Kai Harlinghausen

Das Musterstück

„Guten Abend. Ihr seid  sehr pünktlich. Habt Ihr den Ort gut gefunden? Ja, ich weiß, es ist kein Platz wie Ihr ihn üblicherweise besucht. Ich übrigens auch nicht, das möchte ich Euch versichern. Aber er erfüllt seinen Zweck. In diesem Hinterzimmer sind wir ungestört vor allzuneugierigen Augen und Ohren.

   Aber nehmt doch Platz. Der Mann dort an der Wand? Oh, dies ist lediglich ein Diener, der mir bei meiner Demonstration hilfreich ist. Ihr seid überrascht, mich nicht alleine vorzufinden? Nun, ich selbst bin in keinster Weise verwundert, daß Ihr Euch von einem Eurer Wächter begleiten ließt, der aufmerksam vor der Tür wartet, um auf einen Befehl von Euch hereinzustürzen. Nein, Ihr braucht Euch keine Gedanken darüber zu machen, es verstimmt oder kränkt mich keinesfalls. Etwas Wein? Nein? Wie Ihr wünscht.

   Kommen wir also gleich zu meinem Angebot. Erlaubt mir, meinen Diener heranzuwinken. Ah, Euch ist die Schatulle aufgefallen, die er trägt. Sie enthält – hier – dieses Messer. Bitte, nehmt es ruhig selbst in die Hand. Es ist aus Bein, eine schöne Arbeit, wie ihr mir sicher zustimmen wollt. Dies ist eine kleine Probe meiner Fertigkeit. Aber natürlich ist dies nicht das, was ich Euch zeigen wollte. Ich werde die Schatulle hier auf den Tisch stellen und meinem Diener nun einen der Handschuhe ausziehen.

   Oh, ich versichere Euch, diese schützenden Gesten sind nicht erforderlich. Es gibt nichts Böses abzuwehren. Ja, dies ist eine knöcherne Hand, ganz ohne Haut und Fleisch. Ich könnte nun den Ärmel seiner Robe hochstreifen, den Saum heben, oder ihm die Kapuze herunterziehen. Aber ich weiß ja, wie schockierend schon dieser Anblick ist. Es ist wirklich so: Vor Euch steht ein komplettes Skelett. Ich habe es wieder belebt, wobei ich diese Bezeichnung nicht wirklich angemessen finde. Ist das schon Leben? Ich finde nicht. Ich habe herumliegende Knochen in Bewegung versetzt. Dieser Körper steht unter meiner Kontrolle. Gerne dürft ihr mit dem Messer ganz nach Eurem Belieben in ihn hineinstechen. Euch droht keinerlei Gefahr. Überzeugt Euch, hier wurden keine Drähte, keine Nägel, keine Schnüre verwendet, es steckt auch niemand unter der Robe um Euch zu täuschen. Darf ich sie nun entfernen? Habt Dank.

   Wie Ihr vielleicht bemerkt, sind sämtliche Knochen makellos und vollständig vorhanden. Dieser Mann starb eines natürlichen Todes. Darf ich mir erlauben, uns nun doch etwas Wein einzuschenken? Bitte sehr. Die Farbe? Ja, ich gestehe ganz offen, die Vergoldung erfolgte nur, um den Auge gefälliger zu sein. Sie hat keinerlei Notwendigkeit. Ebenso wäre es möglich, diese Knochen in den Landesfarben zu präsentieren, ganz nach Geschmack.

   Sicher seid Ihr Euch gleich der Vorteile solcher Wesen bewusst. Sie erfüllen ihre Aufgabe Tag und Nacht ohne Pause mit stets gleicher Gewissenhaftigkeit. Knöcherne Arbeiter benötigen weder Schlaf noch Lohn, Unterkunft oder Nahrung, sie altern nicht so schnell wie lebende Körper, sie sind gefeit gegen jede Krankheit und alles was sie von ihren Aufgaben ablenken könnte. Sie kennen weder Langeweile noch Neid, weder Frust noch Zorn, weder Liebeslust noch Eifersucht.

   Und wie Ihr selbst gesehen habt, sind sie in Kleidung und Maske nicht von Lebenden zu unterscheiden. Kein Vergleich zu den Schreckgestalten, die in grausigen Geschichten so gerne beschrieben werden: frisch aus dem Grab, die modrigen Knochen noch bedeckt mit Erde, fauligem Fleisch und verrotteten Kleidungsfetzen. Nein, diesen Anblick will niemand haben. Etwas Säure, etwas reinigende Lauge und schon sieht man blitzendweiße Gliederpaare vor sich, die in ihrer unverhüllten Präzision das Auge erfreuen. Ja, ich bewundere diese großartige Schöpfung. Ihr wundert Euch, dass ich sie Schöpfung nenne? Nun, ich bin ein gläubiger Mensch, der dieses unglaubliche Wunder respektiert, ja demütig verehrt. Gerade daher ist mir die Verschwendung zuwider. Sollte man nicht die vorgegebenen Mittel weiterhin nutzen? Ein gutes Werkzeug wirft man auch nicht weg oder vergräbt es, wenn der Besitzer verstorben ist. Und ich schade ihm nicht. Was die Person des Lebenden ausmachte, ist längst an seinen Bestimmungsort gelangt, sollen nun seine Gebeine nutzlos langsam zerfallen?

   – Krieger?  Ja…man könnte sie auch als Krieger einsetzen. Es wären Kämpfer, die ihren lebenden Genossen einiges voraus hätten. Als Wächter würden sie nie auf ihrem Posten einschlafen, können nicht bestochen werden und sie kämen nie in Versuchung, sich etwas von den bewachten Gütern anzueignen. Im Kampf sind sie gehorsam und furchtlos, ohne Angst vor dem Tod. Sie würden Kämpfen, bis ein anderer Befehl kommen würde. Und was wären sie für furchtbare Gegner?  Jeder der ihnen entgegentritt würde schmerzlich an seine eigene Sterblichkeit erinnert werden. Und welcher Befehlshaber möchte schon gegen einen Feind vorgehen, der sich immer wieder erhebt, wohingegen die eigenen Kräfte sterben um dann die Reihen der Toten zu füllen? Ein praktisch unüberwindlicher Gegner. Dies ist ein Gedankenspiel was mich erschaudern lässt. Ich werde meinen Diener wieder bekleiden, für den Moment verstärkt sein Anblick nur die grausigen Bilder die Ihr hinaufbeschworen habt.

   Es ist Euch erst damit? Nun, in diesem Fall gewähre ich Euch nicht meine Dienste! Nach meiner Meinung gibt es nur zwei Umstände, die Machthungrige von Kriegen abhalten: Die fehlende Aussicht auf Gewinn und die Zahl an Leben, die ein Feldzug fordern würde. Mit Skelettkriegern verlöre ein Anführer diesen Skrupel, da er ja niemanden seiner lebenden Bevölkerung opfert.

   Ich sage nein, das ist nie das Ziel meiner Bemühungen gewesen! Vielmehr wollte ich den Menschen das Leben erleichtern. Als Arbeiter sollten diese Wesen schwere, unangenehme und gefährliche Arbeiten übernehmen, niemand sollte sich mehr in Bergwerken, in Gerbereien, in Steinbrüchen abplagen.

   Oh, ich sehe, Ihr überlegt, mich festzunehmen, um Euch meine Dienste mit Gewalt zu sichern. Das kann ich vereiteln. Seht ihr, das Messer, was ich Euch gab, ist Euch wirklich nützlich. Nun schützt es Euch vor Euch selbst. Ich sagte ja, es ist aus Bein. Aus diesem Grund kann ich es auch beherrschen. Ein zweiter Wink von mir und es wird sich nicht nur an Eure Kehle legen, sondern sie auch leicht durchschneiden.

   Ich werde Euch nun verlassen und meinen Diener mitnehmen. Versucht nicht, Euren Wächter zu rufen, auch in Eurem eigensten Interesse. Sobald ich eine ausreichende Entfernung zurückgelegt habe, wird das Messer zu Boden fallen. Tut dann, was Euch beliebt, aber bedenkt die möglichen Folgen Eures Handelns. Ich bedaure zutiefst, so auseinandergehen zu müssen…

 

Guten Abend. Ihr seid der Wächter den der Mann mitbrachte? Ja, das Gespräch ist beendet. Euer Herr wird auch gleich kommen, er braucht noch einen Moment alleine zum Nachdenken. Nein, ein Geschäft haben wir nicht abgeschlossen, unsere Vorstellungen waren zu verschieden. Ich wünsche noch einen schönen Abend.

            

 

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