Meike Schrut

Träumereien 1

Da war nur noch dieses Gesicht, welches sie für sich alterslos in den Träumen sah. So quälend, daß sie sich so oft es ging ablenkte.. Musik hörend, einkaufend - aber nicht unbedingt besondere Filme und schon gar nicht solche, in denen er mitspielte -, immer wieder die eigene Stimme ausprobierend: laut ,leise, übertrieben betonend, singend. Ihr Gesang kam ihr merkwürdig vor, egal, ob er leise oder laut war. Aus purer Neugierde kam sie auf die Idee, wenn nicht DORT sein zu können, dann am hiesigen Theater einfach versuchend, was ihre Stimme so hergab, im Chor oder so..
Und ihre Stimme stach durch irgendetwas hervor, mittlerweile hatte sie gelernt, wie man regelrecht mit Tönen spielt, sie hielt länger die Töne aus, so daß man sie endlich einmal einsetzte als Solistin. Wenn auch erste Kritiken nicht so berauschend waren, das spornte sie nur noch mehr an, bis Zeitungen übertrieben berichteten: "Neues Sternchen am Theater, wann wird sie in ersten Filmen spielen?" Damit hatte es aber noch viel Zeit, zuerst versuchte sie wieder das Englische.. Und: obwohl sie SEINE Stimme mittlerweile seit Monaten nicht mehr gehört hatte, weil sie diese Stimme einfach nicht mehr ertrug, zum besseren Kennenlernen der ihr gar nicht so unbekannten Sprache hörte sie sie an. Ohne die Augen dabei zu öffnen. Und etwas Seltsames geschah: sie lernte zwar, aber nebenbei übersetzte ihr scheinbar gelangweilter Geist - der wohl erfreut war, was Neues tun zu können? - alle seine Worte, unbekannte Worte wurden umschrieben, so daß sie zum Schluß genau wußte, was er gesagt hatte. Und wie spaßig: je öfters sie seine Auftritte auf der Bühne hörte und sah, so mehr und mehr prägten sich genaustens seine Worte ein, genau in der gleichen Stimmlage, sie ertapte sich dabei, wie sie es leise für sich nachsang..Idiotisch, nur einfach idiotisch Worte einer Rolle zu wiederholen, die NUR für einen Mann gedacht war. Wenn keiner zusah vollführte ihr Körper jene Bewegungen, die sie auswendig kannte. 
Seine Stimme war noch zu Besserem gut, als nur die Sprache nahe zu bringen. So hörte sie jede seiner verschiedenen Stimmungen heraus, erkannte  Unsicherheiten, versuchte jedes laute Herumrätseln nach dem richtigen Begriff zu deuten und irgendwann kam er ihr vor wie ein guter alter Bekannter. Und sie getraute sich, endlich das Gesicht wieder anzusehen..Eine merkwürdige Trauigkeit schien von diesen unergründlichen Augen auszugehen? Wer so erfolgreich war, was hatte der wohl schon im Leben auszuhalten..Die Seele und Psyche eines Menschen hatte sie seit Jahren brennend interessiert, denn die sah man nicht auf den 1.Blick, aber man las irgendwann aus einem Gesicht heraus, wie man den Inhalt eines spannenden Buches "frißt".
Sie verdrängte wer oder was er war, nicht sein wollte.. Ihr fiel auf, wie er irgendwas überspielte in Interviews, wenn er scheinbar wie nebenbei die Hand im Gesicht hatte. Sollte nachdenklich aussehen, wirkte verlegen oder rührend, großer Junge , der er für alle Zeit bleiben wollte ? Dies ganze Verspielte eine Art von Tarnung? Suchte er innerlich nach etwas? Etwas, was er verloren hatte, von dem er wußte, es nie wieder bekommen zu können? Ihr schien auch, daß er mit jeder neuen und andersgearteten Rolle Gefühle abhakte. Er probierte Emotionen aus, aber etwas fehlte diesem makellosen Gesicht: DAS wahre Gefühl?!
Ihre Freunde und Bekannten halfen ihr sehr, indem sie ihr Mitschnitte zusandten, die ihn auch außerhalb von seiner Arbeit zeigte, Aufnahmen, per Handy gemacht,die ihr eines besonders zeigten: wenn er meinte, keiner würde es sehen, zeigte sein Gesicht eine eigentümliche Leere, fast Gefühllosigkeit, müde, kalt, kühl, jene ärgerlichen Ausdrücke im Antlitz, die Fans nicht gerade umhauten.
Charles Aznavour`s Text über das schöne Gesicht, welches der Sänger überall in der Natur wiederfindet, welches aber gar traurige Stimmung schlußendlich hervorbrechen läßt?

Endlich diese Textstellen über "Ton Beau Visage": "Dein schönes Gesicht bewegt sich - im Steigen und Schweben eines sanften Gesanges, in der sinkenden Sonne, im Sichwiegen des Schilfes, in der Flamme des Feuers...Es zittert im ruhenden See, in dem einsamen Bäumchen, im wunderbaren Sternenhimmel, in der rissigen Erde, den Falten einer Rose...Es gleitet im unbändigen Ozean, im Klang des Kristalls, im schlichten, lehmigen Feldweg, im Guten, Bösen, im Eis und in der Glut...Meine Liebe zerbrach...Ich liebe dich, aber wenn du weiterhin gleichgültig bleibst, werde ich dich verachten, selbst dein schönes Gesicht---"

DAS war es dann aber nicht: nie würde sie ihn verachten können und für Gleichgültigkeit gab es immer einen Grund. Darf und sollte ein Mann schön, fast zu schön sein?
Sie verdrängte diese melancholischen Textstellen aus jenem Chanson, welches sie lange gesucht hatte, zu lange, denn auch jenen anderen Mann, an den sie dabei gedacht hatte, gab es nicht mehr. Nicht für sie, noch nie und er war der einzige Mann, über den sie zu sagen pflegte:er war all meine Liebe nicht wert gewesen, jene Liebe, die mich bis an den Abgrund leitete...
 
Sie hatte es sich angewöhnt, vor dem Spiegel ohne Brille, eben mit Kontaktlinsen zu üben, Haare streng nach hinten gebunden.. Noch war auf ihrer Haut keine einzige Falte zu erkennen..Dann kam jenes Rollenangebot auf der Bühne: Stück über die ägyptische Königin Hatschepsut und ihren Geliebten Senmut. Hatten ägyptische Damen sich nicht die Haare sämtlichst abrasieren lassen, Perücke drauf, weil auch die Perücke etwas darstellete und natürlich auch die Haarlosigkeit als Schutz vor Parasiten? Sie bat ihren bestürzten Freund, ihr die Haare abzurasieren, sie bräuchte das für diese Rolle. Und wenn die Rolle vorbei sei, eine Perücke läge schon bereit.
Ihre Stimme hatte mittlerweile den magischen Klang bekommen,dem sich weder Partner auf der Bühne noch Publikum noch sonstwer entziehen konnte und weil ER das irgendwie erfahren hatte, lud er sie persönlich ein, neben ihm auf der Bühne zu agieren. Ein Traum? Mochte es sein für sie, aber vor allen Dingen hatte sie Angst zu versagen. Und was diesmal das Besondere war: sie sollte in deutsch singen, er in englisch, kam auch nicht allzu oft vor?
Und dann mußte sie immer wieder seinem Blick ausweichen, der forschend war, aber kühl, etwas Abgehärmtes an sich hatte um nicht zu sagen: alt geworden in wieviel Tagen einer eigenartigen Besessenheit. Sie genoß den Augenblick, er wurde anscheinend gehetzt wie von Hunden. Ihre Hand berührte dann doch während des Spiels mehr als nötig sein Gesicht, seine Hand, seinen Arm, es schien kein Fehler, es paßte wie durch Zufall so hin. Ihre unsagbare Trauer, als sie vom Mord am Liebsten erfährt - ihre Klage zum Gott, der sie offenbar im Stich ließ - Gesang endlich so stark, kräftig voller Zorn und Ohnmacht und dem Versprechen, seinen Tod zu rächen. Er glaubte kaum, daß sie erst 1 ganzes Jahr auf der Bühne sang und sprach. Naturtalent? Nicht nur das allein, es war diese seltsame Empfindung, die man Liebe nennen konnte, wenn sie da nicht der abwesende Gesichtsausdruck immer wieder störte. Dieser webte ein mysteriöses Bild in ihre Gedanken: links auf einem Gemälde sie als Hatschepsut etwas tiefer als die rechte Person im Vordergrund, die keinen lebenden Menschen darstellte, sondern Osiris, den sie nicht einmal zu berühren wagte. Im Hintergrund zwar Nil und die Pyramiden, aber so von einem kaum durchdringbaren Nebel umgeben, daß eben nur die beiden Gestalten wichtig wurden....  

Stop! Da war doch noch etwas? Wie kamen ihr jene eher esoterischen oder doch gar zu verrückten Gedichtzeilen in den Sinn, jene ,die ursprünglich nichts mit IHM zu tun hatten und es auch in Zukunft nicht haben würden? Gewidmet einem anderen Mann, den sie zu lieben meinte:

"Jünger an Jahren seist du
O geliebter Osiris!
Und magst du auch verschiedne Dinge an dir haben
Die Dich entfremden von der uralten Zeit:
immer werd ich fühlen
dass da dein Schutz ist
- wenn nicht für mich, dann für meinen Sohn
denn Du - Osiris - wirst mich nicht auf den 1.Blick erkennen
dann nicht,
wenn dein Blick vorher auf eine andre Frau gefallen sein wird.
Selbst dann werde ich dich immer wieder erkennen an
deiner Stimme
deinem Blick,
deiner Verwirrtheit und an deinem mich irgendwann
erkennen können..!"

Und selbst das paßte gar schlecht, vermischte auf mieseste die Erinnerung an Begegnungen mit anderen Männern, die sie entweder echt geliebt hatte, ohne jemals wiedergeliebt zu werden oder für die sie platonische Liebe empfand. Sie mußte schreibend vergessen lernen, schrieb von Papier ab um dieses Alte endlich vernichten zu können. Sie wußte, daß sie im Netz ihre Textstellen um "Isis und Osiris",( die sie in ganz gewöhnliche Menschen verwandelt hatte, die sich quasi von Reinkarnation zu Reinkarnation regelrecht "hangeln", um sich doch immer wieder zu verlieren ) nicht mehr so oft lesen sollte, auch nicht durfte. Sonst bildete sie sich noch ein, sie wäre Isis, während er Osiris für sie sei, aber nicht jünger an Jahren, sondern knapp älter als sie. "Wenn ich den Text etwa ausbauen würde, nur immer mit seinem Antlitz vor Augen - egal ob der PC an ist für`s www oder nicht - würde ich mich nicht dem Wahnsinn nähern und zwar ganz geschwind?" Auch singen ließ sich "Isis und Osiris" nicht, denn altägyptische Begräbnistexte und Beschwörungsgeleier mußten jedem vernünftigen Menschen die Enttäuschung auf das Gesicht zaubern und sie beschloß, ihre abstruse Idee zu vergessen.

Die andere, ihr genau so abartig erscheinende Idee: Rolle eines Mannes perfekt einzustudieren, stellte sie im Theater vor und sie wußte sich vor Freude nicht zu lassen, als man sie in einen jungen Mann verwandelte und sie eben so auf die Bühne ließ. Das Publikum kannte ihn nicht so gut in dieser Rolle, aber er kannte sich natürlich darin und es kam ihm denn doch eigenartig vor, das eine Frau diese Männerrolle fast perfekt spielte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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