Lothar Atzert

Tod eines Leichentransporters

 

 

 

Tod eines Leichentransporters

„Um die Welt zu kennen, braucht man nicht vor die Tür zu gehen.“.
Laotse – Tao te king.

„Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus“ - als kleiner Bub nahm ich das Lied etwas zu wörtlich, schlich in den Garten, so erzählt man zumindest, um zu sehen, ob ich einen Baum dabei erwischen könne, wie er gerade sein Kraut heraus prügele, war dann umso enttäuschter..... nun gut, der Lenz – sein Zweitname – war zum wiederholten mal gekommen und am Haus im ersten Stock klebte hinter der Regenrinne gut geschützt ein Vogelnest mit winzigen Blaumeisen darin. Die schrien, was die kleinen Kehlchen her gaben, unablässig nach Futter..
Und die Eltern schleppten's brav heran, zappelnde Happen von Insekten, Raupen, Maden, stopften die gelben Schlünder, eins nach dem anderen, wodurch der jeweilige für einen Moment Ruhe gab..
Auch die Mauersegler waren zurück aus dem Süden und zogen wieder quitschend vor Vergnügen haarscharf um die Ecken. Und in Gedanken flog ich des öfteren mit......
Und wenn schon die Bäume nicht auf kindliche Vorstellungsweise aus-schlugen, so wollte ich wenigstens im Englisch-Wörterbuch nach-schlagen, wie die Blaumeise im Land meiner Muse genannt wird. Da stand dann: "blue tit" - das klang irgendwie spannender, ja es war fast unmöglich für einen, wie mich, dabei nicht unmittelbar an blaue Titten im Sinne der schwärmerischen Romantik zu denken.... so tief, so fern du Meer blau wogender Busen - vielleicht schlugen die englischen Bäume anders aus. Hier jedenfalls ".... bleibet, wer Lust hat, mit Sorgen zuhaus..." .
Von all dem wussten die "Cyanistes caeruleus", wie sie der Ornithologe nennt, natuerlich nichts. Aber weiter kam ich nicht in der vogelkundlichen Betrachtung. Vor unserem Haus erklang plötzlich ein "Trrrrrrr" – wobei es sich um einen Anlasser handelte, der eben Anlass zur Sorge gab, da er offenbar seinen Dienst quittierte: der Motor eines Automobils sprang nicht mehr an. .
Trrrrrrrr, fast wie der Specht in "Wortlos ortlos" – einmal, zweimal, zehnmal, zwanzigmal trrrrrr.....
Es war, wie gesagt, Frühling und auch die Batterie stand wohl, anders als in kalten Wintermonaten, in vollem Saft, so dass es erst ungefähr beim dreissigsten mal ins Stottern überging: "Trr...tr....tr...t...t...t... dann herrschte wieder wohltuende Stille!.
Es war mir inzwischen zum Ritual geworden, jeden Morgen gleich nach dem Frühstueck als erstes nach den Meisen zu schauen, ob alles noch in Ordnung sei. Der Schützerinstinkt gebot es einfach. So verliess ich auch an diesem Tag das Haus und – sah ihn vor dem Hoftor stehen - ein Leichenwagen, der da nicht ansprang. Sein Fahrer, in dunkelgrauen Zwirn gehuellt, stand davor und sprach gerade aufgeregt in sein Handy: "..... springt nicht an.... ich hab 'ne Leiche im Auto und muss dringend zum Hauptfriedhof. Beeilen Sie sich bitte...... ja.... ein Leichentransport..... ja.... springt nicht an..... ja, ich warte hier am Auto....!".
Sodann wählte er eine neue Nummer, möglicherweise die vom Hauptfriedhof oder dem Auftraggeber und erzählte abermals mit gereizter Stimme, dass er eine Leiche an Bord habe und nicht pünktlich eintreffen könne, da das Fahrzeug nicht anspränge. Da riet man ihm wohl, es in eine Werkstatt abschleppen zu lassen, worauf er sichtlich genervt erwiederte: "Ich kann doch nicht mit der Leiche in die Werkstatt, wie stellen Sie sich das vor? Ganz abgesehen davon ist so etwas in Deutschland garnicht erlaubt......Jetzt warte ich auf den ADAC und wenn alle Stricke reissen, brauche ich ein Ersatzfahrzeug - .... was heisst, Sie haben keins? - dann bleibt der Sarg hier eben stehen...... also gut, ich melde mich, sobald der ADAC da war.".
Mit den blauen Tities war alles in Ordnung und auf dem Weg zum Briefkasten (-immer noch keine Post von Dir!) konnte ich einen Blick auf das Fahrzeug werfen. Es war ein Mercedes, schon betagt, schwarzer Kasten, mit silberner Beschriftung: "Bestattung Baldur Bratke – umweltverträgliche Särge nach Maß."
Ich weiss nicht, ob es mich mehr amüsierte oder eher beunruhigte, dass der Tote hier vor dem Haus möglicherweise für längere Zeit abgestellt werden solle – vielleicht war es ja auch eine Sie – abgestellt und vergessen womöglich..... naja, der Automobilclub wird's richten. Und vielleicht böte sich ja auch die Gelegenheit, die eine oder andere Leiche aus dem Keller klammheimlich dazu zu packen. Aber erst mal kam Baldur Bratkes Frau Wilma dazu. Man gestikulierte und beim Wort Leiche wurde die Stimme immer etwas betont..
Und im Weggehen vernahm ich noch Wortfetzen, wie "...kann sie doch nicht auspacken und in den PKW setzen.... Sarg auf den Dachgepäckträger..... mit der Leiche auf dem Vordersitz zum Friedhof fahren.....".
"Fiep, fiep" zogen die Mauersegler vorbei. Was die für ein Ortungssystem haben müssen.... Mir fielen Grossmutters Frikadellen aus wochenlang gesammelten Fleischresten wieder ein, die durch den sogenannten Fleischwolf gedreht wurden. (ausführlicher beschrieben in "Der blaue Eisenhut") Viel lieber war mir da schon das Knäckebrot mit Vitam-R., dazu prickelnde Ahoi-Brause......
Die Vögel fingen ihre Nahrung in der Luft, während des Fliegens – deshalb fielen mir die Frikadellen ein. Herumtoben und dabei nach Lust und Appetit fressen – das schien mir noch immer nicht das Schlechteste zu sein. Und wenn man müde war, schlief man ein wenig – auch das nicht selten im Flug. Oder man suchte sich ein liebes Weibchen zum gemeinsamen Mauersegeln. Zusammen im Formationsflug um die Ecken schwirren, jauchzen, dann hoch zu der Wolke da oben und vielleicht später ein Nest bauen! Und irgendwann, irgendwo, irgendwie im Flug verstarb man so nebenbei, flog direkt weiter ins "hawkswallow-paradiese", (ja so ein Wörterbuch aber auch...) während der Körper den Wesen der Erde zum Schmaus ueberlassen blieb, oder gleich verweste, wieder zu Erde ward, dort wo er gerade hin fiel..
Werde und Erde – wie lieb' ich Dich und Deiner Worte Fluss, Du deutsche Mutter- Geliebte- Kind-Sprache.... ach lass mich Dir zu Ehren fleissig Geschichten schichten, wie die Vögel und die englische Sängerin Lieder singen....
Ein Kreislauf, ein irgendwie unfassbarer Kreislauf, mit unendlich vielen Läufen, Schicksalen, Überschneidungen und entsprechenden Erfahrungen. Und irgendwann, nach sovielen Fahrten, Irrfahrten sehnt man sich nach Schlaf. Um ins reine Sein ohne Kommen und Gehen zu erwachen..
Die Leiche schien sich vor ihrem Tod nicht nach Heimkehr gesehnt zu haben. Wo sie doch selbst jetzt noch den Fortgang der Dinge bestimmte, anstatt einfach loszulassen. Womöglich hatte sie im Leben zu leben versäumt.......
Ich kontemplierte noch ein wenig im Garten unter der Weide über das endlose Fliessen der Dinge, wünschte allen alles Gute und als ich wieder in den Hof zurück kam, fuhr gerade der Herr vom allgemeindeutschen Selbstbewegungsclub fort. Seine Diagnose war vernichtend: "Motorschaden.".
Bratke hatte bereits wieder sein Handy gezückt: " Was heisst in drei Stunden? Ich muss in fünf Minuten am Hauptfriedhof sein....die Verwandten aus Argentinien wollen heut noch Abschied nehmen und dann zurück fliegen....also gut, dann bleibt die Leiche halt so lang hier in der Hitze liegen........ich kann's nicht ändern! Tot isse ja schon! .... Hallo?....hallo.!... jetzt ist auch noch der Akku leer....!".

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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