Klaus-D. Heid

Das verdorbene Spiel

Das verdorbene Spiel

Was ist ein Geschenk, wenn es nicht, hübsch verpackt und mit Schleifchen versehen, auf den Beschenkten wartet? Wie unangenehm ist der Gedanke, dass künftig auf jede Verpackung verzichtet wird, die dazu reizt, den Inhalt kennen zu lernen? Wo bleibt die Vorfreude? Wo bleibt die Erwartung auf das Unbekannte? Wird nicht das Überraschungsmoment zu einem trockenen nüchternen „Danke für das Paar Socken. Ich gehe schon mal nach oben und verstaue sie bei den anderen Socken...!“

Mit Verpackung jedoch wünscht man sich von Jahr zu Jahr, dass es sich diesmal bitte NICHT um Socken handeln möge. Der Karton ist etwas größer als sonst. Vielleicht sind’s ja diesmal doch die sehnsüchtig erwarteten Schlittschuhe oder die so sehr erhofften PC-Spiele?

Das Spiel macht keinen Spaß, wenn der Spaß der Verpackung fehlt. Wenn man die Verpackung anschließend auch achtlos in den Müll wirft, so ist sie doch ein unverzichtbarer Bestandteil jedes Geschenks.

Was wäre Weihnachten ohne Verpackung?

Was wäre die Verpackung ohne Weihnachten?

Ich finde, dass Weihnachten ohne Verpackung sinn- und nutzlos ist. Ich finde zwar, dass Weihnachten überhaupt sinn- und nutzlos ist – aber ohne Verpackung verliert dieses Geschenkfest auch noch seinen allerletzten Unterhaltungswert.

Und umgekehrt?

Verpackung ohne Weihnachten? Kein Problem! Gelegenheiten, sich liebevoll (oder auch weniger liebevoll) zu beschenken, gibt’s reichlich. Da sind beispielsweise alle Liebesbeweise männlicher und weiblicher Zuneigung. Da sind die ganz spontanen ‚Kleinigkeiten’, die man sich schenkt, weil einem einfach danach ist. Da sind auch Anlässe wie Geburten, Hochzeiten oder bestandene Fahrschulprüfungen. Da sind auch alle Anlässe, die keinen Anlass brauchen, um sich etwas zu schenken. Wie wäre es mit einem hübsch verpackten Geschenk, weil der Sohn endlich nach reichlich Sechsern in Mathe eine stolze Drei produziert hat? Oder wie ist’s mit einem Geschenk für das Töchterchen, weil sie sich endlich von diesem Idioten getrennt hat, der Ihnen ohnehin furchtbar unsympathisch war?

Es gibt so viele Anlässe, um sich zu beschenken...

Bitte denken Sie sich einmal alle Verpackungen weg, die zu Weihnachten benutzt werden. Was bleibt? Bleibt überhaupt etwas? Bleibt vielleicht nur das Nachdenken über den Sinn eines kommerzbetonten Shopping-Days, dessen Automatismus unangenehme Dinge wie Geschenkumtausch beinhaltet?

Und Weihnachten selbst?

Stellen Sie sich Weihnachten einmal als riesiges Geschenk vor. Die Verpackung besteht aus wunderschönen Lichtern, Kerzen, Lebkuchen, Zimtgerüchen, Tannenbäumen und Lametta. Vielleicht noch ein bisschen besinnliche Musik im Hintergrund? Gebratene Mandeln? Goldene und silberne Schleifchen? Hübsche Glöckchen und pauswangige Engelchen?

Alles weg?

Was bleibt vom Fest der Liebe? Die Liebe? Oder wird – ganz plötzlich das Geschenk Weihnachten zu einem durchschaubaren sinnlosen Präsent, das schnell im Schrank verstaut wird, weil man ja schon ein paar tausend Weihnachten eingelagert hat?

Das Geschenk Weihnachten ist ein verdorbenes Geschenk. Sein Reiz ist die Verpackung. Seine Anziehungskraft ist das leuchtende Papier, das es umgibt. Fehlt die Verpackung und fehlt das Papier drum herum, will plötzlich niemand damit spielen.

Socken kann man wenigstens anziehen. Aber was macht man mit einem Weihnachten, das seinen Reiz verloren hat? Man wirft es in die Tonne. Man tut mit ihm, was man mit Allem tut, das verdorben ist und freut sich stattdessen auf die Liebe,

die auch ganz ohne Verpackung

existieren kann.

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