Iranisten studieren die geistigen und
weltlichen Kulturgüter der iranischen Völker. Altiranistik und
Neuiranistik - die Wörter zeigen es: Iranisten beschäftigen sich mit
der Vergangenheit wie Gegenwart. Die Iranistik ist eine
interdisziplinäre Wissenschaft. Iranisten beschäftigen sich mit der
Geschichte aber auch den Sprachen, der Literatur, Kunst und Kultur.
Iranisten beschäftigen ist aber nicht nur mit dem heutigen Iran.
Länder wie Afghanistan, Usbekistan und Tadschikistan kommen hinzu.
Deutschland gehört schon lange zu den Ländern, die den Iran
studieren. Die Georg - August - Universität in Göttingen gehört zu
den Vorreitern des Studienfaches. Das Fach feierte dort 2003 sein
100jähriges Bestehen.
Auch die Niederrheinische Universität zu Duisburg kümmert sich nun
um dieses Orchideenfach. Gisbert - Ali Graf Goch - El Mustafa
Beyghar ist nicht nur Doktor der Iranistik. Er ist auch
Gründungsprofessor des Fachbereichs. Wir unterhielten uns mit dem
hageren, großgewachsenen Mann mit Brille und grauem, bauchlangem
Vollbart, der den Kaftan genauso trägt wie den eleganten,
westeuropäischen Zwirn.
(Duisburger Generalanzeiger, 1. April 2020)
Herr Professor Graf Goch - El Mustafa Beyghar, Sie sind der
Gründungsprofessor des Fachbereichs Iranistik an der
Niederrheinischen Universität zu Duisburg. Bitte erzählen Sie uns
etwas über diese neue universitäre Einrichtung.
Ja, aber gerne. Vielleicht sollte aich aber zuerst etwas von mir
selbst erzählen. Wie Sie an meinem Namen leicht erkennen können,
habe ich einen deutschen Vater und eine iranische Mutter.
Meinen Opa hatte es schon während der Novemberrevolution 1918 zum
erstenmal nach Persien verschlagen. Als deutsche, niederländische,
belgische und luxemburgische Truppen durch das Rheinland
marodierten, Kirchen plünderten und Schlösser brandschatzten, packte
er seine Sachen zusammen und floh in den Iran.
Er wurde dort freundlich aufgenommen. Mein Großvater war
Geschäftsmann durch und durch. Er exportierte handgeknüpfte
Teppiche, qualmende Wasserpfeifen und Keramiken nach Deutschland.
Als überzeugter Adeliger blieb er aber immer Deutscher und Christ.
Mein Vater wurde im Iran geboren, aber im deutschen Geist erzogen.
Während meien Großmutter am kulturellen Leben des Irans interesiert
war...
Darf ich da was fragen?
Ja, natürlich.
Man sagt Ihnen nach, Sie besäßen die größte persische Bibliothek der
Welt. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Meine Großmutter legte den Grundstein dafür. Sie
begann, iranisch - persische Bücher zu kaufen, viele davon im
Original und als Erstausgabe; teilweise sind es kostbare historische
Bücher. Ich besitze mehr Bücher als die Duisburger Stadtbücherei und
die Universitätsbücherei zusammen. Na ja, das liegt am Schah. Als er
abdankte und ins Exil ging, konnte ich mir seine Privatbibliothek
unter den Nagel reißen. Und in den Revolutionswirren sind auch
einige Universitätsbibliotheken auf wunderbare Weise in meine
Privatbücherei im niederrheinischen Goch gerettet worden. Das
Übersetzerkollegium in Straelen hatte übrigens in den folgenden 15
Jahren sehr gut mit den Übersetzungsarbeiten zu tun. Viele Bücher
sind dort erstmals auf Deutsch erschienen.
Ach so, ja, richtig, zusammen mit Ihrer Frau sind Sie Inhaber des
`Fachverlags für deutsch - persische Literatur'. Man sagt Ihnen
nach, dass Sie dort mehr Bücher im Bestand haben als so mancher
Belletristikverlag.
Stimmt. musste ich aber auch. Gerade in den '60er und `70er Jahren
interessierten sich viele deutsche Politiker und
Wirtschaftsunternehmen für Persien. Sie waren wie die Alchemisten -
sie wollten das Öl zu Gold machen.
Doch nun zurück zu Ihrem Großvater.
Ja, richtig, mein Großvater. Am Anfang der `30er Jahre musste er
nach Deutschland zurückkehren. Sonst wäre sein ganzer Besitz hier
konfisziert worden.
Gleichzeitig brauchten ihn die Machthaber, genauer gesagt seine
Beziehungen. Sie wollten billig das Öl kaufen. Und sie wollten sehr
viel geschichtliches Wissen erwerben. Ihr Motto lautete ja
bekanntlich: "Von Alexander lernen heißt siegen lernen". Sie wissen:
Alexander der Große eroberte im 4. vorchristlichen Jahrhundert ein
Weltreich. Die damaligen Herren wollten wissen, wie Alexander das
geschafft hat (und es auf die damalige Neuzeit übertragen). Mein
Großvater organisierte also von Goch aus die Altiranistikforschung.
Gab es denn damals Iranisten in Deutschland?
Nein, überhaupt nicht. Mein Großvater und Vater pendelten unter dem
Deckmantes des Geschäftemachens immer wieder in den Iran und
kontaktierten regionale Wissenschaftler.
Und - was war das Ergebnis?
Naja, Sie wissen doch, wie der Krieg ausgegangen ist. "Außer Spesen
nichts gewesen" könnten die Militärs sagen. Um den Forschungsauftrag
kümmerten sich meine Vorfahren nie ernsthaft. Der war ja auch
Blödsinn. Selbst als Spion war mein Vater nciht zu gebrauchen. Er
konnte sich zwar 1943 in die Konferenz von Teheran einschleichen;
gerade als er Stalin die Hand schütteln wollte, rief der: "Ein
Deutscher! Ein Deutscher!" Mein Vater konnte sich auf
abenteuerlichem Wege nach Isfahan retten und von dort ein Flugzeug
nach Goch nehmen.
Wie hat Ihr Vater übrigens Ihre Mutter kennengelernt?
Sie können sich ja vorstellen, dass es in den Nachkriegsjahren in
Deutschland keine Wohnungen und kein Essen gab. Also wurde mein
Vater regelmäßig zum Überwintern nach Teheran geschickt. Irgendwann
sah er dann eine hübsche Burka durch die Straßen wandeln. Er
verliebte sich ganz heftig in diesen Stoff...
Meinen Sie das ernst...?
Aber natürlich. Sie wissen doch: Iranische Frauen gingen damals kaum
auf die Straße und wenn, dann nur komplett verhüllt und in
männlicher Begleitung. Mein Vater hat sich auch eine Burka gekauft,
sie angezogen, sich so angezogen in das Gemach der Damen begeben und
sich so von der Schönheit meiner Mutter überzeugt. Erzählen Sie das
aber niemandem. Es würde Ihnen sowieso niemand glauben. Ein Mann in
Ganzkörperverschleierung? Hahaha.
Irgendwann wurden Sie dann geboren?
Richtig. Das war im Jahre 1949. Nach islamisch - persischem Gesetz
war eine Heirat unmöglich. Also kaufte mein Vater meine Mutter ihrem
Vater ab, stellte sie in der Firma ein und konnte sie so auf
Geschäftsreise mit nach Deutschland nehmen. Aus Dankbarkeit für die
Befreiung wurde meine Mutter dann die perfekte Deutsche.
Und Sie?
Ach, was ist schon mit mir? Ich bin zwar auch ein paar Mal im Iran
gewesen, kenne also Land und Leute. Den Hauptteil der Arbeit
leistete ich aber hier am Niederrhein. Ich sichtete das Erbe der
Familie, ordnete die riesige Bibliothek, gründete den Verlag, ließ
die Bücher übersetzen und vertreiben. dass ich so ein unermeßliches
Fachwissen erwerben konnte, ist wohl selbstverständlich.
Und warum riefen Sie die Iranistik - Fachabteiluing der Niederrhein
- Universität ins Leben?
Ganz einfach. Meine Frau stammt aus Luxemburg. Sie bemüht sich
gerade, Luxemburg-Studien zumindest in Nordrhein-Westfalen zu
etablieren. Sie - wie auch meine beiden Kinder - kann nichts mit den
Iranistikstudien anfangen. Die Universität wird mein Lebenswerk
angemessen fortführen.
Vielen Dank für das Interview.