Olga Walter

Großmütter

 

„Du bist aber ganz nach deinem Vater gegangen!“ – den Satz höre ich öfter. Man sucht in den Kindern immer – logischerweise – die Ähnlichkeiten mit den Eltern. Was ist aber mit den Großeltern? Sind die Enkelkinder nicht auch ein Spiegel von der Großmama oder den Großpapa? Ein Unglück in der entfernt mit uns verwandten Familie (die Mutter von zwei Kindern ist gestorben und die beiden werden nun von ihren Großeltern erzogen)  ließ mich lange über die Rolle der Großeltern im Leben der Enkelkinder überlegen. Und das ist daraus entstanden…

Ich habe mit meinen Großmüttern als Kind viel Zeit verbracht. Ich kann mich noch sehr gut an sie erinnern. Einmal hat man mich gefragt: welche von den beiden hatte ich lieber? Absolut sinnlose Frage! Für mich sind die beide wie zwei Hälften eines Ganzes. Jede hat einen Teil von sich in mir hinterlassen, ohne dieser „Erbschaft“ würde ich als Persönlichkeit unvollständig sein.

 

***

 

 

Meine Oma väterlicherseits… Eine Lady bis in die Fingerspitzen!  Jetzt – als erwachsene Frau – wundere ich mich, wie konnte sie, trotz ihrem Schicksal, diese Finesse und Weiblichkeit über die Jahre und Leid hinweg bewahren.

Sie trug den romantischen Namen Valerie. Sie war schön, klug und stolz. Sie trug ihren Kopf immer hocherhoben, egal was kommt. Als Kind habe ich sie geliebt, bewundert und…ein wenig gefürchtet.

Als Deutsche in Sowjetunion hatte sie alles Leid dieses Volkes miterlebt. Ihr Vater wurde in dunklen Jahren Stalins erschossen, die Familie deportiert. Nach dem glanzvollem Schulabschluß fing sie an zu studieren, wurde aber nach dem 4. Semester rausgeschmissen, weil sie eine Deutsche war. Danach arbeitete sie auf den Baumwollfeldern, weil es die einzige Möglichkeit war, die Familie durchzubringen. Auch Privatleben meiner Oma war alles andere als glücklich. Dreimal war sie verheiratet, alle ihre Ehemänner starben. Sie blieb allein mit zwei Kindern und alter Mutter. Und sie hat es trotzdem weit gebracht in ihrem Leben.  In meiner Erinnerung ist sie erfolgsreiche Geschäftsfrau, geschätzte Freundin und geliebte Mutter und Großmutter.

Oma war streng zu mir, aber diese Strenge war nicht erdrückend. Irgendwie schaffte sie immer, dass ich ihre „Lektionen“ als notwendig ansah und mich nie dagegen sträubte. 

Sie hat mir die schönsten Kleider genäht. Vor ihrer Pension leitete sie ein großes Atelier, das Damenbekleidung herstellte. Sie hat mir Geschmack beigebracht und gelehrt, dass das schönste Kleid versagt, wenn es zu der Frau nicht passt. Und selbst ganz einfache Kleidungsstücke können mit kleinen Tricks hinreißend aussehen. Sie hat mir eingeprägt, dass nicht die Äußerlichkeiten zählen, sondern das Wesen, die Charme und der Geist. Ich verbrachte viel Zeit an ihrem Nähtisch – sie nähte bis zum ihren Tod – und spielte verzückt mit den Spulen, dem Garn in den schönsten Farben.

Oma besaß eine riesige Bibliothek, die mich seit früher Kindheit schier begeisterte. Ich liebte es, bei Oma zu übernachten. Sie arbeitete bin in die Nacht und ich durfte nach Herzenslust lesen.

Am besten erinnere ich mich an die Gesellschaften, die Oma gab. Verwandtschaft, Freunde und Nachbarn: alle kamen gern zu Oma. Wir bereiteten alle zusammen das Essen vor. Omas Kochkünste sind unvergleichlich! Von ihr habe ich auch meine Leidenschaft zum Backen geerbt. Der Tisch wurde immer sorgfältig gedeckt (Mit der Zeit durfte ich das machen. Besonders gern habe ich Kristallgläser und Familienporzellan auf den Tisch gestellt. Es war so schön anzusehen!) Und dann wurde gesprochen, gesungen, getanzt und gelacht bis in die tiefe Nacht. Diese Gesellschaften, diese Freude am Leben vermisse ich immer noch, obwohl Oma nun schon seit 20 Jahren tot ist. Sie fehlt mir sehr…

 

 

***

 

Die Mutter von meiner Mama war auf eine ganz andere Weise faszinierend. Ich verbrachte meist den Sommer bei ihr und meinem Opa. Sie war sanft, schlicht und liebenswürdig. Sie hat mir das Lesen und Singen beigebracht. Mit ihr fühlte ich mich unglaublich geborgen und bedienungslos geliebt.

Sie hatte nicht weniger schwere Schicksal als Oma Valerie. Ihre Familie gehörte zu den ansehnlichsten und wohlhabendsten in der Gegend. Bis die sowjetische Regierung an die Macht kam. In einer Novembernacht verlor sie ihren geliebten Vater und vertrauten Heim. Sie verbrachte mit den Geschwistern, ihrer Mutter und Großmutter lange, kalte Monate auf dem Friedhof, weil die Menschen in der Stadt Angst hatten, sie aufzunehmen. Aber die Familie hat überlebt. Langsam und schmerzhaft. Das Leben ging weiter. Meine Oma hat geheiratet. Das Leben mit meinem Großvater war nicht immer einfach, aber die beiden haben sich sehr geliebt. Und uns – die Enkelkinder – liebten sie innig. Ich schwamm buchstäblich in dieser Liebe.

Jedes Mal, als ich Oma besuchte, spürte ich, dass ich geliebt, behütet und verwöhnt (in positivem Sinne) wurde. Lesen, singen, spielen, spazieren gehen…Oma war einfach unermüdlich. Ich spürte sie ständig um mich wie warme Sonnenstrahlen. Sie stand früh auf, um für mich frische Milch, Eier und Brot vom Markt zu holen. Sie erzählte mir am Abend die alten Geschichten und zeigte mir alte Fotos. Sie bewahrte meine erste Locke und meine Babykleider. Aber auch, wenn sie nicht da war, verspürte ich ihre Sorge um mich. Ihre Briefe an mich waren immer so liebevoll. Sie wollte immer alles wissen: was ich lese, was ich anziehe, wie ich denke…. Und sie schickte uns die leckersten Äpfel, die ich je gegessen habe. Sie war immer für mich da.

Und das ist das Wichtigste, was sie mir beigebracht hatte – bedienungslose Liebe. Ohne Wenn und Aber. Ohne Warum und Weswegen. Einfach nur lieben – das ist das Geheimnis der glücklichen Beziehungen. Sie hat mich geliebt nur, weil ich da war. Ich schäme mich sehr, aber ich habe ihr wohl nicht die ganze Liebe zurück geben können, die sie mir geschenkt hatte. Als Kind achtet man auf solche Dinge nicht besonders. Ich mache es aber wieder gut, indem ich meine Kinder lehre, so rückhaltlos zu lieben, wie es meine Oma gemacht hatte.

Als sie von uns gegangen war, wurde die Welt um mich herum spürbar dunkler und kühler. Ich vermisse ihr Lachen, ihr Singen… Ihre melodische Stimme brachte Ruhe in jede Seele. Erst als Erwachsene kann ich begreifen, welch’ eine starke Frau sie war: diese Liebe, dieses Lachen trotz allem zu bewahren. Ich bin stolz darauf, dass ich ihren Namen trage…

 

 

***

Unsere Großeltern sind ein Geschenk des Himmels. Sie sind gelassener, ruhiger und weiser als die Eltern. Sie haben die Hektik dieser Welt hinter sich gelassen, als ob sie etwas begriffen haben, was uns – jüngeren Generationen – noch nicht offenbart wurde.

Leider bekommt nicht jeder so ein Geschenk. Ich gehöre zu den Auserwählten.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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