Bruno Rosetti

Warmbadetag

...ich brachte es einfach nicht unter Kontrolle, in der Schule haben sie mich gehänselt und bis zum 15. Lebensjahr musste ich Windeln tragen. Die Ärzte meinten, es sei psychisch! Mein Vater sagte: Der Junge muss einen feuchten Beruf lernen. Also fing ich, nach der Schule, im Schwimmbad an, zuerst aufpassen im Babybecken. Da konnte ich mich den ganzen Tag mit reinsetzen, brauchte keine Windeln und es war schön warm. Das Schwimmerbecken? Das hatte zu dieser Zeit noch 18°C, jeden Tag... Es schwammen vereinzelt Leute drin rum, ja, aber es waren wenige. Angefangen hat es Mitte der 70er Jahre, da waren die Temperaturen dann 22°C und ab 1980...bekam man einen Vorgeschmack auf die Hölle. Die Wassertemperatur wurde weiter und weiter hochgefahren, 2 Mal in der Woche, auf dann 28°C...übrigens die Haie in der Karibik mögen diese Temperatur auch... ...und sie nannten es...Warmbadetag... (aus: Feuchte Berufe...Harry T. erinnert sich...) Bruno Rosetti in Zusammenarbeit mit dem WDV (Warmduscherverein) präsentiert ein nasses Bild. Sonntag morgen, 9 Uhr, Stadtbad Kasse, ......... Ich schiel nach den Wertfächern, gleich links neben dem Drehkreuz, es sind schon mind. 15 belegt, nicht zu fassen und ich dachte, heute bin ich mal Erster. Die feinen Schweissperlen auf dem Oberlippenbart der Kassiererin zittern, als sie konzentriert meine Ankunft in den PC eingibt. Es ist warm, mindestens 30 Grad schon im Vorraum. Das komplizierte Schlüssel-Karten-System schon aus dem Eff-Eff beherrschend befinde ich mich 2 Minuten später bereits in der Umkleidekabine, in diesem engen Schlauch, wo ich mir auchdieses Mal an der spitzen Schranktüre den Kopf anschlage und wieder fällt die Unterhose in die Pfütze,das ist wohl Schicksal, warum ziehe ich auch jedes mal wieder eine an, selber Schuld, du Arsch... Die Badehose binde ich nicht zu, es geht noch unter die Dusche, Vorreinigung, ....gut besetzt, lärmendesprusten , in Dampfwolken gehüllte, nackte Körper...kurzer Schwanzvergleich, na ja Mittelfeld..., also runter mit der Hose und eingeseift. Aus einer der abgetrennten Kabinen dringt erstickendes Röcheln, Husten , sofort erwacht mein Helferinstinkt, da sehe ich die Krücke mit dem Fred-Durst-Aufkleber, das ist Sickmann, ausser einem Bein fehlt ihm gerade das Taschentuch, die feucht warme Luft mobilisiert seine Nasennebenhöhlen und er rotzt sie leer. Schnell stelle ich mich in die Reihe, gleich muss sie kommen, Susanna, Reinigungsfrau aus Nigeria, ein Prachtweib, die Mutter aller Frauen, die Sonne lacht aus ihrem schwarzen Gesicht, wenn sie einen anschaut, seit ein paar Wochen hat es sich eingebürgert, dass sie um kurz nach 9 Uhr die Männerduschen reinigt, und seitdem stehen wir Warmduscher Spalier, ...jeden Sonntag. Da ist sie!...leise ein Lied summend, mit rhythmisch schwingenden Hüften, die Augen noch auf den Boden gerichtet, wischt sie mit ihrem Mop über den Boden, links, rechts...links, rechts... Kein Ton ist mehr zu hören, 8 Mann in einer Reihe, auch Sickmann ist noch rübergekrückt, leise tropfenein paar Duschen, wir starren die gegenüber liegenden Fliesen an, Susanna kommt näher...und hebt ihren Kopf. Sie atmet tief und konzentriert ein, ihre gewaltigen Brüste drohen den lapprigen Kittelschurz zu sprengen, die Warzen stechen hervor wie Finger, so nimmt sie nimmt die Parade ab...unsere Generalin der Nasszellen. Langsam, Schritt für Schritt, den Blick auf unseren Schritt gerichtet, summend, ab und zu zögernd, wischend, sie kommt zu mir, Magie im Blick, etwas versucht mühsam den Kopf zu heben, sie schaut mich an, lächelt,... verdammt, es sieht wie Mitleid aus, ich drehe mich um, irgendwie enttäuscht stelle die Dusche auf kalt, erstarre kurz, dann in die Schlabberhose, und raus...raus in die Halle. Die Schreie brechen sich an der dreifach abgeschrägten Holzdecke, das laute klatschen beim eintauchen der Körper, der Fünfer hat auf. Es hat sogar einen Zehner, doch der ist gesperrt, seit Gianni vor 4 Wochen voll mit Spagetti und Bier die Kurve nicht gekriegt hat und eine saubere Bauchbombe hingelegt hat. Die Nudeln schwammen überall und noch heute treibt ab und zu so ein leckeres Teil zwischen den Bahnen. Ein fünfundzwanzig Meter Schwimmbecken, daneben noch zwei kleinere Nichtschwimmerbecken.Die sechs Bahnen des Schwimmbeckens sind mindestens doppelt belegt, wie ich mit einem raschen Blick überschaue. Manter ist da , der haarige Bauunternehmer, der als einziger im weiten Rund die Lizenz hat, ohne Badehose zu schwimmen, die Körperbehaarung ist so genial, dass man keine sekundären Geschlechtsmerkmale erkennen kann. Ruhig und rücksichtslos zieht er seine Bahnen, alles niederkraulend, was auf seiner Strecke treibt und nicht schnell genug wegkommt. Auf Bahn vier, genauer gesagt zwischen Bahn drei und vier treibt Isolde, Betriebsratsvorsitzende der grössten Giesserei der Stadt, sie wird auf 150 kg Lebendgewicht geschätzt, heimlich, offen sagts niemand, sie ist verdammt stark...da treibt sie, auf dem Rücken, wie eine dieser Meeresschildkröten, die vom Aussterben bedroht sind und das sicherlich schon eine ganze Weile, sie schimmert ganz grün, es könntenAlgen sein, könnte aber auch der Badeanzug sein...egal. Dazwischen Alte, Junge, lustig, ernsthaft ...kleine Fische, immer wieder froh, wenn sie eine Bahn geschafft haben, fast wie im richtigen Leben. Vorsichtig ziehe ich die Luft ein...ja, das ist er, der Sonntagvormittags Stadtbadsmell...Schinkenwurst auf Bier und Jägermeister, unterlegt mit einem Hauch Chlorgas...blind wüsste ich, wo ich bin! Reinspringen geht nicht, also über die Treppe, das Wasser warm wie in der Wanne, 28° und bevor mir der Schweiss ausbricht tauch ich ein, dumpfes gurgeln in den Ohren, kurz die Augen auf, eine freie Stelle ausgeguckt und los gehts. Mit gleichmässigen , ruhigen Brustschwimmbewegungen strebe ich auf die erste Wende zu. Das Ziel: 35 Minuten! Ich schau auf die Wanduhr 9.50 Uhr...solange will ich im Wasser bleiben, will meine Ausdauer trainieren, meine Muskulatur kräftigen will...will mein Recht wahrnehmen für 4.50 € , die ich bezahlt habe, einen nassen warmen Traum Realität werden zu lassen, in diesem Haifischbecken, in dem nur die stärksten und brutalsten das Ziel erreichen. Aus den Augenwinkeln sehe ich die zwei Bademeister in ihrer weissen Uniform, sie treten aus ihrer Kabine,geben sich die Hände, ich sehs nicht, aber ich weiss es...ein paar Scheinchen werden zusammengelegt, sie wetten...Fettschürzen-Charly, dessen überdimensionierte Bauchfalte seine weissen Shorts nahezu vollständig verdeckt, er setzt gegen mich, ich weiss es, er vertraut der Macht von Manter und Isolde, die das Becken beherrschen , die mich zwingen, vorher das Wasser zu verlassen...und Harry, ein schmaler Bodybuilder, der mich irgendwie am liebsten von hinten sieht , der meinem Durchhaltewillen vertraut, er glaubt an mich, wobei mir zuviel Harmonie sicherlich nicht weiterhilft...er wettet auf mich. Die ersten Züge ziehe ich ruhig durch, da ein Tritt von einem Kind in die Seite, dort die Hand eines rückenkraulenden Rentners im Gesicht...das kann mich nicht aufhalten, das ist normal an einem solchen Tag, das ist Job! Die Beckenränder sind dicht besetzt, da...etwas Platz, Platz für meine erste Wende, das taube brodeln unter Wasser, die verglasten Beckenränder, der Blick in die Personalräume, ...das ist Susanna!...ihr schwarzer, üppig-schöner Körper ist nackt... rhythmisch schwingend , auf einem Stuhl, sie hat diese Fred-Durst-Krücke in der Hand und unter ihr...es ist Sickmann, mein Gott, der einbeinige Hurensohn kriegt den Fick seines Lebens, wie ich ihn beneide, es war sicher sein drittes Bein, das Susanna überzeugt hat, ich muss hoch, Luft...der Schlag kommt direkt zwischen die Schulterblätter, ein pelziges Gefühl in beiden Armen, ich stosse meinen Kopf durch die Wasseroberfläche und sehe dieses haarige Monster, sehe Manter, der kurz vor mir krault, unbeeindruckt, schnell, gemein!...und sich entfernt. Er hat den Kontakt sicher nicht einmal bemerkt. Ich versuche ruhig zu bleiben, schwimme so gut es geht, das Gefühl in beiden Armen kommt langsam zurück. Vor mir ein schier undurchdringlicher Dschungel aus zappelnden Armen und Beinen, glitschige Badekappen, doch ich bahne mir meinen Weg. Wende...unter Wasser versuche ich noch einen Blick hinter die Scheiben der Sünde zu werfen, aber die Vorhänge sind jetzt vorgezogen, es gab wohl noch mehr Interessenten...hoch...Luft!...ich stosse gegen etwas weiches, doch unnachgiebiges...ich weiche seitlich aus, stosse mit meinen beiden Händen in die schwabbelige Masse, um sie beiseite zu schieben, schaffe es gerade noch, bevor meine Lungen explodieren...ich tauche neben Isolde auf, die immer noch wie ein riesiges Versorgungsschiff in diesem kleinen Becken treibt und zwischen ihren Beinen tauchen auch so komische Gasblasen auf, blubbernd, immer mehr ...mit kräftigen Stössen entferne ich mich. Ein Blick auf die Uhr: 15 Minuten geschwommen, noch 20 Minuten vor mir... Aus den Augenwinkeln bei der Wende sehe ich ihn, er kommt als einer der wenigen aus den Duschen, sein muskulöser, gebräunter Körper glänzt, er sieht scheisse-gut aus und weiss es: Winner, Wirt vom Goldenen Drachen, die schwarzen Haare stehen ihm wild vom schmalen Kopf, der lässige Gang, die viel zu kleine Badehose für den unverschämt grossen Inhalt und sein Bauchnabel...der das Maul des drum herum tätowierten Riesenhais bildet ...ich beneide ihn! Unbeeindruckt vom vollen Becken stellt er sich an den Rand, holt tief Luft, sein Brustkorb wölbt sich,ein schmachtender Aufschrei der Frauen und mit einem eleganten Hechtsprung taucht der Held mitten ineinen Pulk namenloser Freischwimmer...hey...das bringt Stimmung! Dort läufts rot aus einer Nase, da fliegt ein Glasauge und neben mir sinkt ein noch klapperndes Gebiss auf den Grund des Beckens. Doch...Winner ist im Wasser....und kommt mit rasender Kraulgeschwindigkeit auf mich zu! Ausweichmöglichkeit?...keine! Höchstens nach links, ich weiche mit einem kurzen Armstoss aus...und bekomm einen gewaltigen Stoss gegen den Hinterkopf...Sterne...lauter Sterne...es ist so schön...ich falle in einen brodelnden Wirbel...alles ist so leicht...ich könnte Gedichte schreiben...ein riesiger Hai taucht plötzlich aus der Dunkelheit auf, das scharfzähnige Maul weit aufgesperrt...ich schreie, werfe mich zur Seite...wieder ein Schlag, feurige Lichtkaskaden vor meinen Augen, rot, gelb...grün, das grün bleibt...ich komme zu mir, ich liege auf einer Wiese, nein, es ist glitschiger,...es ist Wasser drum rum, es ist ein Badeanzug...Isolde...ich liege auf Isolde, meine Rettung, ich küsse sie mitten auf den Bauch, wieder das blubbern...Gasblasen steigen hoch, es riecht nach Coli, es ist mir scheissegal...ich bin gerettet. Ich schau rüber zum Beckenrand, Harry winkt, der kleine Bodybuilder, deutet auf seine Uhr, ich drehe mühsam den Kopf, 10.24 Uhr, noch eine Minute bis Buffalo!...ich fühle mich so schwach, lasse mich ins Wasser gleiten, sehe in der Ferne Manter und Winner, die mit gleichmässigen, schnellen Zügen auf mich zukommen. Das mobilisiert meine letzten Kraftreserven, ich erreiche den Beckenrand, der Zeiger springt auf 10.25 Uhr...geschafft!...mühsam krieche ich an Land. So muss vor Millionen von Jahren das erste amphibische Wesen aus der Ursuppe an Land gekrochen sein,...ich mach das zweimal die Woche, immer Sonntag und Mittwoch...es ist die Hölle, aber ich hab sie immer überlebt, bis heute!...Warmbadetag...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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