Andreas Rüdig

Hertener Herzen

Hier steh ich nun und kann nicht anders. Dieser Lutherspruch trifft sehr gut auf mich zu. Ich stehe hier gerade vor Hertens Rathaus, habe vor wenigen Minuten an seine Haustür geklopft und Einlaß begehrt. Ich möchte neuer Bürgermeister von Herten werden. Doch das wird schwer werden. Vier ernstzunehmende Gegenkandidaten und fünf nicht ernstzunehmende Gegenkandidaten treten gegen mich an. Was soll, was kann, was muß ich tun, damit ich die Wahl gewinnen kann?

Den Kandidaten der Theokratischen Partei besuchte ich gestern. Er wohnt in einem latifundienartigen Anwesen am südlichen Rand von Herten. "Oh! Was machen Sie denn hier," wunderte er sich, als ich an seiner Tür stand und schellte. "Ich hoffe, Sie haben ein wenig Zeit für mich." Als der Theokrat bejahte, erklärte ich ihm den Grund für meinen Besuch. "Wir beide müssen uns unterhalten. Wir sind beide Kandidaten kleinerer Parteien. Warum sollen wir uns gegenseitig die Wählerstimmen wegnehmen? Wir sollen vielmehr zusammenarbeiten.

"Theokrat ist verkappter Kommunis!" So titeln heute unsere Lokalnachrichten. Der Theokrat und ich führten unser Gespräch nämlich in seinem Studier- und Arbeitszimmer. Zu meiner großen Freude entdeckte ich dort nicht nur christliche und andere theologische Literatur; auch kommunistische, marxistische, ja sogar maoistische, leninistische und stalinistische Literatur war dort vorhanden. Die Abneigung gegen diese Herren habe ihn zu den Theokraten geführt. Diese seine Vergangenheit konnte ich der Presse natürlich nicht verheimlichen....


Die Royalistische Partei ist bei uns im Ruhrgebiet traditionell nur sehr schwach vertreten. Trotzdem schaffte sie es, bei uns in Herten einen Oberbürgermeisterkandidaten aufzustellen. Einmal im Amt soll er sich für die Loslösung Westfalens aus dem deutschen Staatsverband einsetzen und ein eigenständiges Könireich ausrufen.

Für mich als eigenständigen und unabhängigen Kandidaten ist dies keine ernstzunehmende Forderung. Gleichzeitig kam mir aber der Zufall zu Hilfe. Mein Sohn sollte nämlich ein Geschichts - Referat halten. Sein Thema: "Die Franzosen-Zeit in Westfalen". Ja, ja, richtig: Zur  Zeit von Kaiser Napoleon war Westfalen ein unabhängiges Königreich.

Das brachte mich auf die Idee, ein Pressefoto von meinem Konkurrenten zu fälschen. Es zeigte ihn danach zusammen mit dem französischen Präsidenten. Ich behauptete einfach, beide würden gerade vereinbaren, Westfalen solle fortan und in alle Ewigkeit zu Frankreich gehören. Die öffentliche Empörung zwang meinen Kontrahenten zum Rückzug.

Ihnen nun alle neun verschiedenen Geschichten zu erzählen, wie ich meine Widersacher ausschaltete - nein, das mache ich nicht. Das würde Sie, liebe Leser, sicher nur langweilen. Für Sie ist es nur wichtig, zu wissen, daß ich fast einstimmig zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Ich werde den Herren zum Dank für ihre Unterstützung ein fürstliches Bankett im Schloß geben...

Schloß Herten entstand im 14. Jahrhundert als ein von einer Gräfte umgebener Ziegelbau mit Eckpavillon-Türmen. Das Schloß wurde 1376 erstamals urkundlich erwähnt. Die kleine Burganlage entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Schloß; das vierseitig gestaltete Kastell entstand um das Jahr 1530. 1687 mußte das Schloß nach einem Brand wieder aufgebaut werden. Auch in den 1970er Jahren wurde das Schloß renoviert und zu einem Ort für Kulturveranstaltungen umgebaut. Natürlich gab es noch viel mehr bauliche Veränderungen. Sie hier alle aufnehmen, erschein mir aber zu lästig.

"Kurz nach der Jahrhundertwende - im Jahre 1907 - hält der Bergbau auch in Westerholt Einzug. Wie überall im Ruhrgebiet beeinflußt er das Leben der Menschen stark und hinterläßt seine Spuren. Der historische Ortskern von Westerholt bleibt davon weitestgehend unberührt. 1991 wird das Alte Dorf Westerholt unter Denkmalschutz gestellt. 56 der insgesamt 58 Dachwerkhäuser wurden in die Denkmallister aufgenommen," berichtet die Stadtwerbung. Doch Westerholt ist älter. Es wurde im Jahre 1047 erstmals im Güterverzeichnis der Abtei Werden urkundlich erwähnt. 1193 werden erstmals zwei Herren von Westerholt schriftlich erwähnt. Im 6,5 Hektar großen Ortskern leben heute rund 400 Einwohner. Dorf, Schloß und Wallring machten früher die "Freiheit Westerholt" aus.

"Zunächst Stammsitz der Grafen von Westerholt zu Gysenberg - deren Nachfahre noch heute seine Geschicke lenkt - war es im 20. Jahrhundert unterschiedlichen Nutzungen unterzogen. Als Soldatenunterkunft während der Ruhrgebietsbesetzung und nach dem Zweiten Weltkrieg, außerdem als Bergarbeiterlehrlings-Wohnheim. Jahrzehntelang stand das anschließend stark in Mitleidenschaft gezogene Schloß leer, bevor es 1993 von seinem Eigentümer umfassend restauriert und renoviert wurde. Hinzu kamen ein Golfplatz und Gastronomie," berichtet die Stadtwerbung. Daß Schloß Westerholt zwischen 1830 und 1833 erbaut wurde, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt.

 

Dem Himmel sei Dank

der Wein ist ein wunderbarer Trank

Gift schmeckt man nicht

bis das Herz zerbricht.

 

Bei Blumenkohl

fühl ich mich wohl

der Rosenkohl

schmeckt hohl.

 

Die goldene Bratkartoffel

ist`n fader Hauspantoffel

den Saucenmüll

mit E605 ich füll.

 

Die Mahlzeit sie tanken

die Gäste sie zanken

um des Kaisers Bart

schnell kamm des Lebens Ausfahrt.

 

Sie sehen die Radieschen von unten

niemand sieht des Essens Lunten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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