Christa Eva Walter

Eine E-mail an Mama

 

Eine E-mail an Mama :))

Ich habe lange warten müssen, bis ich endlich zu einer eigenen E- mail Adresse kam. Eine Umschulung ermöglichte mir, mich mit einem Computer vertraut zu machen. Indes wartete meine Mama geduldig auf mich. Mama hatte 4 Mädchen und einen Jungen großgezogen, leider verstarb ihr einziger Junge schon mit 10 Jahren. Sie kam über diesen Verlust nie hinweg, selbst die Familie konnte sie nicht trösten, so verschloss sie sich immer mehr vor uns, stopfte alles Essbare in sich hinein, bis sie selbst sehr krank wurde. Auch da schwieg sie. Sie wollte niemanden lästig sein, sie war eine so sensible Seele und versuchte nur für die anderen in der Familie da zu sein, ihre eigenen Bekümmernisse stellte sie immer weit zurück. Wir Geschwister hatten alle unser eigenes Leben zu führen, aber wir besuchten Mama regelmäßig, sooft es auch unsere Zeit zuließ. Wir konnten mit ihr plaudern über alle Dinge reden, sie hatte immer ein offenes Ohr und nicht selten waren auch ihre Ratschläge so gut, dass wir sie mit nach Hause nehmen konnten und uns erleichtert fühlten. Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihr, denn die Krankheit forderte eine Amputation beider Beine.

Meine arme Mama war nun am Rollstuhl gefesselt, sie empfand dieses Leid als großen Schmerz. Abhängigkeit die sich wohl niemand wünscht war nun an der Tagesordnung. Von einem Tag zum anderen änderte sich ihr Leben grundsätzlich, ihr Ehemann übernahm nun die Pflege, das war etwas Trost in ihrer Einsamkeit. Sie wollte auch immer im Haus bleiben, sie konnte es nicht ertragen, von anderen mit mitleidigen Augen betrachtet zu werden. Hierbei spielte auch ihr Alter eine große Rolle, sie fühlte sich oft schwach um an der Außenwelt teil zu nehmen, da half auch kein zureden, dass es anderen Menschen ähnlich erging, aber um zu verstehen, muss man in ihren Schuhen gegangen sein. Es machte mich traurig, wenn ich sie so ansah und ich ihr nicht helfen konnte.

Eines Tages aber geschah ein kleines Wunder!...
Mama hörte im Radio Musik, das war nichts Ungewöhnliches,... doch diesmal hörte sie ganz aufmerksam zu. Die freundliche Stimme im Radio erzählte von einem großen Musiker,... Ludwig van Beethoven, und von der eben gehörten Sinfonie. Die wunderbaren Klänge dieses großen Musikers erreichten nicht nur ihre Seele, sie fühlte sich plötzlich mit ihrem Leid nicht mehr allein. Sie hatte einen Verbündeten gefunden, der wie sie durch einen Schicksalsschlag mit dem Leben haderte, und doch nie aufgab. Man sah den Glanz in ihren Augen, die Freude wenn wir über ihn sprachen, die Geschenke die sich nur noch
auf Beethoven bezogen und die vielen Bücher die es gab, machten sie glücklich.

Mama wusste bald wirklich alles über ihn, sie verschlang die Bücher, kreuzte hier und da Stellen an, die ihr wichtig erschienen. Immer wieder gab es etwas Neues, sei es in seinem Leben oder in seiner Musik zu finden und auf der Suche danach zu sein. Ich glaube wir alle fühlten uns erleichtert, Mama hatte wieder einen Sinn in ihrem Leben gefunden und es verging kein einziger Tag ohne eine Sinfonie ohne einen Gedanken an einen großen Menschen, der sich im Leben oft unverstanden
fühlte und erfahren musste, wie einsam man sein kann, wenn man seine eigene Klänge nicht mehr hören konnte!... Sein Nachruf war es, die Menschen mit seiner Musik zu erfreuen und ihnen Kraft und Hoffnung zu geben,... gerade in der größten Ausweglosigkeit, wuchs er über sich selbst hinaus.

Mamas Lebenswille machte sich auch in der Gesundheit bemerkbar, ihre Zuckerwerte waren noch nie so gut, auch ihre gesamte körperliche und seelische Verfassung war ausgezeichnet. Da war es für sie natürlich immer eine Überraschung, wenn wir mit ihr nach Bonn fuhren und uns gemeinsam das Geburtshaus Beethovens anschauten, und sie anschließend in dem kleinen Andenkenlädchen stöberte, bis sie schließlich etwas Neues fand.  Als richtiger Beethoven- Fan brauchte sie auch ein T- Shirt mit einem Beethoven Emblem auf der Vorderseite, das machte ihr richtigen Spass. Das war auch das richtige Qutfit für ein Beethovenkonzert... und Mama vergaß für Augenblicke ihren Rollstuhl und wippte bei den Klängen fröhlich mit.

Von diesen Erlebnissen erzählte sie uns immer wieder, besonders ihrer süßen Enkeltochter, die auch schon ein kleiner Beethovenfan ist. Die Zeit
hatte ein wenig die Wunden geheilt... und dennoch mussten wir alle feststellen, dass Mamas Kraft langsam zu Ende ging. Ich merkte es daran, dass sie mir nur noch selten schrieb und wenn, waren ihre Zeilen ein wenig wackelig. Der Gedanke ich könnte Mama verlieren stimmte mich unendlich traurig und ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen sollte. Wir beschlossen alle an ihrem Geburtstag da zu sein, um ihr eine schöne Feier zu gestalten. Im Stillen wussten wir, dass es Mamas letzter Geburtstag war, mit viel Humor und guter Laune saßen wir in lustiger Runde. Es war ein schöner Tag und viele Geschenke ihres Lieblingsmusikers schmückten den Tisch. Man spürt oft die Dinge, die auf einen zukommen, aber man will sie nicht wahrhaben!

So ging jeder von uns seinen Weg nach Hause in der Hoffnung, es wird nichts geschehen. Ich war gerade mit meiner Schule fertig und hatte es Mama schon angekündigt, sie zu besuchen, da spürte ich, dass mir nicht mehr viel Zeit blieb, denn sie musste ins Krankenhaus. Als ich ankam, war sie bereits schon dort. Sie sah mich lächelnd an, wie sie es immer tat, so als wäre alles nur vorübergehend und nicht von großer
Bedeutung. Mir fiel auf, dass sie alles hat zu Hause liegen lassen, ihre Beethovenuhr, ihr Lieblingsbuch, indem sie immer soviel Kraft schöpfte. Ihr Körper war aufgedunsen voll mit Wasser,... ich sah diesen geschundenen Körper, er konnte nicht mehr, die Kraft ging langsam zu Ende. Ich brachte Mama die Dinge mit, an denen sie so hing und stellte ihr eine kleine Beethovenbüste dazu, dabei entrückte ich ihr ein Lächeln. Sie sollte sich wohlfühlen, wenn auch in einer Umgebung in der sie immer Angst hatte. Sie sprach sehr leise und zeigte auf eine Lampe an der Decke, die sie besonders hübsch fand, es war wohl das einzige das sie ein bisschen ablenkte, ich fand das alles sehr traurig.

Ich beschloss ihr ein Eis zu kaufen, um sie ein bisschen aufzuheitern, mit Freude nahm sie das Eis an und ich löffelte es ihr vorsichtig in den Mund. Das war das letzte Mal, dass ich Mama noch ansprechbar vorfand, mit Mühe und Not versuchte ich ihr die wichtige Tablette zu reichen, die sie am liebsten wieder ausspucken wollte, aber bei meinem strengen Blick, hielt sie die Tablette bei sich. Immer noch war Hoffnung, jedenfalls glaubte ich es, eine Schwester die sie am Abend noch eincr
emen wollte, konnte sie kaum anfassen, so weh tat ihr alles, ich hörte Mama jämmerlich aufschreien, jeder Handgriff schien umsonst, es brachte ihr nur Schmerzen. Mama sah mich an, ich sagte ihr das die Schmerzen bald vorbeigehen, sie musste nur ein wenig Geduld haben, bis die Tabletten wirkten und das Wasser langsam zurück ging. Dabei sah sie mich an und zeigte auf meine Perlenkette, die sie so schön fand.

Immer noch war Begeisterung für das Schöne da, so war Mama, sie suchte in ihrem Leben immer das Schöne, das Reine, das Saubere und war von edlen Dingen angezogen. Ich kann mich noch gut erinnern, als Mama in erster Ehe Witwe wurde, und ich trotz wenigem Geld immer die feinsten Kleider trug. Auch meinen Geschwistern gab sie was sie nur geben konnte, dabei setzte sie ihre Ansprüche immer ganz nach hinten. Aber genau dass, wurde ihr zum Verhängnis, sonst wäre es vielleicht niemals zu dieser schlimmen Krankheit gekommen. Man kann es aber auch als eine Fügung sehen, wo wir Menschen unser Leid tragen müssen, und uns vorbestimmt wird, wie wir unser Leben anzunehmen haben, niemand kann da eingreifen und wir können es nur  
respektieren. Als ich Mama verließ, ahnte ich nicht, dass ich am gleichen Tag wieder kommen sollte,... man sagte mir, dass noch Hoffnung bestand sobald das Wasser zurückging.

Wir versammelten uns alle,... diesmal hatten wir uns nicht getroffen um bei einer Feier zu sein, diesmal waren hier um Abschied zu nehmen,... Abschied von Mama,...

Am liebsten hätte ich meine Geschwister in die Arme genommen, sie waren so traurig und ihre Tränen mochten kein Ende nehmen. Aber da war auch Mamas kleine Enkeltochter, die so garnicht begreifen konnte warum Oma ihr nicht antwortete, ich nahm sie in die Arme und hielt sie ganz fest, ich glaube sie brauchte die meiste Unterstützung!

Mama lag nun ganz friedlich, sie atmete leise und ruhig, ihre Augen waren geschlossen, zu gern hätten wir sie alle noch einmal lächeln gesehen, ihr spitzbübiges Lächeln war uns so vertraut, aber sie hielt die Augen geschlossen. Ich legte ihr ein kleines Bild von Beethoven unter ihrer noch warmen Hand, vielleicht merkte sie etwas von uns, dass wir alle da waren und sie auf diesem letzten Weg nicht allein!

Ihre Atmungen wurden langsamer und das Gesicht färbte sich gelb, aber es behielt seine Würde, um uns herum war alles still, wir unterdrückten unsere Tränen, wir wollten sie nicht stören auf ihrer Reise, wir hielten ihre Hand, streichelten sie sanft,... sie fühlte sich nun kalt an und kaum merklich machte sie ihren letzten Atemzug,... wir waren so betroffen und glaubten immer noch sie könnte noch einmal atmen,... aber es war vorbei! Sie hatte sich von uns geschlichen, leise so wie es ihre Art war und ich stellte mir vor, dass sie uns jetzt alle sehen konnte. Jeglicher Schmerz wurde ihr in Frieden genommen, eine lange Reise stand ihr bevor, eine Reise in die Unendlichkeit, da wo alle Grenzen und Macht keine Gültigkeit haben, wo die reine Liebe ist, nach der sie sich ein Leben lang sehnte.

Am Tag ihrer Beerdigung war der Himmel trüb und grau, Wolken verdichteten sich und ließen alles noch trauriger erscheinen, eine kleine Hand schmiegte sich in die meine und suchte Trost, wir hielten uns fest und waren ganz stark. Langsam schritten wir hinter dem Sarg her, die Köpfe gesengt, in Tränen versunken, jeder hatte seine Gedanken, Erinnerungen an gemeinsame Stunden, etwas was jetzt nicht mehr möglich war. Wir haben sie nicht immer verstanden, wie konnten wir auch, aber vieles hat sie uns mitgeteilt, hat uns mit ihrer Fürsorge auf die Dinge hingewiesen, die uns schaden könnten.

Danke Mama,... als wir an die Stelle des offenen Grabes kamen und der Sarg langsam hinunterglitt, wurde es plötzlich so warm, der Himmel riss auf und die Sonne kam hervor, es war ein schönes Gefühl, Mama musste wohl irgendwo in unserer Nähe sein, die Sonne trocknete unsere Tränen und wir konnten es nicht fassen plötzlich ein solch schönes Wetter zu haben. Wir fühlten uns seltsam wohl, Mama mochte keine Tränen, schon garnicht wenn ihre Kinder weinten! Wir Geschwister waren uns näher gerückt, teilten unseren Schmerz gemeinsam. Im Sinne von Mama werden wir versuchen, uns jetzt öfter zu sehen, denn das war immer ihr Wunsch,... uns miteinander zu verstehen. Nun habe ich alles geschafft Mama, wollte dir soviel berichten, über alles was ich in der Schule gemacht habe, bis hin zu meiner eigenen E-mail Adresse, mal eine andere Art Briefe zu schreiben, wo du so gern Post erhalten hast. Jetzt hoffe ich von Herzen, dass du mich sehen kannst, wenn ich E- mails versende, leider kann ich dich nicht mehr erreichen,... aber vielleicht kannst du mir ein Zeichen geben,... so dass ich es nur verstehen kann! Leb wohl Mama,....

 

Die Zeit heilte ein wenig die Wunden, der Alltag übernahm und zerstreute die Gedanken, die sich immer wieder ergaben, ich blicke öfter als sonst zum Himmel und erwische mich dabei, Mama zu grüßen, egal wo sie jetzt ist, ich bin ihr für einen Augenblick nah!....

Woher nehmen wir diese grenzenlose Hoffnung, für jedes gelebte Leben, muss es einen Sinn geben und da wo wir nach Fragen und nach Antworten suchen, gibt es plötzlich wieder diese Hoffnung, die in uns steckt und uns nicht verzweifeln lässt,...

 

Vielleicht liegt darin ein Geheimnis,....










 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

      

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich hätte Mama so gern E-mails gesendet,
ich hatte ihr dies versprochen, wenn ich mit der
Schule fertig bin... leider konnte ich sie nicht mehr erreichen,
in Memory an Mama for ever :))

deine Tochter Christa Eva
Christa Eva Walter, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Welt von Terrestos scheint aus den Fugen zu geraten. Der grausame Feuermagier Rhabwyn, dessen Kräfte zunehmend stärker werden, versucht mit allen Mitteln, auch der übrigen Elemente Wasser, Erde und Luft habhaft zu werden, um über den gesamten Planeten herrschen und Angst und Schrecken verbreiten zu können. Die Wassermagierin Deanora nimmt Fanydra und Morlas in ihre Obhut, wie es vom Schicksal lange vorbestimmt war. Bei ihr und den Kriegern des Seins erlernen die beiden die Beherrschung der Elemente Erde und Luft, deren Kräfte sie schon, ohne es zu wissen, seit ihrer Kindheit bei sich tragen. Seite an Seite kämpfen die zwei jungen Leute mit Deanora und ihren Kriegern des Seins, um ihre Welt vor dem Untergang zu retten.

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