Gaby Schumacher

Pappkartons und eine tote, untote Oma

 

 

 

Überall stapelten sich Umzugskartons. Wie ich es denn zugeben musste, wirkten sie äußerst dekorativ, insbesondere in unserem eleganten Wohnzimmer.

„Diese Kombination von ordinärem Mahagoni mit edler Pappe - einfach umwerfend!“

Sofort purzelten mir die Gedanken im Kopf herum, wie ich denn dieser ausgefallenen Einrichtungsidee noch das berühmte I-Tüpfelchen aufsetzen könnte, wofür sich mir letztendlich bestimmte Küchenutensilien anboten.

 

Ich schwärmte ja für Ton in Ton.

„Die Brottrommel! Das Mayonnaisenglas ... “

Ich schwelgte geradezu im Eigenlob:

„Eigentlich sollte man es für immer so lassen! - Katharina wird begeistert sein!“

Aber irgendwie hatte ich den Geschmack meiner Tochter wider Erwarten falsch eingeschätzt:

„Mamaa!!“

Also wieder runter mit den Dingern und erneut rein damit in die verschiedenen Wühlecken meines umgeräumten Hauses, in denen sie sich dann genauso bescheiden ausnahmen wie all ihre Metall- und Kunststoffkollegen auch.

„Tut mir leid!“, murmelte ich noch mich entschuldigend.

Die Brottrommel würdigte mich keines Krümels mehr und das Glas des Mayonnaisenbehälters beschlug rachsüchtig und verwehrte mir so den Blick auf dessen geliebten Inhalt.

 

Vor unserem Haus hielt ein riesiger Lkw und sämtlichen Nachbarn fielen fast die Augen aus dem Kopf. Ein Karton, ein zweiter, ein dritter ... es nahm und nahm kein Ende und als es denn doch ein Ende genommen hatte mit all den Pappgesellen, folgten unter Stöhnen der Papa mit dem Fernseher, Martina samt der Lautsprecher und Katharina mit einem Wäschekorb voller CDs. Sie mussten unbedingt mit in die neue Wohnung, denn sie waren fast ohne Ausnahmen von Sting.

Nach einer Dreiviertelstunde war alles verstaut. Nur mit Mühe ließ sich die Ladetür noch verrammeln.

„Und der ganze Mist muss gleich wieder ausgeladen werden!“

Eindeutig darüber derselben Meinung seufzten der Papa, unsere Töchter und ich ungeachtet der nachbarschaftlichen Beachtung laut auf.

 

Wir quetschten uns neben den Fahrer, die erwachsenen Töchter auf dem Schoß.

„Wahrscheinlich niemals mehr wieder. Also genieß es!“, ging es mir durch den Kopf.

Ich genoss dann den Blick auf deren Bubi- und Pferdeschwanzfrisur. Mehr sah ich während jener Fahrt nämlich nicht, bestand aber geistesgegenwärtig auf die Beschreibung der Strecke und der anliegenden Landschaft, die mir denn recht bekannt vorkam:

„Ach richtig. Es geht ja bloß vier Stadteile weiter!“

Nach zwanzig Minuten hatten wir Katharinas neue Heimat erreicht. Sie würde Omas ehemalige Wohnung übernehmen, 70 qm groß und praktischerweise im achtundneunzigsten Stock gelegen. Über den Wolken ... Im Haus traf uns fast der Schlag, den es gab keinen Fahrstuhl.

„Deshalb also war Oma bis zum Schluss dermaßen fit!“

Zu unserem Leidwesen erwiesen sich die Unmenge an Kartons, der Fernseher, aber vor allem der Wäschekorb und insbesondere die Lautsprecher als wahre Elefantenlasten. Doch wir wussten uns zu helfen.

Der Papa klemmte sich unter den einen Arm einen großen Bastkorb, darin eine mindestens 200 m-Wäscheleine, unter den anderen schon mal einen der Lautsprecher und spielte dann, sportlich, wie er seit jeher veranlagt war, mit einer zunehmenden Begeisterung Reinhard Messner. Nur, dass jener wahrscheinlich dann nicht dermaßen groggy oben angekommen wäre. Tapfer stiefelte Katharina auf ihren modernen 10-Zentimeter-Stiefeletten mit dem zweiten Lautsprecher hinterdrein.

Oben stellten sie verwundert fest, dass die Wohnung immer noch voll eingerichtet war. Der einzige Unterschied zu der Zeit, als Oma dort noch residiert hatte, zeigte sich darin, dass sämtlichen Möbeln eine weiße Leinentuchdecke gegönnt worden war. Sie hätten ja sonst staubig werden können.

„Sieh mal, Papa! Auf dem Tisch stehen ja noch die Kaffeetassen! Komisch ...“, meinte meine Tochter.

Es jagte ihr einen leichten Schauer über den Rücken, doch nur ganz kurz, denn es wartete noch eine Menge Arbeit auf sie.

 

Der Papa kramte das Riesenwäscheleineknäuel aus dem Korb, öffnete das Fenster, knotete das eine Ende der Leine um dessen Griff und das andere um den Korb. Der baumelte kurz darauf lustig außen an der Hausfassade entlang und reiste Zentimeter für Zentimeter nach unten. Dort hatten Martina und ich bereits sämtliche Kartons wieder ausgepackt, wobei es sich nicht hatte vermeiden lassen, dass wir der Straße zu einem extra aparten Outfit verhalfen.

Teil für Teil trat die luftige Reise an. Dem Korb verging endgültig das ´Lustig sein`. Stattdessen machte er sich schwer wie ein Sack beziehungsweise je nach Inhalt wie mehrere von denen auf einmal und wir hielten den Atem an, ob er womöglich auf halber Höhe streiken würde.

„Hätte ja den Vorteil, dass Katharinas Wohnung dann enorm viel Platz mehr bieten würde!“, dachte ich, behielt es aber lieber für mich.

Der Korb ergab sich zum Glück in sein Schlepp- und Hievschicksal, zumindest solange, bis auch das letzte Fotoalbum oben angekommen war. Dann allerdings machte es ´ratsch` und der Griff war ab. Der Papa reagierte sehr resolut und entsorgte das jetzt überflüssige Etwas einfach auf dem umgekehrten Wege, so dass es ein paar Sekunden später mit einem heftigen Knall nur um Haaresbreite neben meinen Füßen landete. Soviel zu einem denn doch recht rücksichtsvollen Korb. 

 

"Der hat ausgedient!”, stellte Martina so sehr zutreffend und ebenso ungerührt fest.

„Stimmt!“

Missmutig erklommen wir Etage nach Etage und schlurften pustend in Katharinas Wohnung. Eine kurze Verschnaufpause und danach bauten wir Omas Bett ab und ihres dafür auf.

„Ich will nämlich Probe schlafen!“

Zwei Stunden später beim Abschied war es dem Papa, Martina, Katharina und mir ziemlich eigenartig zumute:

„Wenn irgendetwas sein sollte, ruf an!“

„Hm!“, nickte sie.

 

Mit Wehmut im Herzen verzogen wir uns und düsten nachhause, wo ich dann wie auf glühenden Kohlen saß und alle paar Minuten mütterliche Bedenken wegen Katharinas vielleicht möglichen Unwohlbefindens äußerte.

„Mamaa!! Stell` dich nicht so an!“

„Ja, aber, falls doch ... !“

„Quatsch!“

Wegen ´Quatsch` aus dem Munde von Zwillingsschwester Martina nannte ich mich selber eine ´blöde Kuh`, riss mich am Riemen und redete dann den Rest des Tages ausschließlich in

sehr gewählten Worten ausgesprochen vernünftig, was Martina hoch zufrieden folgendermaßen quittierte:

„Endlich biste wieder normal!“

Abends lag ich grübelnd im Bett:

„Martina hat Recht! Ist ja alles in bester Ordnung!“

Bei diesem beruhigenden Gedanken schlief ich endlich ruhig ein. Aber:

´Irren ist menschlich.`

Wie sehr dann jener Spruch in dieser Nacht ins Schwarze treffen würde, ahnte ich ahnungsloses Etwas zum Glück noch nicht.

 

 

Katharina atmete auf:

„Immerhin haben sie nicht geheult!“

Sie marschierte von einem Zimmer ins nächste, bewunderte in dem einen die Pappkartons, in dem nächsten die wild verstreuten Handwerksutensilien, dann stolz ihr halb eingerichtetes Schlafzimmer und landete schließlich im Wohnzimmer:

„Morgen müssen aber Omas Möbel raus!“

Ihr Blick streifte nochmals den kleinen Couchtisch mit dem darauf stehenden Porzellan:

„Komisch!“

Die für sie typische Trägheit in solchen Dingen hinderte sie daran, jenes vielleicht weg zu räumen. Sie gähnte herzhaft, verschwand ins Bad, kehrte im Nachthemd zurück, kroch ins Bett und war sofort eingeschlafen.

 

Stunde um Stunde verging, Katharina träumte selig: Sie stand in ihrem Wohnzimmer, schnippte mit den Fingern wie dazumal Mary Poppins, im nächsten Moment verließen Omas Möbel den Raum auf einem denn sehr direktem Wege, nämlich durch das Fenster und flogen, wie Kati es staunend mit verfolgen konnte, unaufhaltsam in Richtung des Mars.

„Die Marsmännchen werden sich freuen!“

Oma besaß nämlich sehr schöne Möbel.

Katharina schnippte ein zweites Mal. Plötzlich standen ihr Schreibtisch, ihr Kleiderschrank, die Regale, die Cd-Vitrine, der Nachttisch plus Leuchte und den darauf ordentlich nebeneinander liegenden, geliebten Handy-Zwillingen vor ihr. sie nickte mit dem Kopf und sofort schoben sich all jene genau dorthin an die Wände, wo Katharina sie stehen sehen wollte.

„Sieht klasse aus!“

Schon mutiger geworden, schnippte sie sehr nachdrücklich ein drittes Mal mit dem Finger. Aus allen Ecken der Wohnung rutschten laut rumpelnd ganze Pappkartonberge auf sie zu, bremsten knapp vor ihr, stellten sich wie Soldaten in Reihen vor ihr auf und harrten offensichtlich weiterer Befehle:

„Was, wie, wohin?“

„Karton 1-5 ins Schlafzimmer, auspacken und der Inhalt in den Kleiderschrank und auf die Regale. Aber ordentlich!“. forderte Katharina, die daheim mit Vorliebe unordentlich gewesen war.

„Karton 6 - 12 fix ins Wohnzimmer: Cds aufs Regal, Schmuckkasten in die Kommode und Besteck sowie Porzellan in die Vitrine!“

 

Ebenso zackig wie die besagten Soldaten drehten die Kartons ab und verschwanden in die befohlene Richtung. Kurz darauf hörte unsere Tochter es kurz klappern und klimpern, dann war es still. Generalin Katharina eilte in die verschiedenen Zimmer, um den Armee-Pappkarton-Gehorsam zu kontrollieren und war des Lobes voll:

„Gut gemacht!“

Und befahl:

„Achtung: Flach zusammen klappen!“

„Jawohl, Frau General!“, antworteten die Klappdeckel im Chor.

Eine Minute später lagen sie aufeinander gestapelt platt in der Diele neben der Eingangstür. Unsere Tochter wunderte sich nun ja doch, allerdings allein hierüber, dass sie sich kein bisschen über all dies ver-rückte Geschehen wunderte:

„Komisch!“

Dass sie in dieser Nacht noch viel öfter ´komischen` sollte, ahnte sie noch ebenso wenig wie ich daheim, dass dies dann als überhaupt nicht komisch anzusehen sein würde.

 Wieder einmal erschien es Katharina als zu mühsam, jene Dinger endgültig zu entsorgen.

„Mach` ich morgen!“

Sie wankte ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf.

 

Es schellte Sturm, mehrmals hintereinander und zwar dermaßen aufdringlich, dass Katharina in ihrem Bett in die Kerzengerade schoss.

„Was soll das denn?“

Verdrossen und zudem noch ausgesprochen schlaftrunken schaute sie auf den Wecker:

„Hääh? - Ich werd` bekloppt: Punkt Mitternacht!“

Schlagartig war sie überhaupt nicht mehr benommen, sondern hellwach und Panik ergriff sie.

„Einbrecher! - Nee, die würden nicht klingeln!!“, sagte sie sich und gedachte ihrer Restfamilie.

„Mama und Papa hätten vorher angerufen, wenn was passiert wäre!“

 

Währenddessen schellte es unentwegt weiter. Notgedrungen krebste Katharina zur Tür.

„Wer ist denn dort?“

Auf der anderen Seite der Tür herrschte für einen Moment lang eine unheilverkündende Stille. Danach aber dröhnte es ihr beleidigt entgegen:

„Na gut, wenn du nicht öffnest, dann eben anders!“

Einen kurzen Moment später drohte Katharina in Ohnmacht zu fallen, denn neben ihr stand plötzlich eine Gestalt mit einem kalkweißen Gesicht, einer Stimme wie aus einem Grab und eingehüllt in ein wallendes, ebenso weißes Leinengewand. Kreidebleich und keines Wortes mehr fähig stierte unsere Tochter aus entsetzensgeweiteten Augen und offenem Mund ihr Gegenüber an.

´Jetzt bin ich endgültig verrückt geworden!`, dachte sie.

„Ist das etwa eine Art, deine Oma zu begrüßen?“, versetzte die Gestalt und huschte an ihr vorbei zielsicher ins Wohnzimmer.

 

Inzwischen hatte sich Katharina wieder notdürftig berappelt, ihr logisches Denkvermögen zurück sowie gleichfalls die Fähigkeit, sich verbal wenigstens stotternd äußern zu können:

„A... Aber, du bist doch tot!“, flüsterte sie mit gebrochener Stimme, während sie ihre für einen Bewohner des Jenseits ungewöhnlich untote, weil ausgesprochen lebendig um den Wohnzimmertisch herum wuselnde Großmutter beobachtete.

„Papperlapapp!“, war die ungerührte Antwort und dann:

„Wir müssen uns beeilen. Gleich werden sie hier sein!“

„Be...Beeilen?“, schnappte Katharina nach Luft, „Wieso das denn? - Und ´sie`? Kommen etwa noch welche?“

Fassungslos schaute sie Oma zu, die gerade resolut die Kaffeetassen vom Couchtisch nahm und sie zurück in den Vitrine stellte.

„Also, nein, wie altmodisch! Höchste Zeit, dass ich dein Stilgefühl auf Vordermann bringe!“

 

Katharina wollte eigentlich entgegnen, dass es sich bei den angefeindetem Porzellan eindeutig um Omas eigene Kaffeetassen handelte, jedoch hatte es ihr genauso eindeutig ein weiteres Mal die Sprache verschlagen. Wie neben sich stehend, schaute sie zu, wie Oma, lautlos durch den Raum schwebend, mit einem denn wahrlich ungeheuer sicherem Gespür für den guten Geschmack den Tisch in eine Mini-Tafel verwandelte.

 

´Komisch! Das hätte ich Oma nie zugetraut!`

Allerdings traute sie dann ihren Augen beinahe genauso wenig, denn, der Anblick dessen, was sich dort so dermaßen stilsicher präsentierte, verschlug ihr den Atem.

Sechs Kaffeegedecke schmückten den kleinen Tisch und weil der denn extrem klein war, mussten sich die Tassen mit einem dann doch recht ungewöhnlichen Platz zufrieden geben. Sie passten nämlich nicht mehr drauf und schwebten unbekümmert, eine jede rechts vom Teller, neben jenem in der Luft.

„Himmel!“, meinte Katharina.

Ja, der hatte unbezweifelbar seine Hand mit im Spiel, wie es sich dann noch unbezweifelbarer eindrücklich zeigte, denn nun kam der Clou:

 

Mit einem vor Eifer leuchtenden Gesicht beschrieb Oma mit der rechten Hand einen eleganten Kreis über jeder Tasse und genauso über jedem Teller. Gespannt verfolgte Katharina jenes Ritual. Die verschnörkelten Tassen und Teller verfärbten sich grell blau mit weißen Tupfen und darauf lächelten winzige Putten in Grellpink und Neongrün mit zum imaginären Himmel gewandten Blick holdselig den Betrachter an.

´Ob es den Neongrünen bei ihrem eigenen Anblick neongrün vor Augen geworden ist?`, grübelte Katharina.

„Na, da staunst du, ja? Echt cool, nüch?“

„Abaa Oma, wie redest du bloß?“

„Man muss mit der Zeit gehen, Kind!“, antwortete Oma selbstbewusst und setzte dann ihrem Werk die absolute I-Tupfen-Krone auf.

 

Kritisch musterte sie nochmals den Tisch, dann schnippte sie entschlossen mit den Fingern. Zunächst erkannte Katharina nur ein schwaches Licht, aus dem sich langsam Ringe formten, die sofort lautlos den ihnen offensichtlich vorbestimmten Platz ansteuerten, dabei immer intensiver leuchteten und schließlich gelbgold blitzend schaukelnd über den Tassen und Tellern schwebten.

„Ach du meine Güte: Heiligenscheine!! - Komisch, den für sich selber hat se wohl vergessen!“

Wegen der Vielzahl der unirdisch/überirdischen Vorkommnisse in dieser Nacht verkraftete Katharina das Ganze bereits ein kleines bisschen gelassener. Über Tassen wackelnde Heiligenscheine vermochten sie jedenfalls mittlerweile nicht mehr allzu sehr aus der Ruhe zu bringen.

 

Oma beschäftigten eindeutig total andere Sorgen, denn sie erwartete vierfachen Besuch.

„Schnell, Katharina, die Pizzatorte!“

„P...Pizzatorte?“, wiederholte Katharina ein wenig ungläubig und war kurz davor, endgültig vom Glauben abzufallen.

„Natürlich. In fünf Minuten haben wir Gäste!“

„Wo willste denn so fix ´ne Torte her nehmen?“, gab Katharina zu bedenken.

„Null Problemo! Backen, was denn sonst!“

Oma beeindruckte Katharinas Bemerkung kein bisschen. Sie griff in die Luft und hielt eine Tüte Mehl in der Hand, stellte sie auf den Tisch und fasste nochmals ins Leere. Diesmal waren es eine Packung Tomaten als auch mehrere Gewürzdosen, dann folgten Eier, Käse und noch wie die Vögel im Schwarm hintereinander her fliegende Salamischeiben. Bei jenem Anblick verflüchtigte sich Katharinas Gelassenheit wie im Fluge.

„U...Und n...nun?“, stotterte sie schwach.

„Ganz einfach!“, meinte Oma resolut, kippte das Mehl und sämtliche übrigen Zutaten zusammen, vergaß dabei mitnichten die Gewürzdosen, was ihre Enkelin wiederum in extreme Zweifel stürzte, vor allem letztendlich den eigenen, inzwischen ziemlich angegriffenen Geisteszustand betreffend.

„Irre!“, murmelte sie. „Entweder ´es` oder gar ich!“

„Oma!“, mahnte sie als liebevolles Enkelkind sich krampfhaft zusammenreißend ihre wild den Teig rührende Ahnin: „Die Gewürzdosen ... Und zudem sind die Deckel noch drauf!“

Aber da verkannte sie ihre Oma total. Die mengte ungerührt weiter:

„Hach, ihr jungen Dinger von heute habt wirklich überhaupt keine Ahnung! Gewürzdosen und gar ohne Deckel, tz, tz. Jeder gute Bäcker weiß, dass vor allem die mit Deckel dem Teig den peppigen Pfiff geben!“

 

Katharina blieben für ein paar Sekunden sowohl die Spuke als auch die Sprache weg. Geplättet sah sie der emsigen Bäckerin zu, die sich die Arbeit allerdings gänzlich unemsig immens erleichterte und dieselbe per kurzem Kopfnicken erledigte. Vor Katharinas Augen wuchs die Torte zu einem nicht allein makellos runden, sondern zudem mindestens dreißig Zentimeter hohen Gebilde.

„Oma, die passt doch gar nicht ... Ich mein`, der Backofen ist doch viel zu klein dafür!“

„Papperlapapp!“, hörte sie daraufhin bereits zum zweiten Male in dieser des Gedenkens ausgesprochen würdigen, merkwürdigen Nacht.

Und zum mindestens ebenso vielen Male sah Katharina dann ein, dass es wohl nichts gab, was es nicht gab. Oma klatschte nämlich in die Hände, die Torte begab sich in ruhigem Fluge auf die Reise in Richtung der sich bereits hilfsbereit von alleine öffnenden Backofentür, schlüpfte ohne Schwierigkeiten hinein und stellte sich, wie es sich für solcherlei Gebäck schickte, selber auf das passende Blech.

 

„So, und nun fix!“, forderte Oma.

´Jetzt ist es wirklich soweit. Ich hab sie nicht mehr alle!`, dachte Katharina.

Soldaten schreien auf einen Befehl ihres Kommandanten hin wie aus der Pistole geschossen:

„Jawohl, Herr General!“

Dies war zwar der Torte nicht gegeben, aber sie befolgte die militärischen Anstandsregeln dann auf eine für einen Kuchen denn höchst ungewöhnliche Weise: Aus ihren großen Tomaten unter den grünen Gewürzbrauen blinzelte sie Oma respektvoll an und kniff ihrer Vorgesetzten doch tatsächlich ein Auge zu.

„Brav!“, lobte Oma.

Katharina sagte gar nichts dazu.

Nach einer knappen Minute meldete sich die Backofentür:

„Torte fertig. Raus holen, sonst verbrennt sie!“

`Hääh?“, dachte unsere Tochter. „Sind wir bei Frau Holle gelandet?`

Schon eilte Oma in ihrem wallenden Leinentuch-Nachtpolter heran, befreite die Torte aus deren sprechender Sonnenbank, ließ sie sanft auf eine über und über mit Engelsköpfen verzierte Glasplatte gleiten, die dann vorsichtig mitten auf die Kaffeetafel schwebte.

„Na, meine Freundinnen werden staunen!“

 

Wer jetzt bereits hingerissen auf den Kuchen starrte, war ihre Enkelin.

„Mensch, Oma! Die sieht ja toll aus!“

Oma freute sich zwar, jedoch:

„Das ´Mensch` möchte ich aber nicht gehört haben. Jenes Stadium habe ich längst hinter mir!“

„Tschuldigung!“, stotterte Katharina, vermochte sich aber vor Verblüffung noch nicht einmal zu schämen.

Oma hatte Katharinas Faux Pas bereits wieder vergessen, blickte die Torte schwärmerisch an und meinte:

„So, alles fertig. Wo bleiben die Anderen denn bloß?“

 

Oma hatte es noch kaum ausgesprochen, da gluckste und kicherte es im Zimmer.

„Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige. Aber die sind ja bloß Geister!“, murmelte sie bereits leicht gestresst.

Dass sie auch zu eben jenen zählte, verdrängte sie da tunlichst.

Anscheinend hatten ihre Gäste diese Bemerkung sehr wohl mit bekommen, denn binnen einer Sekunde standen vier Gestalten an der Türe, ebenfalls leichenblass, gleichfalls in blendend weißes Leinen gekleidet und jede mit einem blitzenden Heiligenschein versehen.

Der einzige Unterschied zu Omas kalkigen Ton- in-Ton-Outfit waren deren verschieden farbige Schärpen um die kaum erahnbaren Taillen. Gleich Oma gehörten die Vier eindeutig der uralten und eher rundlichen Geistergeneration an.

 

Ihr Anblick versöhnte Oma wieder. Es folgte eine begeisterte Kicher-glucks-und-säusel-Begrüßung, die Katharina allerdings weitaus weniger begeisterte. Im Gegenteil ging ihr jenes Gezirpe mächtig auf die Nerven und sie verdrehte die Augen.

„Amalie, Esmaralda, Tusnelda, Minna - wie schön, dass ihr da seid!“

Oma verteilte Küsschen hier und Küsschen dort.

„Prächtig seht ihr aus. Toter geht’s nimmer!“

Die vier Freundinnen nickten geschmeichelt.

„Und du erst, Otilie!“

Otilie hieß Katharinas Oma.

„Und dies hier ist meine Enkelin Katharina!“, sagte Oma stolz.

„Oh, wie reizend! Man sieht gleich die Ähnlichkeit!“

´Die brauchen ne Brille! - Außerdem, Wenn ich so weiß wäre wie die, dann ...!`, dachte Katharina pikiert, wovon sie sich aber gut erzogen nichts anmerken ließ.

 

„Wir haben dir etwas mitgebracht!“, verriet Amalie und zog ein Päckchen aus ihrer Tasche.

„Du hast bestimmt schon danach gesucht!“, setzten die anderen Drei hinzu.

„Her damit!“, forderte Oma vor Neugierde so ganz undamenhaft und jubelte prompt:

„Gibt’s ja gar nicht!“

In der Hand hielt sie ihren schon so lange schmerzlich vermissten Heiligenschein.

„Ja“, erklärte Esmaralda, „Der war so´n bisschen angedunkelt. Da haben wir uns gedacht: Den bringen wir erst zur Überholung und hinterher zum Heiligenschein-Tüv.“

„Den hat er übrigens mit Bravour überstanden!“, ergänzte Tusnelda.

„Oma ...?“, mischte sich Katharina ein. „Wieso angedunkelt?“

Sichtlich verlegen, druckste Oma Otilie ein wenig herum:

„Ja, also, ich hab` vor einiger Zeit mal die Geister-Ausgangssperre missachtet, deshalb!“

„Ach, nee!“, entfuhr es unserer Tochter.

Um von der Peinlichkeit jenes Geständnisses abzulenken und von ihrem Oma-Vorbild-Image zu retten, was vielleicht noch zu retten war, griff sich jene das nun weithin strahlende Etwas und beförderte es an seinen angestammten Platz. Die Geisterehre war wieder hergestellt.

 

Blendender Laune pflanzte sie sich dann zwischen ihre Freundinnen an die Kaffeetafel.

„Otilie, meine Güte, wie hübsch gedeckt!“, entzückte sich Amalie.

„Dieser reizende Heiligenschein über der Tasse passt wirklich umwerfend zu meinem eigenen!“, freute sich Minna lautstark, die normalerweise die Stillste der Vier war.

„Und erst die Torte, meine Liebe! Köstlich!“

Katharina staunte Bauklötze. Der Appetit jener Geisteromarunde war wirklich beachtlich. Das bewundernswerte Ergebnis der himmlischen großmütterlichen Backkunst verschwand in Nullkommanix.

„Otilie, der Kuchen, schmatz!“

„Und diese knackigen Gewürzdosennüsse. Ich könnt` mich ja tot daran futtern!“, schwärmte Minna.

„Brauchste nicht, bist ja schon tot!“

Die Runde prustete los. Dann tauschten Amalie, Tusnelda, Esmaralda, Minna und Oma den neuesten Himmelstratsch aus und fanden dabei kein Ende.

 

In einer kurzen Schnatter-Atempause erinnerte sich Oma Otilie des Grundes ihrer nächtlichen Zusammenkunft:

„Kinder, schon halb eins! Los, jetzt wird gearbeitet!“

„Wie??“, fragte unsere Tochter.

„Mach` dir keine Sorgen, Kind! Deine Wohnung wird himmlisch werden!“

Die himmlische Truppe ließ Katharina einfach stehen, Amalie verschwand in die Küche, Esmeralda, Tusnelda, Minna samt Oma huschten ins Wohnzimmer. Katharinas Verstand geriet arg in Panik, denn sowohl aus der Küche und noch mehr aus dem Wohnzimmer schepperte und klirrte es fürchterlich.

„Oma, was soll das?“

„Kind, aufräumen und vernünftig sortieren. Dies Chaos auf deinem CD-Regal. Tz, tz!“

Katharina flitzte ins Wohnzimmer. Die meisten ihrer CDs stapelten sich in einem irren Wirrwarr auf dem Boden. In den Fächern aber waren Himmelschor- sowie Trompetenkonzert-CDs ordentlich aufgereiht und zwischen je zehn von denen standen kitschige Engelsfiguren oder lagen Heiligenbilder.

 

„Hiilfe!“, japste unsere Tochter.

„Sind wir ja bereits dabei!“, tröstete Oma.

„Und gleich schon fertig!“, erklärte Esmaralda.

Währenddessen widmete sich Tusnelda einigen Umräumarbeiten in den diversen Schubläden, was Katharina endgültig rasend machte:

„Was fällt euch denn ein? Dies ist meine Wohnung!“

„Du wirst uns noch dankbar dafür sein!“, belehrte diese sie. „Übrigens hat Amalie soeben deine Küche auf Vordermann gebracht.“

„Abaa ...“, wandte Katharina wütend ein.

„Nix aber!“, war Omas resolute Antwort, die sich dann ihre Enkelin schnappte und sie mindestens ebenso resolut gen Schlafzimmer zog.

Dabei murmelte sie ein paar geheimnisvolle Worte vor sich hin. So richtig konnte Katharina es nicht verstehen, aber es klang fast ähnlich wie:

„Hex, hex, Kartoffelbrei!“

„Alles Quatsch! Oma ist nicht die kleine Hexe und Walpurgisnacht haben wir auch nicht!“

Soviel jedenfalls war Katharina in all dem Unklaren noch klar - immerhin.

 

„Na, cool, nüch?”

Mit dem Schlimmsten rechnend, schaute unsere Tochter vorsichtig im Schlafzimmer umher. Die Nippes, die sie in allen Ecken entdeckte, regten sie schon nicht mehr auf, auch nicht die Bettwäsche, obwohl ... Oma hatte gründliche Arbeit geleistet und die Sting-Bezüge gegen wahrlich extra aparte Ausgaben ausgetauscht. Sowohl auf dem Kopfkissen als auch auf der Decke prangte ein Gruppenbild mit dann selbstverständlich nicht allein einer Dame, sondern gleich vieren davon.

 

Katharina vermochte es noch nicht einmal zu besänftigen, dass vor allem ihre Oma darauf ausgesprochen gut getroffen war. Gerade wollte sie los meckern, als sie auf das riesige Sting-Plakat über ihrem Bett schaute. Ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf.

Alle vier Ecken des Bildes schmückten Kerzen tragende Engel.

´Ach, du meine Güte!`, dachte sie dazu.

Was sie aber denn tatsächlich umhaute, war Stings Outfit. Auf seinem Gesicht lag ein seliges Lächeln, das hervorragend zu dem riesigen Heiligenschein über seinem Kopf passte.

„Wow!!“

Katharina landete prompt im sechsten Sting-Himmel.

„Super, nüch!?“

„Ach, Oma, einfach himmlisch!!“

Katharina konnte ihren Blick überhaupt nicht abwenden und kurz darauf fiel ihr dummerweise etwas auf: Stings Heiligenschein leuchtete gleich Omas zuvor nur schwach. Prompt beschwerte sie sich:

„Wieso das denn??!“

„Man darf es wirklich nicht übertreiben!!“

Katharinas Verehrung für ihre Oma erlitt einen nicht unerheblichen Knacks.

 

Von der Kirchturmuhr schlug es ein Uhr.

„Schnell, wir müssen zurück!“, drängte Oma.

Die fünf Freundinnen rafften rasch ihre Gewänder, kontrollierten nochmals den ordnungsgemäßen Sitz der Heiligenscheine und strichen Katharina zum Abschied liebevoll übers Haar, zuletzt dann Oma.

„Den Rest erledigen wir noch!“, meinte sie fröhlich.

„Soll das etwa heißen, dass ihr morgen ....?“, forschte Katharina nach.

Oma überhörte es einfach.

„Tschüss Kind und grüß` zuhause!“

Und schon war die himmlische Truppe verschwunden.

 

Völlig benommen torkelte Katharina ins Bett, erinnerte sich an ´Wenn was ist, ruf an!` und griff zum Telefon:

„Mama, Oma war gerade hier. Ich soll euch grüßen ... !“    

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.05.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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