Marie-Christin Gustav

Wo die Blumen sind - Kapitel 6

 Kapitel 6 - Das Ei ohne Sex

 

Maries knurrender Magen weckte sie auf, aber trotzdem verspürte sie keinen Appetit.

Sie streckte sich ausgiebig und schwang dann schweren Herzens die Beine aus dem Bett.

Draußen regnete es.

Schon wieder. Wahrscheinlich eher immer noch.  

Gerade, als sie in der Küche das Radio angeschaltet und mit dem Rücken an der Wand auf einen Stuhl gekauert ihren Guten-MorgenTee schlürfte, hörte sie die Haustür öffnen.

Schritte kamen auf die Küche zu und Carolin stand im Türrahmen.

Sie war völlig durchweicht und sah sehr müde und erschöpft aus.

 „Guten Morgen“, begrüßte Marie sie.

„Morgen.“ Carolin gähnte herzhaft.

„Du siehst müde aus“, stellte Marie fest und streckte den Arm aus, um das Radio leiser zu drehen.

„Ich bin müde. Und ich hasse Frühschichten.“

„Magst du Tee? Oder Kaffee?“

Carolin zog die Nase kraus und strich sich ihre kurzen Haare aus dem Gesicht, das von der Nässe an ihren Wangen klebte. „Tee, bitte. Ich zieh‘ mir was anderes an und du erzählst von gestern Abend.“

Marie sagte nichts.

Zum Glück ging Carolin jetzt ins Bad und sah ihre Verlegenheit nicht. Zwar hatte sie kein Wort darüber verloren, aber Marie wusste, dass Carolin bemerkt hatte, dass sie heute Morgen nicht allein mit den Heinzelmännchen in der Küche gesessen hatte.

 

 Marie nahm gerade das Teesieb aus der Tasse, als Carolin zurück in die Küche kam und sich ächzend auf einen Stuhl fallen ließ.

„Wie war die Schicht? Schlimmer als sonst?“ Marie stellte ihr die Tasse hin und setzte sich gegenüber.

Carolin schlürfte vorsichtig einen Schluck Tee und räusperte sich. „Neben dem Üblichen zwei Unfälle. Zwei Schwer- und drei Leichtverletzte. Von denen war eine die Mutter des Mädchens, das jetzt auf Intensiv liegt. Wenn sie Glück hat, lassen die ihr den Arm dran, aber im Moment sieht‘s übel aus..“

Sie schüttelte traurig den Kopf, während sie gedankenverloren ihre Fingerspitze in den heißen Tee tauchte.

„Scheiße..“, murmelte Marie. Sie wusste nicht, wie Carolin diesen Job durchhielt. Wahrscheinlich war es die Überzeugung, das Richtige zu tun.

 „Hast du Hunger?“, versuchte sie Carolin aufzuheitern.

Carolin legte den Kopf ein wenig schief und kniff ein Auge zu. „Deine Pfannkuchen wären der Hammer.“

„Für dich doch immer“, lächelte Marie halb scherzhaft, halb ernst. Sie wohnten zwar erst seit zwei Monaten zusammen, aber es hatte sich eine ungewöhnlich starke Bindung für diese kurze Zeit zwischen ihnen entwickelt.

Sie stand auf und während sie eine Schüssel auf die Arbeitsfläche stellte und Mehl aus dem Schrank zog, sprach sie aus, was ihr gerade eben durch den Kopf gegangen war.

 „Ich könnte den Job nicht machen. Du hast echt meinen Respekt, dass du das kannst.“ Sie drehte sich halb zu Carolin um, die sich behaglich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte und die Füße auf den dritten Küchenstuhl legte.

Die Aussicht auf Frühstück schien ihr neue Energie eingehaucht zu haben, als sie jetzt grinsend abwinkte. „Jaja, schon gut. Lenk‘ nicht ab.“

Marie grinste verlegen, als sie Milch und Eier aus dem Kühlschrank holte.

„Wer ist es? Kenn‘ ich ihn?“

„Nein.. also.. gestern war ja Hollys Geburtstag und.. naja, also, zuerst hab‘ ich mich mit so einem anderen Typen angelegt. Thomas, kennst du den? Seine Schwester heißt Ingrid. Sah echt nicht schlecht aus, muss ich zugeben, sportlich, blond, nettes Lachen. Studiert Wirtschaft, aber ist gar nicht so der typische Wirtschaftsstudent, so mit blonden Haaren.. ahm, naja, du weißt schon wie ich das meine. Aber anscheinend war er wohl doch mehr BWLer, als ich dachte, weswegen, wir uns n bisschen in die Haare bekommen haben. Also, ich hab mich nicht wirklich mit ihm angelegt, aber.. ich hatte sowas von keine Lust auf diese Party und das war leider Pech für ihn.“

Sie schmiss die leere Milchtüte in den Müll und plapperte weiter, um einen möglichst großen Bogen um IHN zu machen. „Anscheinend hat’s ihn aber auch nicht zu traurig gemacht und Barbara“ – sie gab dem Namen eine etwas abfällige Betonung- „war dann auch ganz hin und weg von seinen blauen Augen. Oh ja, und Ed hat wieder irgendeine neue Flamme, die-“

„Jetzt stell‘ dich nicht so an“, unterbrach Carolin sie, „wart ihr im Bett?“ Sie sah Marie sachlich aus ihren dunkelblauen Augen an, die einen Moment brauchte, um zu schalten.

„Was? Nein! Nein, wir haben nur in der Küche gesessen und geredet..“

Sie sah im Geiste seine warmen Augen, die im Kerzenlicht schimmerten, seine Lippen, die an dem Weinglas nippten.

Was hätte Marie an diesem Morgen darum gegeben, Weinglas zu sein..

Die Erinnerung an seine Augen und sein Lächeln ließ ihr unvermittelt die Wärme ins Gesicht steigen.

Ein Ei rutschte durch ihre Finger und entleerte sich neben der Schüssel, von wo es auf den Boden tropfte und wie ein Werk moderner Kunst aussah.

 „Dich hat’s ja ziemlich erwischt“, bemerkte Carolin trocken. „Lass‘ mich raten. Groß, braune Augen und ein Lächeln zum Dahinschmelzen.“ Sie ahmte den letzten Teil in Maries Tonfall nach.

„Ja.. also, nein, mich hat es nicht erwischt. Also, er ist toll, aber so schnell verliebe ich mich ja auch nicht.“

Das war kläglich.

Sie wusste, dass Carolin ihr an sah, dass es nicht nur gefunkt hatte zwischen ihnen, sondern mindestens der ganze Hyde Park in Flammen stand. Trotz des Regens, der stetig gegen die Fester klopfte.

Und selbst, wenn sie es ihr nicht von der Stirn gelesen hätte, die vielen gestotterten ‚also’s hatten sie längst verraten.

 

Marie seufzte und betrachtete ihr Eikunstwerk.

„Wir sollten das Fotografieren.“

Carolin stütze das Kinn in die Hand. „Ja.. Wir nennen es ‚Das Ei ohne Sex‘.“

Als der Teig restlos aufgebraucht war, lehnte sich Carolin zurück und streckte sich ausgiebig. Dann seufzte sie und legte kurz ihre Hand auf Maries. „Danke, Süße. Mir geht’s schon viel besser. Jetzt geh‘ ich schlafen und heut‘ Abend bin ich wie neugeboren.“

Sie sah wirklich abgeschlagen aus.

„Ich wasch‘ ab, kannst dich ruhig hinlegen.“ Marie stand auf und ließ Wasser in die Spüle laufen.

„Super, danke. Bis später!“, gähnte Carolin noch einmal und war verschwunden.

 

Kurze Zeit später saß Marie an ihrem Schreibtisch und legte sich zurecht, was sie noch zu tun hatte für die erste Zwischenprüfung nächste Woche.

Sie schlug ein Buch auf. Lernen.. da war doch noch was gewesen.. Marie griff zum Telefonhörer ihres heißgeliebten, uralten Kabeltelefons. Ihre Eltern hatten ihr schon vor ewigen Zeiten ein neues schenken wollen.

Tuut.. tuut… tuut.. tuut..

„Mh..?“, meldete sich Paul verschlafen.

„Hey.. ahm.. sorry, ich muss absagen wegen nachher, mir kommt was dazwischen.“

Paul gähnte ebenso herzhaft wie Carolin vorhin. „Mh, hab schon gehört. Is‘ ok, hab‘ eh 'n riesen Kater..“

‚Hab schon gehört‘? Marie guckte angesäuert. Warum konnte Eddy nicht einmal seine große Klappe halten!!

„Ah, dann ist ja gut.. hast du mir vielleicht auch was zu erzählen..?“, grinste sie dann.

„Später. Nimm’s mir nich‘ übel, ich würd‘ gern weiterpennen.“

„Klar, bis dann. Ich meld‘ mich!“, versicherte Marie ihm noch, aber Paul hatte schon aufgelegt.

Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie ihn nicht kennen würde, würde sie ihm das glatt übel nehmen.

Ihre Klausurvorbereitungen liefen überraschend gut. Marie verdrängte entschieden die Gedanken an den heutigen Abend, aber als sie fertig war mit dem letzten Text, klappte sie ihre Bücher zu und fühlte spontane Übelkeit vor lauter Aufregung.

Sie hoffte inständig, später wenigstens ein paar Bissen herunter bekommen zu können, ohne sich dezent in die Serviette entleeren zu müssen.

Zehn Minuten vor acht betrachtete sie sich kritisch in der großen Spiegeltür ihres Schrankes. Sie hatte sich für Jeans und eine cremefarbene Bluse entschieden, wählte jetzt goldene, flache Ohrringe und eher hochhackige, elegante Schuhe.

Schmetterlinge rasten mit Schallgeschwindigkeit durch ihren Magen und taumelten gegen die Wände, als es kurz darauf klingelte.

Ihre Schuhe klackerten, als sie zur Tür ging und sie nach einem tiefen Atemzug öffnete.

Maximilien lehnte, eine Hand in der Hosentasche, einen Autoschlüssel in der anderen, am Treppengeländer.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Marie-Christin Gustav).
Der Beitrag wurde von Marie-Christin Gustav auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Marie-Christin Gustav als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Taron der Bettler. Held wider Willen von Saskia Burmeister



Spannende Arenakämpfe, Wesen von anderen Planeten, ein „zweites Ich“, eine hübsche Prinzessin und andere Schicksalsschläge…

„Alles begann damit, dass Taron der Bettler, dem das Unglück wie eine Klette anhaftete, in seiner Not in die Küche des Palastes des Sonnen-auf-und-Untergangs eindrang und dabei natürlich von den Wachen der strahlenden Prinzessin erwischt wurde. Daraufhin sprach man über ihn die Verbannung aus. Heimat- und hoffnungslos ergab er sich seinem Schicksal.
Und damit begann seine Tortur durch die ferne Galaxie „Aragora“.“

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Liebesgeschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Marie-Christin Gustav

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Wo die Blumen sind - Prolog & Kapitel 1 von Marie-Christin Gustav (Liebesgeschichten)
Eine E-Mail-Liebe von Barbara Greskamp (Liebesgeschichten)
Socken von Christiane Mielck-Retzdorff (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen