Bianca de Boer

Der Morgen


„Mama" zwitschert mir mein Traummann leise flüsternd in mein Ohr. Zwitschert??? Ich erwache erschreckt, schon wieder hat er ihn vertrieben.
 
„Nein, mein Schatz, jetzt noch nicht!" Ich blinzele und werfe einen kurzen Blick zur Uhr. 5:45 blinkt mir mein Wecker, wütend weil seiner Daseinsberechtigung beraubt, entgegen.
 
Vielleicht gönnt er mir noch ein Viertelstündchen...
 
„Maamaa!!"
 
Es wäre auch zu schön gewesen!
 
„Mama? Maht tu Heya?"
 
„Ja! Nein... Mama ist wach!"
 
„Frühtück?"
 
„Ja, aber erst sauber machen! Komm her, du Räuber, Pampers wechseln!"
 
„Nein!" ruft mir ein verschnupftes, schmuddeliges Gesicht über einem dicken, triefend nassen, stinkenden Pamperspo auf zwei kurzen, aber erstaunlich schnellen Beinen entgegen, bevor sich mein Herzchen in einem rasenden Tempo aus meinem Zimmer verkrümelt und nur eine Dunstwolke zurücklässt.
 
Jetzt kann ich ja vielleicht noch 10 Minuten Ruhe tanken, wach werden und mich auf den Tag vorbereiten...
 
Das habe ich gedacht! Jetzt schrillt das süße und sehr hohe Stimmchen meines männlichen Mini- Ebenbildes dumpf durch 3 Wände, eine Bettdecke, eine Schranktür und seine Zimmertür zu mir in meine noch sehr empfindlichen eine ganze Nacht herrliche Ruhe gewöhnten Ohren: „Maamaaa! Suchen!"
 
Dass so ein kleiner Mund so viel Krach machen kann, ist einfach nicht zu glauben!
 
„Ich bin noch müde! Guck mal, ist noch dunkel draußen!" Versuche ich ihn dazu zu bringen, mich noch ein wenig in Ruhe zu lassen.
 
Das zieht nie, aber ich versuche jeden Morgen so noch ein wenig Schlaf und Zeit unter meiner kuscheligen, warmen Decke auszuhandeln. Und wie jeden Morgen ignoriert er meinen quengeligen Ton und verlangt lautstark: „Mama, Suchen! Mama, wo ist Tobi?"
 
„Tobi ist im Schrahank!" rufe ich, nach Fassung ringend und ein Gähnen nur mit Mühe unterdrückend. Es nützt alles nichts.
 
Ich stehe auf, nicht ohne noch einen wehmütigen Blick auf mein schönes großes Bett mit der einladenden Decke und dem weichen Kissen zu werfen, stolpere durch den Flur, der gestern Abend noch von 25000 Mini- Lego- Bausteinen gesäubert worden ist, damit ich mir nicht mehr regelmäßig morgens die Knöchel verstauche, aber das war für die Katz, ich hätte den Karton doch raus bringen müssen und nicht unter die Mülltonne in der Küche stellen dürfen.
 
Ich erreiche nach einem sehr kurzen prüfenden Blick in die Küche (ja, der Mülleimer liegt, gründlich entleert in der Küche und der Abfall ist dekorativ über den kompletten Fußboden verteilt) leise in mich hinein fluchend und schmerzenden Fußes das Badezimmer...
 
Bin das wirklich ich? Mein Spiegelbild schaut mir vorwurfsvoll entgegen. „Pfleg´ dich mal!" Scheinen seine Lippen zu Formen.
 
„Mama!!! Wo ist Tobi? Mama suchen!"
 
Ich schau mein Spiegelbild schon gar nicht mehr an. Das wird heute nämlich auch nichts mit der Maske, die mir ne Freundin geschenkt hat (Warum wohl? Seh ich etwa soo schlecht aus?).
 
Die Pflicht ruft.
 
„Wo ist denn der kleine Tobi? Wenn ich dich erwische!"
 
Kichern aus dem Schrank. Wusste ich es doch.
 
Die Schranktür aufreißend und dabei „Daa!" rufend, packe ich das, sich vor Lachen kringelnde, kleine aber schwere Häufchen Mensch und versuche es so sanft es eben geht auf die Wickelkommode zu manövrieren.
 
Da habe ich aber die Rechnung ohne den kleinen Stinker gemacht. Sobald er merkt, dass ich ihn aus den völlig durchnässten Klamotten heraus pellen möchte, schlägt seine Stimmung sofort ins Gegenteil um.
 
Geschickt seinen Tritten ausweichend und sein Schimpfen und Brüllen ignorierend arbeite ich mich bis zur Quelle des Übelkeit erregenden Gestankes vor, den er verbreitet.
 
Nachdem ich das Corpus Delicti entfernt habe, ist die Schimpf- Schrei- Tret- Heulorgie meines kleinen Schatzes vorbei, und er lächelt mich auch schon wieder an.
 
Wie schön, dann kann ich ihn ja anziehen!
 
Mit einer in 2 1/2 Jahren antrainierten Routine wasche und bekleide ich meinen Sohn.
 
„Mama, jetz Frühtück?"
 
„Ja, Mama macht! Hast du Hunger?"
 
„Kornfakes, Mama, Kornfakes!"
 
Ach, wie gut sich mein Kleiner artikulieren, und wie klar er seine Wünsche äußern kann! Das erfüllt doch mein Mamaherz mit Stolz und Freude...
 
Als dann mein kleines Herzchen auf seinem Kinderstühlchen sitzt und Freude und Zufriedenheit ausstrahlend seine FrootLoops mampft, zu denen ich ihn äußerst Wortreich überreden musste, weil die Cornflakes aus waren, und sich dabei die frischen Klamotten und den etwa 2 Meter großen Kreis um ihn herum mit der Milch- FrootLoops- Pampe verschönert, kann endlich ich mich anziehen.
 
Dieser Pulli ist voller Spinat von gestern Mittag.
 
Dieser Pulli ist voller Bananenbrei von gestern Abend.
 
Beide landen erst mal in der Waschmaschine, dazu gleich mal die Bettdecke, das Laken, die Bettbezüge seine Klamotten und die Hälfte der Plüschtiere aus seinem Bett, damit ich endlich den Geruch rausbekomme, der sich penetrant durch die Wohnung schleicht. Ich bin so froh, wenn er erst mal keine Windeln mehr braucht.
 
Im Schrank ist noch EIN Pulli, den ich anziehen kann, den kleinen Blaubeerfleck sieht keiner! Dazu die bequeme Jogginghose und mein Ensemble steht.
 
„Mama! Kohomm! alles auf! Will mehr!"
 
Nachdem ich meinen Sohn, der jetzt mittlerweile nicht mehr wie ein Mensch aussieht, sondern eher wie ein Nimmersattes Spatzenküken, unter der 5cm dicken Milch- FrootLoops- Kruste ausgemacht und erkannt habe, dass ich mit den Feuchttüchern, die ich geistesgegenwärtig beim Galopprennen in die Küche noch greifen konnte, höchstwahrscheinlich nichts mehr erreiche, wuchte ich ihn aus dem Kinderstühlchen, lasse ich ihm genervt das Badewasser ein, entkleide ich ihn mit spitzen Fingern und setze ihn in das wohlriechende Nass, nachdem ich natürlich das Entchen befragt habe und sie mir durch dezente Verfärbung ins Lila sagte, dass das Badewasser die richtige Temperatur habe.
 
Als ich dann das fröhlich singende Wesen von seiner Panade befreit habe, plätschert es ein wenig vor sich hin und ich kann den Müll aus der Küche entfernen und die halbe Schüssel FrootLoops mit Milch vom Boden, vom Stühlchen, vom Tisch, vom Fenster, der Fensterbank und natürlich von mir kratzen.
 
Kaum bin ich damit fertig, ist auch das Badewasser abgekühlt, das darin leicht schrumpelnde Jungchen ist seiner Spielsachen überdrüssig und brüllt im Abstand von etwa 5 Sekunden: „Mama, Raus!"
 
Ich komme ins Bad und mein zitternder Liebling guckt mich vorwurfsvoll aus einem Schaumberg heraus an, während ich, mich wundernd, dass überhaupt noch Wasser in der Badewanne ist, streckenweise schwimmend, rutschend und schliddernd vor derselbigen zum Stehen komme.
 
Ich greife die, mir fordernd entgegen gestreckten Arme des Blitzsauberen aber glitschigen Kindes und hebe es, nur durch Zufall, Glück und alle Schutzengel dieser Welt, nicht im Spagat zum sitzen kommend, hoch, um es geübten Handes gleich in sein Handtuch zu wickeln.
 
„Mama, kusseln?" kommt es schläfrig von meinem Arm. Da kann ich einfach nicht nein sagen. Wir kuscheln erst mal ein bisschen und mein müde vor sich hin grienendes Schätzchen schmiegt sich ganz eng an mich.
 
So schön es auch ist, es dauert nicht lange und nach 10 Minuten ist alle Müdigkeit vergessen. Es ist Zeit zum anziehen.
 
„Nein! Bob- Hose!"
 
Ich werde wohl noch so eine dämliche „Bob der Bauarbeiter“- Latzhose kaufen müssen, damit ich ihm nicht jeden zweiten Tag erklären muss, dass seine Lieblingshose, starr vor Dreck, Rotz, Pipi und Schlimmerem, unbedingt gewaschen werden muss.
 
„Guck mal, Schatz, die ist doch auch schön, und die ist von Oma!"
 
Da soll mir doch mal einer sagen, kleinen Jungs wäre es egal, was sie angezogen bekommen.
 
Nicht meinem Kleinen, nein, dem nicht...
 
Der Wutausbruch, der jetzt folgt, ist so heftig, dass wir ihn wohl in 15 Jahren unter Therapeutischer Aufsicht aufarbeiten müssen. Und ich wundere mich mal wieder, woher er solche Worte hat.
 
Als sich dann das arme Würmchen, von unkontrolliertem Zittern geschüttelt, in seiner Oma- Hose wieder fand (Ha, ich hab gewonnen! Der Sieg ist mein!), war alles doch nicht so schlimm, und die Aussicht auf ein neues Spielzeugauto, das ich ihm versprochen habe, damit er aufhöre zu weinen, machte ihm auch den schrecklichen Pullover erträglich, den er außerdem von Oma geschenkt bekommen hatte
 
(Ich kann ihn ja verstehen, ICH hasse Willi, den Freund von Biene Maja auch).
 
Heute sollte, Sie werden es erraten haben, besagte Oma zu Besuch kommen, den Spruch los lassen, den ich so liebe: „Mensch Junge, du wirst aber ein Strammes Kerlchen! Mama gibt dir wohl viele Süßigkeiten?", eine Fuhre Klamotten verteilen, die ich nicht leiden kann und die mein Kleiner hasst, zwei Pfund Kekse und sieben Liter Kaffee verdrücken, mir mit „Guten Ratschlägen" die Laune verderben und nach gefühlten 48 Stunden wieder verschwinden, um zwei Wochen später dasselbe noch einmal zu tun. Der Opa wird auch dabei sein, aber der hält sich so sehr im Hintergrund, dass er überhaupt nicht auffällt. Noch nicht mal Klein- Tobi, der immer nur nach Oma fragt.
 
Na, das kann ja noch ein Tag werden.
 
So, Jacke an, Mütze auf.
 
„Nein!“
 
„Ach Mensch Tobi, die Mütze musst du aufsetzen. Es ist so kalt draußen!“
 
„Ich will nicht!“
 
Jetzt muss ich aber streng sein.
 
„Tobi, mein Freund, Entweder Mütze auf oder du bleibst heute zu Hause!“
 
Ich bin mir nicht sicher, ob das, was jetzt vor mir steht, immer noch mein Sohn ist, oder eine wirklich sehr laute und ohrenbetäubende Tomate.
 
Der wievielte Wutausbruch ist das allein heute? Hab schon wieder vergessen zu zählen.
 
Mir geht die Phantasie aus und ich setze ihm die Mütze ohne ein Wort auf. Gleich die Handschuhe hinterher. So. jetzt bist du wehrlos.
 
Kind in die Karre und los ab zum Kindergarten.
 
Und der Tag hat gerade erst begonnen.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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