Ricarda Ohligschläger

Glück

Tränenüberströmt stehe ich vor dem Spiegel der kleinen kargen Krankenhaustoilette. Die Wimperntusche läuft über meine heißen Wangen. Mein verheultes Gesicht gleicht eher einer Fratze als den Zügen einer jungen Frau. In meinen Kopf herrscht Chaos, Angst und tiefe Traurigkeit.

Noch vor zwei Wochen war ich Braut. Im engsten Familienkreis gab ich meinen langjährigen Freund das Ja – Wort. Wir waren glücklich, feierten ausgelassen und freuten uns auf die Zukunft.
Den Tumor, den man kurz vorher bei mir entdeckt hatte verdrängten wir an diesem Tag. Wir wollten leben, lieben und lachen – bald auch zu dritt.

Und nun?
So eben hatte ein Arzt uns mitgeteilt, dass ich „um Gottes Willen nicht schwanger“ werden dürfte. Fast flapsig kamen die Worte aus seinem Mund. Wir müssten uns damit abfinden und wir wären nicht die ersten….
Worte wie Schall und Rauch - leere Phrasen, die er als Standarttrost jederzeit abrufbereit aus seinem Repertoire zieht. So wirkt es.
Nicht wirklich menschlich, sondern so kalt und farblos wie die Flure des Krankenhauses. Chemisch gereinigt von allen menschlichen Gefühlen.

 Ich trete nach draußen in den Flur, meine Beine zittern und einige Leute starren mich an. An eine Wand  gelehnt steht mein Mann, er schaut nach unten und scheint vertieft in das Muster des Bodenbelags. Ich berühre zärtlich seinen Arm, lehne meinen Kopf an seine Brust und spüre seine starken Hände auf meinen Rücken. Seine Umarmung tut gut.
Als ich ihn kurz anblicke schimmern seine Augen feucht und wir küssen uns gegenseitig die Tränen weg. „Wir schaffen das.“, flüstert er mir ins Ohr.

2 Jahre später

Ich stehe vor dem Spiegel und betrachte mich im morgendlichen Licht des herannahenden Sommers.
Meine Haut ist immer noch frisch und rosig, so als wäre ich Mitte 20. Gut, dass ich das Rauchen schon vor Jahren aufgegeben habe. Ab und zu quält mich ein kleiner Pickel aber den nehme ich mit Humor und Clerasil.
Meine Brüste sind voller als früher. Ich war nie schlank aber nun wirken sie schwer und träge. Vielleicht warten sie auch auf etwas?
Meine Hände wandern tiefer.
Ich lächle in mich hinein. Es ist ein Lächeln voller Zufriedenheit und Glück, mit der Gewissheit etwas Schweres hinter sich zu lassen.
Sanft, zärtlich und in mich selbst versunken streichle ich meinen Bauch.

Und damit das wachsende Leben in mir.
© Ricarda Ohligschläger
25.03.2009

 

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