Achim Müller

Piesel -Maus

Heute spät abends habe ich den Armin heulend im Waschraum gefunden. Er hat unter dem Waschbecken auf den Fliesen gesessen und war am weinen. “Na du, warum bist du nicht in deinem Bett?“ “Die ham mich rausgeekelt.“ Wer ist “die“? Na die anderen, auf meinem Zimmer. “Die haben mich geärgert, Eisbein gehauen und dumm angemacht“.
Armin ist 9 Jahre alt, und schläft hier im Heim mit 2 anderen 10 jährigen Jungen in einem Zimmer. Warum haben die dich den angegriffen? Bist du denen doof gekommen? Nein, wegen dem “ins Bett machen“ und wegen der Piesel-Maus. Armin macht obwohl er schon 9 Jahre alt ist, immer noch ins Bett. Deswegen ärgern ihn die anderen aus der Gruppe oft. Außerdem hat er nachts immer Pampers an.
“Was für eine Maus?“ Er zeigte mir, oben an seinem Schlafanzug, am Kragen in der Nähe seiner Schulter war eine Maus angeklammert. “Was soll das denn?“, fragte ich ihn.
“Das ist eine Pisel-Maus, wenn ich nachts in die Hose pisse, piepst die, und ich werde wach“. “Dann kann ich aufs Klo gehen.“ erklärte er mir. “Wie soll das gehen?“ fragte ich ihn.
“Na da geht ein Kabel unter dem Schlafanzug in die Pampers, und da ist nen Pipifühler dran, wenn der nass wird, piept die Maus, das sind Batterien drin.“ “Wenn die piepst, wache ich auf, und drücke auf den Aus-Knopf, dann kann ich aufs Klo gehen.“ “Wo haste das Teil her?“ frage ich. “Vom Doktor und vom Psycho, die haben mir das verschrieben“, sagte Armin.
Na ja, ich versuche den Armin zu trösten, und ihn zu bewegen, in sein Bett zu gehen. In seinem Zimmer sind die anderen beiden noch wach. “Wenn der reinkommt, bekommt er auf die Fresse!“ erklärt einer deiner Zimmergenossen. “Warum das?“ frage ich. “Weil der läpsch ist.“ bekam ich zu hören. Armin wich zurück. Ich hatte mir seine Bettdecke geschnappt und bin mit Ihm aus dem Zimmer gegangen.
“Dann komm mit zu uns.“ bot ich dem Armin an.
In unserem Zimmer sind wir zu zweit. Ein Junge, der 14 Jahre alt ist, und ich teilen uns dieses Zimmer.
Ich nahm den Armin mit auf unser Zimmer. Mein Zimmergenosse schlief schon. Nur wohin mit dem Armin? Auf den Boden? Zu ungemütlich. Der Sessel? Zu klein. “Na dann leg dich zu mir ins Bett, aber wehe, du Pisst in mein Bett!“ “Ich hab doch Pampers an.“ Na ja denn, hoffendlich halten die dicht, dachte ich mir.
Armin wickelte sich in seine Bettdecke und legt sich zu mir ins Bett. Die Pisel-Maus hatte er erst seit drei Tagen, hatte er mir erzählt. Als er noch zu Hause bei seinem Vater gewohnt hat, hat der dem immer einen aufgeschnittenen Müllsack und Zeitungspapier unter das Bettlaken gelegt, damit die Matratzen trocken bleiben. Im Heim hat er zuerst ein Gummilaken im Bett gehabt, später hat er dann die Pampers bekommen. Dafür kam das Gummilaken aus seinem Bett. Das mit den Pampers sollte eigentlich sein Geheimnis bleiben. Anfangs hat er die im Zimmer der Erzieherin angezogen. es hat aber nicht lange gedauert, dann wussten es die anderen in seinem Zimmer und dann auch die ganze Gruppe.
Armin ist sehr traurig deswegen, weil er auch immer deswegen gehänselt wurde. Er erzählte mir, das er nun einen Kalender hat, wenn es nachts trocken bleibt, wird eine gelbe Sonne reingeklebt. Wenn er in die Windel gepinkelt hat, wird eine blaue Wolke reingeklebt. Dann kann man sehen, ob es besser wird. Er wird aber so gut wie nie nachts wach, wenn er pinkelt. Deswegen hat er nun die Piesel-Maus bekommen. Wenn er mehr als zwei oder drei Wochen lang hintereinander trocken bleibt, braucht er keine Pampers mehr anzuziehen, das hat man ihm versprochen.
Und dann ist er vom vielen Reden müde geworden und eingeschlafen. Ich habe noch überlegt, was passiert, wenn nun die Maus piepst, und bin dann auch eingeschlafen. Am nächsten Morgen hat mich mein Zimmergenosse geweckt. Was hat du dir denn da für ne Pissnelke zugelegt? fragte er. Ach was, die ham den verhauen, da hab ich den rein gelassen. erwiderte ich. Die Erzieherin hat dann noch angeklopft. Sie hatte von den anderen schon erfahren, das der Armin bei mir ist. Als sie den so in seiner Decke gewickelt in meinem Bett schlafend sah, lächelte Sie nur. Ich hab den dann geweckt. Auf meinen fragenden Blick, meinte er nur “gelbe Sonne“. Mein Zimmergenosse schaute uns fragend an, und ich erwiderte auf seinen Blick, das ist nen “Insider“, unser Geheimnis.
Die Erzieherin hatte wohl schon mit den Jungs im anderen Zimmer gesprochen, die waren jedenfalls friedlich, und haben den Armin wieder ins Zimmer rein gelassen. Da Samstag war, hatten wir keine Schule, und bis zum Nachmittag habe ich den Armin nicht gesehen.
Als ich dann am Computer war, ist er gekommen, und hat mir seinen Kalender gezeigt, und die Anleitungskarte für seine Piesel-Maus. Die hat auch eine Homepage, piesel-piepser.de war die web- Adresse. Ich hab dem Armin dann bei yahoo.de noch eine E-Mail Adresse eingerichtet. Im Heim können unsere Postfächer von den Erziehern ausspioniert werden, deswegen ist eine zweite geheime E-Mail Adresse wichtig. Aber der Armin hat wohl noch zu viele Probleme beim schreiben und lesen, um sich für das Internet zu interessieren. Er würde lieber am Computer spielen. Aber dafür ist mir meine Zeit am Computer zu schade. Die Spiele, die die uns in Heim erlauben sind eh öde. Der Armin war aber wohn sehr froh, das ich ihm in der letzten Nacht geholfen habe. Außerdem habe ich ihm versprochen, das er wenn er Hilfe braucht, immer zu mir kommen kann. Er sitzt neben mir, und schaut zu, wie ich die Geschichte aufschreibe. Aber selber richtig lesen, kann er die nicht. Außerdem kann er nicht verstehen, warum ich freiwillig einen Aufsatz schreibe. Irgendwie ist der Lustig. Ich hab dem gezeigt, wie man seine Rechenaufgaben in wenigen Minuten auf dem Computer schreiben kann. Rechenaufgaben für das 3. Schuljahr sind für mich einfach, der Armin aber bricht sich daran aber einen ab. Jedenfalls braucht er die heute nur vom Computerausdruck abschreiben. Am Montag wird sich dann sein Lehrer wundern.
Also wüsche ich dem Armin für die Zukunft viele “gelbe Sonnen“ am nächsten Morgen.



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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.11.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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