Michael Weber

Ignatius Doria

Ignatius lief durch die engen Wolkenkratzerschluchten seiner dunklen Stadt. Mehrere Kilometer war rechts und links nichts anderes zu sehen als die riesigen Häuser. Plötzlich sah Ignatius wie sie näher kamen. Von beiden Seiten schienen sich die Wolkenkratzer auf ihn zu zu bewegen und ihn zu zerdrücken. Er verlor das Bewusstsein. Alles wurde ihm schwarz vor Augen; mehr wusste er nicht mehr als er im Krankenhaus aufwachte.

„Herr Doria. Guten Tag.“
„Guten… Guten Tag. Wo bin ich?“
„Im Krankenhaus. Sie wurden ohnmächtig auf dem Bürgersteig gefunden. In der Nähe des Bankenviertels. Können Sie sich erinnern?“
„Ich… Ja… Ich war gerade in der Bibliothek und auf dem Nachhauseweg, als die Häuser mich erdrücken wollten.“
„Wie bitte?“
„Die Wolkenkratzer – Sie kamen näher und näher.“
„Sie werden phantasiert haben. Hatten Sie in letzter Zeit viel Stress oder haben Sie Drogen zu sich genommen?“
„Weder noch.“
„Kein Stress?“
„Nein… Ich… Wirklich nicht. Und von Drogen halte ich nichts.“
„Wirklich nicht?“
„Nein. Ich finde auch, dass das eher was für Jugendliche ist. Außerdem ist es ungesund.“
„Es gibt auch genügend ältere Menschen die Drogen nehmen.“
„Aber meistens sind es Jugendliche. Viele suchen den Kick. Viele wollen sich selbst oder anderen etwas beweisen.“
„Wie auch immer. Ich hoffe es geht Ihnen jetzt ein wenig besser?“
„Ja, es geht so. Apropos Drogen: Haben Sie mir irgendwelche Drogen bzw. Medikamente gegeben?“
„Nichts was Sie beunruhigen sollte. Lediglich die Routine.“
„Haben Sie sonst noch irgend etwas mit mir vor?“
„Nein, was meinen Sie?“
„Untersuchungen oder ähnliches.“
„Vorerst nicht. Ihr Blutdruck ist normal. Die Blutuntersuchung hat auch nichts beunruhigendes ergeben.“
„Sie haben mir Blut abgezapft?“
„Ja, wie ich sagte: Nur die Routine“
„Wie lange liege ich hier denn schon?“
„Etwa einen halben Tag lang.“
„Und sie haben die Blutergebnisse schon?“
„Ja, in solch einem Fall wie dem Ihren geht das alles ziemlich schnell.“
„Wie lange muss ich noch hier bleiben?“
„Sie sind frei jederzeit zu gehen.“
„Wollen Sie mich gar nicht röntgen?“
„Alles schon geschehen.“
„Und… Wie sah ich so aus, innerlich?“
„Ganz normal. Kein Grund zur Besorgnis. Es ist alles am richtigen Platze und es ist nichts dazu gekommen.“
„Nichts dazu gekommen?“
„Kein Tumor oder sonstiges.“
„Achso.“
„Denken Sie noch mal darüber nach ob Sie nicht doch in letzter Zeit übermäßigem Stress ausgesetzt waren.“
„Werde ich. Aber ich denke nicht, dass ich Stress hatte.“
„Wie Sie meinen. Also dann… Lassen Sie sich Zeit; ziehen Sie sich an. Wenn sie wollen können Sie hier auch noch etwas essen.“
„Was habe ich denn da an?“
„Wir mussten Sie für die Röntgenaufnahmen entkleiden. Haben Ihnen ein Nachtgewand verpasst.“
„Ich muss wirklich tief geschlafen haben.“
„Sehr tief! Wie ein Stein sozusagen. Herr Doria, ich verlasse Sie jetzt. Alles Gute wünsche ich Ihnen. Machen Sie es gut.“
„Moment noch. Das Essen… äh… Wann kommt das?“
„Sie müssen in den Speisesaal gehen. Sie sind nicht mehr unser Patient. Sonst würde ich Ihnen gerne etwas bringen.“

Ignatius machte sich auf den Weg in die Kantine und bestellte sich etwas zu essen. Frühstück sollte es sein. Er schlug zu wie er nur konnte und aß von jedem ein bisschen: Brötchen, Käse, Wurst, Obst, Orangensaft, Kaffee, Ei und Marmelade. Dann stand er auf um zu gehen. Der Kellner rief ihm hinterher:

„He Sie, Entschuldigung… Hallo… Die Toiletten befinden sich in der entgegengesetzten Richtung.“
„Ich äh… Ich muss nicht auf Toilette.“
„Wo wollten Sie dann hin gehen?“
„Nach Hause, wenn’s genehm ist.“
„Ohne zu zahlen?“
„Zahlen?“
„Ja. Zahlen. Hatten Sie das vergessen?“
„Ich dachte das wäre inbegriffen.“
„Nein. Hier ist nichts inbegriffen. Sie sind hier in der Kantine.“
„Ich äh….“
„Das macht 15,90 €“
„Wie bitte?“
„Das macht 15,90€“
„Ja ja, ich habe Sie schon verstanden. Aber das ist ja Wucher. Ich fürchte so viel habe ich gar nicht bei mir. Warten Sie… Moment… Hier… 15,- Und hier…70…80…90. Puh, da habe ich ja noch mal Glück gehabt.“
„Exklusive Trinkgeld.“
„Was?“
„Exklusive Trinkgeld.“
„Sie wiederholen sich. Ich… habe nur noch 2 € und die brauche ich für die Fahrt nach Hause. Ich fürchte damit müssen Sie leben. Auf Wiedersehen.“

Der Kellner antwortete nicht. Ignatius verließ das Krankenhaus und lief zur U-Bahn-Station, die nicht weit entfernt lag. Er holte sich ein Ticket mit dem Rest Geld das er noch bei sich hatte und ging nach unten um auf die Bahn zu warten. Nach wenigen Minuten traf sie ein. Ignatius stieg ein und setzte sich auf einen Platz. Die U-Bahn fuhr los. Ignatius war in Gedanken. Alles mögliche ging ihm durch den Kopf. Die Ereignisse des gestrigen Tages, Dinge die er noch zu erledigen hatte und sonstiges. Plötzlich fuhr die U-Bahn langsamer. Sie drosselte immer mehr ihr Tempo, bis sie schließlich mitten im Tunnel stehen blieb.

„Verehrte Fahrgäste: Auf Grund einer liegen gebliebenen U-Bahn am Hauptbahnhof verzögert sich unsere Weiterfahrt um einige Minuten. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Ignatius schaute aus dem Fenster: Dunkelheit und eine kaum erkennbare Wand war zu sehen. In der anderen Richtung das selbe. Da wurde er plötzlich nervös. Er steckte hier fest, direkt unter der Erde. Ja, er steckte fest. Würde er jemals wieder hier herauskommen? Wie würde er herauskommen? Ignatius fing an zu schwitzen, sein Herz schlug schneller. Es war nicht auszuhalten. Er stand auf und ging aufgeregt den Gang auf und ab. Die Leute guckten schon. Sein Herz schlug immer schneller und kräftiger. Schweißtropfen liefen ihm von der Stirn herab. Er lief weiterhin auf und ab, blieb plötzlich stehen, lief dann wieder auf und ab. Die Angst verwandelte sich in eine Panik. Die Leute begannen zu tuscheln und in seine Richtung zu schauen.

„Ich hänge hier fest.“ dachte er und lief weiter.
„Ich wiederhole noch mal: Wegen einer liegen gebliebenen U-Bahn am Hauptbahnhof verzögert sich unsere Weiterfahrt um unbestimmte Zeit. Wir bitten um Ihr Verständnis.“

Da ging Ignatius auf eine der Türen zu und zog an dem Hebel der Notentriegelung. Dann öffnete er mit aller Kraft die Türe per Hand. Er stieg aus. Er quetschte sich zwischen U-Bahn und Wand hindurch, er passte gerade so dazwischen und arbeitete sich vorwärts. Bis zum Führerwagen hatte er es nur noch ein paar Meter. Langsam aber in völliger Unruhe lief er seitlich den engen Gang entlang bis er schließlich am vordersten Wagon ankam. Der Fahrer schien ihn nicht zu bemerken. Nun hatte Ignatius also ein wenig mehr Platz. Zuerst lief er noch relativ langsam. Er dachte da eine der Türen offen steht könne die U-Bahn so lange nicht weiter fahren bis diese wieder geschlossen wird. Außerdem war er der Meinung es dürfe gar nicht mehr so weit bis zur nächsten Station sein. Nach einigen Metern bekam er plötzlich doch Angst. Er drehte sich um und schaute ob die U-Bahn immer noch stand. Ihm kam nun in den Sinn, dass falls sie bald wieder losfahren würde, er sich zwar dicht an die Wand stellen könnte um dort so lange stehen zu bleiben bis die U-Bahn an ihm vorbeigefahren wäre, dass aber möglicherweise der Druck oder der Fahrtwind ihn gegen oder schlimmer noch unter die Bahn schleudern könnte. Ignatius malte sich die unterschiedlichsten Szenarien aus, die geschehen könnten, wenn ihn der Zug einholt. Er begann also schneller zu laufen. Die Angst wurde zunehmend größer. Er erhöhte sein Tempo. Da hörte er wie sich hinter ihm die Bahn wieder in Bewegung setzte. Noch war kein Licht der nächsten Station zu sehen. Es war stockfinster. Ignatius rannte so schnell er konnte. Das Donnern und das Quietschen der Räder kam näher und näher. Ignatius atmete immer schneller und intensiver. Er versuchte nur noch geradeaus zu schauen in der Hoffnung bald einen Lichtstrahl zu sehen, doch er konnte es nicht verhindern sich ein weiteres mal umzudrehen. Er sah nun die Scheinwerfer der U-Bahn immer größer und größer werdend. Die Lautstärke war ohrenbetäubend; am liebsten hätte Ignatius sich die Ohren zu gehalten, doch das würde ihn am Rennen hind! ern. Er musste sich voll und ganz auf seine Flucht konzentrieren und hatte jetzt das Gefühl die Bahn wäre direkt hinter ihm. Er drehte sich nicht mehr um sondern rannte immer weiter und weiter. Da sah er endlich das rettende Licht der nächsten Station. Es war schon ganz nahe. Ignatius musste sich nur noch ein wenig beeilen. Da hörte er hinter sich ein lautes Tuten. Er erreichte den Bahnsteig in letzter Sekunde, stemmte sich hoch und hatte es geschafft. Der Zug fuhr nun ein. Erschöpft pausierte Ignatius einige Minuten auf dem Boden liegend. Eine ältere Frau kam auf ihn zu.

„Ist alles in Ordnung?“
„Ich… Puh… Ich denke schon. Mann, das war knapp.“
„Soll ich einen Arzt rufen?“
„Nein, nein… Puh… Danke. Es geht schon. Lassen Sie mich hier einfach noch einen Moment liegen bis ich mich wieder erholt habe.“
„Wie Sie meinen. Einen schönen Tag noch.“ sagte die Frau und stieg in die U-Bahn.

Nach einiger Zeit stand Ignatius auf und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Da diese Haltestelle eigentlich noch nicht sein Ziel war hatte er einen weiten Weg nach Hause, mindestens eine halbe Stunde Fußweg, aber das war ihm egal. Er wollte nur an die Luft und raus aus der Enge. Doch wirkliche Ruhe fand er draußen nicht. Die Bürgersteige waren voll von Menschen, auf der Straße herrschte Stau. Lautes Reden und Hupen erfüllte die Luft. Ignatius wurde alles zu viel. Er schaute nur noch auf den Boden und lief in schnellem Tempo in Richtung seiner Wohnung. Leute kamen ihm entgegen; manche rempelte er versehentlich an; manche rempelten ihn an. Er hatte Schwierigkeiten den Menschenmengen auszuweichen. Es war wie ein Slalom-Lauf. Wann hatte er es endlich geschafft? Wann war er zu Hause? Nach einer Weile blickte er doch wieder kurz nach oben und sah die Wolkenkratzer auf beiden Seiten an sich vorüber ziehen. Bewegten sie sich wieder? Ignatius bekam es mit der Angst zu tun. Würden sie wieder drohen ihn zu zermalmen? Doch nichts tat sich. Lediglich die Höhe imponierte Ignatius auf eine negative, beängstigende Weise. Und die Erwartung, dass die Betonklötze jeder Zeit näher rücken könnten verfolgte ihn den ganzen langen Weg bis er schließlich zu Hause ankam. Selbst dort konnte Ignatius sich nicht so schnell beruhigen. Er rief einen guten Freund an, einem dem er alles erzählen konnte und berichtete von den letzten Stunden und was sich darin ereignete.

„Fische“ sagte der Freund kurz und bündig.
„Was meinst Du?“
„Leg Dir ein paar Fische zu. Die sollen sehr beruhigend wirken. Ich habe schon viel davon gehört. Ein Bekannter von mir hat ein Aquarium. Glaube mir, das wird Dir bestimmt weiter helfen.“
„Ich weiß nicht.“
„Probier es doch wenigstens mal. Ich habe gehört der Zoo hat auch eine dazu gehörige Tierhandlung. Da soll es eine Riesenauswahl geben.“
„Naja, vielleicht hast Du recht.“
„Glaube mir ruhig.“

Ignatius nahm den Ratschlag seines Freundes an, beschaffte sich ein Aquarium und legte sich Fische zu. Sofort erzählte er seiner Freundin davon und lud sie spontan zu sich ein. Es klingelte.

„Malou?“ rief Ignatius durch die Türe.
„Ja, ich bins“

Ignatius öffnete.

„He, wie geht’s Dir? Ich hoffe Du konntest Dich ein wenig erholen.“
„Ja, es geht so. Im Moment bin ich relativ fit. Wie geht es Dir?“
„Kann mich nicht beschweren. Habe zwar einen langen, anstrengenden Arbeitstag hinter mir, aber jetzt bin ich guter Dinge. Schön Dich zu sehen Igna.“
„Ja, schön Dich auch zu sehen Malou. Komm doch in die Küche. Ich habe das Abendessen bald fertig.“
„Kann ich Deine neuen Fische mal sehen?“
„Ja klar. Komm mit, ich habe sie ins Wohnzimmer gestellt… So… Hier sind sie.“
„Mein Gott, die sind ja riesig. Drei Stück, aha. Was sind das denn für welche?“
„Ich weiß nicht mehr so genau. Der Verkäufer sagte sie stammen aus Süd-Amerika. Pira… Pira…“
„Piranhas?“
„Ja genau. So heißen sie.“
„Du hast Dir Piranhas angeschafft?“
„Ja, warum nicht?“
„Das sind doch Raubfische. Die wirken doch nicht beruhigend. Die sehen bedrohlich und gefährlich aus. Ich hätte da eher an Goldfische oder Guppys gedacht.“
„Ich… Ich wusste nicht, dass das Raubfische sind.“
„Hast du nicht ihre Zähne gesehen?“
„Bis jetzt noch nicht.“
„Na wenn Du sie fütterst dann wirst Du sie sehen. Halte bloß nicht Deine Hände in das Aquarium.“
„Warum denn nicht?“
„Wenn sie dir lieb sind tust Du das besser nicht. Piranhas greifen selbst Menschen an und da Du auch noch drei davon hast könnte das schlimme Folgen haben. Gefallen die Dir denn?“
"Ich weiß nicht. Der Verkäufer hat sie mir empfohlen.“
„Du hast sie Dir aufschwatzen lassen? Du musst doch sehen ob die überhaupt etwas für Dich sind. Na wie auch immer…“
„Oh je… Das Essen brennt an. Schnell in die Küche.“
„Was gibt es denn schönes?“
„Ich habe mal was chinesisches ausprobiert. Hoffe es ist mir gelungen. Oh je, das Rindfleisch ist leicht schwarz geworden.“
„Ach, so schlimm sieht das gar nicht aus. Ich bin sicher man kann es noch essen. Du solltest allerdings auf Rindfleisch verzichten.“
„Weshalb denn das?“
„Das macht noch aggressiver bzw. unruhiger. Und da Du im Moment sowieso etwas labil bist würde ich die Finger davon lassen.“
„Das sagst Du nur weil Du mehr abhaben willst.“
„Nein, ich meine es im ernst.“
„Ich glaube so dramatisch wird das nicht sein. Eine kleine Portion ist denke ich in Ordnung… Hier… Einmal für Dich… und einmal für mich.“
„Das nennst Du eine kleine Portion?“
„Ja.“
„Na dann guten Appetit.“
„Wünsche ich Dir auch. Lass es Dir schmecken.“

Während dem Essen griff Ignatius Malous Hand.

„Oh Igna, was hast Du für raue Hände?“
„Damit ich Dich besser streicheln kann. Ha, ha ha. Nein nein, war nur Spaß. Ich habe raue Hände?“
„Ja… Und… Deine Haut ist…“
„Was?“
„…Deine Haut ist irgendwie fester geworden. Fast wie… Leder.“
„Jetzt übertreibst Du aber.“
„Nein, ich meine es. Wirklich. Im Vergleich zum letzten mal… Was hast Du bloß mit Deinen Händen gemacht?“
„Nichts.“

Am nächsten Tag ging Ignatius in einen Pflanzenladen. Er wählte den der am nahsten war damit er nicht durch die hektischen Straßen der Großstadt laufen musste. Dieser Laden war sehr groß und bot fast alles was das Blumen- und Pflanzenherz begehrte. Ignatius schaute sich lange und gemütlich um. Hier gab es einiges was ihm gefiel. Letztendlich fiel seine Wahl jedoch auf einen Bonzai-Baum. Besser gesagt auf zwei. Ignatius konnte sich einfach nicht entscheiden welcher ihm besser gefiel.

„Diesen hier… Und… Einen Moment… Den hier hätte ich gerne.“
„OK. Warten Sie, ich helfe Ihnen beim Tragen. Wo steht ihr Auto?“ fragte die Verkäuferin.
„Ich habe gar kein Auto.“
„Wie wollen Sie die beiden Bäume dann tragen? Der eine ist ein Meter groß, der andere beinahe 1,50.“
„Ich versuche einfach den einen unter den linken Arm und den anderen unter den rechten Arm zu klemmen.“
„Wenn Ihr Name Herkules sein sollte könnte ich es verstehen. Allerdings sehen Sie nicht aus als wäre Ihr Name Herkules. Wie wäre es wenn ich Ihnen den einen zurück lege, Sie kommen später noch einmal und holen den zweiten ab.“
„Ich weiß nicht.“

Ignatius wollte jeden unnötigen, stressigen Weg vermeiden.

„Ich würde sagen es geht nicht anders. Es sei denn Sie tragen den einen Baum und schieben den anderen mit dem Fuße vor sich her.“ sagte die Verkäuferin ironisch.
„Gut. Genau so werde ich es machen.“

Gesagt getan nahm Ignatius den Vorschlag der Verkäuferin ernst, klemmte sich den 1 Meter großen Bonzai unter den Arm und schob den 1,50 m großen mit dem Fuß vor sich her. Auf dem Nachhauseweg zeigte Ignatius keinerlei Anzeichen einer Angst bezüglich sich bewegender Wolkenkratzer oder Menschenmengen; er war zu sehr damit beschäftigt seine beiden Pflanzen heim zu befördern. Er brauchte die doppelte Zeit die er normalerweise für diesen Weg benötigte, kam aber relativ heil jedoch erschöpft zu Hause an. Er legte sich, nachdem er den beiden Pflanzen einen Ort zugewiesen hatte, zu einem Mittagsschlaf hin und wurde erst zwei Stunden später vom Klingeln des Telefons geweckt.

„Ja, Hallo?“
„Ich bins Malou. Du hörst Dich verschlafen an. Habe ich Dich gerade geweckt?“
„Ja, ich hatte ein kleines Nickerchen gehalten, aber es ist schon OK. Wie geht es Dir?“
„Gut, gut und selbst?“
„Ja, es geht so. Der heutige Tag verlief bis jetzt ganz angenehm.“
„Ich habe eine Überraschung für Dich.“
„Es gibt doch überhaupt keinen Anlass.“
„Deshalb ist es ja eine Überraschung. Wenn Du Geburtstag hättest wüsstest Du ja, dass Du etwas bekommst. Ich habe Karten für die Oper.“
„Nein! Für wann denn?“
„Heute Abend. Du hast mir gestern erzählt, dass Du für heute Abend noch nichts vor hast und da habe ich tatsächlich noch zwei Karten ergattern können. Die Vorstellung ist fast ausverkauft, aber zwei Plätze nebeneinander im Erdgeschoss, in der 10. Reihe gab es noch.“
„Was läuft denn schönes?“
„Ein Tip: 20. Jahrhundert.“
„Spann mich doch nicht so auf die Folter.“
„Ein Vor- und ein Nachname im Titel.“
„Du bist fies.“
„OK: Peter Grimes.“
„Wow. Nicht schlecht. Da freu ich mich drauf. Wann soll’s denn los gehen?“
„Um 19:30 Uhr.“
„Gut. Ich bin dabei.“
„Das weiß ich doch. Ich hole Dich dann um 18:30 Uhr ab.“
„Alles klar. Danke nochmal.“
„Du hast Dich doch noch gar nicht bedankt.“
„Also dann: Danke zum ersten mal.“
„Nichts zu danken. Bis dann.“
„Bis dann.“
„Tschüss.“
„Tschüss.“

Ignatius und Malou genossen die Oper und Ignatius vergaß völlig, dass er mitten unter hunderten von Menschen saß. Er konzentrierte sich über eine Stunde lang voll und ganz auf die Musik. Dann plötzlich wurde ihm bewusst wo er hier war. Dies war eine Massenveranstaltung. Überall waren Menschen, rechts neben ihm, links neben ihm, vor ihm und hinter ihm. Er fing wieder an zu schwitzen. Sein Herz raste und schmerzte sogar. Dann kam die Passacaglia: Zwei Besucher vor Ignatius drehten sich zu ihm um und schauten ihm direkt in die Augen. Ignatius wunderte sich. Dann drehten sich drei weitere Besucher zu ihm um die ebenfalls direkten Blickkontakt hielten. Zwei Reihen vor ihm drehten sich fünf Personen zu ihm um. Es wurden immer mehr und mehr, schließlich drehte sich das ganze Publikum das vor Ignatius saß zu ihm um. Was geschah hier? Die Leute fingen an diabolisch zu lächeln. Ignatius bekam Panik. Ihm wurde schwindelig. Wieder verfinsterte sich alles und er wurde ohnmächtig. Im Krankenhaus wachte er wieder auf. Malou saß neben seinem Bett.

„Igna! He, wie geht es Dir?“
„Ähm… Ich weiß nicht… so recht… Ich glaube gut.“
„Was um alles in der Welt ist denn mit Dir passiert? Die Oper war zu Ende. Ich dachte Du schläfst, wollte Dich wecken und plötzlich ging das nicht mehr. Ich dachte zuerst Du wärst tot. Dann habe ich gemerkt, dass Du noch lebst und habe um Hilfe gerufen.“
„Du hast Dir die ganze Oper angeschaut, bis zum Ende?“
„Ja.“
„Ohne auf mich zu achten?“
„Es war so spannend und die Musik war so toll. Du hast ja auch nichts gesagt.“
„Ich konnte nichts mehr sagen. Ich bin nach der Passacaglia in Ohnmacht gefallen.“
„Ach du liebe Zeit. So lange hast Du da neben mir bewusstlos gesessen? Fast eine Stunde?“
„Es scheint so… Haben… Haben die Leute sich dann wieder umgedreht?“
„Welche Leute? Umgedreht?“
„Na das ganze Publikum hat mich doch angestarrt.“
„Was? Das musst Du Dir eingebildet haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich überhaupt irgendjemand umgedreht hätte. Die waren alle von der Oper fasziniert.“
„Aber ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen wie die mich alle angeguckt haben. Und dann fingen sie auch noch an ganz finster zu grinsen. Deshalb bin ich ja in Ohnmacht gefallen.“
„Nein, nein. Du wirst fantasiert haben. Vielleicht wurde Dir alles zu viel, die ganzen Leute und so.“
„Ich weiß nicht.“
„Aber ich weiß. Du scheinst ein Problem zu haben. Du hast mir von den Wolkenkratzern erzählt, die sich auf Dich zu bewegt haben… Und jetzt das mit den Leuten die sich zu Dir umgedreht haben sollen. Vielleicht solltest Du mal mit einem Psychologen sprechen.“
„Was? Ich bin doch nicht verrückt.“
„Naja, vielleicht ein bisschen. Das ist doch nicht schlimm. Heutzutage braucht man sich nicht dafür zu schämen. Wer ist schon noch völlig normal?“

Auf dem Nachhauseweg merkte Ignatius wie ihm die Glieder schmerzten. Hin und wieder knackten seine Knochen.

„Oh je. Ich werde alt. Oder ich habe einfach nur zu wenig getrunken in den letzten Tagen… Jetzt höre ich mich schon so an wie Malou mit ihrem Gesundheitstick.“ dachte Ignatius.

Daheim angekommen setzte er sich auf einen Stuhl direkt vor sein Aquarium und schaute den Piranhas zu wie sie so auf und ab schwammen. Er beobachtete sie eine lange Zeit und versuchte heraus zu finden was er von ihnen hielt. Dann fiel ihm ein, dass er sie füttern musste. Der Verkäufer sagte ihm es wären Fleischfresser und sie würden so ziemlich alles fressen was mit Fleisch zu tun hat. Ignatius bereitete zwei Steaks vor, mit der Absicht eines davon seinen Fischen zu geben. Als sie fertig waren nahm er das eine und schnitt es in kleine Häppchen. Er ging zum Aquarium und warf ein kleines Stück herein. Die drei Piranhas stritten sich um die Nahrung und nach kurzem Kampf gewann schließlich einer und machte sich über das Steakstück her. Dieses Schauspiel beeindruckte Ignatius. Er sah nun die scharfen Zähne des Raubfisches und bekam einen kleinen Schreck. Was hatte er sich da bloß in seine Wohnung geholt? Diese Piranhas waren gefährlich. Er warf ein weiteres Stück in das Aquarium. Wieder entstand ein wildes Hin und Her bis endlich einer siegte. Ignatius wusste nicht mehr ob es diesmal ein anderer oder der selbe Piranha war, der das Fleisch ergattert hatte. Ignatius konnte die Drei nicht auseinander halten. Sie sahen alle gleich aus. Er beschloss nun also die restlichen Häppchen alle auf einmal in das Aquarium zu werfen damit alle etwas ab bekommen könnten. Er sah jetzt wie die drei Piranhas alle aßen. Und immer wieder fielen ihm die scharfen Zähne auf die gierig das Fleisch zerbissen. Ignatius beschloss seinen besten Freund anzurufen.

„Ja, ich bin’s, hallo. Wie geht es Dir?“
„Gut und selbst?“
„Es geht so. Mir ist wieder etwas passiert.“
„Na erzähl mal.“
„Ich war mit Malou in der Oper und es ging auch alles eine Weile gut bis ich plötzlich sah wie sich das ganze Publikum das vor mir saß zu mir umdrehte und mich teuflisch anlächelte. Dann bin ich in Ohnmacht gefallen.“
„Du wirst Halluzinationen gehabt haben. So etwas gibt es doch gar nicht. Die Menschenmenge wird Dich irritiert haben und den Rest hast Du Dir dazu gedichtet.“
„Ich weiß nicht. Ich bin dann erst wieder im Krankenhaus zu mir gekommen.“
„Wie neulich schon mal, nicht? Ignatius, ich empfehle Dir mal einen Therapeuten aufzusuchen. Der wird Dir weiter helfen können.“
„Oh nein, das hat Malou auch gesagt.“
„Gut so. Und was hast Du dazu gesagt?“
„Ich dachte sie hielt mich für verrückt.“
„Wir alle sind ein bisschen verrückt. Die einen mehr, die anderen weniger, und die die mehr verrückt sind brauchen eben Hilfe.“
„Bist Du etwa auch verrückt?“
„Ein bisschen, das solltest Du eigentlich wissen. Du kennst mich doch schon so lange. Wir sind zusammen aufgewachsen. Alle Großstadtmenschen haben einen kleinen Tick, das ist einfach so.“
„Meinst Du?“
„Na klar.“
„Ich habe mir tatsächlich ein paar Fische zu gelegt. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob…“
„Tiere sind allgemein hilfreich für den Menschen. Sie wirken ausgleichend, beruhigend, ja zum Teil sogar heilend. Hunde sollen auch ganz gut sein. Die lenken Dich ein wenig ab von Deinen Problemen die Du so hast. Ich kenne da eine gute Adresse wo Du die besten Rassen finden kannst.“

Ignatius nahm den Ratschlag seines Freundes ernst und besorgte sich einen Hund. Am selben Abend kam Malou zu Besuch.

„He Igna. Alles klar?“
„Ja, danke. Und bei Dir?“
„Mir geht’s perfekt. Es ist ja Freitag. Freitags bin ich immer in guter Laune. Los zeig mir mal Deinen Hund.“
„OK, komm mit. Er ist wohl gerade im Schlafzimmer… So… Hier ist er. Ich habe noch keinen Namen gefunden, werde aber demnächst mal im Internet schauen ob ich dort einen finde. Es gibt da sehr viele Namenslisten mit Beispielen für Hunde und…“
„Igna?“
„Ja?“
„Das ist kein Hund.“
„Was?“
„Ich sagte das ist kein Hund. Das ist ein Wolf.“
„Nein.“ sagte Ignatius ungläubig.
„Doch Igna, das ist eindeutig ein Wolf… Mein Gott, wo hast Du den bloß her?“
„Georg hat mir eine Adresse genannt die…“
„Du kannst doch keinen Wolf in der Wohnung halten. Das sind wilde Tiere die die Natur brauchen. Der geht hier doch ein. Außerdem sind die nicht ungefährlich.“
„Bis jetzt war er ganz lieb… Naja, dass er manchmal so komisch heult macht mir ein bisschen Angst.“
„Du bist unmöglich Igna. Du wirst den auf der Stelle wieder abgeben!“
„Heute Abend ist da keiner mehr erreichbar. Ich schätze das geht morgen erst wieder.“
„Dann morgen früh und zwar gleich als erstes.“
„Wie Du meinst.“
„So und jetzt… habe ich Lust auf ein bisschen…“

Und Malou streichelte Ignatius’ Gesicht.

„Sag mal, was ist bloß mit Deiner Haut los? Die wird immer fester und fester.“
„Ich weiß nicht. Vielleicht sollte ich sie mal eincremen.“
„Ich glaube mit normaler Creme wirst Du da nichts erreichen. Ich würde mal zum Hautarzt gehen an Deiner Stelle.“
„Psychologe, Hautarzt… Was denn noch?“
„Du stehst wohl nicht besonders auf Ärzte was?“
„Wenn es sich nicht vermeiden lässt bleibe ich ihnen lieber fern. Aber wenn Du meinst, dass es nötig ist werde ich es tun.“

Malou verbrachte die Nacht bei Ignatius. Am nächsten Morgen begleitete er sie noch bis zur U-Bahn und lief dann weiter in Richtung Pflanzenladen. Wieder sah er sich lange und ausgiebig um. Er staunte über die Vielfalt an Blumen und Pflanzen die der Shop zu bieten hatte. Lange lief er die verschiedenen Gänge entlang auf der Suche nach etwas abwechslungsreichen. Schließlich fiel seine Wahl auf Yucca-Palmen. Drei Stück, von denen zwei etwa 1 Meter und eine sogar 1,70 m groß war, sollten es sein.

„Entschuldigung…“ sprach er die Verkäuferin an.
„Ja bitte?“
„Ich habe da etwas gefunden.“
„Wieder Bonzai-Bäume so wie beim letzten mal?“
„Nein, diesmal etwas anderes… Hier… ich zeig sie Ihnen.“
„Oh ja, das sind wunderschöne Pflanzen. Welche möchten Sie haben?“
„Die,… die… und diese hier.“
„Drei Stück? Haben Sie jetzt etwa ein Auto?“
„Nein, aber ich denke es wird schon irgendwie gehen. Ich klemme mir einfach eine unter den linken Arm, eine unter den rechten und die dritte schiebe ich mit dem Fuß vor mir her.“
„Sie wissen, Sie können auch eine oder zwei hier lassen und sie später abholen. Ich lege sie Ihnen gerne zurück.“
„Nein danke. Ich möchte es auf meine Weise machen.“

Ignatius zahlte und brachte mit einigen Umständen die drei neuen Pflanzen nach Hause. Danach beschloss er den Rat seiner Freundin anzunehmen und einen Hautarzt aufzusuchen. Ignatius wollte zu Fuß gehen. Den Horror in der U-Bahn wollte er nicht ein weiteres mal riskieren. Doch der Weg war weit und nicht viel angenehmer. Er musste durch die Wolkenkratzerschluchten und wieder ein nervenaufreibendes Menschen-Slalom laufen. Sein Herz begann kräftiger und schneller zu schlagen. Und als ob es in den schmalen Straßen bedingt durch die hohen Häuser nicht schon dunkel genug war sah Ignatius nun, als er nach oben blickte, wie sich der obere Teile der Hochhäuser in Richtung Straße bog. Die linken Wolkenkratzer bogen sich nach rechts, die rechten nach links und aufeinander zu, so dass nun überhaupt kein Licht mehr durch kam. War dies wieder nur eine Halluzination oder geschah es tatsächlich? Ignatius legte einen schnelleren Gang ein, doch das Rennen fiel ihm schwerer als sonst. Seine Gelenke und Muskeln schmerzten und zum Teil knackten seine Knochen wieder. Dennoch versuchte er so schnell wie möglich vorwärts zu kommen. Er lief um sein Leben. In der Düsterkeit fand er nach einer halben Stunde endlich den Arzt.

„Etwas Derartiges habe ich noch nie gesehen. Ihre Hand ist ja beinahe wie… Leder… Vielleicht sogar noch fester. Ich habe in meiner gesamten ärztlichen Laufbahn noch nie so etwas gesehen. Trinken Sie genug?“
„Ich denke ich trinke genug um nicht solch eine Haut zu bekommen. Also daran liegt es bestimmt nicht.“
„Spannt Ihre Haut denn?“
„Ja, zum Verrückt werden… Das muss ich gerade sagen.“
„Ich werde Ihnen eine Creme mit geben; wenn es damit nicht funktioniert kommen Sie nochmal und wir werden uns etwas anderes überlegen.“

Da Ignatius schon einmal dabei war dachte er er könne gleich noch zu seinem Hausarzt gehen um ihm von seinen anderen Beschwerden zu erzählen.

„Laut meiner Akte hatten Sie vor wenigen Tagen bereits einen Komplett-Check in der Klinik. So schnell wird sich da nichts geändert haben an Ihrer körperlichen Gesundheit. Ich sage Ihnen das ist rein psychosomatisch.“
„Psycho was?“
„Psychosomatisch. Das heißt grob übersetzt: die Schmerzen haben keine organische sondern eine seelische Ursache.“
„Wie erklären Sie sich das mit meiner Haut?“
„Ich bin kein Hautarzt, aber ich könnte wetten das hat auch mit Ihrer Psyche zu tun.“
„Ich habe das Gefühl ich werde immer steifer.“
„Dann sollten Sie umgehend einen Psychotherapeuten aufsuchen.“
„Sie sind jetzt schon der Dritte der mir das sagt.“
„Na dann scheint ja etwas dran zu sein.“
„OK, ich gebe mich geschlagen. Können Sie mir einen empfehlen?“
„Ja, sicher. Warten Sie, ich schreibe Ihnen Adresse und Telefonnummer auf. Wenn Sie schnell einen Termin bei einem Therapeuten bekommen wollen sind Sie bei ihm genau richtig. Ich denke in spätestens drei Wochen haben Sie einen Termin.“

Malou und Ignatius sahen sich fast vier Wochen nicht, da Malou verreist war. Als sie zurück kam beschloss sie sofort Ignatius einen Besuch abzustatten. Sie klingelte. Ignatius drückte den Haustüröffner. Da er gerade eine natürliches Bedürfnis hatte öffnete er die Wohnungstüre einen Spalt und ging ins Badezimmer. Malou kam herein und bekam einen Schreck. Vor ihren Augen standen unzählige Pflanzen, alle durcheinander und mitten im Zimmer. Einige waren sogar größer als Malou. Es sah aus wie in einem Dschungel.

„Igna!“ schrie sie.
„Ja, ich komme gleich. War nur kurz auf dem Klo… So… Jetzt.“
„Wo bist Du denn? Ich sehe nur Pflanzen.“
„Hier bin ich.“
„Wo denn?“

Malou schob die Blätter der Palmen zur Seite um etwas sehen zu können, doch dahinter waren weitere Pflanzen und hinter diesen noch mehr.

„Das ist ja der reinste Wald. Was hast Du bloß mit Deiner Wohnung gemacht?“
„Malou!“
„Igna!“
„Maloooouuuuu.“
„Ignaaaaaaa“

Selbst von der Decke hingen lianenähnliche Gewächse die den Beiden in den Weg kamen.

„Igna, ach da bist Du ja.“
„Hallo Malou, wie geht es Dir?“
„Gut danke. Und Dir? Ich hoffe es geht Dir gut. So wie Deine Wohnung aussieht bin ich mir nicht sicher wie Dein Empfinden ist.“
„Es geht so.“
„Ich hoffe Du warst beim Therapeuten?“
„Ja, ich hatte zwei Termine bis jetzt, aber es hat noch nicht sehr viel gebracht.“
„Na das wird vielleicht noch.“
„Ja. Mal sehen. Hast Du schon mein neues Haustier gesehen? Georg hat mir empfohlen mir eine Katze zu zulegen.“
„Oh nein…“
„Was denn?“
„Ich ahne Fürchterliches.“
„Ach… Hier kommt sie schon angelaufen die Kleine. Na wie gefällt sie Dir?“
„Das ist keine Katze, das ist ein Tiger-Baby!“
„Wirklich?“
„Ja. Ich empfehle Dir keine Ratschläge mehr von Georg anzunehmen sonst holst Du Dir demnächst noch einen Vogel.“
„Was wäre denn dabei?“
„Adler gehören nun einmal nicht in die Wohnung, ganz einfach. Und von dem Tiger wirst Du Dich leider auch trennen müssen. Du kannst mir doch nicht weis machen, dass Dich seine Gegenwart beruhigt.“
„Ich weiß nicht. Naja… Er beißt manchmal. Das tut ganz schön weh.“
„Apropos Schmerzen: Was machen Deine psychosomatischen Beschwerden?“
„Schlimmer geworden.“
„Noch schlimmer?“
„Ja. Fast jede Bewegung schmerzt.“

Da Malou nicht lange bleiben konnte begleitete Ignatius sie wieder bis zur U-Bahn-Station. Es war Mittag. Da kam ihm eine Idee.

„Es ist die Stadt! Ich kann einfach nicht mehr in der Stadt leben. Es ist nicht zum aushalten.“

Er beschloss an den Stadtrand zu laufen und sich dort ein wenig umzusehen. Er würde möglicherweise dort hin ziehen. Aufs Land. In der Nähe der Wald und die Felder. Doch er hatte einen weiten Weg vor sich. 15 km entfernt lag diese Gegend und Ignatius spürte immer stärkere Schmerzen. Alles versteifte sich und er konnte kaum noch gehen. Er wurde immer langsamer und langsamer. Jeder einzelne Schritt wurde zur Tortur. Einen Fuß vor den andern setzen. Immer einen Fuß vor den anderen. Doch bald ging auch dies nicht mehr. Schließlich blieb Ignatius stehen und konnte sich nicht mehr bewegen, nicht einmal seinen Mund um um Hilfe zu rufen. So stand er und stand zwischen den größten Wolkenkratzern der Stadt und mitten in der lebendigsten Straße einige Minuten bis schließlich eine Mutter mit ihrer Tochter vorbei kam.

„Was ist das Mami?“
„Du musst ihm eine Münze hin werfen, dann bewegt er sich.“
„Oh, krieg ich 50 Cent? Bitte, bitte, ach bitte Mami.“
„Na gut. Hier hast Du sie.“

Die Kleine warf die Münze vor Ignatius’ Füße und in der Tat bewegte er willenlos seinen Arm nach oben so wie zum Gruße.

„Hi hi.“ lachte das Mädchen. „Aber Mami schau. Schau doch wie traurig er dreinblickt.“
„Traurig und ängstlich gleichzeitig. Komisch irgendwie. Komm wir gehen weiter.“

Und so stand Ignatius noch fünf Jahrzehnte lang an der selben Stelle. Viele wunderten sich. Sogar die Zeitungen schrieben darüber. Bis er schließlich nach vorne umkippte. Vielleicht war Ignatius nun in einer besseren, schöneren und angstfreien Welt.
 
 
 
 
 
 
ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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