Michael Gatz

Als wir laufen lernten…

20.Jahrestag des Mauerfalls

Ein Auszug meines Lebens...

Kapitel 22

 

Als wir  laufen lernten…oder

wir waren keine Helden, wir hatten nur Angst

 

,,Guten Morgen Kollegen. Es tut mir leid euch in eurer Frühstückspause stören zu müssen’’.

Mit diesen Worten nahm der Vorsitzende der SED-Betriebsparteigruppe im Frühstücksraum platz. Er war  schon in der Vorwoche angekündigt worden und die Kollegen des kleinen Fuhrparks des HO-Betriebes waren extra hierher zitiert worden.

,,Man  Orje  wat  gibt’s denn das wir nu extra heut Morgen hier antanzen mussten. Ich muss noch mit dem Wagen inne Werkstatt’’ meckerte der dicke  Manne neben mir.

,, Ich weiß ihr habt viel zu tun und darum will ich es kurz machen. Wie wohl alle mitbekommen haben sind in den letzten Monaten auch Kollegen von uns in die Botschaften der BRD gegangen um illegal auszureisen. Unsere Parteigruppe hat deshalb eine Unterschriftenliste aufgestellt in der wir uns von diesen Machenschaften distanzieren. Ich fordere euch auf  hier zu unterschreiben.’’ Damit holte er eine Liste aus seiner Ledertasche auf der einige Namen standen und legte sie auf den Tisch.

Die 20 Kollegen saßen da und schauten ihn schweigend an. Der Fuhrparkleiter neben ihm nahm sie griff zum Kugelschreiber und unterschrieb ohne auch nur einen Blick auf das darin Verfasste zu werfen. Dann reichte er sie weiter. Peter war dran, mein Beifahrer. Er schaute nur kurz darauf und schob sie wortlos weiter. ,, Weist du was Orje die Leute werden ihre Gründe gehabt haben. Einige von denen kannte ich sogar. Also ich unterschreibe hier gar nichts. Wer meint er müsse das tun der soll es tun. Ich nicht’’!

Es war wie eine Initialzündung. Nach diesen Worten wurde die Liste weitergereicht ohne das auch nur einer unterschrieb bis sie wieder vor dem Adressaten lag.

Orje bekam einen roten Kopf und wollte anfangen loszupoltern. Faselte was von Verrat am Sozialismus. Plötzlich, haben es alle eilig an ihre LKW zu kommen. All das geht im allgemeinen Tumult des Aufbruchs unter. Die Kunden würden warten und sie hatten ihren Plan zu erfüllen.

,, Wie mich das ankotzt. Am liebsten wäre ich mitgegangen. Ich mag schon gar nicht mehr hinschauen, abends in den Nachrichten. Aber was soll ich machen Angela will ja nicht. Ja und warum auch. Schließlich haben wir hier das Wochenendgrundstück. Wir haben soviel Herzblut rein gesteckt. Die Kinder sollen es doch mal erben. Soll ich das alles verlassen nur wegen Typen wie Orje? Dieser Schleimscheißer. Im Betrieb auf Kommunisten machen und mich laufend um Westgeld anbetteln. Herrgott noch mal’’.

Mein guter alter Peter redete sich wieder mal in Rage.

,,  Man nun sag du doch auch mal was und grins nicht so blöde. Warum hast du eigentlich deinen Ausreiseantrag zurückgezogen? Es war doch schon fast alles perfekt?’’ dabei schaute er mich prüfend von der Seite an.

,, Das Gleiche wie bei dir. Erst kam vor drei Jahren Chrissi zur Welt. Mit einem Kind hätte ich sie ja beinahe überredet. Aber nun bekommen wir wieder Nachwuchs. Ein Mädchen! Und ich freu mich wie Bolle aufn Milchwagen drauf ’’ antwortete ich ihm.

,, Das de auch nie aufpassen kannst, oller Schwerenöter. Das haste nun davon. Windeln statt Mallorca!’’.

Wir prusteten beide los.

 

,,Wo  geht’s heute hin ?’’ frage ich beim fahren. Peter wirft einen Blick in die Auftragsliste und sagt :  ,, Zu Lehmann inne Schönhauser Allee. Fünf Farb-TV, einen Kühlschrank und drei Waschvollautomaten liefern. Einen defekten Kühlschrank vom Kunden abholen .  Na das reicht auch für Heute. Gib Gas dann sind wir pünktlich zu Haus.

Im  HO-Elektrowaren angekommen werfe ich einen Blick auf die Lieferscheine und glaub mich laust der Affe. ,, Lehmann du hast wieder nicht aufgepasst. Die Wollankstraße 3-4 in Pankow liegt im Grenzgebiet. Da darf ich nicht ohne Sonderausweis rein.’’

Lehmanns Blick flattert. ,, Die Kiste muss aber heute hin. Die Wutke is ne gute Kundin. Scheiß was auf den Ausweis. Leute da gibt’s richtig Schmalz’’ dabei reibt er mit dem Zeigefinger heftig am Daumen. Wenn Lehmann, gute Kundin’ sagt hat er bestimmt kräftig abgesahnt denke ich so bei mir.  Diesen TV gibt es auch nur durch Beziehung.  ,, Watn  gibt’s Buntes bei der Kundin?’’ Peter kommt ins Lager. ,, Ja zwanzig Mark wenn ihr die Sender einstellt und die Kiste zum laufen bringt.’’ Das überzeugt uns und wir nehmen die Gefahr des erwischt werden auf uns.

,, Also los ,auf geht’s’’

Frau Wutke ist die Erste. Ich biege in die Wollankstraße ein fahre sie bis hoch fast bis zur Mauer. Kein Polizist zu sehen. Ein paar Hausnummern davor halte ich an. Von hier ab heißt es schleppen. Drei Treppen hoch. Die Wutke wartet schon mit einer Tasse Kaffee. Wir packen aus, stellen die Sender ein, verlegen das Antennenkabel. Schnell noch ein Schluck Kaffee geschlürft, Trinkgeld eingesackt und runter die Treppen.

Schnell zum Transporter. Und wer steht da? Klar Wachtmeister Krause in voller Pracht. ,, Fahrerlaubnis, Ausweis und Grenzausweis des Fahrzeugführers’’ raunzt er. ,, Peter gib doch mal den Grenzausweis raus’’ rufe ich und reiche dem Grünen meinen Ausweis und die Fahrerlaubnis. ,, So’n Mist aber auch der liegt im Betrieb noch auf dem Tisch’’ klingt es aus dem Fahrerhaus.

,, Sie hätten sich vor der Einfahrt in das Grenzgebiet vergewissern müssen das sie ihn dabei haben. Sie liefern doch sicher nicht das erste Mal. Was haben sie denn geladen? Machen se mal auf hinten.’’ Peter kommt raus. ,,Fernseher, Wachtmeister. Die Neuen Grossen !’’ Der wirft eine Blick in den Laderaum gibt mir die Papiere wieder und fragt ganz jovial: ,, Sagt mal wo gibt’s denn die? Wollt mir auch so einen zulegen aber die sind ja ständig ausverkauft’’

,, Okay ich sag ihnen wo es noch einen gibt. Wir könnten auch  bescheid sagen im Laden’’

,,  Man das wäre ja Klasse, wo denn? Ja schon gut ihr könnt auch fahren. Ich sehe noch mal darüber weg’’

Peter hat die Türen verschlossen und flüstert ganz geheimnisvoll: ,, In der Bornholmer 75. Aber sie müssen heute noch hin!’’

Als wir wieder im Wagen sitzen frage ich: ,, Sag mal wo zum Teufel haben wir einen Elektroladen in der Bornholmerstrasse?’’

,, Haben wir ja auch nicht’’ meint Peter,, in der 75 ist ein ,,Intershop’’ aber da traut der sich mit seine Trachtenjacke sowieso nicht rein. Und wenn dann fehlt ihm garantiert das passende Geld’’.

Wir lachen uns scheckig.

,,  Darauf lass uns ne Currywurst essen, bei Konopke inne Schönhauser’’

 

 

 

 

Peter steht wie immer vor seiner Haustür als ich ihn morgens abhole.  ,,  Kommst spät heute’’ murrt er.

,,  Zeig mal, was haben wir denn heute Schönes.’’ Er angelt sich die Lieferliste.

,,  Ach ja bevor wir anfangen zu laden müssen wir unbedingt inne Leipziger Straße. Zu IFA-Ersatzteile. Die haben Auspuffanlagen für’n Lada bekommen. Der lange Schneider rief mich an’’

,, Hast du jetzt nen Lada? Hab ich was verpasst? Du hast doch den kleinen Fiat’’

Ich lache: ,,Nee die is für den Schwager von meinem Nachbarn. Der is doch Klempner. Der besorgt mir die Rohre und ½ Zoll Nippel für Kalle. Die ½ Zoll Nippel sollen ja Goldstaub sein sagt der. Kalle wiederum hat noch Bremsbacken für meinen Fiat im Keller zu liegen. Die braucht er nicht mehr. Sein Fiat ist Schrott. Also los, erstmal zu Schneider den Auspuff  kaufen’’.

,, Wenn ich es mir recht überlege, dann kauf ich auch einen. Man kann ja nie wissen ob ich den mal gebrauchen kann.’’ entgegnet mir Peter. Ich nicke zustimmend.

Der Laden kommt in Sicht. Davor die Schlange der geduldig Wartenden. Wir parken ab und gehen schnurstracks an ihr vorbei. ,, Hey Männeken denkste wir warten hier aufn Bus? Hinten ist das Ende’’ Wir ignorieren das Gemaule  und stiefeln in den Laden.

Lehmann kommt um den Verkaufstresen und flüstert: ,,Mensch fahrt mal hinten aufn Hof. Die Dinger sind gleich alle. Das gibt sonst nen Aufstand hier!’’

Als wir auf dem Hof alles verstaut haben wollen wir nach vorn bezahlen. Lehmann hält uns am Ärmel fest: ,,nee lasst mal sein. Geld will ich nicht. Geld ist kein Engpass, das können wir verdienen. Ich ruf an wenn mein Tiefkühler den Geist aufgibt. Der macht so komische Geräusche. Wir rechnen dann ab. Und nicht vergessen,  Klappe halten’’

,, Mann, Mann das ist ja beinahe ein Fall für den Staatsanwalt’’ sage ich später zu Peter.

,, Na und? Den besorgen wir Bremsbacken für’n Trabbi das mildert die Strafe.’’ Ich verschluck mich beinahe beim essen.  ,,  Klar für’n Richter gleich mit’’.

Peter überlegt. ,, Stell dir mal vor wir bekämen alles zu kaufen. Einfach so im Laden. Wäre doch langweilig. Man würde den Lehmann, den Schneider und wie sie alle heißen kaum kennen. So haben wir doch viele Freunde, wa? ’’ dabei grinst er über alle vier Backen. ,, Langweilig wär’s.’’

,, Ja wäre es. Hast recht Peter.  Komm lass uns den Plan erfüllen ’’

 

 

,, Mensch wie siehst du denn heute  morgen wieder aus? Soll ich fahren?’’ Ich gebe ihm den Autoschlüssel.

,, Hat se wieder geschrieen deine Prinzessin auf der Erbse? Die Nacht zum Tage gemacht?’’

Seit Tagen bin ich morgens wie gerädert. Mache Nachts kein Auge zu.

Nun sind sie endlich wieder zu Haus meine beiden Mädels. Allerdings ist damit auch die Ruhe vorbei. Was hatte ich mich auf meine Püppi gefreut.  Nur frühmorgens…naja. ,, Ich weiß auch nicht Peter, glaub Mädchen können länger und lauter schreien’’.

Ich hau mich auf den Beifahrersitz. ,, Na dann wollen wir mal das Bruttosozialprodukt steigern’’

Es scheint ein ganz normaler Arbeitstag zu werden. Ein ganz normaler Montag eben.

Bis wir in diese Straße einbiegen.. Prenzlauer Berg Stargarderstrasse, Gethsemanekirche.

,,Halt doch mal an. Was ist denn hier los? Funkwagen vor der Kirche? Feuerwehr?’’ Wir steigen aus und beobachten mit einer immer größer werdenden Menschentraube wie Feuerwehrmänner auf einer Drehleiter Transparente vom Kirchengebäude reißen. Pfiffe ertönen. Empörung macht sich breit. Die Polizisten werden immer nervöser. ,, Gehen se weiter, nicht stehen bleiben. Das ist eine polizeiliche Maßnahme.’’ Geschiebe und Gedränge. Und wir auf einmal mitten drin. Zwei Zivilisten stürzen in die Menge greifen sich einen jungen Mann und schieben ihn seinen Arm auf den Rücken drehend in einen PKW. Immer mehr Menschen kommen, bleiben stehen.. Das Gedränge wird immer heftiger. Gebrülle. Dann stehen wir Beide, der Peter und ich in dieser Kirche. Der  Pfarrer eilt zur Eingangstür und ruft immer und immer wieder ,,Keine Gewalt, seid  besonnen, keine Gewalt!’’

Wir schauen uns in der Kirche  um. Lesen auf den Transparenten und Tafeln von Verhafteten. Sehen auf Fotos blutüberströmte Gesichter und prügelnde Polizisten.

Auf dem Tisch vor uns eine lange Unterschriftenliste. Sie ruft auf zur Solidarität mit den Verhafteten. Zum Protest gegen diese Willkür. Wir gucken uns nur kurz an und dann unterschreiben wir.

,, Hast du gewusst das das so schlimm war? Ich hab was im Fernsehen gesehen und dachte das seien ein paar grüne Spinner. Umweltbibliothek und so was. Und dann diese Brutalität. Dabei fordern die Demonstrationsfreiheit, freie Wahlen und was weiß ich noch alles.’’ Peter staunt und ist bewegt das sehe ich ihm an.

,, Schau mal, heute Abend ist hier eine Veranstaltung. Wir sollten mal wieder ein Bier trinken gehen (nur falls die Frauen Fragen stellen sollten).  Was meinst du?  Bist du dabei?’’

Und ob ich dabei bin.

 

 

 

Als ich vor meinem Auto stehe sehe ich das der kleine weiße Streifen Stoff an der Antennenspitze immer noch da weht.

Das Erkennungszeichen für  Leute die irgendwann einmal einen Ausreiseantrag gestellt hatten. So mancher Daumen wurde gedrückt wenn ein Gleichgesinnter neben einem an der roten Ampel hielt. Es war schön wenn man sah dass  man nicht allein war. Ein Lächeln , eine aufmunternde Geste. Nun hatte ich ihn zurückgezogen den Antrag. Der Frau wegen und den kleinen Kindern da oben in der Wohnung für die ich liebe und für die ich mich Verantwortlich fühle.

Noch einmal wollte ich nicht dass so ein kleines Wesen meinetwegen weinte wie damals als ich von ihr ging, von ihr meiner ersten Frau. Es war nicht nur der Umstand das man mich schon wieder für ein halbes Jahr zur Armee eingezogen hatte und das ich sie mit meinem Fahrdienstmeister im Bett erwischte, nur weil sie sich im Datum geirrt und mich einen Tag später erwartet hatte. Da hatten wir uns schon auseinander gelebt. Ich war bei ihr geblieben des Jungen wegen. Sieben Jahre lang. Vielleicht waren wir auch einfach nur zu jung gewesen.

Nur der Kleine tat mir Leid und ich besuchte ihn so oft sie es zuließ. Später verbot man mir wegen  des  Antrags den Umgang mit meinem einzigen Kind. Ich setzte mich drüber hinweg. Stand viele Male mit klopfenden Herzen  in dem Hauseingang gegenüber der Schule. Lief rüber wenn die Schulklingel ertönte und er mit den Anderen aus der Schule kam.

Ich wurde ertappt an seinem Geburtstag als ich ihm sein Geschenk geben wollte. Es war nicht nur der Umstand dass man mir gerichtliche Schritte androhte sondern insbesondere die Zerrissenheit die ich bei ihm sah, dass ich diese Überraschungen nach und nach einstellte. Denn einerseits freute er sich mich zu sehen andererseits musste er seine Mutter belügen. Niemand durfte etwas wissen, niemand durfte an seiner Freude teilhaben. Vielleicht  steckte auch  ihr neuer Mann dahinter. 

Ausreisewillige waren Freiwild. Ob er manchmal an mich denkt?

 

Peter steht vor seiner Haustür.

,, Wir haben noch etwas Zeit. Ich schlage vor wir fahren nach’n Prenzelberg und gehen da ein Bier trinken. Dann haben wir es nicht weit bis zur Kirche’’ Ich nicke zustimmend

Im Radio verkündet der Nachrichtensprecher das nun auch in der Prager Botschaft der Bundesrepublik der Ansturm Ausreisewilliger anhält.

,, Sie haben Glück. Glück das ich damals nicht hatte. Wahrscheinlich weil ich allein war’’ sage ich leise.

Peter schaut mich fragend an.

,, Ich war Anfang der 80ziger auch mal dort. Wollte Hilfe. Blauäugig und unerfahren wie ich war’’

,, Du in der Prager Botschaft? Davon wusste ich ja gar nichts’

Ich spüre Peter will mehr wissen und ich denke dass der Zeitpunkt gekommen ist ihm davon zu erzählen…

 

 

Ich erzähle ihm dass es damit begann wie  meine Tante Edith Anfang 81 schwer krank wurde. Krebs. Was für eine Art von Krebs es war wusste ich damals noch nicht. Sie sprach nicht darüber und ich fragte nicht. Wir konnten auch nur telefonieren, lebte sie doch in West-Berlin.

Es ging ihr sehr schlecht und sie musste lange Zeit im Krankenhaus verbringen. Natürlich machte ich mir Sorgen war es doch beinahe die Letzte meiner Familie die übrig geblieben war. Ich liebte sie sehr.

Aber da war die Mauer. Ich stellte einen Besuchsantrag nach West- Berlin. Erst ließ man mich zwei Monate schmoren. Dann bestellte man mich zum Rathaus und teilte mir ohne Begründung mit das mein Ersuchen abgelehnt worden wäre.

Da lag sie nun im Krankenhaus und ich durfte sie nicht besuchen. Nur ein paar Querstraßen entfernt.

Langsam besserte sich ihr Zustand und sie hatte die Kraft mich zu besuchen. Als ich sie das erste Mal nach langer Zeit wieder am Grenzübergang abholte erschrak ich. Meine Tante Edith, wie sie so da stand, bepackt mit ihren Tüten mit Geschenken, wie war sie dünn geworden.

Als ich sie abends wieder wegbrachte versprach ich ihr mich um sie zu kümmern. Ich ging wieder zur zuständigen Stelle auf dem Rathaus. Stellte noch einen Besuchsantrag und bekam diesmal die Ablehnung sofort mitgeteilt.

Ein halbes Jahr später war sie tot.

Zur Beerdigung durfte ich natürlich auch nicht. Selbst das verwehrte man mir. Den letzten Gang an ihrer Seite…

Am liebsten wäre ich über diese verfluchte Mauer gesprungen. Dachte an Flucht.  Die tollsten Gedanken schossen mir durch den Kopf. Durch Zufall sah ich eine Sendung im ZDF. ,, Hilferufe von drüben’’ nannte die sich. Da hieß es die Bundesrepublik Deutschland würde die Interessen aller Deutschen im Ausland wahrnehmen. Auch die der so genannten DDR-Bürger. Das stünde im Grundgesetz.

Das war doch die Lösung dachte ich. Also ab ins Ausland! Zu den Tschechen durften wir ohne Visum und nur mit dem Personalausweis reisen. Also machte ich mich auf den Weg kaufte ein Ticket und flog von Berlin-Schönefeld nach Prag. Ohne Rückflug. In der Tasche alle Papiere die ich glaubte zu brauchen. Geburtsurkunde, Arbeitsbuch, Wehrpass usw.

Wie riskant das war darüber machte ich mir einfach keine Gedanken. Bei einer Kontrolle bestückt mit den Papieren und ohne Rückfahrkarte… (Wer fährt schon mit seiner Geburtsurkunde in den Urlaub?)… Die Stasi hätte schon ihre Schlüsse gezogen! Aber daran dachte ich damals nicht. In die deutsche Botschaft wollte ich. Irgendwie würden die mir schon helfen. Vielleicht bekam ich einen Pass und könnte von dort ausreisen. Die Verzweiflung lies mich einfach nicht nachdenken.

Was hatte ich für ein Herzklopfen als ich nachmittags  den Weg zur Botschaft hoch lief. Am Zaun vorbei. Am Portal des Hauses die Flagge mit dem Bundesadler. Ich hatte es beinahe geschafft. Vor dem schmiedeeisernen Tor  stand ein Polizist. Ich lief vorbei. Lief um das gesamte Gelände. Kam wieder am Tor vorbei das sich gerade öffnete. Der Polizist war nicht zu sehen. Eine Limousine fuhr hinaus und ich schlüpfte hinein.

,, Sie kommen aus der DDR?’’ fragte mich der Herr an der Pforte. ,, Ja’’ sagte ich. Woher wusste der das? ,, Dann kommen sie mal mit’’ Er trat hinaus und führte mich die Treppen hoch in einen Besucherraum.

Da saß ich nun und wartete. Alle Worte die ich mir zurechtgelegt hatte waren wie ausgelöscht aus meinem Kopf.

Nach einer Weile kamen ein Herr und eine Dame mit Stenoblock. Ich erzählte…Je mehr ich erzählte um, so sicherer wurde ich. Schließlich legte ich all meine Papiere auf den Tisch und bat um einen Pass.

Bisher hatten sie geduldig zugehört. Die Dame schrieb mit.

 ,, Sind sie mit all den Papieren hierher gekommen? Was glauben sie was passiert wäre wenn man sie erwischt hätte?’’ entsetzt schaut mich der Botschaftsangehörige an.

Dann machten sie mir in zwei drei Sätzen klar dass sie mir nicht helfen könnten, mir dieser Pass nichts nutzen würde. Mir würden einfach die Einreisestempel der Tschechen im Pass fehlen. Denn wer ausreist muss auch eingereist sein. Und die könnten sie mir nicht geben. Andere Möglichkeiten gäbe es nicht.  ,, Fahren sie zurück und stellen sie einen Ausreiseantrag oder einen Antrag auf Familienzusammenführung''.
Aber dafür war es ja nun zu spät. Tante Edith war tot.

 

Dann folgen ein paar aufmunternde Worte und der Vorschlag das man mich zum Wenzelsplatz fahren könne. Ein paar Tschechenkronen und 100 D- Mark sprangen noch heraus. Eine Stunde später war ich am Bahnhof, kaufte mir eine Fahrkarte und fuhr nach Haus.

Ich wurde nicht kontrolliert. Alles war noch mal gut gegangen.

Peter hat ohne mich  zu unterbrechen zugehört und mittlerweile sind wir angekommen.

Als ich in die Stargarderstrasse einbiege werde ich von der Polizei angehalten.

,, Hier geht’s nicht weiter, drehn se um’’ blafft man mich an.

,, Na das kann ja heiter werden’’ sagt Peter….

 

 

Die Kirche ist gerammelt voll. Trotz der enormen Polizeipräsens vor dem Eingang drängen immer mehr Leute hinein. Vor dem Altar ist ein Podium aufgebaut. Vertreter von Umweltgruppen, Liedermacher, Bürger verschiedener Colour, Junge Leute, Ausreisewillige,  Menschen die eine neue Republik aufbauen wollen, alles scheint hier vertreten zu sein. Nach und treten sie vors Mikrofon und melden sich zu Wort. Gedichte werden vorgetragen, Lieder von denen wir nie etwas hörten gesungen. ,, Sind so kleine Hände…darf man nicht zerstören…’’

Peter und ich sind überrascht. Haben wir all die Jahre verschlafen? Wo kommen so viele aufrechte Menschen her? Waren wir mit unserem Nieschendasein dermaßen beschäftigt gewesen das wir sie nicht wahrnahmen? Arbeiten gehen, das Dasein erhalten, Familien gründen, etwas bescheidenen Luxus erhaschen, war das die ganze Zeit alles was unseren Alltag erfüllte? War alles andere abhanden gekommen? Es schien beinahe so, betrachteten wir das Geschehen um uns herum. Da waren Leute die sich wehrten. Wehrten gegen Willkür, Umweltverschmutzung der übelsten Art. Gegen Unrecht, Geiselnahme eines ganzen Volkes. Leute die sich nicht ängstlich zurückzogen sondern Unmut und Protest äußerten. Freiheiten einforderten. Reisefreiheit, Freiheit des Wortes und der Schrift. Ob mit kleinen handgeschriebenen Zeitungen, Flugblätter,  Eingaben an die staatlichen Organe machten, oder mit Transparenten öffentlich protestierten. Dabei riskierten sie ihre Existenz, riskierten Verunglimpfung, Herabwürdigung, oder Inhaftierung.

Ich selbst hatte mich all die Jahre verweigert. Irgendwie durchgemogelt Aber hatte ich mich wirklich gewehrt? Ich konnte mich einer gewissen Bewunderung nicht erwehren. Er steckte mich sogar an, dieser Virus, der da Aufbegehren hieß. Es wurde Zeit etwas zu verändern. Wir sollten keine Bittsteller mehr sein. Wir wollen genau so frei sein wie unsere Landsleute hinter der Mauer. Das sind meine Gedanken. Dafür bin ich bereit etwas zu tun und sei es nur durch meine Anwesenheit hier und heute und an den kommenden Montagen.

Der Pfarrer verabschiedet uns und lädt alle zum kommenden Montag in seine Kirche ein.

,, Lasst euch beim Verlassen des Kirchengeländes nicht provozieren von der Staatsmacht. Wir wollen eine friedliche Veränderung. Keine Gewalt! Möge Gott euch schützen’’

Wir schieben uns aus die Kirche und trauen unseren Augen kaum. Das gesamte Kirchengelände, die Bürgersteige davor sind voller wartender Leute. Vereinzelt werden Transparente entrollt, Kerzen entzündet, Schilder werden hochgehalten. ,, Freiheit ist auch die Freiheit Andersdenkender…Solidarität mit den politisch verfolgten…,Reisefreiheit…’’ ist darauf zu lesen.

Die Staatsmacht die krampfhaft versucht die Leute auseinander zubringen wird immer nervöser. Polizisten mit großen Schilden und Schlagstöcken rücken an, kesseln uns ein. Versuchen uns in die Seitenstrassen abzudrängen. Hundegebell ist zu hören. Rufe unsererseits: ,, keine Gewalt’’. Dann beginnt die Hetzjagd. Schlagstöcke kommen zum Einsatz. Die Leute laufen los, wanken zurück, Stasileute greifen zu, Polizisten werfen Leute auf die bereitstehenden LKW.

Ich stolpere, falle. Ein heftiger Schmerz im Rücken treibt mich wieder hoch. Der Polizist über mir will noch mal zuschlagen. Eine Hand zerrt mich am Kragen meiner Jacke in die nächste Seitenstrasse. Wo ist nur Peter? ,, Schnell hier lang’’ höre ich eine Stimme rufen die scheinbar zur helfenden Hand gehört. Wir laufen, hetzen die Strasse lang. Hinter uns Gebrüll, Hundegebell, auf der Strasse Funkwagen mit Blaulicht. Und dann sehe ich Peter. Er steht an der nächsten Ecke und hält sich die Hand an den Kopf immer wieder  ungläubig auf das Blut schauend das von seinen Fingern tropft. Seine Augenbraue blutet.

,, Verflucht noch mal ich kann kaum noch was sehen’’ Ich bin froh ihn gefunden zu haben. Gemeinsam laufen wir weiter. Nur erstmal weg hier. Laufen die Straße runter.

Dann geht diese große Toreinfahrt auf und eine Stimmer ruft: ,, Kommt, schnell hier rein’’ Wir schlüpfen rein. Und krachend fällt das Tor hinter uns zu. Eine Tür im Parterre öffnet sich und wir werden in die Wohnung geschoben. ,, Leise und kein Licht’’ flüstert eine Stimme. Das Wohnzimmer in dem wir sitzen ist voller Leute die im Halbdunkel am Tisch sitzen oder am Boden kauern. An beiden Festern stehen junge Leute und beobachten die Straße. Eine junge Frau kommt mit Tuch und Wasserschüssel zu Peter und wäscht ihm das Blut aus dem Gesicht. ,, Du musst das kühlen’’.

Nach einer Stunde scheint sich die Lage draußen beruhigt zu haben. Auf Anraten der Leute hier lauf ich los um das Auto zu holen. Mit  dem angeschlagenen Peter loszulaufen halten sie für keine gute Idee.

Um Mitternacht komme ich zu Haus an. ,, Alles okay?’’ höre ich meine Frau aus dem Schlafzimmer verschlafen fragen.

,, Ja alles in Ordnung, schlaf  bitte weiter sonst werden die Kleinen wach’’.

 

Ich werde wieder hingehen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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