Andreas Rüdig

Der Iranist

Iranisten studieren die geistigen und weltlichen Kulturgüter der iranischen Völker. Altiranistik und Neuiranistik - die Wörter zeigen es: Iranisten beschäftigen sich mit der Vergangenheit wie Gegenwart. Die Iranistik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft. Iranisten beschäftigen sich mit der Geschichte aber auch den Sprachen, der Literatur, Kunst und Kultur.
Iranisten beschäftigen ist aber nicht nur mit dem heutigen Iran. Länder wie Afghanistan, Usbekistan und Tadschikistan kommen hinzu. Deutschland gehört schon lange zu den Ländern, die den Iran studieren. Die Georg - August - Universität in Göttingen gehört zu den Vorreitern des Studienfaches. Das Fach feierte dort 2003 sein 100jähriges  Bestehen.

Auch die Niederrheinische Universität zu Duisburg kümmert sich nun um dieses Orchideenfach. Gisbert - Ali Graf Goch - El Mustafa Beyghar ist nicht nur Doktor der Iranistik. Er ist auch Gründungsprofessor des Fachbereichs. Wir unterhielten uns mit dem hageren, großgewachsenen Mann mit Brille und grauem, bauchlangem Vollbart, der den Kaftan genauso trägt wie den eleganten, westeuropäischen Zwirn.

(Duisburger Generalanzeiger, 1. April 2020)

Herr Professor Graf Goch - El Mustafa Beyghar, Sie sind der Gründungsprofessor des Fachbereichs Iranistik an der Niederrheinischen Universität zu Duisburg. Bitte erzählen Sie uns etwas über diese neue universitäre Einrichtung.

Ja, aber gerne. Vielleicht sollte aich aber zuerst etwas von mir selbst erzählen. Wie Sie an meinem Namen leicht erkennen können, habe ich einen deutschen Vater und eine iranische Mutter.
Meinen Opa hatte es schon während der Novemberrevolution 1918 zum erstenmal nach Persien verschlagen. Als deutsche, niederländische, belgische und luxemburgische Truppen durch das Rheinland marodierten, Kirchen plünderten und Schlösser brandschatzten, packte er seine Sachen zusammen und floh in den Iran.
Er wurde dort freundlich aufgenommen. Mein Großvater war Geschäftsmann durch und durch. Er exportierte handgeknüpfte Teppiche, qualmende Wasserpfeifen und Keramiken nach Deutschland. Als überzeugter Adeliger blieb er aber immer Deutscher und Christ.
Mein Vater wurde im Iran geboren, aber im deutschen Geist erzogen. Während meien Großmutter am kulturellen Leben des Irans interesiert war...

Darf ich da was fragen?

Ja, natürlich.

Man sagt Ihnen nach, Sie besäßen die größte persische Bibliothek der Welt. Stimmt das?

Ja, das stimmt. Meine Großmutter legte den Grundstein dafür. Sie begann, iranisch - persische Bücher zu kaufen, viele davon im Original und als Erstausgabe; teilweise sind es kostbare historische Bücher. Ich besitze mehr Bücher als die Duisburger Stadtbücherei und die Universitätsbücherei zusammen. Na ja, das liegt am Schah. Als er abdankte und ins Exil ging, konnte ich mir seine Privatbibliothek unter den Nagel reißen. Und in den Revolutionswirren sind auch einige Universitätsbibliotheken auf wunderbare Weise in meine Privatbücherei im niederrheinischen Goch gerettet worden. Das Übersetzerkollegium in Straelen hatte übrigens in den folgenden 15 Jahren sehr gut mit den Übersetzungsarbeiten zu tun. Viele Bücher sind dort erstmals auf Deutsch erschienen.

Ach so, ja, richtig, zusammen mit Ihrer Frau sind Sie Inhaber des `Fachverlags für deutsch - persische Literatur'. Man sagt Ihnen nach, dass Sie dort mehr Bücher im Bestand haben als so mancher Belletristikverlag.

Stimmt. musste ich aber auch. Gerade in den '60er und `70er Jahren interessierten sich viele deutsche Politiker und Wirtschaftsunternehmen für Persien. Sie waren wie die Alchemisten - sie wollten das Öl zu Gold machen.

Doch nun zurück zu Ihrem Großvater.

Ja, richtig, mein Großvater. Am Anfang der `30er Jahre musste er nach Deutschland zurückkehren. Sonst wäre sein ganzer Besitz hier konfisziert worden.
Gleichzeitig brauchten ihn die Machthaber, genauer gesagt seine Beziehungen. Sie wollten billig das Öl kaufen. Und sie wollten sehr viel geschichtliches Wissen erwerben. Ihr Motto lautete ja bekanntlich: "Von Alexander lernen heißt siegen lernen". Sie wissen: Alexander der Große eroberte im 4. vorchristlichen Jahrhundert ein Weltreich. Die damaligen Herren wollten wissen, wie Alexander  das geschafft hat (und es auf die damalige Neuzeit übertragen). Mein Großvater organisierte also von Goch aus die Altiranistikforschung.

Gab es denn damals Iranisten in Deutschland?

Nein, überhaupt nicht. Mein Großvater und Vater pendelten unter dem Deckmantes des Geschäftemachens immer wieder in den Iran und kontaktierten regionale Wissenschaftler.

Und - was war das Ergebnis?

Naja, Sie wissen doch, wie der Krieg ausgegangen ist. "Außer Spesen nichts gewesen" könnten die Militärs sagen. Um den Forschungsauftrag kümmerten sich meine Vorfahren nie ernsthaft. Der war ja auch Blödsinn. Selbst als Spion war mein Vater nciht zu gebrauchen. Er konnte sich zwar 1943 in die Konferenz von Teheran einschleichen; gerade als er Stalin die Hand schütteln wollte, rief der: "Ein Deutscher! Ein Deutscher!" Mein Vater konnte sich auf abenteuerlichem Wege nach Isfahan retten und von dort ein Flugzeug nach Goch nehmen.

Wie hat Ihr Vater übrigens Ihre Mutter kennengelernt?

Sie können sich ja vorstellen, dass es in den Nachkriegsjahren in Deutschland keine Wohnungen und kein Essen gab. Also wurde mein Vater regelmäßig zum Überwintern nach Teheran geschickt. Irgendwann sah er dann eine hübsche Burka durch die Straßen wandeln. Er verliebte sich ganz heftig in diesen Stoff...

Meinen Sie das ernst...?

Aber natürlich. Sie wissen doch: Iranische Frauen gingen damals kaum auf die Straße und wenn, dann nur komplett verhüllt und in männlicher Begleitung. Mein Vater hat sich auch eine Burka gekauft, sie angezogen, sich so angezogen in das Gemach der Damen begeben und sich so von der Schönheit meiner Mutter überzeugt. Erzählen Sie das aber niemandem. Es würde Ihnen sowieso niemand glauben. Ein Mann in Ganzkörperverschleierung? Hahaha.

Irgendwann wurden Sie dann geboren?

Richtig. Das war im Jahre 1949. Nach islamisch - persischem Gesetz war eine Heirat unmöglich. Also kaufte mein Vater meine Mutter ihrem Vater ab, stellte sie in der Firma ein und konnte sie so auf Geschäftsreise mit nach Deutschland nehmen. Aus Dankbarkeit für die Befreiung wurde meine Mutter dann die perfekte Deutsche.

Und Sie?

Ach, was ist schon mit mir? Ich bin zwar auch ein paar Mal im Iran gewesen, kenne also Land und Leute. Den Hauptteil der Arbeit leistete ich aber hier am Niederrhein. Ich sichtete das Erbe der Familie, ordnete die riesige Bibliothek, gründete den Verlag, ließ die Bücher übersetzen und vertreiben. dass ich so ein unermeßliches Fachwissen erwerben konnte, ist wohl selbstverständlich.

Und warum riefen Sie die Iranistik - Fachabteiluing der Niederrhein - Universität ins Leben?

Ganz einfach. Meine Frau stammt aus Luxemburg. Sie bemüht sich gerade, Luxemburg-Studien zumindest in Nordrhein-Westfalen zu etablieren. Sie - wie auch meine beiden Kinder - kann nichts mit den Iranistikstudien anfangen. Die Universität wird mein Lebenswerk angemessen fortführen.

Vielen Dank für das Interview.