Roman Scherer

Star, der Junge, der mit dem Leben spielte

 

Es war kurz vor 10.00 Uhr, als der große, schlanke Junge die Tür zu der Imbisshalle hastig aufstieß und mit schlaksigen schritten hereingestopert kam. Nachdem der hochgewachsene Blonde mit der breiten narbe, die quer über das knabenhafte Gesicht verlief, die kleine Kneipe betrat, blickte er sich erst einmal wachsam darin um. Seine schmale Lippen zuckten nervös, als er zu dem einzigen Tisch hinüberblickte, der noch frei war und nicht von jugendlichen seines Alters belegt war. Seine vier Komplizen, mit denen er sich heute um zehn Uhr verabredet hatte, konnte er bisher nirgendwo entdecken.

 

An der breiten Schwingtür, die irgendwie aussah wie die Tür eines Saloons im Wilden Westen, blieb Star eine gewisse Zeitlang stehen. Er betrachtete sich eindringlich die jungen Leute an den Tischen, die fast alle noch im Kindesalter waren.

 

Dann ging der Jugendliche mit den leicht gewellten, einigermaßen ordentlich geschnittenen und gekämmten Haaren langsam auf den runden Tisch, der leer in der Mitten der verqualmten und nach abgestandenem Bier stinkenden Gaststätte stand, zu.

 

Der Junge fand diesen Platz, für das, was die Kids vorhatten, ziemlich geil. Das war, weil dieser Tisch am Weitesten von den anderen Tischen entfernt stand. War die kleine wilde Bande einmal vollzählig um den runden Tisch versammelt, konnte man sie von den Nachbartische kaum noch bespitzeln. Was sie dann an diesem Tisch miteinander verhandelten und besprachen, das war für Fremden Ohren nicht bestimmt.

 

Kaum hatte Star sich auf den halbwegs bequemen Rohrsessel niedergelassen, als auch schon die Tür von außen her ruckartig aufgerissen wurde. Zwei hoch aufgeschossene jungen, mit Star ungefähr im gleichen Alter, kamen kopfüber in den kleinen, vermieften Raum gestelzt, sahen sich kurz suchend darin um. Und als Star fündig wurden, kamen sie an den runden Tisch heran und setzten sich ohne Gruß zu ihm. Es waren: Der riesengroße, dicke Shain Two mit der ewig großen Klappe, und sein etwas kleinere, fast zierlich schlanke Freund der sich selber ‚Mister M’ nannte.

 

Shain Two riskierte stets und immer eine sehr große Lippe.  Er bildete sich sogar ein, der Große Boss der kleinen, harmlosen Bande zu sein.

 

Und Mister M war ein ruhiger, ein wenig in sich gekehrter, ungewöhnlicher Typ, der immer mit allem einverstanden war, was der wirklich große und allmächtige Boss  ihm befahl.

 

Aber kaum, dass die beiden sich zu Star an den runden Tisch etablieren konnten, wurde die Eingangstür das zweite Mal hastig aufgerissen und zwei weitere Freunde von Star betraten den dumpf riechenden Gastraum.

 

Dream Eyes, er war fast kahlgeschoren und hatte ein sehr finster dreinblickendes Gesicht, das eher einem Irokesen, als einem Deutschen glich. Und Doc H, ein breitschultriger, baumlanger Bursche, der annähernd zwei Meter groß war.  Doc H konnte weder hören noch sprechen. Er war von Kindheit an taub und stumm. Wenn irgendjemand irgendetwas zu ihm sagte, nickte er immer nur mit dem Kopf. Dabei sah Doc H aus, als würde sein dünner Schädel irgendwann einmal von seinem rumpflosen Hals herunterfallen.

 

Die Kinds-Bande, deren wirklicher Boss kein anderer als Shain Two war, war nun vollkommen anwesend und um den runden Tisch versammelt. Nun Gaben sie sich umständlich die Hände und begrüßten sich lautstark.

 

Die jungen Burschen, die alle um die fünfzehn, sechzehn Jahren alt waren – ausgenommen Shain Two, er war neunzehn – setzten sich, schlampig wie sie waren – neben Star an den runden Tisch. Ein jeder von ihnen bestellte bei der Bedienung eine Cola. Und nachdem die junge Frau die bestellten Getränke auf den Tisch abgestellt hatte und alsbald wieder verschwunden war, konnten unsere fünf Freunde endlich mit ihrer Besprechung  beginnen.

 

„Nun, Star, bist du bereit, heute Nachmittag deine Riesenshow abzuziehen?“ eröffnete der Große Boss die anfänglich eher etwas phlegmatische Debatte. „Sagen wir: Mit dem Vierzehn-Uhr-Zug wirst du starten!?“

 

Star räusperte sich laut. Seine Lippen zuckten nervös und die hässliche, rote Narbe, die sich vom rechten Mundwinkel quer über die Wange, bis oberhalb des Ohres hinzog, verfärbte sich tiefblau. Es war ein unverkennbares Zeichen – wie sich herausgestellt hatte – seiner großen Unrast.

 

„I ... ich freue mich schon irrsinnig da ... darauf, euch Querköpfe einmal ri ... richtig zeigen zu k ... können, was ... was in ... mir steckt. Und da ... dass ich kein kleiner Hosen ... Hosenscheißer wie ihr immer ... immer glaubt, bin“, stotterte Star verlegen und voller Angst. Sein übriges Gesicht und seine Hände waren auf einmal mit großen, roten Flecken übersät, mit Flecken der Hektik.

 

„Und ihr beiden“, fuhr Shain Two , ohne auf Stars Worte besonders zu achten, fort, „Dream Eyes und Mister M, ihr werdet euch ein bisschen um unseren Star kümmern und mit ihm zusammen im gleichen Zug fahren. Ihr werdet auf den Jungen aufpassen, damit er nicht noch im letzten Augenblick kneift. Doc H und ich erwarten euch an der Endstation der S-Bahn.“

 

Der fiese Kerl, den Shain Two  mit Dream Eyes angeredet hatte, sprang abrupt von seinem Platz hoch. Er grinste extra breit und schadenfroh, über sein ohnedies schon finsteres Gesicht lag irgendetwas unheimlich Gemeines, etwas sehr Schäbiges. „Warum sollte unser Star, der Gute, denn jetzt eigentlich noch kneifen wolle, Shain Two - he?“ fragte er gehässig. Seine garstige Visage war zu einer noch abschreckendere Fratze geworden.

 

Star, der Dream Eyes nicht besonders gut leiden mochte, stimmte lässig seinem Wort zu. „Ja, warum sollte ich jetzt, so kurz vor dem Start, noch zurückweichen wollen?“ wollte der Junge  von seinem großen angeblichen Boss wissen.

 

„Eigentlich habt ihr ja auch Recht! -  Warum sollte Star jetzt plötzlich nicht mehr starten wollen?“ gab der Großmäulige allgemein zu bedenken. Und zu Star gewandt, sagte er: „Oder hast du vielleicht nicht doch Shit in the Pants – he?“

                      

Daraufhin schüttelte der Gefragte stumm und etwas bedripst den Kopf. Es folgte ein längeres, eiskaltes Schweigen. Und nach einer langen, verlegenen Pause, sagte er lang und breit: „Ich war doch die ganze Zeit damit einverstanden, auf die Außenwand der fahrenden S-Bahn zu klettern! – Oder glaubt vielleicht einer von euch heuchlerischen Stänkerer, ich wäre ein Feigling? – Glaubt nur ja nicht, ich wollte euch Scheißkerle nur an eurer mickrigen Nase, die nutzlos  eure hässlichen Gesichter verunstaltet, herumführen? – Nein. Shain Two , das ganz bestimmt nicht, diesen Gefallen werde ich euch Rasselbande nicht tun. Keinem von euch Bankerten, werde ich das tun!“ Star sah abschätzend von einem Kumpan zum anderen, auf Shain Two blieben seine blicke letztlich haften.

 

„Schon gut, schon gut, Star“, schnarrte der vorgebliche Boss mit seiner tiefen Reibeisenstimme, „wir Glauben dir doch alle, dass du kein Shit in the pants und genug Mumm in den Knochen hast, um heute Nachmittag deine Show abzuziehen!“ Er klatschte in die Hände. „Und nun, ihr Drei, erwarte ich von euch, rechtzeitig an der S-Bahnstation zu sein. Und dass alles zu meiner vollsten Zufriedenheit wie am Schnürchen abläuft!“

 

Knapp eine Viertelstunde danach schlichen sich die fünf Kids aus der verruchten Kneipe und verschwanden irgendwo in einer Seitenstrasse.

 

 

Am Nachmittag – es war ziemlich genau 13.30 Uhr – trafen sich Mister M, Star und Dream Eyes  wie sie es verabredet hatten, am S-Bahnhof, direkt hinter der kleinen Imbisshalle. Es war noch eine gute halbe Stunde Zeit, bis der Zug, den man für Stars risikoreiches Unternehmen ausgesucht hatte, abfuhr.

 

Mister M, der sonst immer mit allem, was der Big Boss anordnete einverstanden war, versuchte nun, seinen einzigen waren Freund, den er noch hatte, von seinem waghalsigen Plan abzubringen.

 

Der junge Bursche wehrte sich mit allen Mitteln gegen den sicherlich gutgemeinten Rat seines Kumpanen, unter allen Umständen jedoch wollte Star auf den fahrenden Zug steigen. Er wollte damit sich und den anderen beweisen, dass er großen Mut hatte, es zu tun. „Mister M, du möchtest doch bestimmt nicht, dass meine sogenannten Freunde, wie sie sich nennen, mich verarschen und auslachen -  nur weil ich zu Feige dazu bin, um das zutun, was meine heilige Pflicht ist?“ piepte Star mit seiner hohen Kinderstimme.

 

„Mein Freund“, sagte Mister M mit ein wenig geschwollener Stimme, „Ich weiß, was es heißt, außen an einem schnell fahrenden Zug zu hängen, der mindestens mit einhundert Stundenkilometer durch die Gegend rast. Man kann sich da draußen an dem Waggon nirgendwo richtig festhalten. Die Finger beider Hände finden nirgendwo halt und sie werden einem mit der Zeit und nicht zuletzt von der Kälte steif. Und seine Füße kann man ja auch nicht richtig aufstellen, damit man etwas besseren Halt bekommt.

 

Shain Two und ich, wir hatten es auch einmal zusammen probiert. Aber als plötzlich ein Tunnel wie aus dem Nichts auftauchte, war von diesem verflixten, feigen Hund nichts mehr zu sehen gewesen. Er ließ mich ganz allein draußen an der gefährlichen Bordwand hängen. Es war schon beinahe wie ein Wunder, dass mir nicht das geringste passiert war, und ich unversehrt in den Waggon zurückgekommen war.

 

Star, mein Freund, du weißt doch genau, ich bin schon immer dein allerbester Freund gewesen. Ich meinte es doch jederzeit gut mit dir und darum rate ich dir dringend, höre auf mich und meinen guten ratschlag, bevor es zu spät dazu ist. Star, ich Bitte dich dringend, auch im Namen deiner Eltern, bleib von der Bordwand des Zuges unten, sonst brichst du dir noch sämtliche Knochen im leib!“

 

„Mister M“, mischte sich Dream Eyes  mit grimmiger Miene in das Gespräch der beiden mit ein. „Lass Star doch in Frieden mit deinem blöden Gewäsche. Wenn  er glaubt, er müsse es tun, dann soll er es auch letztlich tun. jeder Mensch kann im Grunde genommen tun und lassen, was er will und was ihm gefällt.

 

Und außerdem, wenn Shain Two davon erfährt, dass du versucht hast, Star von seiner Absicht abzubringen, dann ...“ Dream Eyes machte eine eindeutige Handbewegung am Halse vorbei, was soviel wie aufhängen bedeutete.

 

„Dann, was?“ giftete Mister M Dream Eyes  an, seine Augen waren voller Hass.

 

„Mensch; ihr beiden, nun Macht aber mal einen dicken Punkt. Shain Two wird bestimmt nichts von dem, was hier und jetzt besprochen wurde, nicht das geringste erfahren!?“ muckte nun Star etwas verärgert auf, „ich werde tun, was ich tun muss und meine heilige Pflicht ist. Und kein Mensch auf dieser Welt wird mich daran hindern können. Auch der Big Boss wird es nicht mehr tun können!“ Star, der immer so sehr nervös wirkte, war jetzt die Ruhe und Gelassenheit persönlich.

 

Der fünfzehnjährige Star war als Einzelkind in Hamburg aufgewachsen, das war sicherlich auch einer der gründe dafür, dass Star  zu einem gesellschaftlichen Außenseiter geworden war. Stars Eltern waren sehr reich. Sie hatten in der Innenstadt von Hamburg eines der größten Konfektionsgeschäften, das dementsprechend hohe Renditen erwirtschaftete. Dadurch  war Stars Vater sehr oft und viel unterwegs im Ausland, um gut und billig einzukaufen, damit er auch mit anderen Geschäften konkurrieren und mithalten konnte. In dieser Zeit war seine Mutter im Verkaufsladen, um sich um das Geschäftliche kümmern zu können. Aber für den jungen Star hatte niemand auch nur eine einzige Minute Zeit.

 

Gerade weil keiner seiner Familie Zeit für Star hatte, konnte er stets tun und lassen was er immer wollte. Doch hatte Star einmal einen besonderen Wunsch, musste er nur Mama oder Papa darum bitten, und er bekam alles prompt erfüllt. Er wusste mit Geld – Papa hatte ja sehr viel davon – überhaupt nichts anzufangen. Denn an materiellen Dingen fehlte es dem jungen Kerl an nichts, außer an einem kleinen bisschen menschlicher Liebe und Zuneigung. Das war das Einzige, das der sehr sensible junge von seinen superreichen Eltern noch nicht ein einziges Mal bekam, nicht einmal kannte.

 

Andere Kids in seinem Alter versuchten, nicht vorhandene Liebe durch Aggressionen zu ersetzen, wieder andere Kids griffen zur Flasche, nahmen Tabletten oder oft sogar Rauschgift.

 

Nun – dies Tat Star nicht. Gott sei es gedankt, noch nicht. Aber er verschaffte sich – durch das Spiel mit Leben und Tod – einen Gewissen Ausgleich für Liebe und Sympathie der Eltern.

 

Es war fast auf die Sekunde genau 14.00 Uhr, als der Vorstadt-Zug in den kleinen Bahnhof einlief. Außer unserer drei Freunden, stiegen nur noch sieben Fremde in die S-Bahn ein, die sich mehr oder weniger um die drei komische Kauze kümmerten.

 

Langsam, mit lautem Poltern, Knacken und Rucken fuhr der Vorstadt-Zug an, es dauerte ein paar Augenblicke, bis das Bähnle in voller Fahrt dahinbrauste.

 

 Unsere drei Freund standen auf der hinteren Plattform des letzten Waggons und warteten ungeduldig darauf, bis es für den jungen Star endlich soweit war, auszusteigen. Alle drei Buben waren still, nur das ständig schneller werdende „Rumdada, Rumdada, Rumdada“ der Räder war zu hören. Die dicke, stickige Luft, geschwängert von schwarzem Ruß und dickem Rauch war voller unerträglicher Spannung, man konnte sie im wahrsten sinne des Wortes knistern hören.

 

Als nun das Bähnle volle Fahrt erreicht hatte, nickte Star Mister M kurz zu. Dieser öffnete daraufhin die Waggontür, die mit einem lauten „Flop“ aus dem Schloss sprang und hernach lautkrachend gegen die äußere Bordwand knallte.

 

Star stand vor der nun weit geöffneten Tür, seine leichten Kleider flatterten wie wild im heftigen fahrwind. Er sah etwas bedrückt zu seinen beiden Kumpane hinüber. Ihm schien es nich ganz wohl in seiner Haut zu sein.

 

 Mister M und Dream Eyes  hielten Star die geballten Fäuste entgegen, deren nach  ausgestreckten Daumen nach oben zeigten. Sie wollten Star damit sagen: „Mach es gut, alter Junge und komme gesund zurück!“

 

Stumm standen sich die Drei gegenüber. „Rumdada, Rumdada, Rumdada!“ sonst war nichts mehr zu hören, außer dem Fahrwind.

 

Dann war es nach Stars Meinung  so weit. Er drehte sich, ohne ein Wort zu sagen, zur Tür herum. Hierbei bemerkte er wie rein zufällig, Mister M hatte eine dicke Träne im Auge.

 

Dream Eyes  hatte keinerlei Gefühle für Star aufgebracht, er zeigte sich ihm – genau wie eine seelenlose Maschine – ohne jede Psyche und jede jedes Empfinden.

 

Star, dem das alles sehr nahe ging, sehr wahrscheinlich auch an den Nerven zerrte, zuckte dennoch mit keiner Muskel, als er seinen schmächtigen Körper durch die Türöffnung hinaus ins Freie schob. Während der Zug sich durch die dünnbesiedelte Landschaft schlängelte, kletterte der junge Star  aus dem schnell dahinfahrenden Waggon heraus. Er suchte mit den Fingerspitzen an der ziemlich schmalen Regenrinne des Daches halt. Stück für Stück tastete Star sich an der Dachrinne langsam weiter nach vorne, bis er schließlich irgendwo besseren Halt fand. Auch mit den Füßen bekam Star kaum richtigen Untergrund zu fassen. Auf der nach außen hin knappen Trittleiste, die zudem noch während der schnellen Fahrt ein wenig eingeklappt wurde, suchte er fast vergeblich nach festem Halt unter den Füßen. Ein falscher tritt, ein verkehrter griff, und schon war es um unseren Freund, Star, Geschehen.

 

Dann geschah plötzlich das Unfassbare doch: Abrupt verlor Star unter den Füßen den festen Halt, und weil seine Finger, durch den kalten Fahrwind steif und klamm geworden waren, konnte er sich bald nicht mehr länger an der sehr schmalen Dachrinne festhalten. Und die Trittleiste unter seinen Füßen, die er kurz zuvor verloren hatte, fand er auch nicht mehr wieder.

 

Star stand die pure Angst in den Augen. Auf schnellstem Weg wollte er in das Wageninnere zurückkehren, doch schon sehr bald Taten ihm seine steifen und klammen fingerspitzen entsetzlich weh. Bis r sie nicht mehr länger zuhalten konnte, und sie sich langsam wie von selber öffneten.

 

Ein lauter, langgezogener und schriller Schrei drang durch die neue Siedlung. Bis hinüber zum nahen Hafen konnte man Star schreien hören. Stars große Augen wurden noch größer und traten ganz weit vor seine Augenhöhlen, als er von dem sehr schnell dahinrasenden Waggon herunterfiel. Sein schmächtiger Körper knallte mit dumpfen Krachen gegenein Pfeiler aus Beton. Der leblose Körper des jungen Stars rollte danach noch ein paar Dutzend Meter auf dem Boden in Fahrtrichtung weiter, bis er endlich neben den Gleisen auf dem groben Schotter reglos liegen blieb.

 

Mister M und Dream Eyes sahen voller Entsetzen in den Augen zu, wie ihre Freund von der Außenbordwand des schnell dahinfahrenden S-Bahnzuges abstürzte. Sie konnten Star nicht mehr helfen, auch dann nicht mehr, hätten sie direkt neben ihm gestanden.

 

Die Kleinbahn entfernte sich sehr schnell von der Stelle, an der soeben ein folgeschweres Unglück mit tödlichem Ausgang Geschehen war. Und schon sehr bald konnten die beiden Freunde von dem leblos daliegenden Star nichts mehr die geringst Spur sehen.

 

„So wie das geknallt hat, kann man daraus schließen, dass Star sich mit hundertprozentiger Sicherheit das Genick gebrochen. Bestimmt ist ihm nicht mehr zu helfen“, sagte Dream Eyes zu Mister M, ohne auch nur mit einer Muskel zu zucken. Über seinem fahrigen Gesicht lag ein ironisches Grinsen der Schadenfreude.

 

„Ich habe geahnt, das etwas schreckliches passieren würde, ich habe es geahnt! – Und ich konnte ihn nicht von seiner Wahnsinnsidee abbringen“, schrie Mister M laut durch die Gegend, dabei rannen ihm ein paar dicke Tränen über die Wangen und tropften auf das sehr schmutzige T-Shirt.

 

Drei Tage später, als Star mit ziemlich viel pompösem Prunk auf dem Hamburg-Harburger Hauptfriedhof zur letzten Ruhe getragen wurde, regnete es in Strömen. Aber trotzdem waren unendlich viele Leute, Freunde und Bekannte, bei seiner Trauerfeier anwesend. Sogar seine angeblichen Freunde waren gekommen. Nur einer, von dem Star glaubte, er sei sein bester Freund, fehlte bei der Beerdigung: Mister M.

 

Der Pfarrer  hielt eine lange, herzzerreißende Grabrede, von wegen, wie gut unser Freund es zu Hause und welchen Schmerz der sinnlose Tod Stars Eltern peinlichst zugeführt hatte.

 

Ganz zum Schluss, als Stars Grab geschlossen war, alle Trauergäste den Friedhof schon längst verlassen hatten, trat ein junges, sehr hübsches Mädchen aus dem Schatten einer hohen Hecke heraus. Es ging bedächtig langsam zu der zugeschaufelten Ruhestätte Stars  und legte einen dicken Strauß dunkelroter Rosen – als Zeichen der Liebe – auf dem hohen Grabhügel nieder. Anschließend kniete es sich auf den vom vielen regnen aufgeweichten Erdboden nieder und betete leise ein Vaterunser für den tödlich verunglückten Freund.

 

Maria stand langsam und blind vor Trauer auf, blieb aber dennoch sehr lange vor dem frische mit viel Blumen und Kränze geschmückten Grabhügel stehen. Das Mädchen dachte über sich und Star, den sie heimlich liebte, sehr, sehr lange nach. Das hübsche Mädchen dachte lange darüber nach, wie schön es hätte mir Star und ihr werden können, hätten sie sich nur unter anderen Umständen kennengelernt. Bei diesen Gedanken löste sich eine dicke Träne aus ihren hübschen Augen. Das Mädchen schniefte ein paar Mal laut. Es wischte sich anschließend mit einem sauberen Taschentuch die Augen trocken und verließ schließlich den Gottesacker, ohne sich noch einmal umzudrehen.

 

Nur das junge Mädchen allein wusste, dass das große „M“ für ihren Namen, „Maria“, stand, und dass sie soeben ihre erste große Liebe für immer verloren hatte.

 

ENDE

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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