Klaus-Peter Behrens

Artefaktmagie Teil 4 (vorläufiger Titel)

 

Der morgendliche Verkehr von Glasgow drang durch die geöffneten Fenster als Michael zwar etwas steif, dafür aber ausgeschlafen aufwachte. Etwas peinlich berührt stellte er fest, daß seine Tante schon auf den Beinen und gerade damit beschäftigt war, ihre Sachen in einer kleinen Reisetasche zu verstauen. Anscheinend hatte er verschlafen. Selbst Sammy lief bereits aufgeregt in dem kleinen Wohnraum wie ein Löwe in seinem Käfig auf und ab, als könne er es gar nicht abwarten, hinauszukommen. Immer noch nicht ganz wach setzte Michael sich auf und murmelte ein verschlafenes "Morgen", wobei er einen kritischen Blick durch die weit geöffneten Fenster auf den azurblauen Himmel warf, von dem die Sonne bereits ihre ersten wärmenden Strahlen zur Erde sandte. Zumindest regnete es nicht. Das war schon einmal ein guter Anfang. Seine Tante, die sein Mienenspiel beobachtet hatte, sah ihn belustigt an, als ahne sie, was in ihm vorging.

"Morgen, du Langschläfer", begrüßte sie ihn. "In einer halben Stunde gibt es Frühstück. Also ab ins Bad mit dir, ich sehe dich dann unten."

Eine halbe Stunde später stellte Michael fest, daß zumindest das Frühstück seinen Erwartungen an Schottland entsprach. Er war froh, als sie es hinter sich gebracht hatten und wieder in dem betagten Landrover saßen.

"Fort William", wiederholte er neugierig, nachdem Tante Betty ihm ihr Ziel verraten hatte. "Klingt cool. Wieso braucht man dort ein Fort?"

"Das brauchte man früher einmal, so um 1700 herum, zur Überwachung der Jacobite Highlanders. Gebaut wurde es von William of Orange. Daher der Name. Heute ist Fort William die größte Stadt in den westlichen Highlands und ein wichtiger Handelstreffpunkt", erklärte Tante Betty stolz, während sie in halsbrecherischer Weise durch den Morgenverkehr von Glasgow kurvte. "Das dort ist übrigens die Öffentliche Bibliothek", erläuterte sie und wies auf einen Prunkbau, der Michael mehr an ein herrschaftliches Schloß mit einem beeindruckenden Turm in der Mitte erinnerte, als an eine Bücherhalle.

"Wie ist denn die Umgebung von Fort William so?", erkundigte sich Michael neugierig, während sie in beängstigendem Tempo an der altehrwürdigen Bücherhalle vorbeirasten und auf eine der großen Ausfallstraßen einbogen.

"Schön. Wir haben die höchsten Berge dort und eine weltberühmte Dampfeisenbahn, nicht zuletzt wegen Harry Potter. Aus allen möglichen Ländern kommen die Eisenbahnliebhaber zu uns, um einmal damit zu fahren. Die Szenen mit dem Hogwarts-Express gehörten übrigens zu den allerersten Bildern des Filmes, die aufgenommen wurden. Leider passierte bei den Dreharbeiten ein Malheur. Durch den Funkenflug entstanden auf einer Länge von rund einer Meile diverse Brandnester, die sich rasch ausbreiteten und rund 40 Hektar Wald, Moor und Wiesen vernichteten." Tante Betty zuckte bedauernd mit den Achseln. "Trotzdem ist es ein herrliches Erlebnis damit zu fahren, natürlich nur, falls du Lust dazu hast."

"Klar!"

Michael nickte. Mit einer altertümlichen Bahn zu fahren, die bereits in einem Film vorgekommen war, klang spannend. Nicht jeder konnte von sich behaupten, so etwas schon einmal gemacht zu haben. Sein vermeintlicher Englisch-Horrorurlaub entwickelte sich allmählich zu einem ganz passablen Aufenthalt.

"Mein Vater hat mir allerdings erzählt, daß ihr eine alte Bauernkate wieder aufgemöbelt habt. Die liegt wohl kaum in Fort William, oder?"

"Nein, das tut sie in der Tat nicht. Wir leben südlich von Fort William, in der Nähe von Loch Leven auf einem einsamen, aber idyllischen Flecken Erde. Das sagenumwobene Glen Coe liegt quasi direkt vor unserer Tür."

"Glen Coe?" Michael ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen, während sie die Stadt allmählich hinter sich ließen. Die ersten saftigen Wiesen, auf denen ein paar an Bisons erinnernde Kühe mit langem Fell grasten und von Sammy mit lautem Gebell aus dem offenen Fenster begrüßt wurden, zogen nun an ihnen vorbei.

"Was macht diesen Ort denn so sagenhaft?", hakte Michael nach.

Tante Betty warf ihm einen langen, geheimnisvollen Blick zu, was Michael beunruhigte, da er es angesichts ihres Fahrstils für sicherer hielt, wenn sie die Fahrbahn im Auge behielte.

"Nun", hub sie an, "hier lebte angeblich einst der Riese Fingal, der die Wikinger vertrieb. Außerdem sollen dort Hexen und andere Zauberwesen ihr Unwesen getrieben haben."

Michael schnaubte verächtlich. Für Ammenmärchen hatte er nichts übrig.

"Sei nicht so kritisch", tadelte Tante Betty ihn. "Hier sehen die Leute die Dinge anders. Das hier ist das Land der Sagen und Legenden, und Glen Coe hat bei ihnen einen besonderen Stellenwert, allerdings aus einem anderen Grund", fügte sie zögernd hinzu. Michael sah sie neugierig an.

"Man nennt es auch das Tal der Tränen", erklärte sie. Erstaunt hob Michael die Augenbrauen.

"Geht das wieder auf irgendwelche Fabelwesen zurück?"

"Nein." Sie lachte schallend. "Das hat mit einem Verrat im Jahre 1692 zu tun. Damals wurden achtunddreißig Familienangehörige des MacDonalds Clans unter Ausnutzung der Gastfreundschaft von einhundertzwanzig Soldaten heimtückisch ermordet. Der Rest der Familie konnte zwar fliehen, viele kamen aber in der Winterkälte um."

"Miese Angelegenheit, aber das ist lange her", kommentierte Michael, der überzeugt war, daß er in Zukunft bei jedem Cheeseburger, in den er beißen würde, an diese Geschichte denken müßte.

"Für viele Schotten ist es aber so, als sei das gerade erst letzten Monat passiert. Die Leute denken hier anders, und fast jeder Schotte will einmal im Leben Glen Coe besucht haben."

"Na dann ist da ja wenigstens immer was los", bemerkte Michael trocken, wobei er nicht umhin kam, die vorbeiziehende Landschaft zu bewundern. Er hatte sich Schottland völlig anders vorgestellt. Statt düsterer Moore, die halb im Nebel verborgen lagen und von trutzigen Burgen bewacht wurden, passierten sie urige Dörfer und kleine Seen in einer reizvollen landschaftlichen Umgebung, wo die Wiesen dank des strahlenden Sonnenscheins in einem satten Grün leuchten. Über all dem spannte sich ein azurblauer Himmel, auf dem vereinzelt ein paar Wolken dahin trieben. Das perfekte Postkartenpanorama. Ein lauer Sommerwind wehte durch das geöffnete Wagenfenster und vertrieb auch noch die letzten Vorbehalte, die Michael gegenüber seinem Aufenthalt bei Tante Betty gehabt hatte. Schottland war unbestreitbar schön, und er freute sich inzwischen darauf, es näher kennenzulernen.

Ein paar Stunden später hatten sie ihr Ziel endlich erreicht. Schon seit einer guten halben Stunde fuhren sie nun auf einer Straße, die in Deutschland kaum die Bezeichnung Landstraße verdient hätte, so schmal war sie gebaut. Als Tante Betty schließlich in eine Art Feldweg einbog, stellte Michael mit Bedauern fest, daß die Fahrt ihrem Ende zuging. Der Landrover bockte und Sammy bellte aufgeregt, als Tante Betty mit beeindruckender Geschwindigkeit über den holperigen Pfad jagte, fast so, als befürchte sie, daß jemand hinter ihr her sei. Michael stellte erstaunt fest, daß sie öfter einen Blick in den Rückspiegel warf, was verwunderlich war, da sie dies während der gesamten Fahrt von Glasgow her kaum einmal gemacht hatte. Auch wirkte sie jetzt eindeutig nicht mehr so entspannt wie zuvor. Michael erklärte sich das mit der Sorge um Sammy, der auf dem Rücksitz hin und her sprang und nicht müde wurde, alles mit lautstarkem Gebell zu begrüßen, als kenne er jeden Strauch hier. In der Ferne konnte Michael gelegentlich eine Blick auf einen Berg werfen, den Ben Nevis mit seinen eintausenddreihundertundvierundvierzig Metern, wie Tante Betty erklärt hatte.

Schließlich führte der Weg durch einen dichten Wald. Die Bäume reichten hier so nah an den Pfad heran, daß sie teilweise an der Karosserie des Wagens entlang schrammten. Zugleich sorgten sie dafür, daß ein düsteres Zwielicht herrschte.

Michael fand den Wald unheimlich.

So weit er es beurteilen konnte, schienen sie weit und breit die einzigen Menschen zu sein. Er war daher richtig dankbar, als sie nach einer Viertelstunde den Wald wieder verließen und ihr Ziel in Sicht kam. Der Pfad endete auf einem Hügel, auf dem ein altertümliches, einstöckiges Haus thronte. Die massiven Felsquader, mit denen das Erdgeschoß vor langer Zeit errichtet worden war, erinnerten an die Vergangenheit des Hauses. Anscheinend hatten seine Tante und sein Onkel ein altes Landhaus gekauft und modernisiert. Darauf wies das relativ neue Ziegelmauerwerk im ersten Stock hin sowie das frisch strohgedeckte Dach, das sich daran anschloß, auf dem wie ein Fremdkörper eine Satellitenschüssel thronte. Insgesamt machte das Haus einen gemütlichen, ansprechenden Eindruck, sah man einmal von den verrammelten, massiven Fensterläden ab, die dem Haus einen wehrhaften Anstrich verliehen.

Mit einer eleganten Kurve brachte Tante Betty den Wagen auf dem kiesbestreutem Hof vor dem Haus zum Stehen. Sammy war noch vor Michael aus dem Wagen und verschwand sogleich um das Haus herum. Michael hörte ihn freudig bellen.

"Da wären wir", sagte Tante Betty und streckte sich von der langen Fahrt. Michael sah sich in aller Ruhe um. Das Haus lag so erhöht, daß man von hier einen phantastischen Blick auf die Umgebung hatte. Zugleich dokumentierte das Panorama, daß es hier sehr einsam war. Ein Blick auf sein Handy bestätigte ihm, daß er kein Netzanschluß hatte. Das sagte eigentlich alles. Anscheinend hatte sein Vater nicht übertrieben. Der Hügel, auf dem das Haus lag, ging an zwei Seiten in dichten Wald über, auf den anderen Seiten bot sich der Blick auf eine heideähnliche Landschaft, in der hier und dort ein kleiner See erkennbar war. Michael bezweifelte, daß er hier gleichgesinnte Jugendliche treffen würde. Sein Freund Thomas hatte es eindeutig besser getroffen.

Tante Betty war inzwischen schon damit beschäftigt, ihre Sachen aus dem Wagen zum Haus zu tragen. Michael schnappte sich seinen Koffer von der Ladefläche und folgte ihr zum Eingang hinüber. Erstaunt stellte er fest, daß die Tür immerhin durch die stattliche Anzahl von drei Schlössern gesichert wurde. Tante Betty mühte sich gerade an einem davon mit einem riesigen Schlüsselbund ab.

"Ihr habt ja richtig Vertrauen in eure Nachbarn", stellte er mit einem Blick auf die gesicherte Tür ironisch fest.

"Wir leben hier sehr einsam", wich Tante Betty aus. Michael betrachtete sie kritisch. Irgendwie war er überzeugt, daß seine Tante ihm etwas verschwieg. Dann fielen ihm ein paar massive Kratzer am Türblatt auf. Es sah aus, als habe jemand mit einer Mistgabel über das Holz gekratzt.

"Vergeßt ihr öfter mal den Schlüssel, oder gibt es hierfür eine andere Erklärung", fragte Michael mit gerunzelter Stirn, indes sich seine Tante mit leisem Fluchen mit dem letzten Schloß abplagte, bevor sie endlich die Tür aufzog. Helles Sonnenlicht flutete in das dunkle Haus.

Mit einem Seufzen verstaute sie den Schlüsselbund in den Tiefen ihrer ausgebeulten Jeans. Michael entging nicht, dass ihr Blick dabei zu dem nahen Waldrand hinüber glitt, und für einen Augenblick glaubte er Furcht in ihrem Blick zu entdecken.

Was war hier los?

Seine Neugier mußte ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Tante Betty ließ sich endlich dazu herab, ihm eine Antwort zu geben.

"Ich hatte dir doch gestern erzählt, daß wir ein paar Schwierigkeiten hatten", leitete sie ihre Erklärung für das desolate Türblatt ein. Michael nickte.

"Nun, vorletzte Nacht hat ...", sie zögerte merklich, "irgend jemand versucht, hier einzubrechen. Ich mußte gestern noch einmal zur Polizei, weil die noch ein paar Fragen bezüglich des Tathergangs hatten. Ob wir etwas gesehen hätten, besondere Wertsachen im Haus hätten und so weiter. Du weißt schon. Nun, deshalb kam ich zu spät zum Flughafen."

Michael war beeindruckt.

Die Gegend schien nicht ganz so langweilig zu sein, wie er angenommen hatte. Vielleicht ergab sich ja die Gelegenheit, ein paar Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen. In Gedanken malte er sich schon ein haarsträubendes Abenteuer aus, indes er seiner Tante in das Haus folgte. Nachdem diese die Fensterläden geöffnet hatte, war der gesamte untere Bereich sonnendurchflutet und bot einen verblüffend modernen Eindruck. Michael entdeckte einen 16:9 Flachfernseher, einen DVD-Player, einen wuchtigen Kamin und sogar einen Laptop neuester Bauart auf dem Esszimmertisch. Das war mehr, als er erwartet hatte.

"Wir leben zwar am Ende der Welt, aber auf Bequemlichkeit müssen wir deshalb nicht verzichten", bemerkte Tante Betty, die ihren Neffen belustigt musterte. Offensichtlich ahnte sie, was in seinem Kopf vorging.

"Eine Coke?", fragte sie und machte ein paar Schritte auf die halboffene Küche zu, die sich direkt an den Wohnbereich anschloß. Michael nickte sprachlos. Geräuschvoll ließ er seinen Koffer fallen und wanderte durch das erstaunlich geräumige Wohnzimmer. Im Wesentlichen war alles offen gehalten. Lediglich drei Türen deuteten darauf hin, daß es hier unten noch weitere Räumlichkeiten gab. Michael tippte auf ein Badezimmer, ein Arbeitszimmer und eine Abstellkammer. Dankbar nahm er eine Coke entgegen und leerte die Dose ohne sie abzusetzen. Das eiskalte Getränk prickelte in seinem Magen.

"Das habe ich jetzt gebraucht", verkündete er grinsend und deponierte die leere Dose auf dem Küchentisch.

"Der Mülleimer ist in dem Schrank unter der Spüle", klärte Tante Betty ihn mit einem tadelnden Blick auf. Zerknirscht begab sich Michael daraufhin zur Spüle, über der ein Fenster einen guten Blick auf den Hof bot. Was Michael dort sah, irritierte ihn. Im Unterbewußtsein war ihm schon zuvor aufgefallen, daß irgend etwas nicht stimmte, und nun wußte er, was es war.

Sammy bellte schon seit einiger Zeit nicht mehr. Statt dessen stand der Hund mit gesträubtem Fell in der Mitte des Hofes und musterte starr das Dickicht, das den Waldrand auf der anderen Seite des Hofes säumte. Links daneben stand ein verfallen wirkender, geräumiger Schuppen, der an der einen Seite von Efeu besetzt war und den Eindruck erweckte, als ob ein solider Fußtritt gegen einen tragenden Balken den sofortigen Einsturz nach sich ziehen würde. Die Fenster an der Vorderseite waren völlig blind und verursachten Michael eine Gänsehaut, als er sich vorstellte, daß sich dort drinnen vielleicht jemand verbergen könnte und das Haus beobachtete. Der Urlaub fing gut an.

Sammy stand derweil weiter stocksteif in der Mitte des Hofes, den Blick starr auf das dichte Unterholz gerichtet. Aufmerksam versuchte Michael zu erkennen, was den Hund so verärgerte, entdeckte aber nichts.

"Da draußen stimmt irgend etwas nicht", rief er besorgt, drehte sich um und rannte zur Eingangstür. Irritiert sah ihm seine Tante hinterher.

"Wie meinst du das?", rief sie ihm nach, aber Michael war schon durch die Tür verschwunden. Keine drei Sekunden später stand seine Tante neben ihm. Verwundert betrachtete sie ihren Hund, der wie ein ausgewachsener Wolf knurrte.

Mit einem beklommenen Gefühl musterte Michael indes den nahen, düsteren Waldrand den der Hund nicht aus den Augen ließ. Wenn ein Wald auf Michael jemals finster gewirkt hatte, dann war es dieser, und die Tatsache, daß irgend etwas offensichtlich dort drinnen verborgen war, das den Unwillen des Hundes hervor rief, machte das Ganze nicht besser.

In diesem Moment jagte Sammy wie von der Tarantel gestochen los und verschwand wütend kläffend im dichten Unterholz. Michael und Tante Betty sahen sich unschlüssig an. Der Gedanke, dem Hund zu folgen und sich in dieses Labyrinth aus hoch aufragenden Stämmen zu begeben, die derart dicht beieinander standen, daß die Sonnenstrahlen kaum bis zum Waldboden drangen, sagte keinem von beiden zu. Schließlich zuckte Tante Betty ergeben mit den Schultern.

"Er wird schon wieder auftauchen. Vermutlich jagt er nur ein harmloses Kaninchen", vermutete sie. Michael war sich angesichts des erst vor kurzem verübten Einbruchveruchs da nicht so sicher, ließ es aber dabei bewenden. Schließlich war der Hund hier aufgewachsen und würde schon wissen, was gut für ihn war.

Während seine Tante zurück ins Haus ging, bezog Michael auf einer aus groben Planken gezimmerten Holzbank, die am Westgiebel des Hauses stand, Position und beobachtete den finsteren Waldrand. Er mußte nicht lange warten. Keine zehn Minuten tauchte Sammy tatsächlich später wieder auf. Triumphierend trug er ein Stück Stoff in der Schnauze, die einen langen, blutigen Schnitt aufwies. Auch sein rechtes Ohr sah ein wenig mitgenommen aus. Erschrocken sprang Michael auf und rief nach seiner Tante, die sofort aus dem Haus gestürzt kam.

"What`s happend, sweetheart", rief sie besorgt, als sie neben Michael den verletzten Sammy entdeckte, der sofort zu ihr hinüber trottete und sie treuherzig ansah. Mit flinken Fingern untersuchte sie sogleich die Wunde, indes Michael den nahen Waldrand nicht aus dem Auge ließ, auch wenn er in dem dichten Unterholz ohnehin nichts erkennen konnte. Eine ganze Armee hätte sich dort verbergen können, ohne daß es ihm aufgefallen wäre. Der zufriedene Ausdruck in Sammys Gesicht überzeugte ihn aber davon, daß zumindest im Augenblick keine Gefahr mehr drohte.

Wer immer hier gewesen war, war verschwunden.

Aber einen Teil von sich hat er hier gelassen, dachte Michael mit einem Blick auf den Stoffetzen, den der Hund noch immer in der Schnauze trug und nicht gewillt war, herauszurücken. Tante Betty hatte inzwischen ihre Untersuchung eingestellt und wandte sich Michael zu.

"Zum Glück ist es nur eine oberflächliche Verletzung. Wahrscheinlich ist er auf ein paar der Jugendlichen aus dem Camp jenseits des Waldes gestoßen, die sich hier herum getrieben haben", vermutete sie grimmig. "Denen hetze ich jetzt die Polizei auf den Hals. Erst der versuchte Einbruch und jetzt das hier. Das reicht mir allmählich."

Michael staunte. Ein Camp hatte seine Tante bisher noch nicht erwähnt. Erneut betrachtete er den Stoffetzen in Sammys Schnauze. Er wirkte rauh und kratzig, wie von Hand gewebt und war von einem tiefen Grün. Michael versuchte sich den Jugendlichen vorzustellen, der so etwas freiwillig tragen würde.

Na ja, höchstens, wenn er mit Robin Hood verwandt ist, überlegte er in Gedanken.

"Was ist das für ein Camp?", wollte er von seiner Tante wissen.

"Ein europäisch angehauchtes Camp für schwer erziehbare Jugendliche. Hier kommen all diejenigen her, die in England, Schottland, Frankreich oder Deutschland als Problemfälle eingestuft werden und hier eine Besserung erfahren sollen. Besserung, hah!", stieß sie verächtlich aus. "Man sieht ja, was dabei herauskommt."

Wieder im Hause, setzte sich Tante Betty sofort mit der Polizei in Verbindung. Michael konnte dem Gespräch nicht folgen und beschäftigte sich statt dessen lieber mit dem Stoffetzen, den Sammy zugunsten einer Schüssel mit Fleisch sofort bereitwillig hatte fallen lassen. Michael konnte es zwar nicht begründen, aber sein Gefühl sagte ihm, daß dieser Fetzen Stoff zu keinem Bekleidungsstück in dem besagten Camp passen würde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.03.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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