Marcel Hartlage

Schatten im Wald (Kapitel 3)

  »Warum braucht er den so lange?« fragte Bella nervös. Sie zitterte am ganzen Körper.
  »Der kommt schon noch wieder!« schrie Edward aufgebracht. Kam er das wirklich? Bella kniff die Augen zusammen und spähte ins dichte Unterholz. Sie erkannte nichts, und sie hörte nichts. Das war um einiges schlimmer, als auch nur einen Schrei zu hören – oder ein Knurren.
  »Vielleicht sollte noch einer – « begann Martin.
  »Nein!« schrie ihn Edward mitten ins Gesicht. Erschrocken fuhr Martin zurück.
  Dann hörten sie einen Schrei.
  Daniels Schrei.
  Ohne zu zögern brüllte Joe voller Wut und sprintete direkt in den Wald hinein. Sekunden später war er in der Dunkelheit verschwunden, und man hörte nur noch seine laute, energische Stimme: »Ich komme, Daniel!«
  »Dieser Idiot!« redete Edward nervös vor sich hin. »Mir reicht's! Ich verschwinde von hier! Soll er doch verrecken!« Mit diesen Worten lief Edward in Richtung der Autos, ohne die anderen beiden auch nur anzusehen.
  Bella wusste nicht, was sie tun sollte. Nervös trampelte sie mit ihren Füßen auf der Stelle hin und her, rieb sich die Hände und blanker Schweiß ran ihr über das Gesicht. Sollte sie Joe folgen? Oder Edward aufhalten? Konnte sie Martin hier alleine lassen? Und was war mit Daniel geschehen? Panisch zuckte sie zusammen, als sie das Geräusch von Edwards Motor vernahm und Scheinwerferlicht zwischen den Baumstämmen aufleuchten sah. Dann wurde es wieder dunkel, der Motor wurde leiser und leiser, bis sie ihn nicht mehr hören konnte …
  »Was sollen wir tun?« wandte sich Bella nun panisch an Martin, der mit riesigen Augen ins dichte Unterholz starrte, in der Hoffnung, irgendetwas zu hören. Er zuckte nur die Achseln, ohne sie auch nur anzusehen. »Martin!«
  Wie aus dem Schlaf erwacht wurde Martins Blick wieder klarer, er schaute Bella an. Sein Blick war unheimlich, während sich die tanzenden Flammen des Lagerfeuers in seinen Augen spiegelten. Doch dann nickte er und sagte, völlig leise und ruhig: »Komm.« Er eilte in Richtung seines Wagens. Wollte er jetzt auch noch fliehen? Nur zögernd folgte Bella ihm, und immer wieder wandte sie einen Blick in den dichten Wald hinter ihnen.
  Noch ehe sie Martins Wagen erreichte, kam dieser schon wieder auf sie zu, bewaffnet mit einer Eisenstange. Mit offenen Mund starrte Bella ihn an.
  »Ich werde niemals die Hoffnung aufgeben!« sagte er, eher zu sich selber als zu Bella. Entschlossen ging er geradewegs auf das Unterholz zu, indem Daniel und Joe verschwunden waren. Bella seufzte, doch dann schritt sie ihm hinterher.
  In diesem Teil des Waldes wirkte alles viel dunkler. Das Feuer war nur als mattes Licht weit hinter den beiden zu sehen. Vor ihnen war der Waldboden beleuchtet vom dünnen Licht des Vollmondes, dass durch das Blätterdach drang. Martin schritt vor, mit festen Blick auf seine Umgebung, hinter ihm Bella, die ängstlich die Bäume anstarrte.
  Dann hörten sie Schritte.
  »Lauft!« schrie Joe die beiden an. Noch ehe sie sich zu ihm umgedreht hatten, war er schon an ihnen vorbei. Dicht hinter ihnen ein bösartiges Knurren.
»Lauft, verdammt noch mal!«
  »Aber – « begann Bella.
  Doch Martin hatte sie schon am Arm gepackt und vor sich geschoben. Sie rannten den flüsternden Bäumen entgegen, kalter Wind trocknete den Schweiß auf Bellas Haut und sie bekam eine Gänsehaut. Ein noch kälterer Schauer überlief sie, als sie kein Knurren mehr hörte, sondern ein Brüllen – ein tiefes, eiskaltes Brüllen, dicht hinter ihr, vielleicht vier oder fünf Meter.
  Panik ergriff sie. Sie wollte sich nicht umdrehen, sie wollte nicht sehen, was sie verfolgte. Es war kein Bär oder ein Wolf, was sie Anfangs noch gedacht hatten. Es war etwas anderes, unbekanntes, dass nur hier, in den tiefen Wäldern hauste. Ein Geschöpf, das die Menschheit nie erblickt hatte. Und jetzt war es direkt hinter ihr, hetzte sie durch den Wald und es brüllte von Neuem. Es war ein Wutschrei.
  Wo liefen sie hin? Sie hatte völlig die Orientierung verloren. Sie erblickte kein Licht, dass ihren Lagerplatz kennzeichnete, sondern nur einen dichten Wald, und den Vollmond, der imposant am Himmel schien. Sie nahm den Ruf einer Eule war, ehe peitschender Wind zu ihrer Rechten sie beinahe umgerissen hätte. Es war das Wesen. Es sprang an ihr vorbei.
  Es riss Martin zu Boden.
  Bella hörte das Brüllen, das Schreien ihres Freundes. Sie wollte umdrehen, ihn helfen, dem Feind ins Gesicht blicken, doch Joe, der wie angewurzelt stehen geblieben war, gebot ihr, weiter zu laufen. Sie tat es, auch wenn sie nicht wusste, ob es die richtige Entscheidung gewesen war.

  Joe sah, wie Martin die Eisenstange aus den Händen viel und sie auf den Laubboden in seine Richtung rollte. Mit zitternden Händen umklammerte er sie und sprintete seinem Freund entgegen. Doch ehe er Martin zur Hilfe eilen konnte, richtete das Wesen seinen Kopf auf, zeigte messerscharfe Zähne und brüllte ihm ins Gesicht. Noch bevor Joe völlig verzweifelt und mit schlechtem Gewissen die Flucht ergriff, starrte er Martin in seine Augen, und nahm den erloschenen Blick in Kauf. Dann rannte er.
  Er hatte Bella völlig aus den Augen verloren. Er rief nach ihr, aber natürlich bekam er keine Antwort. Stattdessen hörte er ein wildes Brüllen und Klauen, die sich in die Erde gruben und zum Sprung ansetzten. Blitzschnell schlug er einen Haken und spürte den seichten Wind, als das Wesen an ihm vorbei sprang und mit der Schnauze auf den Boden landete.
  Joe sprintete direkt ins dichte Unterholz. Blätter und Äste schlugen ihm ins Gesicht, als er plötzlich über einen Baumstamm stolperte und er zu Boden viel. Er spürte, wie warmes Blut aus seiner Nase rang, und wie er einem Abhang hinunter rollte, bis er schließlich die Augen öffnete und dem Himmel entgegen blickte. Sofort richtete sich Joe auf und schaute sich um, die Eisenstange bereit zum Zuschlagen. Die Büsche und Pflanzen reichten ihm bis zum Hals. Es war schwer zu sagen, wo sich dieses Wesen befand. Es konnte überall sein, vielleicht sogar schon hinter ihm stehen.
  Joe hörte ein Rascheln.
  Es war nahe. Langsam schlich er über den Boden, immer näher den raschelnden Büschen entgegen. Er hielt den Atem an, dann lauschte er.
  Etwas knurrte.
  Ohne zu zögern schlug er ins Unterholz. Er hörte Knochen brechen, dann ein Jammern. Doch es war ihm viel zu vertraut, dass war nicht das Jammern eines unbekannten Wesens. Er legte die Eisenstange beiseite und spähte durchs Unterholz.
  Es war Daniel, der jammerte.
  »Nein.«
  Joe kam auf seinen Bruder zu gekrochen, packte ihn unter dem Kopf und hielt ihn wie ein kleines Kind in den Armen. Tränen liefen ihm übers Gesicht und immer wieder sagte er nur dieses eine, verzweifelnde Wort: Nein, Nein, Nein, Nein …
Was hatte er nur getan? Wie konnte das passieren? Er war verzweifelt, hatte panische Angst, alles schmerzte ihn. Es war nur ein Traum … das konnte nicht sein. Sein Bruder konnte nicht durch seine eigene Hand sterben, nur wegen diesem Monster, dass irgendwo da draußen umher wanderte –
  Direkt hinter Joe knurrte etwas.

  Bella hatte Tränen in den Augen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon umher lief. Jedoch hielt sie nach langer Zeit an und riskierte einen Blick hinter ihr. Es war nichts zu sehen. Doch wo war Joe? Und was war mit Martin passiert? Noch immer schien der Vollmond in seiner vollen Pracht. Sie konnte nicht mehr. Seit Ewigkeiten war sie durch den Wald geirrt, jetzt brauchte sie eine Pause, weil sie nicht mehr konnte. Aber du musst die anderen finden, redete sie sich in Gedanken ein, als sie langsam durch den Wald ging, immer wieder umher blickte, ob irgendetwas zwischen den Bäumen laufen würde. Sie konnte die anderen nicht im Stich lassen.
  Völlig erschöpft setzte sich Bella auf einen Stein und lauschte in die Stille. Was war das nur gewesen? Was lebte hier in den Wäldern desBackspot National Forest
? Warum nur mussten sie sich ein so bescheuertes Ziel ausgesucht haben?
  Sie starrte mit leeren Blick in den Wald, als sich nicht einmal zwanzig Meter entfernt eine schwarze Gestalt bewegte. Sie schritt trotzig auf vier Beinen dahin, mit langer Schnauze und großen Klauen an den Füßen. Jedoch erkannte sie nichts weiter, und sie hielt vor Angst den Atem an. Langsam glitt sie vom Felsen, den Blick auf das Wesen fixiert. Dann verschwand sie blitzschnell im Unterholz hinter ihr.
  Doch sie hatte den Wutschrei des Wesens gehört, und auch das trampeln, als es sich in ihre Richtung bewegte.
  Bella zitterte am ganzen Körper, nervös schaute sie sich um. Keine fünf Meter von ihr entfernt befand sich eine kleine Höhle. Sie eilte darauf zu, schaute in die pechschwarze Dunkelheit und kletterte hinein. Hätte sie nur eine Sekunde länger gezögert, so hätte das Wesen sie entdeckt, welches jetzt den Platz erreichte, wo sie eben noch gestanden hatte. Sie erkannte es, denn jetzt war es sehr nahe. Sie
erkannte das Wesen, welches sie verfolgt hatte. Und sie schwor sich, sollte sie jemals hier raus kommen, so würde sie niemanden etwas davon sagen.
  Aber das Wesen schritt weiter, und verschwand kurzer Hand später wieder im Unterholz. Bella seufzte.
  Doch sie hörte ein Knurren.
  Erschrocken drehte sie sich um und spähte in die Dunkelheit der Höhle.
  Es waren mindestens zwei Dutzend Augenpaare, die sie anstarrten.
  In weiter Ferne erklang wieder die Eule.


 



 

 

Hier endet die Geschichte. Sie war meine erste, die ich in Kapiteln unterteilt habe, aber ich denke, dass es auch in Abständen funktioniert. Vielen Dank fürs Lesen.
Freundliche Grüße
Marcel Hartlage
Marcel Hartlage, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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