Mirjam Horat

Photo-Phobie

Endlich Samstag, es war soweit. Wie an jedem zweiten Samstag durften wir unseren Eltern begleiten zum Rosenhofmärt (=Markt) in Zürich. Wir, das bedeutet meine ältere Schwester, meine Zwillingsschwester und ich. Unsere Eltern hatten einen eigenen Stand, an dem sie ihre einzigartigen, bis ins kleinste Detail geformten, unnachahmbaren Fingerpuppen verkauften.

Der Markt war auf einem hübschen, idyllischen Pflasterstein Platz, Mitten in der Innenstadt aufgebaut. Umrandet von Gebäuden aller Art, Hausmauer an Hausmauer gereiht, und diversen kleinen Gässchen die sie hin und wieder durchtrennten und zu dem Platz führten.

Sobald wir die grösste Zufahrtsgasse zum Rosenhof durchquerten, düsten meine Zwillingsschwester und ich auch schon los auf Entdeckungsreise. Wir liebten es in jedem Winkel, hinter jeder Nische und in jeder fast unerreichbaren Ecken etwas Unbekanntes zu entdecken, zu erforschen. Unterdessen kannten wir beinahe alle Anwesenden des Basars, genau wie sie uns auch.

Da war der Fallafel- Mann, David, der uns immer heimlich ein paar leckere gewürzte, frittierte Kichererbsenbällchen zu steckte, die Schmuck- Frau, Vera, deren Angebot wir allzeit mit leuchtenden Augen beäugten. Direkt neben ihr war der Stand mit Kleidern platziert, hinter diesem ragte eine gewaltige pyramidenförmige Steintreppe empor, die zu dem grossen Brunnen, der zugleich der Mittelpunkt des Platzes war, hinauf führte.

Wie jedes Mal folgten wir unserem gewohnten Ablauf, dem Abgehen der Stände in einer bestimmten Reihenfolge. Als allererstes Stand unser Lieblingsstand auf dem Plan. Wir marschierten geradewegs zu unserem Fallafel- Mann. Doch heute störte unsere Routine ein unvorhergesehener Zwischenfall. Bereits auf halber Strecke zu David, versperrte uns ein Fremder abrupt den Weg. Er war gross, sein Haarwuchs schien den Zenit bereits überschritten zu haben, trug einen beigen, langen Mantel und eine unübersehbar grosse, schwarze Kamera hing ihm baumelnd um den Hals. Auf uns beide wirkte er ab dem ersten Augenblick, ohne dass er überhaupt erst den Mund aufmachen musste, unsympathisch.

 

“Hallo ihr zwei Hübschen, ihr seht ja richtig süss aus.”

 

Zwei stumme Mädchen, schauten ohne jegliches Anzeichen eines Lächelns, zu ihm hinauf. So war er es, der weiter sprach.

 

“Ihr seit Zwilling, nicht?” Ohne unsere Antwort überhaupt erst abzuwarten, stellte er bereits die nächste Frage.

 

“Habt ihr zwei vielleicht Lust euch hier drüben als Fotomodel zu platzieren?”

 

Fragt der uns doch tatsächlich, ob wir Lust haben uns fotografieren zu lassen. Wir, die das schon bei unserem Vater, der ebenfalls Fotograf ist, auf den Tod nicht ausstehen konnten. Da hat er aber die Falschen erwischt!

 

“Nein!“ kam es wie aus einem Munde gerufen.

 

Schlagartig ergriffen wir die Flucht. Wie gut es war, dass wir jede Hausecken, jede Gasse, den grossen Baum, den Brunnen, fast jeden Stand und deren Inhaber kannten.

So hüpften wir von Stand zu Stand, krochen von Tisch zu Tisch, versteckten uns gekonnt darunter, was auch nicht schwer war, da wir beiden immer sehr kleine, zierliche Mädchen waren.

Zum Glück hoben die, uns bekannten, Eigentümer der Tische, immer zu hilfsbereit die Lacken, wenn wir angekrochen kamen, so dass wir unauffällig und unbeirrt weiter schleichen konnten.

Doch der Fremde liess nicht locker. Wo wir uns auch verkrochen, oder gerade kauerten, er wusste stets wo wir stecken. - Ob ihm wohl einige Standbesitzer, natürlich unmerklich für uns beide, oberhalb der Tischplatten heimlich mit Handzeichen deuteten, wo unser momentanes Schlupfloch war? - Seltsamerweise war er uns immer dicht auf den Fersen.

 

Es kam jedoch wie es kommen musste. Irgendwann beendete der letzte Tisch des Marktes unser Entrinnen, so sassen wir gehörig in der Klemme.

 

“Mist! Was machen wir denn nun?”

 

“Wir warten bis er wieder weg ist, dann kehren wir um, okay?”

 

“Ist gut. Hoffen wir dass er uns dann in Ruhe lässt!”

 

Wir warteten eine gefühlte Ewigkeit, bis wir am Boden endlich seine braunen Schuhe in die andere Richtung wegtreten sahen.

 

Schliesslich erreichten wir atemlos, abgekämpft und erschöpft unsere Rettung - den Stand unserer Eltern. Die jedoch mit den Worten: ‚Das meint ihr nur.’ … ‚Der hat euch schon längst wieder vergessen.’ … ‚Geht wieder spielen.’ … unserer dramatischen Erzählung nicht die gewünschte Beachtung schenkten.

So zogen wir, ermutigt daran glaubend, dass unsere Eltern bestimmt Recht behielten, dass dieser Typ nicht mehr nach uns suchen wird, wieder von dannen. Zuversichtlich, vertrauensvoll und mit dem nötigen Optimismus stolzierten wir in Richtung Brunnen.

 

Unsere Hoffnung wurde jäh zerstört. Die Verfolgungsjagd hielt den ganzen Tag an. Anfangs noch kichernd, mit der Zeit aber fast weinend, flohen wir so gut wir konnten vor dem Fotografen.

Vermutlich sah er in dem Ganzen Verstecken lediglich ein vermeintliches Spiel, doch für meine Zwillingsschwester und mich war es nicht nur äusserst anstrengend, es artete für uns immer mehr in Angst und Schrecken aus.

 

Für einmal waren wir unheimlich froh, als dieser Samstag zu Ende ging!

 

Und auch heute stehen wir, - vielleicht auch deswegen? - lieber hinter der Kamera.

 

Und nun ratet mal, was mein Schwöschterhärzli für einen Beruf erlernt hat?

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Mirjam Horat).
Der Beitrag wurde von Mirjam Horat auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Mirjam Horat als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Siehst du den Nebelmond von Franz Preitler



Als Kunstwerk bezeichnet der Autor sein Buch. Kein Wunder, ist es auch mit 62 farbigen Abbildungen europäischer Künstler gespickt. Ganz zu schweigen von der wunderbaren, einfühlsamen und manchmal wachrüttelnden Poesie. Ein MUSS für Lyrik Fans!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (5)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Erinnerungen" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Mirjam Horat

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Ungeplanter Zwischenstopp von Mirjam Horat (Erinnerungen)
Berlin ist die einzige Stadt... für Ingrid Grote von Kerstin Köppel (Erinnerungen)
Mein MASTERPLAN mit 65 Punkten * von Siegfried Fischer (Satire)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen