Britta Schäfer

Versprochen?

Soll ich? Oder nicht? Traue ich mich? Oder nicht? Auf meinem Schreibtisch sieht es aus wie auf einer Papierblumenwiese. Überall liegen kleine zerrissene Schnipsel herum. So als hätte ich einen Strauß Gänseblümchen genommen und jedes einzelne Blütenblatt herausgerissen.
Ich weiß, ich bin kein starker Mensch, ich werde schwach... meistens in unpassenden momenten... so wie in diesem Augenblick...

Ich möchte dich mit in meine Erinnerung nehmen, dich teilhaben lassen an Liebe, Leid und Schmerz. In eine Welt, die so fremd und doch so vertraut ist...

Es war an einem Abend im frühen Herbst, man könnte eigentlich auch Spätsommer dazu sagen. Ich befand mich auf einem unumgänglichen Weg durch Leid und Tod. Doch das störte mich nicht, denn ich wusste, die von mir getöteten Wesen, schuldig wie auch unschuldig, würden wenige Minuten, nachdem ich meine Reise fortgesetzt habe, wie durch ein Wunder ins Leben zurück kehren und die Begegnung mit mir vergessen haben. Ich war eine unerschrockene aber junge Jägerin, ich hatte noch vieles zu lernen, doch die Aufgaben die man mir stellte, machten mich von Tag zu Tag stärker. Doch bei dieser Aufgabe musste ich dich um Hilfe bitten. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, meine Hände zitterten und ich fragte mich, wieso. Dass ich während eines kurzen aber harten Kampfes von diesen Empfindungen überspült wurde, ließ mich erschauern. Es war eine Mischung aus Ehrfurcht, Angst, Dankbarkeit und ja... da war noch ein Gefühl mit bei, welches ich nicht zuordnen konnte. Meine Aufgabe war schnell erfüllt, eigentlich hättest du dich verabschieden und deines Weges gehen können, doch du wolltest mich auf meinem Weg begleiten und ich hätte nicht mal in meinen schlimmsten Träumen daran gedacht, deine Gesellschaft auszuschlagen. Wir gingen gemeinsam zur nächstgelegenen Stadt, um uns ein wenig auszuruhen und um meinen Vorrat an Pfeilen aufzufrischen.
Es war eine stadt inmitten einer von hohen Felsen eingerahmten Bucht. Erbaut mit hunderten Holzpfählen, -planken und -bohlen, durch welche die Stadt verwinkelt aussah und in mehrere Ebenen aufgeteilt wurde. Wir begegneten Freibeutern, Händlern und Schiffsreisenden. Wir fanden ein umgedrehtes kleines Bootswrack in welches wir uns setzten, um uns vor wind und wetter zu schützen. Du zaubertest wie von Geisterhand ein Lagerfeuer herbei und wir fingen an, uns zu unterhalten. Unsere Gespräche fanden kein Ende, sie wurden immer vertrauter. Wäre diese ganze Situation nicht so surreal gewesen, hätte man sie schon beinahe als romantisch bezeichnen können. Mich übermannte langsam die Müdigkeit, doch ich wollte dich nicht verlassen...
Als die ersten zarten Rosatöne den Himmel erhellten, stand ich auf und setzte mich neben das Wrack. Von dort hatte ich einen wunderbaren Blick über die komplette Bucht. Die sonne ging in diesem Moment glutrot auf, sie spiegelte sich in den noch dunklen Wellen, welche sich leise unter mir an den Pfählen und Steinen brachen. Du setztest dich neben mich, sahst dir mit mir dieses Naturschauspiel an. Die Sonne stieg langsam aber stetig empor, tauchte erst die kalten und leicht spröden Holzplanken vor uns und dann unsere Körper in goldenes Licht, bis wir ganz darin eingehüllt waren. Es war, als würden die Sonnenstrahlen einen umarmen. Ich sah zu dir hinüber, du warst in goldenes Licht getaucht und wirktest wie ein Wesen von einer anderen Welt, wie ein zu Erde geschickter Engel. Mir stockte der Atem, nicht nur wegen dem, was ich sah, sondern auch wegen meiner Gefühle. Meine Hände fingen wieder an zu zittern, mein Kopf war leer, ich konnte an nichts denken... Doch, noch heute erinnere ich mich an jedes einzelne Wort eines Liedes, welches zu diesem Zeitpunkt immer und immer wieder in meinem Kopf abgespielt wurde: "...love me, love me to the end... fall down by my side, down in my arms... this night forever, no morning will come. This night forever, no morning will come... love me, love me to the end...". Es war, als hätte die aufgehende Sonne diese Worte für immer in mein Herz gebrannt, damit es diesen Moment, diesen Sonnenaufgang niemals vergaß.
Der Morgen kam und unsere Wege trennten sich, für eine lange Zeit.

Du verschwandest aus meiner Welt. Wir versuchten in Kontakt zu bleiben, schrieben uns kurze Nachrichten und ellenlange Briefe. Du warst aufgebrochen in eine neue und doch gleiche Welt, verschriebst dich den Künsten der eisigen Magie...

Soll ich? Oder nicht? Traue ich mich? Oder nicht? Ja, ich folgte dir. Deine Welt war mir fremd und doch so vertraut. Mein Herz machte einen Sprung, jedes mal, wenn du mich erkannt hast, mit mir gesprochen hast, mich auf meiner Reise begleitet hast oder einfach nur, wenn du in Gedanken bei mir warst. Jedes mal erklangen leise die alten Worte des Sonnenaufgangsliedes. Doch etwas stimmte nicht, etwas war anders. Dein Verhalten war distanzierter, fremder. Du erklärtest mir, du hättest dich verliebt, du hättest eine Frau gefunden, der du alles geben würdest, du wärest so glücklich. Mein Herz machte keine Sprünge mehr. Ich musste es davon abhalten, sich an die Kante einer hohen Klippe zu stellen, um einen letzten Sprung zu wagen. Ich war eingetaucht in eine Welt aus Trauer und Leid. Und ich sollte diese Welt kennen lernen, näher als mir lieb war.
Auf deinen Wunsch hin zog ich mich zurück, bat dich nicht um Hilfe, Begleitung oder Zeit, aus Angst, zurück gewiesen zu werden. So wandelte ich alleine in dieser grausamen Welt, verlor mich in trüben Gedanken und machte mich irgendwann auf, um zurück in meine Welt zu kommen. Auch hier gab es Trauer und Leid, doch hier war es erträglicher, denn du warst nicht hier.
Mein Herz sprang und sang nicht mehr, es siechte vor sich hin. Unschlüssig, ob sein nächster Schlag nicht sein Letzter sein sollte.
Mein Begleiter von damals war zu einem distanzierten Fremden geworden. Unser Kontakt wurde spärlicher, doch ich merkte, dass ich dich vermisste, dich brauchte.
Eines Tages jedoch fing mein Herz erneut an zu springen und zu singen, langsam und leise, zögerlich, abwartend.

Etwas stimmte nicht. Warst du es? Oder nicht? Testet du mich? Oder nicht? Fragst du das wirklich? Oder nicht?
Doch, du fragtest es wirklich. Ich konnte einfach nicht antworten. Nein, niemals, diese Frage war ungerecht. Ungerecht mir gegenüber. 

Soll ich? Oder nicht? Traue ich mich? Oder nicht? Am nächsten Tag antwortete ich doch auf deine Frage. Warum? Ich weiß es nicht, vielleicht um es mir selbst begreiflich zu machen, was ich mit meiner Antwort anrichten würde.

Es war eine Falle, eine perfekte Falle. Sie schnappte zu und lehrte mich, wie sich Schmerzen anfühlten. Körperlich, wie auch seelisch. Mein herz wollte die Worte von damals loswerden, sie brannten sich tiefer und tiefer ein. Es war wie ein lebendiges Gefängnis, an den Ketten eines Liedes sollte ich zerbrechen.

Meine Welt zerbrach, nichts blieb so wie ich es kannte. Vertraute Situationen machten mir Angst, deine Falle brachte mich in eine neue Welt voller Enttäuschungen und Lügen. Es war, als hättest du ein Kartenhaus um mich herum gebaut und durch die Wucht der zuschnappenden Falle fiel es über mir zusammen und begrub mich unter sich.

Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass mein Vertrauen missbraucht wurde. Ich sah dich nie wieder, bekam keine Nachricht, keinen Brief mehr... die Zeit verstrich, doch trotz allem konnte und kann ich dich nicht vergessen.


Deshalb sitze ich hier, halb begraben unter zerrissenen Papierschnipseln, die ich in einem endlosen Fragespiel vor mir auftürmte. Soll ich? Oder nicht? Traue ich mich? Oder nicht?

Das letzte Stück Papier ist zerrissen, jeder Schnipsel symbolisiert eine Träne, die ich wegen meinem damaligen Begleiter vergoss.

Damals, im goldenen Sonnenschein, versprachst du mir einen Kuss, einen unvergesslichen Kuss, der uns immer mit dieser einen Nacht und dem Morgenrot verbinden sollte. Doch es ist wohl einfacher, ein Versprechen zu vergessen, als einem etwas Unvergessliches zu schenken.

Ich werde diese Erinnerung in meinem Herzen tragen, werde jeden Abend, wenn die Sonne im Meer versinkt, ein Lagerfeuer anzünden, mich in unserem Bootswrack vor Wind und Wetter schützen und warten. Warten, bis die untergehende Sonne die Ketten von meinem Herzen reißt und mit sich in die dunklen Wellen nimmt, welche sich leise unter mir an den Pfählen und Steinen brachen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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