Stefan Pfundheller

Der Besuch

Es ist schon spät. Zu spät würdest Du wieder sagen . Es ist wie immer. Würde nicht der dunkle Schatten des Balkons gleich einer schützenden Hand über meinem Fenster hängen, so könnte ich jetzt den Mond sehen. Doch so weiß ich nicht wie er nun aussieht, ob verhangen oder klar und hell, verträumt lächelnd über dem Horizont oder gar melancholisch harrend zwischen den zwei großen Birken.

Eigentlich könnte ich nun schlafen gehen , wenn ich nur schlafen könnte. Doch die Finger meiner Hand weisen wieder jenen blauen fleckigen Beweis auf der nichts anderes verrät als das ich wieder viele meiner Gedanken zu Papier gebracht habe – doch was wäre ich ohne sie, diese täglichen frischen Tintenflecken, die mir zeigen wie viel doch lebt in mir und darauf wartet, erschaffen zu werden.

Die Nacht ist schwül. Die letzten Zeilen meiner Aufzeichnungen sind getrocknet und ich schließe sie. Meine befleckten Finger geben ihren Verschmutzer jetzt frei, legen ihn auf die lederne Unterlage auf dem Schreibtisch. Müde gleitet meine Hand das Kabel der Schreibtischlampe entlang, bis sie deren Schalter erreicht. Kühl ruht der Schalter in meiner Hand und der Daumen spürt den Knopf.

Halt! – noch nicht! Ich halte inne ohne das Licht zu löschen. War dort nicht ein Schatten, der vorbeihuschte? Ermüdet presse ich die Augen zu, reibe sie ein wenig, um sie dann mit Gewalt zu öffnen, so als sähe man dann mehr.

Ein Schatten! Ja! Da ist er!

Ich bemerke mich lächeln, als ich feststelle, das der Verursacher des Schattens so sehr viel kleiner ist als sein verzerrtes schwarzes Abbild, das Nacht und spärliche Beleuchtung von ihm zeichnen. Spontan fällt mir ein, das man doch damals in der Schule so sehr viele Sachen gelernt hat und doch bin ich nicht fähig, einem Geschöpf wie Dir einen Namen zu geben.
Du bist nicht Falter, nicht Fliege und auch keine Spinne. Und doch hast Du von allen dreien etwas. Die Anmut des Falters, die ölig farbig schimmernden Flügel der Fliege und die Langbeinigkeit der Spinne.

Verirrt – und könntest Du´s mir sagen- verwirrt krabbelst Du auf der Tischplatte umher, die schon so viel niedergeschriebenen Kummer, schon so viel verliebten Überschwang, schon so viele das Herz und die Seele bewegende Worte von Stift und Papier erzählt bekam.
Was mag nur in Deinem Kopf vorgehen, dessen Begriff der Wirklichkeit gefiltert durch die so kunstvollen Facettenaugen ein so ganz anderer ist als der meine. Und doch weiß sich keiner von uns beiden mit seiner Wahrnehmung der Dinge der Wahrheit näher. Bist Du glücklicher, ob der Gnade, von all dem nichts zu wissen?

Wie magst Du wohl hier hineingelangt sein? Vielleicht warst Du auch schon immer da. Ständig unter der Spannung lebenserhaltender Vorsicht schaust Du Dich unentwegt um, tastest mit deinen haardünnen Beinen den Untergrund ab. Manchmal ist es gar als schaust Du Dich witternd um und wiegst Dich dann in Sicherheit um Dein Gewicht auf die vorderen vier Beine zu verlagern und mit dem hinteren Beinpaar über Deine vibrierenden Flügel zu streichen.
Doch dann – nach wiederholtem Umsehen stößt Du Dich mit aller Kraft von der Tischplatte ab und fliegst instinktgesichert auf die Glühbirne meiner Schreibtischlampe zu. Ein mitleidiges Lächeln ergreift von meinem Gesicht Besitz.
Wie aussichtslos ist doch all Dein Streben, Dich dem tödlichen Licht zu nähern.
Und da ist es auch schon passiert.
Das hast Du nun davon. Dem Ikarus gleich bist Du herabgefallen und liegst kurz auf Deinem Rücken – um Dich gleich darauf wieder zu fangen und mit dem hinteren Beinpaar über Deine Flügel zu streichen.
Dann plötzlich, mit einem Ruck verlässt Du den sicheren Boden, um beinahe auf dem selben Wege Dein ebiges Ziel zu erreichen.
Geblendet von der Quelle nächtlichen Lichtes verfängst Du Dich im Lampenschirm. Immer wieder fliegst Du nach demselben Ritus auf die Glühbirne zu, um nichts als Dein Herabfallen zu bewirken.

Laß ab! Es tut mir weh, das Schauspiel länger zu ertragen. Warum willst Du nicht einsehen, das Du trotz Deiner sechs spinnenartigen Beine, Deiner Flügel in den Farben sonnenbeschienenen Öls und der Schönheit schwärmerischer Falter an der Quelle allen Lichtes und aller Wärme nicht verweilen kannst?

Der nächste Sturz wird vielleicht eines Deiner Beine zerbrechen, das nächste Auftreffen auf die Glühbirne Dir einen Flügel versengen.
Wäre es da nicht besser, ich ließe bei Deinem nächsten Sturz das Buch mit meinen Aufzeichnungen auf Dich fallen, um durch augenblicklichen Schmerz die lebenslängliche Qual der Unnahbarkeit zu beenden?
Ich bin mir noch nicht im klaren, ob es richtig ist, da habe ich schon mit beiden Händen den rot und schwarz eingefasste Band, schwer durch tintene Gedanken, ergriffen.
Du fällst. Du liegst mit dem Rücken auf der mit Leder bespannten Schreibtischplatte. Ich packe das Buch fester...

Um Dir nicht mehr weh zu tun als nötig, werde ich ganz fest zudrücken müssen, werde ertragen müssen, Dich –ich weiß noch nicht wie- von diesem schicksalhaften Buch zu entfernen. Das ist widerlich. Es gibt Gesichter des Todes, die widerlich sind, aber die Gesichter der Toten sehen diese nicht.

Ich kann es nicht...

Ich höre Dein Summen und weiß: Du versuchst es wieder. Ich möchte nicht hinsehen, nicht erfahren, was Du Dir gebrochen hast und was als nächstes in Dir zerbrechen wird.

Du wirst an Deinen Brüchen nicht reifen.

Deshalb lösche ich das Licht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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