Hella Schümann

Das verzauberte Dorf

 

Wir zogen von der Kleinstadt aufs Land. Ein Straßendorf mit einer Kneipe, einem Hotel, einer Grundschule und natürlich einer kleinen Kirche. Nur alle Stunde fuhr ein Bus in die Stadt, und wenn ich  zum Einkaufen wollte, dann war er  natürlich gerade weggefahren. Ich konnte mich nicht daran gewöhnen, dass ich mich nach dem Fahrplan richten musste, denn früher in der Stadt konnten wir alles zu Fuß erledigen. Einmal war ich so wütend, als der Bus direkt vor meiner Nase  abfuhr, dass ich mit meiner vierjährigen Tochter zu Fuß in die Stadt ging. Es war Sommer und strahlender Sonnenschein, die Hitze erträglich, der Weg an der Straße entlang, mit diesen stinkenden Autos nicht gerade ein Vergnügen, doch die Kleine marschierte tapfer neben mir her. Nach einer Stunde trafen wir erschöpft und kaum noch fähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen, in der Stadt ein.

Meine Vorurteile über das Dorf trafen den Nagel auf den Kopf. Betraten wir mal die Dorfkneipe, so schwiegen schlagartig die Gäste, betrachteten uns ausgiebig und wandten sich dann ab. Unser Gruß wurde selten erwidert. Der Wirt ließ sich Zeit, nach dem Motto: Was wollen die denn hier? Die gehören hier doch gar nicht hin. Ich glaubte bisher, wir wären ganz normale Menschen, doch entweder sahen wir anders aus, oder wir rochen vielleicht streng, jedenfalls war der Gang durch das Dorf wie ein Spießrutenlauf. Unsere Wohnung lag an einem Hang und ich konnte das ganze Tal überblicken. Ein wunderschöner Anblick. Oberhalb des Hangs begann ein Wäldchen, das wir oft aufsuchten.

Ich saß an einem friedlichen warmen Sommertag auf dem Balkon, während meine Tochter Iris im Garten schaukelte. Ich genoss den weiten Blick ins Tal, das war so entspannend. - Doch was war das? Eine dünne Staubsäule über dem Tal, sie wurde immer dicker und wirbelte herum. Eine Windhose oder ein kleiner Wirbelsturm und er kam direkt auf mich zu. Ich träumte nicht, sie war echt. Ich rannte in den Garten, riss Iris von der Schaukel, die gar nicht wusste, wie ihr geschah und lief mit ihr ins Haus. Gerade noch rechtzeitig, in Sekundenschnelle saust die Windhose vorbei. Die Schaukel schlug Purzelbäume, meine Tochter schrie: „Ich will aber schaukeln!“ -

Stille der Natur, kein Vogel sang...

Noch nie in meinem Leben hatte ich eine Windhose gesehen und jetzt dies, mitten in einem kleinen Dorf, kein Nachbar hat sie bemerkt, es stand nicht in der Zeitung, doch sie war da, ich weiß es genau.

Der einzige Lichtblick hier, so schien es waren unsere Vermieter. Die Kleine durfte im Garten spielen so oft sie wollte. Ich hatte ihr allerdings gesagt, wenn im Hof Kaffeestunde wäre, solle sie so lange vor dem Haus spielen. Eines Tages erzählte mir unsere Vermieterin: „Iris  war neulich im Garten und als ich Kaffee und Kuchen auf den Tisch stellte, wollte sie nach vorne gehen. „Möchtest Du auch ein Stück Kuchen“, wollte ich wissen. „nein danke, ich bin schon satt“, entgegnete sie zu meinem Erstaunen.“

Einen ganz besonderen Tick hatte meine Vermieterin doch, wenn ich gerade die Treppe gewischt hatte, kam sie und sagte: „Die Treppe ist ja immer noch staubig.“ In der Tat, wenn die Sonne auf die Marmortreppe schien, sah man ganz feine Staubpartikel. Ich versuchte es mit einem neuen Lappen, nichts half. Als wir dann in Urlaub wollten wischte ich die Treppe zweimal und dann kam mir der glorreiche Gedanke, am Schluss die Treppe mit Pronto abzureiben. Wie schön die Treppe glänzte! Als wir aus dem Urlaub zurückkamen stand die Hauswirtin schon in der Tür: „Was haben sie mit der Treppe gemacht? Sie war so glatt, dass ich gefallen bin.“

Es war Winter, der erste, den wir im Dorf erlebten und es gab sogar Schnee, was in unserer Gegend nicht selbstverständlich ist. Natürlich machten wir uns auf, Schlitten zu fahren, obwohl nur eine dünne Schneedecke lag. Der Schlitten stammte noch aus meiner Kindheit, also aus den fünfziger Jahren und war mein ganzer Stolz. Ich liebte seine schnittige Form, kein anderes Kind besaß  solch ein Prachtstück. Wir gingen über den Hügel zu einem großen Feld, das sich sanft zur unteren Straße  neigte. Viele Kinder probierten ihr Glück, doch die Schlitten schafften höchstens zwanzig Meter und wurden dann durch die Erdklumpen gestoppt, die aus dem Schnee lugten. Iris wollte unbedingt alleine fahren, es war ihre erste Schlittenfahrt, doch was konnte schon passieren, nach ein paar Metern würde die Fahrt sowieso zu Ende sein.

Sie fuhr fröhlich los und der Schlitten glitt elegant über den Schnee und fuhr und fuhr, die Hundertmetermarke  war längst überschritten. Ich stand vor Angst wie gelähmt, sie würde es doch wohl nicht bis auf die Straße schaffen? Zum Hinterherlaufen war es zu spät. Na, endlich, der Schlitten hielt an. Ich ging ihr entgegen und sagte: „Hatte ich eine Angst, dass du auf  die Straße fährst.“ „Aber Mutti, ich kann doch bremsen“, erwiderte sie mit ihren 4 Jahren.

An einem schönen Sommertag saß ich auf dem Balkon. Die Vögel zwitscherten, ein leichtes warmes Lüftchen streichelte meine Haut, ich genoss die Sonne, las ab und zu in einem Buch, oder schaute in die Gegend. Kein Straßenlärm, keine lauten Nachbarn. Das Dorf schien zu ruhen und die Bäume auf dem Hügel schliefen auch. Da blickte plötzlich direkt über die Baumwipfel, wie der Kopf eines Riesen, das Cockpit einer Militärmaschine, die sich leise in Richtung meines Balkons senkte. Sie jagte schweigend an mir vorbei und zog einen donnernden Schweif Lärm hinter sich her. Die Maschine war so nah, dass ich den Piloten erkennen konnte. Der Balkon vibrierte, meine Knie bebten. Das Zittern ließ erst am Abend nach. Hatte der Pilot mir etwa zugezwinkert? So nah sieht man ein Flugzeug nicht mal auf dem Flughafen.

Dieses Jahr gab es einen besonders schönen Sommer. Wir gingen im Wald spazieren und traten aus dem Dunkel der Tannen plötzlich auf eine Lichtung und wie das Wort schon sagt, der Unterschied vom schattigen Wald ins helle Licht blendete unsere Augen. Als wir uns an die Helligkeit gewöhnt hatten, sahen wir eine bunte Wiese mitten im Wald. Seltsame Geräusche kamen von der gegenüberliegenden Seite und aus dem schwarzen Dunkel sprang plötzlich ein weißes Pferd, galoppierte auf die Wiese, blieb einen Augenblick in der Mitte mit aufgeblähten Nüstern stehen und dann begann der Tanz. Wie befreit sprang das Tier in alle Richtungen, der Rücken bog sich, der lange Schweif schien zu fliegen. Noch nie habe ich so ein schönes Bild von einem tanzenden Schimmel gesehen.

War das Wirklichkeit, oder ein Zauber? Wir haben es wirklich gesehen. Meine Tochter sprach noch viele Jahre über das Zauberpferd. All diese Geschichten ereigneten sich innerhalb von zwei Jahren in einem Dorf am Rand der Welt.

Wir haben nicht lange dort gewohnt, weil die Vermieter die Wohnung für ihren Sohn brauchten und ich war froh, wieder in die Stadt zu ziehen.

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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