Kerstin Köppel

Die Vögel


 

 

Tschick e diii di e di tschick tschicke tschicke di di di di …

 

Tschick e diii di e di tschick tschicke tschicke di di di di … … …

 

Deutsche Übersetzung

Dieser große Vogel versteht mich einfach nicht. Ich raufe mir die Federn. Deine ollen Haferflocken kannst du ruhig für dich behalten. Wir wollen Sämereien und Insekten. Verstanden? Die Haferflocken schmecken nicht. I gitt!

Ich weiß natürlich, dass die Frau da kein Vogel ist und ihre komischen Flügel, die ganz brauchbar aussehen, Arme heißen. Und meistens gibt es auch wunderbares Essen. Sonnenblumenkerne. Über unseren Menschen will ich also nicht meckern. Wir leben in unseren Apartments ungestört. Eine riesige Haferflockenmasse haben wir jedenfalls auf den Boden geworfen und über unsere gesamte Wohnanlage verteilt. Ich weiß genau, dass der große Vogel früher oder später fegen wird. Und dann gibt es wieder etwas Anständiges zu futtern.

Außerdem arbeitet meine gesamte Familie seit Tagen unermüdlich daran, dieses grüne Netz anzupicken, das über die Front der sogenannten Loggia gespannt ist. Pflanzen sollen daran bis zu 2m ranken und die Sicht versperren, sagte die große Vögelin zu einer anderen.  Soll mir recht sein. Wo Pflanzen klettern, gibt es leckere Insekten. Das Netz ist auch grobmaschig genug, um unsere Einflugschneisen nicht zu stören. Trotzdem reißen wir ein paar Netzbahnen heraus. Wenn man abends nach Hause geflogen kommt und mit den Gedanken ganz woanders ist, kann es leicht passieren, dass man in dieses blöde Gestrüpp von Stricken fliegt. Dann muss man erst wieder zurücksetzen und eine andere Landebahn anpeilen. Das nervt und darum verkleinern wir das Netz. Eine wirklich schweißtreibende Angelegenheit. Ich meine, ein Gutes hat dieses Ding schon. Es hält Katzen oder Flugkörper fern. Und die fetten Tauben.

Pieps- mich, komm ganz schnell zu mir. Der Mensch hockt wieder auf seinem „dicken Ast“ und hält sich große Papierfetzen vor das Gesicht. Beklopptes Volk!

 

 

 

Tschick e diii di e di tschick tschicke tschicke di di di di…

Seit Tagen beobachte ich eine bestimmte Meise auf meiner Loggia. Ich verstehe inzwischen etwas „kohlmeisisch“ und glaube, jetzt hab ich’s! Die arme Meise krächzt sich noch die Seele aus ihrem kleinen, nur etwas 20g schweren und ca. 14cm langen Körper. Zum Glück habe ich erlesenen Terrariensand im Haus. Nicht das ich mir Reptilien zulegen möchte, nein, ich mische sie mit flüssiger Raufaser und grundiere damit meine Leinwände. Malen möchte ich jetzt nicht.

Nein, ich werde heute ein Vogel Sandbad eröffnen… Aus feiner italienischer Terrakotta Keramik und weißestem Terrariensand!

Die von mir großzügig gestaltete Vogel Schwimmhalle, unter Palmen gelegen, wird zahlreich und dankend besucht. Unklar bleibt mir bis jetzt, warum einige Tiere ihr Futter ins Schwimmbecken werfen und aufgeweicht  „trinken“. Keine Zähne? Ich meine, weicher Schnabel?

 Wenn ich „meine“ Meise richtig verstanden habe, hat ihre Familie und sie jetzt das dringende Bedürfnis nach Abwechslung. Sie wollen ihr Gefieder in feinen weißen Sand, rekeln, wälzen und reinigen. Und, da sich der Sand bei diesen Temperaturen schön warm anfühlt, wünschen sie das ganze Wellnessprogramm mit Massage, gutem Gesang und leckeren, gesunden Häppchen. Fehlt nur noch „das Bedürfnis“ nach kostenloser Krallenpediküre und Federextentionens!

Meine Loggia ist also ein Vogelparadies. Nicht nur. Auch ich begebe mich mitunter unauffällig unter die Vogelschar und beobachte sie. Hinter einer Zeitung „mit Loch“ versteckt, schaue ich zu der immer zahlreicher werdenden Meisenschar, die ihrerseits verstohlen, manchmal strafend zu mir blickt, mit leeren oder sehr neugierigen Augen nicht geizt. Ich glaube, sie sprechen über mich.

Letzten Sonntag, als ich auf der Couch bei weitgeöffneten Loggia Türen döste, flogen zwei Meisen ins Zimmer, sahen sich um und nahmen zwar nichts weiter mit, aber sie wühlten ordentlich in meinem ungekämmten Haar herum. Sie dachten wohl ich sei ein Nest oder Material für eines.

Wenn die Loggia Türen geschlossen sind, untersuchen die Vögel die Glasscheiben. Die Mutigsten und Neugierigsten unten ihnen fliegen die Fenster immer wieder an, aber nicht wie Kamikaze Flieger, nein, sie krachen nie gegen die Scheiben, sondern sie verharren kurz vor ihr und grübeln. Dann drehen sie wieder ab, da sie keine Kolibris sind. Und auch keine Hubschrauber. Überhaupt nicht lange auf der Stelle fliegen können.

Vielleicht ist es ein Glück, dass die Fenster dreckig sind.

Sie beobachten mich ganz offensichtlich. Und nicht nur das! Wiegesagt, seit Tagen hopst ein Piepser ganz aufgeregt auf dem Bambushocker herum und teilt mir mit, dass die Menüauswahl zu wünschen übrig lässt. So meine ich zu verstehen. Darum die ganze Aktion hier! Vogelpool und Sandbad! Wenn ich gründlich gefegt habe, serviere ich „die neue Küche“. Weil das Auge mit isst, kommen die Speisen in italienische Terrakotta Keramik, passend zu den Schwimmbadkacheln. Was hast du gesagt? Ja, verdammt, auch Erdnüsse und Sonnenblumenkerne. Du könntest ja auch eine bisschen deutsch lernen, dann haperte die Kommunikation nicht so. Ach so, du hast kein Zungenbein. Ich weiß, war auch nicht so gemeint.

Die Paridae sind eine artenreiche Familie in der Ordnung der Sperlingsvögel, Passeriformes, Unterordnung Singvögel, Passeri, von denen es 51 verschiedene Arten gibt, die fast überall auf der Welt anzutreffen sind. Bevor die Kohlmeise verstädterte, war sie Waldbewohnerin und auch heute noch leben viele Sippen naturverbunden, „archaisch“, in betörend duftenden Laubwäldern. Wenn es nicht gerade brennt.

In Berlin Weissensee ist, trotz aller gesponserten Nistkästchen  das Wohnungs- und Hotelangebot für Meisen dürftig. Deshalb suchen sich kreative Problemlöser unter ihnen originelle Nistplätze, zum Beispiel in Ampelanlagen, verstopften Regenrinnen oder in Briefkästen. Oder in ausgehöhlten, großen hörnerähnlichen Behausungen auf meiner Loggia, die ich den homeless birds kostenlos zur Verfügung stelle. Das sie kleine Spinnen vernaschen ist mir allerdings sehr recht. Dann brauche ich sie nicht mit dem Staubsauger zu „holen“…

Da Meisen Höhlenbrüter sind, brauchen sie „4 Wände“ zum nisten und schlafen, und ein Einflugloch, dass weder zu groß noch zu klein ist. Schon im Herbst teilen sich die Kohlmeisen die Reviere in ihrem Lebensraum vorläufig ein und leben durchaus friedlich in gemischten Gruppen. Im März legen sie dann ihre endgültigen Brutreviere fest, die meist in der Nähe ihrer Behausungen sind, in denen sie im Winter schlafen. Die winterliche Schlafhöhle des Weibchens wird dann meistens zur Bruthöhle im Frühjahr, in der ein kuschliges Nest aus größtenteils Moos, aber auch aus Wolle und Haaren, angelegt wird. Übersteigt die „Bettennachfrage“ das aktuelle Angebot, legen werdende Kohlmeisenmütter  ihre Eier, einem Kuckuck gleich, in andere Nester. Die Meisenpaare brüten ein bis zweimal im Jahr 5- 10 Eier aus und ziehen ihre Jungen meist gemeinsam auf. Das ist so mühselig wie bei den Menschen. Ich sehe öfters entnervte Meiseneltern auf meiner Loggia, die ihrem schreienden Offspring die Schnäbel stopfen, wobei irritiert, dass der Nachwuchs deutlich größer wirkt als die Alten. Die Kinder tragen noch dicke Daunenjacken, sind aufgeplustert und schlagen unentwegt mit den Flügeln an die Körper, als wenn sie zitterten. Es bedeutet: „HUNGER!!!“  Und wenn Vater und Mutter mit der Fütterung nicht mehr nachkommen, greifen die lieben Kleinen einfach in die Schnäbel der Eltern und kreischen dabei, als gelte es das Leben. Vor Futterneid blind, nehmen sie die reich gedeckten Tische, die sie umgeben, nicht wahr. Wenn die Eltern die Schnauze so richtig voll haben, lassen sie sich scheiden oder fliegen einfach weg und lassen ihre kreischende Brut kurzfristig bei mir zurück. Da mir das Gekreische auch auf den Sender geht, füttere ich die Meisenkinder nicht etwa mit Pinzette und Korn, sondern ignoriere sie aus pädagogischen Gründen. Sehr schnell kapieren sie, dass ich ihnen nichts in die Schnäbel stecke und ändern ihre Taktik kurzum. Sie beleuchten ihre Umgebung gründlich, eben wie Kinder, und beginnen von italienischen Tellern zu essen. Mir in den Mund zu picken, wagen sie dann doch nicht. Außer die Tollkühnen, die zu viel taurinhaltige Nahrung abbekommen haben, die untersuchen schon mal meine Achselhöhlen…

Taurin ist die Dopingquelle der Meisen. Meiseneltern füttern ihre Jungen in einem bestimmten Entwicklungsstadium am liebsten mit Spinnen. Dieses Kraftfutter enthält Taurin, eine Aminosäure, die nicht nur in der Muttermilch enthalten ist, sondern längst auch gezielt in Energiedrinks eingesetzte wird. Die Substanz wirkt leistungssteigernd, blutdrucksenkend, entzündungshemmend und soll sogar Leberschäden durch Alkoholgenuss vermindert.

Nun gibt es keine Studien über Alkoholismus unter Vögeln. Forscher fanden aber mit einer Doppelblindstudie heraus, dass die Meisen die mit taurinhaltiger Nahrung gefüttert wurden, in ihrer Persönlichkeit signifikante Effekte hinsichtlich Gedächtnis und Mut erzielten. Im Gegensatz zu der Meisen Kontrollgruppe, die ein Placebo einnahm.

Alle 5-10 Jahre etwa kommt es zum Anwachsen der Meisenpopulation. Auch Sperber, Katzen und Eichhörnchen schaffen es dann nicht, eine Überbevölkerung der Tiere zu verhindern. Wenn es so weit ist, wandern meistens die Jungvögel in Scharen in andere Teile Europas aus. Wahrscheinlichkeits- und Statistikmathematiker, sowie Chaosforscher untersuchen diese Intervalle und vermuten, dass Änderungen in der Menge der Nahrung, Umweltkatastrophen und anderes Ursachen für die Populationsschwankungen sind.

Was ich früher für aufgeregtes Gezwitscher gehalten habe, ist in Wahrheit ein raffiniertes Warnsystem. Die Meisen blasen zum Angriff und können ihren Artgenossen genaue Informationen über die Gefährlichkeit eines Feindes vermitteln und so eine Verteidigungsstrategie festlegen, wie ich heraus fand.

So ignorieren sie manche Raubtiere, andere wiederum schikanieren sie regelrecht, um den Feind in die Flucht zu schlagen. Sie gehen dann in den Sturzflug und machen eine Menge Krach.

Da ich inzwischen besser kohlmeisisch verstehe, wenn auch kaum sprechen kann,  höre ich im tierischen Warnsystem grundsächlich zwei Arten von Alarm heraus. Siiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiit heißt immer Flucht. Tschick e diiiii lässt zum Angriff antreten. Der Einfallsreichtum von Kohlmeisisch drückt sich durch unterschiedlich viele diiiis aus und erinnert an unser Morsealphabet. Der jeweilige Alarm bestimmt nicht nur ob Meisen flüchten oder angreifen, er legt auch den „Schlachtplan“ fest. Wenn zum Beispiel ein bestimmter „Morsecode“ gepfiffen wird, rotten sich immer mehr Vögel zusammen, Hitchcock lässt grüßen, um mit großem Getöse auf den „Feind“ hinabzustürzen, auch wenn dieser sich als „Untier aus Plastik“ herausstellt und nicht beißt. Sie zeigen dabei durchaus „Persönlichkeit“. Kontaktfreudigkeit, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stärke sind nicht nur menschliche Charaktereigenschaften. Wozu sollte es nur scheue, mutige oder draufgängerische Meisen geben? Es ist wie in einer Fußballmannschaft. Mit elf Stürmern kommt man nicht weit.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

... kannst du bitte eine kurze Meinungsäußerung ablassen? Danke. KerstinKerstin Köppel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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