Annette Henke

Brückenwurf

Ein Junge auf der Brücke steht, allein - ganz hinten stehn die Gaffer.
Gleich ist's für irgendwen zu spät. Wer? Das obliegt einer Metapher.

Gestern in den letzten News, das Bild vom letzten Brückenfall,
er spielt den Horror-Gedankenblus: Einmal auf Seite 1, das wär ein Knall!

Er weiß genau, das Volk wird's ächten, schwelgt zwischen "tu Ich's, tu Ich's nicht?
Gedanken fangen an zu fechten und aus der Ferne kommt ein Licht.

Jetzt tu ich's, denkt er - beugt sich über. Das Licht es steht schon knapp vor Augen.
"Ach nein", denkt er, "ich lass es lieber, wem soll diese Tat was taugen?

"Feigling" hört er's von Weitem raunen ... , ein zweites Licht ist schon zu sehn.
Was würden all die Gaffer staunen, Sensationsgedanken seinen Kopf verdrehn.

Das zweite Licht fuhr rasch vorbei, 's war ohnehin kein Fahrzeugtyp.
War's dem Bub grad noch einerlei, spekuliert er jetzt mit einem Autodieb.

Stoppt ich den Dieb, wär ich der Held und hält sich denkend am Geländer fest;
ein Dieb, ein Krimineller ohne Geld. Ich spuck erstmal nur so zum Test.

Und Lichter fahren schnell und schneller unter der Brücke flink vorbei.
die Nacht wird langsam hell und heller, dem Bub ist's nicht mehr einerlei.

Gefasst schaut er dem Ziel entgegen, das nächste Auto soll es sein;
Die Gaffer schauen stumm, ohne sich zu bewegen. Der Bub hebt hoch den Mauerstein.

Ein neues Licht kommt dort vom Horizont, jetzt gleich wird es spontan geschehn.
"Werd so berühmt sein wie James Bond" - plötzlich ein Schrei, die Lichter bleiben alle stehn.

Der Junge rennt, er kann's kaum glauben. Der Satan hat es wohl getan.
Voller Speichel unterm Gaumen kam er verschwitzt zu Hause an.

Daheim verschliesst er sich im Zimmer, hofft, dass den Stein ein andrer warf;
warnten ihn doch die Eltern immer, dass man sowas niemals darf!

Oh je, die Eltern, was werden sie wohl sagen, wenn sie erfahren, was geschah?
Hoffentlich wird Vater mich nicht schlagen, wenn sie hör'n, dass der eigne Sohn der Werfer war.

Im Radio reden sie von zwei Toten, weil einer Steine von der Brücke warf.
Das ist bei Haftstrafe verboten. Die Allgemeinheit ist auf Rache scharf.

Ich ein Mörder? Ich kann es nicht fassen. Der Stein er fiel wohl von allein.
Die Gaffer haben's doch zugelassen. Ich sag: "Ein andrer warf den Stein!".

Wie er so Realität und Traum vermischte, bemerkte er seine Oma nicht,
die sich Tränen aus den Augen wischte. Kreidebleich war ihr Gesicht.

Ein schriller Ton durchzuckt ihn jetzt. Die Oma schreit fast wie ein Tier.
Was hat die alte Frau verletzt? "Warum weinst du, sag es mir?"

"Ach Junge, Menschen gibt's, das glaubst du nicht; die schmeißen Steine von der Brücke
Ich muss dir jetzt was sagen, das dein Herz zerbricht. In unserer Familie klafft nun eine Lücke.

Deine Eltern wollten doch morgen aus dem Urlaub wiederkommen.
Ach Junge, nun haben wir große Sorgen. Ich bin noch immer ganz benommen."

Dem ersten Schreck folgt stumme Stille ... Mum und Dad, die kommen doch erst morgen.
"Warum schluckst du die Beruhigungspille, warum haben wir jetzt große Sorgen?"

"Ach Bub, ich wünscht es wäre nur ein Traum.Wenn ich an den Werfer denke, seh ich Rot.
... Deine Eltern wollten eher nach Hause ... , deine Eltern, sie sind tot."

 



 

 



 

 

 



 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.05.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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