Hella Schümann

Der Geist in meinem Haus

 

 Ich kenne Geister nur aus Filmen und dachte immer: Geister gibt es nicht im richtigen Leben.

Nun verstehe ich erst die Entstehung eines solchen Filmes, denn es gibt ihn wirklich, den

Geist in meinem Haus.

Schon als ich Kind war stand er da, hob die Hand und sagte: „Bleib klein, du bist ein Nichts“,

und ich duckte mich eine kleine Weile. Nun, ich war ein Kind und Kinder wachsen nun mal.

Je älter ich wurde umso stärker bedrohte er mich. Er tat mir körperlich und seelisch weh.

Viele Jahre vergingen und mein Rückgrad krümmte sich. Immerhin wurde ich ein wenig kleiner.

Übermächtig trat er mir gegenüber, er machte mir Angst. Er nahm mir alle Rechte. Manchmal

hielt ich den Atem an und schloss die Augen: Ich stellte mich tot. Vielleicht war er fort, wenn

ich wieder zu leben anfing. – Es war umsonst. Er warf die Liebe fort, die mir zustand und ich

konnte mich nicht mehr rühren. Hölzern ging ich den Weg, den er mir zuwies. Ich war allein

mit dem Geist in meinem Haus. Hatte ich einebesondere Idee dann sagte er: „Lass das, du

bist dumm, da wird nichts draus.“

Einmal verließ ich seinen Weg, da gab er mir einen Rucksack und setzte sich hinein. Ich

schleppte ihn mit mir herum und die Last erdrückte mich fast.

Langsam wurde ich erwachsen, was konnte ich dafür? „Du hast kein Recht erwachsen zu

werden“, sagte er, „man wird nicht so einfach erwachsen, man muss es sich verdienen und

du hast kein Recht darauf.“ Da machte ich mir heimlich Gedanken. Warum hatte ich kein

Recht darauf? Als der Geist meine Gedanken las, stülpte er mir eine schwere Angstdecke

über. Jetzt war ich ein Nichts geworden und der Geist sagte: „Nun bist du richtig und jetzt

wirst du nur noch meinem Willen gehorchen.“ Vielleicht würde mich wenigstens der Geist

lieben, wenn ich ihm gehorchte, dachte ich, vielleicht würde ich die Angst verlieren. Die

Angst blieb, der Geist wollte meine Liebe nicht.

„Du bist unwürdig“, sagte er.Ich befand mich in einem todesähnlichen Zustand, da meldete

sich plötzlich aus meinem Inneren ein anderer Geist. Er rüttelte mich wach. „Schau in dich

hinein“, befahl er mir, „da liegen viele Schätze begraben.“

Ich versperrte mein Haus und fing an, einen Schatz nach dem anderen zu heben. Die Angst

blieb. Je mehr ich mich kennen lernte umso mehr Kraft bekam ich. Je stärker ich wurde 

umso schwächer wurde der Geist, bis schließlich nur noch ein jämmerliches Bild von einem

alten kranken Mann  übrig blieb.

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