst mal wieder hin, gleich wird der Junge auftauchen; aber das Zelt wird leer und leerer und kein Florian läuft auf sie zu. Die ersten Lampen verlöschen und sie sitzt allein auf ihrer Bank. Sie steht auf und geht zur Kasse; aber die ist längst geschlossen und auch im Zelt ist nun alles dunkel. Vielleicht ist Florian schon zum Auto gegangen? Der Parkplatz ist fast leer, aber hier brennen wenigstens die Laternen noch. FLORIAN!--- FLORIAN! ruft die Mutter. Nirgendwo ist der Junge zu sehen oder zu hören. Entschlossen geht die Mutter zum Zirkus zurück, vorbei am Kassenhäuschen, direkt zum ersten Wohnwagen, der da steht. Sie klopft an die Tür. Ein Mann öffnet, er hat das halbe Gesicht voll weißer Schminke.
„Was ist los?“ fragt der Mann etwas unwirsch.
„Entschuldigen sie bitte die Störung, aber haben sie wohl meinen Sohn gesehen? Wir waren in der Vorstellung. Er ist erst sechs, er hat blonde Haare, eine blaue Jacke und Jeanshosen an.“
„Was?“ fragt der Mann, „Heute Abend in der Vorstellung?“
„Ja, Florian hat in der ersten Reihe gesessen. Ich habe ihn nur einen Moment aus den Augen gelassen und schon war er weg.“
„Und warum kommen sie damit zu mir?“ Der Mann ist ungeduldig. Er hat seine Arbeit getan und will nun Feierabend machen.
„Ich glaube, ich denke“, Florians Mutter weiß nicht so recht, wie sie es erklären soll.
„Na ja, ich kenne meinen Sohn, wahrscheinlich wollte er mal hinter den Vorhang schauen und hat sich nun verlaufen.“
Der halbgeschminkte Clown ist sprachlos und sieht die Mutter einen Augenblick schweigend an. „Das ist eine Sache für den Direktor“, entscheidet er schließlich. „Warten sie hier einen Moment, ich muss mir eben etwas anziehen.“
Er verschwindet schnell in seinem Wohnwagen, kommt aber nach kurzer Zeit wieder zum Vorschein und geht zügig los. Mutter stolpert hinterher, viel Licht gibt es nicht und da sie das Gelände nicht kennt, fürchtet sie zu fallen. Schließlich erreicht der Mann einen großen hell erleuchteten Wohnwagen und klopft heftig an dessen Tür.
Der Herr Direktor schaut heraus. Er hat nun keinen schwarzen Anzug mehr an, sondern trägt eine Jeanshose und einen weiten Pullover.
„Was gibt es?“ fragt er freundlich.
Der halb bemalte Clown spricht schnell und heftig auf ihn ein. Der Direktor sieht die Mutter an, klopft dem Mann auf die Schulter und schickt ihn fort.
Zur Mutter gewandt sagt er höflich: „Kommen sie herein, ich will sehen, ob ich ihnen helfen kann.“
Mutter steigt in den Wohnwagen, bekommt eine Tasse Tee und erzählt von Florians Begeisterung für den Zirkus und seinem Verschwinden.
„Ja, und sie meinen wirklich, er ist jetzt hier auf dem Gelände?“ fragt de Direktor noch einmal nach.
„Ich denke schon“, sagt Florians Mutter. „So ist er nun mal, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann muss man mit allem rechnen.“
„Ja, dann wollen wir mal“, schmunzelt der Direktor und greift zum Telefon. „Ich trommele ein paar Leute zusammen und wir schalten alle Scheinwerfer ein, den jungen Mann muss ich kennen lernen.“
Sie klettern aus dem Wagen. Nun ist der Platz taghell erleuchtet und mehrere Männer haben sich vor dem Bürowagen eingefunden.
Wir suchen einen sechsjährigen Jungen, blonde Haare, blaue Jacke und Jeanshosen“, lautet seine kurze Anweisung. Die Männer verteilen sich und auch die Mutter will bei der Suche helfen.
„Bleiben sie nur hier bei mir“, sagt der Direktor, „wenn er auf dem Zirkusgelände ist, findet man ihn und bringt ihn uns.“
Es vergehen gerade mal zehn Minuten, da öffnet sich die Tür und ein junger Mann schiebt den Ausreißer herein.
„Er saß auf der Treppe vom Wagen ihrer Tochter, Chef.“
„Danke, das ist dann alles, gute Nacht!“
Mutter möchte lachen und weinen zugleich. Sie ist so froh, dass sie ihn wieder hat und es ist ihr so peinlich, dass der halbe Zirkus aus seiner Feierabendruhe aufgestört werden musste.
Florian steht mit gesenktem Kopf an der Tür. Das wird Ärger geben, denkt er sich und fängt schnell an zu sprechen: „Ich wollte doch nur Tarantella sehen und vielleicht den Clown, weißt du, in der Vorstellung sieht man sie immer so kurz. Ich wollte doch mal richtig mit ihr sprechen und wissen, wie sie das macht, mit einem Bein auf dem Pferd.“
Der Herr Direktor dreht den Kopf zum Fenster. Er kann sich das Lachen kaum verkneifen. Das hat er wirklich noch nie erlebt.
Die Mutter will sich schnell verabschieden, damit der Betrieb nicht länger gestört wird und nimmt Florian an die Hand.
„Moment mal“, sagt da der Direktor. „Du möchtest also einmal sehen, wie so ein Zirkus aussieht, wenn wir keine Vorstellung haben?“
„Ja, furchtbar gern“, sagt Florian. „Sind sie der Herr Zirkusdirektor? Wo ist denn ihr schwarzer Anzug?“
„Die Tarantella heißt in Wirklichkeit Rosemarie und ist meine Tochter. Sie ist erst acht Jahre alt und muss jetzt schlafen. Wenn deine Eltern es erlauben, kommst du morgen oder übermorgen für ein paar Stunden zu Besuch und dann kann Rosi dir den ganzen Zirkus zeigen, was hältst du davon? Dann kann ich auch alle deine Fragen beantworten. Jetzt muss ich leider noch etwas arbeiten.“
Florian kann sein Glück kaum fassen: „Ja, furchtbar gern. Wann soll ich hier sein?“
„Komm so gegen zehn Uhr, dann haben alle ausgeschlafen. Und nun marsch mit dir nach Hause.“
Florian stolpert aus dem Wagen. Der Direktor flüstert der Mutter zu: „Seien sie gnädig mit ihm und wenn sie einverstanden sind, vertrauen sie ihn uns ruhig ein paar Stunden an. Gute Nacht.“
Mutter und Sohn suchen schweigend ihr Auto und fahren schweigend nach Hause. Florian ist plötzlich todmüde und er wäre fast im Auto eingeschlafen. Mutter schickt ihn gleich zu Bett: „Wir reden morgen darüber, denn du weißt schon, dass es nicht richtig von dir war, einfach zu verschwinden.“
Florian weiß, dass die Mutter nun erst mir dem Vater über das Abenteuer sprechen wird. Er ist zu müde, um sich Sorgen zu machen. Er träumt, dass der Clown ihn mit dem Farbeimer verfolgt, dass Tarantella in ihrem rotgoldenen Kleid immer vor ihm her springt und der Elefant so laut trompetet, dass er davon aufwacht, aber zum Glück liegt er in seinem Bett.
Am anderen Morgen bleibt Florian im Bett liegen und tut so, als ob er noch schliefe. Er kann hören, wie die Schwester aufsteht und nach dem Frühstück zur Schule verschwindet. Der Vater ist schon früh zur Arbeit gegangen. Eigentlich wollte er warten, bis die Mutter ihn weckt, aber das kann er dann doch nicht aushalten. Womöglich geht sie einkaufen und vergisst ihn und wer soll ihn dann zum Zirkus bringen? Er zieht sich schnell an und taucht mit einem lauten „Guten Morgen, Mama!“ in der Küche auf. Die Mutter steht am Spülbecken und dreht sich um: „Guten Morgen, du kleiner Ausreißer, hast du gut geschlafen?“
Florian fällt ein Stein vom Herzen. Die Mutter spricht genau wie immer, sie scheint ihm nicht böse zu sein.
„Ich hab super geschlafen und vom Zirkus geträumt. Nur einmal bin ich aufgewacht, weil der Elefant mich verfolgt hat.“
„So, so, der Elefant hat dich verfolgt, aber deshalb musst du dich trotzdem waschen. Geh also ins Badezimmer und wasch dich, Zähne putzen nicht vergessen und dann gibt es Frühstück.“
„Ja, aber Mama, darf ich nun in den Zirkus?“
„Du Quälgeist mit deinem Zirkus, du darfst.“
Florian saust ins Badezimmer. So gründlich und so schnell hat er sich noch nie die Zähne geputzt. Nach dem Frühstück fahren sie in die Stadt. Mutter hat gesagt, dass er der Rosemarie ein kleines Geschenk mitnehmen muss, das gehört sich so. Florian ist auch gleich etwas Hübsches eingefallen. Er hat kürzlich eine tolle Spieluhr gesehen, auf der eine Tänzerin sich zu einer Melodie im Kreise dreht.
„Das zahl ich auch von meinem Taschengeld“, erklärt er großzügig.
Endlich, endlich kommen sie am Zirkusplatz an. Die Kasse ist noch geschlossen. Mutter weil sich gerade den Weg zum Wagen des Direktors suchen, als ein Junge auf sie zukommt.
„Bist du der Florian? Ich soll dich hier abholen.“
Zur Mutter sagt er dann: „In diesem Umschlag sind Freikarten, wenn sie Zeit haben, können sie heute Nachmittag mit ihrer Familie in die Vorstellung kommen und den Florian dann wieder mitnehmen.“
„Danke“, sagt die Mutter, nimmt ihren Sohn noch kurz in den Arm: „Viel Spaß!“ und steigt ins Auto.
Der fremde Junge nimmt Florians Hand und zieht ihn hinter sich her bis zu einem Wohnwagen mitten auf dem Gelände. Er klopft an: „Hier Chef, hier ist der Junge!“
„Danke, Tasso und bestell dem Elefantenpfleger bitte, dass er Mirka heute kein Brot füttern soll. Unsere Elefantendame hat Bauchweh, da verträgt sie kein Brot.“
„Wird gemacht, Chef“, sagt der Junge und verschwindet.
„Guten Morgen, Florian, komm herein.“
Florian ist nun doch etwas ängstlich und geht zögernd hinter dem Mann her. Sein Geschenk hält er fest in der Hand. Gleich neben der Tür ist eine winzig kleine Küche und in der Ecke ist ein Frühstückstisch gedeckt, ringsum sind Bänke. Dann ist der Wagen schon zu Ende. Am Tisch sitzen ein Mädchen und eine Frau, beide sind ziemlich dünn.
„Darf ich vorstellen“, sagt der Direktor, „das ist meine Frau und das ist Rosemarie unsere Tochter. Setz dich zu uns, du kannst mit uns frühstücken, wenn du magst.
Florian ist sprachlos und setzt sich. Er starrt das Mädchen an. Schließlich bringt er stotternd hervor: „Du bist Tarantella? Wo ist denn dein schönes Kostüm? Und - und ich hab auch ein Geschenk für dich.“
Das Mädchen lacht: „Aber, das Kostüm habe ich doch nur bei der Vorstellung in der Manege an, weißt du das nicht?“
„Rosi, das ist Florian, er hat noch nie gesehen, wie es in einem Zirkus aussieht, wenn keine Zuschauer da sind. Er ist heute dein Gast und du kannst ihn den ganzen Tag mitnehmen, damit er sich alles anschauen kann. Du musst aber versprechen, noch vorsichtiger als sonst zu sein, damit kein Unglück geschieht.“ Die Mutter von Rosemarie hat ihrer Tochter das erklärt. Rosemarie hat inzwischen ihr Geschenk ausgepackt: „Schaut nur, eine Tänzerin! O, wie schön sie ist, danke Florian.“
Zu ihren Eltern gewandt sagt sie noch schnell: „Ja, ja, wir passen auf.“ Dann nimmt sie ihren neuen Freund an die Hand und die Beiden verlassen den Wohnwagen.
„Komm wir gehen in die Manege, da üben jetzt die Clowns. Das ist alles genau eingeteilt, weißt du. Später, wenn die Clowns fertig sind, kommen die Tierdressuren dran, denn die Pferde und die anderen Tiere müssen erst gefüttert und gepflegt werden.
In der Manege sind zwei Männer und eine Frau dabei, allerlei Kunststücke zu proben. Sie machen Handstand und Überschlag, wie Florian beim Kinderturnen. Er kann das Fahrrad erkennen, das nur ein Rad hat.
„Ja, wirklich“, sagt er ganz erstaunt, die sehen jetzt ja auch nicht wie Clowns aus. Ziehen die sich auch erst zur Vorstellung um und malen sich an? Und die Frau, ist das auch ein Clown?“
„Ja sicher“, sagt Rosi, „das ist Lisavetta. Sie arbeitet nicht nur als Clown sondern sitzt auch an der Kasse und betreut die Pudel, die gestern ihre Kunststücke auf de Rutsche gemacht haben. Weißt du, wir sind nur ein kleiner Zirkus, da muss jeder mehrere Sachen machen, weil wir nicht so viele Artisten bezahlen können.“
Eine Weile schauen sie den Clowns bei der Arbeit zu und Florian lernt, dass alle die lustigen Sachen, die nachher in der Vorstellung so leicht aussehen, immer und immer wieder geübt werden müssen.
„Komm, wir gehen zu den Pferden“, sagt Rosi schließlich.
Die Pferde stehen in einem Zelt und sie sind auch ohne Schmuck und sehen wie ganz gewöhnliche Pferde aus.
„Hallo, Rosi“, ruft ein Mann, als sie den Stall betreten, „wann kommst du zum striegeln?“
„Heute habe ich frei, Paul“, strahlt Rosemarie, „ich habe Besuch, das ist Florian, er will den Zirkus kennen lernen.“
„Aber trainiert wird trotzdem“, sagt Paul.
„Ja, natürlich, ich bin um zwei Uhr dran.“
So wandern die Beiden nun von einem Platz zum anderen. Überall wird fleißig gearbeitet und geübt. Der Seelöwe hat einen Extrawagen, in dem nur ein großes Schwimmbecken ist. Und der Mann mit den langen Beinen hat gar keine langen Beine, er gehr auf Stelzen spazieren. Alle sind sehr freundlich zu Florian.
„Sag mal“, fragt er schließlich seine kleine Führerin, „wo wohnst du denn nun eigentlich, wo ist dein Zimmer?“
„Ja, aber Florian, da waren wir doch heute morgen, als du gekommen bist. Am Abend wird der Tisch weggeklappt und dann werden aus den Bänken unsere Betten. Ein eigenes Zimmer habe ich nicht. Erst wenn man ganz groß ist und mit einer eigenen Nummer auftritt, bekommt man einen eigenen Wagen. Wir fahren doch jede Woche an einen anderen Ort, da kann man nicht irgendwo wohnen. Wir wollen immer bei unseren Tieren und unserer Ausrüstung sein. Nur im Winter bleiben wir länger an einem Ort. Dann gehe ich auch richtig zur Schule, sonst lernt meine Mutter mit mir und wenn Zirkuskinder größer sind, dann müssen sie eine Weile in ein Internat. Das ist eine Schule, in der man Tag und Nacht bleibt. Ich muss dir ehrlich sagen, davor habe ich schon richtig Angst. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich da hin soll, alles was ich für den Zirkus lernen muss, kann ich doch auch hier lernen. Mein Vater hat aber gesagt, dass ich das für mein ganzes Leben brauche, na, mal sehen. Komm, jetzt gehen wir zu Mirka, der Elefantendame und fragen Pit ob es ihr besser geht. Ich glaube, der Tierarzt war da.“
Dann müssen wir Mittag essen, dann muss ich trainieren und dann ist schon die Nachmittagsvorstellung.“
Der Elefant sieht gar nicht krank aus, findet Florian; aber der Pfleger macht ein besorgtes Gesicht: „Mirka will nicht richtig fressen, das gefällt mir nicht. Ich glaube sie kann heute nicht auftreten. Ich muss gleich mit dem Chef sprechen.“
„Komm, hier verziehen wir uns lieber, wenn dem Elefanten etwas fehlt, dann ist Pit nicht zu genießen. Er war schon mit Mirka zusammen, als ich noch gar nicht geboren war und er lässt sie niemals allein. Wenn sie krank ist, dann ist er auch krank.“
Im Wohnwagen ist inzwischen der Tisch wieder gedeckt und es gibt Mittagessen. Das hat Rosis Mutter alles in der kleinen Küche am Eingang gekocht und Florian fragt: „Auf welcher Bank schläfst du denn heute Nacht?“
Rosis Mutter guckt erstaunt von ihrem Teller auf.
Rosemarie erklärt: „Florian wollte wissen, wo mein Zimmer ist und ich habe ihm gesagt, dass die Bänke nachts zu unseren Betten werden.
Rosis Mutter lacht: „Ja, bei uns geht es zu, wie auf einem Campingplatz und nun esst Kinder, die Rosi muss trainieren.“
Nach dem Essen gehen die beiden Kinder in die Manege. Rosemarie hat nun einen Gymnastikanzug an. Der Mann aus dem Pferdezelt führt die Pferde herein und Rosi springt mit einem Satz auf den Rücken des ersten Tieres. Der Mann steht in der Mitte der Manege, hat eine lange Peitsche in der Hand und schickt die Pferde mir allerlei Rufen und Peitschenknallen immer wieder in die Runde. Dabei spricht er dann auch noch mit Rosi, das heißt, eigentlich brüllt er ihr Befehle zu:
„Rücken gerade! Jetzt Schwung! Denk dran, du bist leicht wie eine Feder! So und nun noch mal das Ganze!“
So geht es fast eine Stunde lang und immer wieder hat der Mann etwas zu meckern und immer wieder muss Rosi das Gleich noch einmal machen. Endlich werden die Pferde hinaus geführt und das Mädchen setzt sich zu Florian auf die Bank.
„Meine Güte“, sagt er, „der hat dich ja ganz schön gequält, ist der immer so fies zu dir?“
„Das ist mein Trainer, er muss mir doch alles beibringen, das muss so sein. Wenn wir nicht üben, ist er sehr nett. Ich bringe dich jetzt zu Lisavetta ins Kassenhäuschen. Du kannst ihr beim Karten verkaufen helfen. Ich muss mich für die Nachmittagsvorstellung umziehen und noch etwas ausruhen.“
So sitzt Florian plötzlich neben de Kassiererin, die nun wieder ein buntes Kleid trägt und darf Karten ausgeben. Rote Karten für Kinder und grüne Karten für Erwachsene. Er kommt sich richtig wichtig vor.
„Mensch, Kumpel, was machst du denn da?“ ertönt eine Stimme und Florian sieht seine Schwester vor dem Schalter. Sie ist mit der Mutter gekommen und hat auch noch seinen Freund Klaus mitgebracht. O, was ist Florian stolz: „Geht nur schon an eure Plätze, ich komme gleich nach. Die Vorstellung beginnt in einer halben Stunde, solange muss ich noch Karten verkaufen.“
Der Besucherstrom nimmt bald ab und Lisavetta schließt das Fensterchen: „So, nun kommt keiner mehr und du weißt ja“, flüstert sie Florian verschwörerisch zu, „dass ich auch noch eine andere Aufgabe habe.“
Ja, Florian weiß nun Bescheid. Er verabschiedet sich höflich und läuft ins Zelt um sich zu seiner Mutter zu setzen. Die Musik hat schon angefangen und die Vorstellung beginnt.
Ganz zum Schluss traben wieder die Pferde herein und seine Tarantella tanzt leicht wie eine Feder auf den Rücken der geschmückten Tiere. Vielleicht hat Florian sich geirrt, aber er könnte schwören, dass sie ihm zugezwinkert hat.
Erst als schon fast alle Leute gegangen sind, steht auch die Mutter auf und nimmt ihren Sohn an die Hand.
Da kommt der Direktor zusammen mir Tarantella hinter dem Vorhang hervor: „Na, hat es dir bei uns gefallen?“ fragt er
„Ja, es war ganz toll und wenn ihr nächstes Jahr wieder da seid, darf ich dann wiederkommen?“
Die Erwachsenen lachen und Mutter gibt dem Direktor einen Umschlag: „Eine kleine Spende für den Zirkus und danke für alles.“
Florian gibt Tarantella die Hand und sagt: „Schlaf gut in deinem Bankbett.“
Sein Freund hat mit offenem Mund zu gehört und fragt nun: „Was meinst du denn damit?“
„Das erzähle ich dir alles später“, verspricht Florian großzügig; aber dann schläft er auf der Heimfahrt ein und Vater muss ihn aus dem Auto holen und ins Bett tragen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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