Maria Gebhardt

Nacht

„Du hast dich verändert“, sagt sie. Sie holt Luft, als ob sie noch etwas anfügen wolle, bleibt dann aber doch stumm. Der kühle Nachtwind bläst ihr einzelne Strähnen aus dem fest nach hinten gebundenen Haar. In diesem Moment der Stille überlege ich worauf sie hinaus will, doch ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.
Natürlich habe ich mich verändert. Ich verändere mich jede einzelne Sekunde – ja sogar jeden Wimpernschlag. „Was soll ich denn tun?“, frage ich sie, außerstande zu verstehen, „Das ist doch immer nur so ein blöder Spruch; dieses 'Bleib so, wie du bist!', das man sich und gegenseitig zum Geburtstag wünscht und sagen will, dass man den anderen so liebt. Aber wir verändern uns, ohne dass wir etwas dagegen tun können.“ Ich zucke mit den Schultern.
„Ja, schon, aber ich kann damit nicht mehr umgehen. Mit dir. Ich hab das schon zu oft erlebt. Diese Veränderungen machen immer alles kaputt. Und 'Bleib so wie du bist!' ist überhaupt kein so doofer Spruch. Da weißt du wenigstens, woran du bei dem anderen bist“, antwortet sie mir und nippt an ihrem Bier. Ein kleiner Tropfen verfängt sich an der Unterlippe und bleibt dort hängen. Ihre Lippe beginnt zu beben und sie senkt leicht den Kopf.
Durch die Bewegung verlagert sich der Schwerpunkt des Tropfens und fällt herab wie eine Träne, die die richtige Körperöffnung nicht gefunden hat. Schön sieht sie aus in dem Licht von bunten Glühbirnen, im Wind hier auf der Terasse. Mit einer Träne aus Bier am Kinn, der auf ihr schwarz weiß gestreiftes Sommerkleid herab fällt.
Das Beben ergreift nun ihren zarten Körper und sie sieht mir nun mit echten Tränen in den Augenwinkeln ins Gesicht. Sie kämpft dagegen an - das sehe ich ganz genau – und versucht es zu verbergen, indem sie an mir vorbei blickt und zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor presst: „Betrachte das Ganze doch nur einmal – für einen Moment – aus meinem Blickwinkel.“
Dieses Gespräch erscheint mir wie Milchglas. So undurchsichtig und voller Konturen, deren Ursprung ich noch nicht fassen kann. Vielleicht auch eher wie eine Glasscheibe aus diesen Verhörräumen und ich sitze drin und weiß nicht,wie ich dorthin gekommen bin noch wer mich von der anderen Seite aus beobachtet und warum. Noch während ich darüber staune, wie es innerhalb von Minuten in diesem Gespräch zu Tränen kommen konnte, bei dem ich nicht einmal begreife, welche Rolle ich spiele oder zu spielen habe, unterbricht sie mich: „Du gehst nicht mehr mit mir weg. Seit er … Du bist so … ruhig geworden und bleibst abends lieber zu hause, anstatt mit mir tanzen zu gehen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht will, dass du nicht glücklich wirst. Du musst das verstehen. Das ist wirklich schwer für mich...“
Das verblüfft mich nun wirklich. Das ist das Problem? Das Problem, weswegen sie Tränen in den Augen stehen hat, die bleischwer auf meiner Seele lasten, weil ich noch nie jemanden zum weinen gebracht habe? Ich muss schlucken.

„Ich bin ja froh darüber, dass es dir so gut geht,“ erklärt sie weiter. „Ich weiß nur nicht mehr, was ich sagen soll.“ „Aber, bitte, lass uns doch nicht wegen so etwas einen Abgrund schaffen, oder? Ich meine, darüber lässt sich doch reden. Nur nicht mehr heute Abend. Ich muss mal darüber schlafen und dann wird das wieder.“, versuche ich einzulenken.

Doch die Stille, die mir daraufhin mit einem Schlag jeglichen Atem nimmt und ihr Blick der mir wiederum auszuweichen versucht, wie eine Olive in einem Glas Martini, lassen mich frösteln.

„Du, … ich meine, du glaubst nicht, dass wir das kitten können, seh' ich das richtig?“, flüstere ich gegen die massive Wand aus Ziegelsteinen.

Sie schweigt.

Jetzt bin ich es, die die Tränen niederkämpfen muss. Ich kaue für einen Moment auf meiner Wangeninnenseite um mich zu beruhigen und mir ein wenig Zeit für die richtigen Worte zu geben, die einfach nicht kommen wollen. Wortlos stehe ich auf, und gehe hinein. Durch die Tür, durch die ich vorhin fröhlich heraus getreten bin, um den Abend zu genießen. Ich kann nicht glauben, dass es dieselbe Tür ist und berühre sie beiläufig mit meinen Fingerspitzen. Drinnen bleibe ich stehen und versuche meinen Blick wieder scharf zu stellen, doch es gelingt nicht. Ich bleibe am Fenster stehen ohne hinaus zu sehen und lehne meine Stirn gegen das feste Glas. So verharre ich eine ganze Weile und warte, dass sich mir eine kleine Hand auf die Schulter legt und irgendetwas unwichtiges flüstert, nur um mir zu zeigen, dass sie da ist und nicht bloß Einbildung.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.04.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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