Dagmar Senff

Duft der Kindheit

Ist es eine Eigenschaft des Älterwerdens wenn uns zeitweise ein Déjà-vu auf eine Zeitreise schickt?

Ich wenigstens, kann mich an solche Augenblicke in jungen Jahren nicht erinnern. Erst die mittleren Jahre konfrontieren mich immer mal wieder mit Geschehnissen, die ich meinte schon einmal erlebt zu haben.

Sicher trägt die Lebenserfahrung dazu bei, dass sich Momente im Leben zu wiederholen scheinen. Unwillkürlich rufen sie dann Erinnerungen wach, die man schon vergessen glaubte.

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Flirrende Hitze begleitet mich bei meiner Fahrt durch die Felder. Nur die leichte Luftbewegung des Fahrtwindes verschafft  ein wenig Erfrischung. Mein Hund trottet mehr widerwillig als begeistert neben meinem Fahrrad her. Ihm scheint die Hitze auch zu schaffen zu machen. Es ist früh am Tag. Erst gegen neun Uhr und ich überlege, wo denn die Tagestemperatur heute noch hin steigen will.

Es ist mein erster Sommer in dieser Region, die ich in meinem halben Jahr Anwesenheit schon so zu lieben begonnen habe. Meine Eltern und Großeltern erzählten oft von diesem Land. Ein Land voller Weite und unendlicher Freiheit. Ich hörte die Geschichten und Erlebnisse immer mit sehr viel Begeisterung und konnte die Sehnsucht in den Augen der Erwachsenen erkennen, wenn sie davon sprachen. Es war ihre Heimat, aus der sie vertrieben wurden, nachdem der Krieg unser Land in zwei Hälften geteilt hatte.

Ich liebte diese Erzählungen auch, weil sie Zeit bedeuteten. Zeit, die die Erwachsenen für uns Kinder hatten. Leider war dies nicht sehr häufig der Fall, denn Bauersleute hatten immer viel zu tun.

Später dann, als wir Kinder in die Pubertät kamen, war die Begeisterung für diese Berichte nicht mehr sehr groß und wir fühlten uns manches Mal gelangweilt von den Wiederholungen und Schwärmereien.  Teenies haben da ganz andere Interessen. Immer waren unsere Eltern davon überzeugt, einmal wieder zurück in ihre Heimat zu kommen. Wir hatten das dann gelegentlich belächelt, denn wir glaubten nicht an eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten.

Als es dann doch wahr wurde und die Eltern zurück in ihr Anwesen zogen, zeigten wir wenig Verständnis. Sie waren bereits im Rentenalter und übernahmen eine völlig herunter gekommene Landwirtschaft. Mit dem Kampfgeist den sie Zeit ihres Lebens besaßen machten sie sich an den Wiederaufbau. Sinnlose Kraftverschwendung - so dachten wir damals. Wir waren in unterschiedlichen Regionen Deutschlands mit unseren eigenen Familien zu Hause, wollten und konnten keine Hilfestellung geben. Darunter litten die Eltern, wie wir dann nach und nach erfuhren.

Heute, einen Sommer nach dem Tod meiner verwitweten Mutter, lebe ich selber hier und begreife erst jetzt was  Eltern und Großeltern uns erzählt hatten. Die Beschreibungen von Land und Leuten hat Gestalt angenommen. Alles ist Wirklichkeit und die Fiktionen der Kindheit werden voll und ganz zufrieden gestellt.

Während mir die Schweißperlen über die Nase rinnen und der Wind sich in meinen Haaren verfängt, sehe ich, wie sich die langen Halme des Roggens auf den, bis zum Horizont reichenden Feldern wiegen. In der Ferne höre ich die Motoren der Mähdrescher, die die schon reife Wintergerste ernten. Rapsstände, die im Frühjahr das Land in leuchtendes Gelb tauchten, zittern mit ihren fast trockenen Halmen im Wind. Ich schaue auf unendliche Leinfelder, deren Blütenblau ich noch vor kurzer Zeit in der Morgensonne bewundern konnte und die nun schon unter ihrem Samenstand gilben.

Ganz hinten am Horizont taucht der Saum des Kiefernwaldes auf und durch die Luft schwebt der würzige Duft der frisch gemähten Wiesen, auf denen das Gras zu trocknen beginnt. Während ich ihn inhaliere, beobachte ich die Feldlerche, die sich im Steilflug nach oben schraubt und dort auf einer Stelle stehen bleibt.

Vorbei an den Feldrändern, die sich mit blauen Kornblumen, rotem Mohn und Schafgarbe in allen Farbschattierungen schmücken, geht meine Fahrt auf dem staubigen Weg. Mein Hund bleibt, durch vereinzelte Geräusche aufgeschreckt, hin und wieder stehen und hält die Nase in die Luft. Für ihn ist der tägliche Ausflug auch ein Erlebnis, so wie es scheint.

Wie im Traum setze ich meine Fahrt fort. Die Beine bewegen die Pedale automatisch und ich bin ganz dem Zauber der Natur erlegen. Die Bilder kenne ich, sie haben mich in der Kindheit begleitet. Zwar damals im anderen Teil Deutschlands, aber sie ähneln einander sehr.

Ich bin froh, dass ich das Haus meiner Vorfahren bezogen habe. Ich hatte die Möglichkeit ihren Spuren zu folgen und mein Herz hat ein Stück ihrer Herzenslust erreicht und mit genommen.

Vielleicht werde ich meinen Enkeln auch einmal von einem schönen weiten Land erzählen, während sie auf meinen Knien in einer Eigentumswohnung in der Stadt, den Ausführungen mit großen Augen lauschen.

Ich freue mich auf diesen Moment.        

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