Roman Scherer

Die Maurer Familie 1

Familien-Schicksals-Roman

Inhaltsverzeichnis

1. Prolog

2 . Sieglinde Dugros (Mutter von Bernhard Maurer)

3. Sieglindes rechtes Auge geht verloren

4. Hurra, es ist Krieg

5. Sieglinde geht nach Sulzbach

6. Sieglindes neue Stelle

7. Sieglinde lernt Fritz kennen

8. Johann Maurer (Der Vater von Bernhard Maurer)

9. Die neue Mutter

10. Jakob und Maria heiraten

11. Einer stiehlt

12. Der Dieb wird entlarvt

13. Zwei neue Feinde

14. Sieglinde Dugros und Johann Maurer

15. Sieglinde und Johann heiraten

16. Der Überfall der SA

17. Der Alltag kehrt ein

18. Bernhard wird geboren

19. Die Jüdin Hannah Kaltewohl

20. Schicksal einer Familie

21. Durch Tbc in die Freiheit

22. Bernhard stellt Hannah seinen Eltern vor

23. Ein kleiner Disput

24. Ein Junge namens Helmut

25. Die verloren geglaubte Mutter

26. Zwei Blutsbrüder

27. Herr Neuberts plötzlicher Tod

28. Ein Neuer Anfang

 

 

 

 

 

 

1. Prolog

Immer wenn ich an mein einstiges Zuhause denke, werde ich an mein Elternhaus in Sulzbach in der Stefanstraße erinnert. Dieses kann und will ich nicht vergessen. Vieles hatte sich in all den langen Jah­ren in meiner Heimatstadt geändert. Mittlerweile wurde mein Elternhaus sogar abgerissen, es steht schon lange nicht mehr dort, wo es einst gestanden hatte. Fast am gleichen Ort steht heute ein anderes, ein neues, modernes Haus. Die Bundesrepublik Deutschland hatte ursprünglich vor, an dieser Stelle, wo einst mein Elternhaus gestanden hatte, über das Sulzbachtal eine Brücke zu bauen, über welche die Bundesautobahn Führen sollte. Diese Brücke sollte in einer schwindelnden Höhe von ungefähr dreißig, vierzig Meter über das Sulzbachtal hinweg führen. Und ziemlich genau an der Stelle, dort wo einst mein Elternhaus gestanden hatte, sollte ein Stützpfeiler der Brücke stehen, weswegen mein Elternhaus weichen musste. In meiner frühesten Kindheit – später noch in meiner Jugendzeit – konnten wir Kinder fast unbe­kümmert in unserem Garten, im Hof und im angrenzenden riesigen Anwesen meiner Großeltern nachlaufen, verstecken, murmeln, Völkerball, Federball und vieles mehr spielen. Ausgenommen hiervon waren sicherlich die Zeiten, in denen der Zweite Weltkrieg über unserem ge­liebten Sulzbachtal, sowie über Dudweiler, Jägersfreude und Saarbrücken, Scheid, St. Ingbert und Homburg wie wahnsinnig tobte. Spielen taten sicherlich auch die Kinder meiner Vorfahren, die einige Generatio­nen vor mir lebten. Denn mein Elternhaus wurde meines Wissens ungefähr im Jahre 1860 oder 1870 erbaut. Es wurde einige Mal umgebaut, wobei es so verändert wurde, dass das letzte Aussehen nicht mehr dem Original entsprach. Mein Elternhaus war bestimmt kein hervorragendes Wunschbild einer Villa, nein, ganz im Gegenteil: Es war eher ein klobiger, viereckiger Kasten, sozusagen ein riesiger Wohnklotz. Aber man konnte dennoch ganz gut darin wohnen.

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Halt, halt, stop: Eigentlich wollte ich ja keine Geschichte über mein Elternhaus schreiben, sondern über die Leute, die einst darin wohnten und darin lebten. Wollte über meine Familie und mich schreiben. Schreiben über meine Großeltern beider Seiten, meine Eltern und über meine Geschwister, über Vettern und Basen. Hierzu muss ich Sie, ge­neigten Leserinnen und Leser, um einige Jahre in die Vergangenheit zurückversetzen. In die romanti­sche Zeit zurückversetzen, als meine beide Großeltern lebten und meine Eltern geboren wurden. Und als noch vieles mit ihrer Hände Ar­beit gemacht wurde.

 

2 . Sieglinde Dugros (Mutter von Bernhard Maurer)

Es war an einem wunderschönen Frühlingsmorgen Ende Mai. Der junge, hochgewachsene Peter Dugros hatte sich am Tag zuvor mit seiner hübschen Frau Katharina abgesprochen, dass er heute am frühen Vormittag mit dem Gespann wunderschöner Apfelschimmel hinaus zu einer ihrer viele Wiesen fuhr, um das letzte Heu, das sicherlich trocken ist, einzufahren. Peter war heute morgen noch vor fünf Uhr aufgestanden, und nachdem er gefrühstückt hatte, ging er in den Stall. Den mistete er aus, schaute das die Kühe gemolken wurden. Als er mit der Stallarbeit fertig war, machte er sich an seine heutige eigentliche Arbeit. Er striegelte und bürstete die beiden hübschen Apfelschimmel, auf die er so stolz war. Und als er fertig war damit, legte er ihnen das Saumzeug an. Gleich darauf öffnete er die Stalltür, führte sein ganzer Stolz hinaus ins Freie, um beide hübsche Rosse vor den Wagen zu spannen. (Eigentlich waren die beide Apfelschimmel keine Arbeitspferde, sondern Reitpferde) Eben war Peter damit beschäftigt, die letzte der vier Ketten stramm zu ziehen, damit er sie in den dafür vorgesehenen Haken am Sielscheit einhängen konnte. Und als er eben auf das Fuhrwerk aufsteigen wollte, stand seine hoch schwangere, junge Frau plötzlich wie aus dem Erdboden geschossen vor ihm. Sie war im Gesicht völlig bleich und hielt mit beiden Händen den dicken, kugelrunden Bauch fest umklammert. Ein paar dicke Tränen quollen aus ihren Augenwinkel heraus, sie blieben einen kurzen Augenblick zwischen den langen Wimpern hängen und waren eben im Begriff, hinunter auf die Wangen zu kullern. Katharina Dugros war hochschwanger, gut im achten Monat.

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„Was ist plötzlich los mit dir, Katharina?“ fragte Peter, während er mit beiden Beine vom Pferdewagen herunter auf die Erde sprang und um den Wagen herum zu seiner hochschwangeren Ehefrau gerannt kam. Wie es schien, war Peter keinen Sekunde zu früh bei ihr, denn plötzlich und ohne Vorwarnung war die Hochschwangere dem Jungbauern ohnmächtig in die Arme gesunken. Wäre er nicht bei ihr gewesen und hätte sie nicht geistesgegenwärtig auffangen können, so wäre sie mit Sicher­heit auf den uneben gepflasterten Steinboden gefallen und hätte sich dabei die Arme und Beine oder gar das Genick brechen können.

 

Peter nahm seine besinnungslose bessere Hälfte auf die starken Arme und trug sie ins Haus hinein. So behutsam wie möglich legte er sie im Wohnzimmer auf die Chaiselongue nieder. „Helene, wo steckst du?“ rief Peter laut donnernd durch das Haus nach seinem Töchterchen. „Helene, komm mal hierher zu mir ins Wohnzimmer!“

 

Es dauerte kaum eine halbe Minute, bis plötzlich die Stubentür zögernd aufgestoßen wurde und sich ein kleines, etwa fünfjähriges Mädchen mit strohblondem Wuschelkopf langsam ins Wohnzimmer schob. „Was is’ denn los?“ fragte Helene etwas verschüchtert. Das Mädchen kam langsam zur Chaiselongue, auf die der Vater vor nicht allzu langer Zeit seine ohnmächtige Frau, Helenes Mutter, gelegt hatte. Das fünfjährige Mädchen sah zur Mutter mit halb zugekniffenen Augen herunter, und als es sah, dass diese die Augen fest ge­schlossen hatte, fragte es: „Was is’ denn mit Mutter los? – warum schläft sie?“

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„Mutter schläft nicht, sie ist sehr krank! Bitte, Helene, bleibe mal so lange bei ihr, und passe gut auf sie auf, bis ich gleich wieder zurück bin!“ der Jungbauer blickte sein Töchterchen mit strengem Blick an.

 

„Warum soll ich denn hier bei Mutter bleiben?“ Helene wickelte ihre ewig zerzaustes, strohblondes Haar um den Zeigefinger, trippelte von einem auf den anderen Fuß. Dies war  ein unverkennbares Zeichen, dass das Kind scheinbar hypernervös war.

 

„Weil Mutter krank ist und weil irgendjemand bei ihr bleiben muss, damit ihr in der Zeit, während ich kurz weg bin, nicht noch etwas schlimmeres zustößt.“

 

„Mutter schläft doch“, motzte Helene erneut auf. „Aber warum muss ich denn dann noch bei ihr bleiben, wenn sie doch schläft?“

 

„Frag nicht so viel, und bleibe einfach hier bei ihr, bis ich nachher wieder komme!“

 

„Und wo gehst denn du hin?“

 

Peter Dugros konnte seinem Töchterchen keine Antwort mehr geben, er war längst schon zur Tür hinaus verschwunden. Draußen, vor der Tür, spannte er die beiden edlen Rosse einfach wieder aus, und während er das eine Ross bestieg und sich rittlings draufsetzte, nahm er die Zügel des anderen in die Hand und ritt – ohne Sattel – in sehr schnellem, langgestrecktem Galopp in Richtung Hermeskeil davon.

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Nach gut 2 ½ Stunden kam Peter Dugros zusammen mit Doktor Karl Herkenrath wieder zurück. Sie stiegen fast synchron von den Pferden herunter. Und sofort eilten Herr Herkenrath und der Jungbauer in die gute Stube, worin Peter seine Ehefrau ohnmächtig auf dem Chaiselongue zusammen mit seiner kleinen Tochter Helene zurückgelassen hatte.

 

Kaum war Peter zehn Minuten aus dem Haus, hatte Katharina sich selbst von einem winzig kleinen, 53 cm langen und 3,5 Kilogramm schweren, Töchterchen entbunden. Niemand, kein Arzt, keine Hebamme, noch nicht einmal ihr Ehemann war bei Katharina, außer ihrer hübschen, fünfjährigen Tochter Helene. Als die Jungbäuerin genau wusste, dass es nun auch bestimmt so weit war und die Geburt wirklich gleich losgehen würde, schickte sie Klein Helene hinaus in die Küche, um eine große Schüssel mit heißem Wasser und einen Stoß mit sauberen Handtücher zu holen. Als das Kind nach schier unendlich langer Zeit wieder in die gute Stube zurückkam, lag die winzig kleine Sieglinde schon in Mutters Armen, strampelte hastig und schrie kräftig und aus voller Lunge. Ein gutes Zeichen, dass die neue Erdenbürgerin gesund war und eine kräftige Lunge hatte.

 

Als Klein Sieglinde das Licht der buckelige Welt erblickte, schrieb man den 7. Juli im Jahre 1905, ein sonnig warmer, frühsommerlicher Tag. Gute zwei Wochen danach, so wie es damals bei guten Katholiken Sitte war, am 22. Juli desselben Jahres trugen die Dugros’ den Winzling Sieglinde in die Kirche zu Züsch, damit es der dortige Pfarrer auf den Namen Jesus Christus taufen konnte.

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Als Sieglinde einige Wochen älter als ein Jahr war, begann sie die ersten – wenn auch noch unverständliche – Worte, ihrer Mutter oder ihrem Vater nach zu plappern. Ihre liebsten Worte waren: „Mamama und Papapa, ei und dada“, manchmal, wenn man es die Mutter Klein Sieglinde vorsagte, versuchte sie auch schon mal: „Mama, Papa, dada Oma, Opa, dada“, nach zu plappern. Nur zwei, drei Tage danach versuchte Klein Sieglinde von ganz allein den Namen ihres Herrn Papas: „Pe, Pe“, dahin zu schnattern. Manchmal versuchte das Kind sich an einem Wort, dass aber niemand der Familie verstehen konnte oder auch nicht verstehen wollte. Weil sich tagsüber die beiden Erwachsenen, wegen der vielen Feld- und Hausarbeit, die bei den Kleinbauern anfiel, nicht so sehr um Klein Sieglinde kümmern konnten, war sie manches Mal versucht, sich allein mit irgendwas zu beschäftigen. Das Kleinkind vertrieb sich mit irgendetwas die Zeit. Mit was den sonst, als mit dem Aufziehen seines wunderhübschen, über dreißigjährigen Strickjäckchens, das Katharina zu Sieglindes Taufe von deren Urgroßmutter geschenkt bekam.

 

Peter Dugros, der seit dem Tag, an dem Sieglinde versuchte „Pe-, Pe-“ nachzuplappern, wartete wie vernarrt darauf, dass sein kleines Schätzchen seinen Namen richtig und ganz nachschwatzen sollte. Er saß in jeder freien Minute mit Sieglinde auf dem Schoß irgendwo herum. Oft sagte Peter dem Töchterchen ein paar leichte Worte vor. Er wartete in der Hoffnung darauf, dass das Mädchen ihm alles nachplapperte. „Sieglinde, Schätzchen, sag P-e-t-e-r! – sag P-e-t-e-r! – Kleiner Liebling, sag „P-a-p-a P-e-t-e-r!“ Doch Papa Peters kleines, liebes Schätzchen dachte im Traum nicht daran, ihm irgendetwas nachzuplappern. Das Mädchen wollte diese Worte einfach nicht nachsprechen, was Papa für leicht aussprechbar empfunden und ihm vorgesagt hatte. Statt Worte hervorzubringen machte Sieglinde mit ihren kleinen Lippen eine Schnute, aus der plötzlich ganz viele kleine und große Bläschen aus Spucke herausquollen.

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Ein wenig beleidigt wandte Peter Dugros sich letztlich wieder von der Kleinen ab. Er wollte seiner alltäglichen Arbeit – das Vieh füttern, den Stall ausmisten und so weiter und so weiter – nachgehen.  Nachdem das alles erledigt wäre, so hatte der Jungbauer sich vorgenommen, wollte er noch zu seinem Vetter, dem Bauer Karl Dugros, gehen, um ihm beim Absägen eines Astes an seinem Apfelbaum zu helfen. Kaum hatte Peter sich von Sieglinde abgewandt, um zur Wohnung hinauszugehen, hörte er Sieglinde munter darauf los plappern. „Pe-, Pe-, Pet-, P-e-t-e-r“, hörte der Jungbauer sein kleines Töchterchen seinen Namen plappern. Seinen Namen, nicht den Namen seiner Frau, nein seinen Namen sprach Klein Sieglinde als erstes Wort deutlich aus. „P-e-t-e-r. Peter, Papa Peter dada! – brr, brr! – adn, adn!“ 

 

Peter wandte sich nun an seine Ehefrau, die in der Küche mit irgendwelchen Geräte – Töpfe, Schüssel, Teller und Bestecke – herum hantierte. „Hast du das gehört, Katharina? – Hast du gehört, was Sieglinde eben gesagt hat?“ fragte Peter seine Ehefrau. Er war sehr erfreut darüber, dass sein kleiner Liebling endlich das nachsprach, was er ihm einige Minuten zuvor vorgesagt hatte. „Du, Katharina, ich werde verrückt; mein kleines Mädchen hat meinen Namen deutlich ausgesprochen. Sieglinde hat Peter – Papa Peter – gesagt. Hast du das denn nicht gehört?“

 

Katharina stellte den Kochtopf, den sie eben von der Anrichte heruntergenommen hatte, auf den Küchenherd und füllte ihn halbvoll mit Wasser. Dann erst wandte sie sich ihrem Ehegatten zu und fragte: „Was soll ich gehört haben?“ Peters bessere Hälft war so sehr mit ihrer Hausarbeit beschäftigt, dass sie Sieglinde von der Küche aus nicht plappern hören konnte. Die Verbindungstür von der Küche zum Wohnzimmer war zwar beinahe ganz geöffnet, aber Katharina konnte trotzdem nicht verstehen, was Peter mit seinem kleinen Mädchen gesprochen hatte oder auch nicht, was sein kleines Schätzchen ihm nachplapperte.

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„Konntest du denn nicht hören, das mein kleines Schätzchen ‚Papa’ und ‚Peter’ gesagt hat?“ Peter machte innerlich einen hohen Freudensprung, weil Klein Sieglinde seinen Namen, noch vor dem Namen seiner Frau laut ausgesprochen hatte. Vielleicht sind die Worte Katharina und Mama noch ein bisschen zu schwer, um von Klein Sieglinde nachgeschwatzt zu werden, dachte er.

 

Was bildet Peter sich eigentlich ein, dachte Katharina, jedoch sie sagte zu ihm: „Warum sagst du von unserer Tochter immer nur ‚mein Schätzchen’, ‚mein Kind’ oder ‚mein Mädchen’, wenn du von Sieglinde sprichst?“ Katharina wandte sich zum Gehen von ihrem Mann ab, aber auf halbem Weg hielt sie noch einmal inne und drehte sich wieder zu Peter um. „Sieglinde ist doch nicht allein dein Schätzchen oder dein Kind, sondern in erster Linie ist es mein Kind. Denn in meinem Leib ist Sieglinde herangereift, und ich habe sie unter großen Schmerzen auf die Welt gebracht!“ Katharina machte unversehens auf dem Absatz kehrt und verschwand auf dem schnellsten Weg aus dem Wohnzimmer in die Küche, um letztlich die Treppe hinauf zum Speicher zu hasten.

 

„Wenn man es ganz genau nimmt, ist Sieglinde weder dein noch mein Kind“, wollte Peter Katharina noch nachrufen, doch er ließ es bleiben. Denn seine Gattin war schon nicht mehr in der Küche, sondern schon lange die Treppe hinauf in einem der oberen Zimmern verschwunden.

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Die Zeit verging wie im Fluge. Erst war Sieglinde noch ein Baby, das eben erst geboren wurde. Aber jetzt war sie schon sechs Jahre alt geworden und ihr erster Schultag stand kurz bevor. Im Grunde machte Sieglinde ihren Eltern immer nur Freude, nie auch nur den geringsten Kummer. Sie gab ihnen nie eine böse oder patzige Antwort und gehorchte ihnen immer aufs Wort, egal, was die Eltern ihr sagten oder auftrugen zu machen. Sieglinde war in ihrem kurzen, sechsjährigen Leben noch niemals – auch nicht für eine einzige Minute –, krank gewesen. Doch dann kam unaufhaltsam der Tag, an dem das Kind sich von einer zur anderen Minute ins Gegenteil kehrte. Es war nämlich an dem Tag, an dem das nunmehr hübsche, sechsjährige Mädchen eingeschult werden sollte.

 

Als Katharina Dugros mit Sieglinde an der Hand den Schulhof von Züsch betreten wollte, wurde das Mädchen von einer zur anderen Sekunde unruhig, zappelig und bösartig. Es trat und schlug nach seiner Mutter, kratzte sie am Arm und riss sich einfach von Mutters Hand los. Sieglinde lief wie vom Blitz getroffen einfach das Stück Weg zurück, den sie beiden eben erst gekommen waren.

 

Katharina war so konsterniert, dass sie im ersten Moment nicht wusste, was sie machen sollte. Sie drehte sich alsbald zu der weglaufenden Tochter herum und rief ihr hinterher: „Sieglinde! – Sieglinde! – komm sofort wieder hierher zurück!“

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Das kleine Mädchen Sieglinde ließ die Mutter rufen, so viel und so lange sie wollte. Es lief einfach weiter, die Dorfstraße hinunter, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu der Mutter umzudrehen. Sieglinde lief so lange, bis sie schließlich in der Scheune ihres Elternhauses verschwand und somit dem Blickfeld der Mutter entschwunden war.

 

Voller Angst, dem Mädchen könnte irgendetwas schlimmes zustoßen, lief die junge Frau dem Kind hinterher, die Dorfstraße hinunter. Zu Hause in ihrer Wohnung schaute die Jungbäuerin überall, in jedem Zimmer, in jeder Kammer und in jedem Winkel nach. Aber nirgendwo konnte sie das kleine 6-jährige Töchterchen finden, weder unten im Erdgeschoss, in der Küche, im Wohnzimmer, in der Abstellkammer, noch in irgendeiner der vielen Kammern und Zimmern der beiden oberen Etagen.

 

Resigniert und ganz in Gedanken versunken ging Katharina die Speichertreppe wieder hinunter. In der Diele, kurz bevor sie in die Küche ging, blieb die Jungbäuerin eine Zeitlang stehen und überlegte, wohin das Töchterchen sich verkrochen haben könnte. Mit einem Mal war Katharina ein helles Licht aufgegangen. Ihr war jäh eingefallen, dass Sieglinde – wenn sie sich vor irgendetwas fürchtete oder sonst wie Angst hatte – sich meistens auf dem Heuschober, ganz oben, dicht unterm Dach verkrochen hatte. Und dass sie meistens stundenlang, bis dass der Hunger sie quälte, nicht mehr zum Vorschein kam. Ja, das ist Sieglindes Lieblingsplatz, dort wo das kleine Mädchen sich oft verkroch, um die Angst aus ihren Gliedern zu vertreiben. Vielleicht hatte es sich ja auch jetzt dort oben auf dem Schober, dicht unter dem Dachgebälk, aus Angst vor dem ersten Schultag verkrochen, dachte Katharina, während sie hinaus in die Scheune ging.

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Mit ein paar dicken Tränen in den Augen stand Katharina in der Scheune und schaute mit leicht zugekniffenen Augen angestrengt zum Heuboden hinauf. „Sieglinde“, rief die Jungbäuerin mit leicht tränenerstickter Stimme. „Schätzchen, mein kleiner Liebling, bist du dort oben auf dem Heuboden?“

 

Keine Antwort.

 

Wenn Katharina es nicht genau gesehen hätte, dass ihr Töchterchen Sieglinde ins Haus gelaufen wäre, würde sie vielleicht glauben, das Kind sei vom Erdboden verschluckt oder vielleicht entführt worden. Die Jungbäuerin Katharina war völlig verzweifelt, sie fühlte sich ratlos, war völlig am Boden zerstört. Sie konnte sich nicht vorstellen, wo ihr kleines Mädchen sich sonst noch versteck halten könnte, als dort oben unter dem Dach auf dem Heuboden. Gewiss, ihr Haus ist riesig groß, aber sie hatte ihres Wissens doch jeden Winkel des Hauses gründlich abgesucht. Aber dass jetzt ausgerechnet Peter nicht daheim ist, dachte Katharina, während sie noch einmal völlig aufgeregt und verzweifelt nach oben schaute. Dort oben, ganz dicht unter dem Dachgebälk, dort oben! – dort! schon wieder, dort hat sich doch irgendetwas bewegt, dachte Katharina mit Tränen in den Augen. „Sieglinde“, rief sie mit angehaltenem Atem und leicht vibrierender Stimme. „Schätzchen, bist du dort oben auf dem Heuboden?“ Mit großer Anstrengung und mit leicht zugekniffenen Augen blickte die junge Frau zum Heuboden hinauf. Aber Katharina konnte nichts anderes sehen, als das alte, das mit dicken Spinnweben verhangene und dickem Staub bedeckte Dachgebälk. Nichts rührte sich mehr dort oben, alles schien vollkommen ruhig.

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Frau Dugros wollte schon entmutigt die Scheune wieder verlassen. Aber plötzlich und unvermutet hörte Katharina Heu und Stroh rascheln, ganz leise nur, aber sie hörte es dennoch. Sie sah ein, zwei Stroh- und Heuhalme dicht vor sich auf die Erde herunter rieseln. Mit einem Mal sah sie hoch über sich Staub aufwirbeln, der scheinbar mit einem zarten, kaum wahrnehmbaren Windhauch langsam wieder verwehte.

 

Spätestens in diesem Augenblick wusste die junge Frau, dass Sieglinde – ihre kleine Sieglinde –, sich dort oben verkrochen haben musste. „Sieglinde“, rief sie noch einmal, „bist du dort oben?“ Und als sie noch immer keine Antwort bekam, machte sie mit leicht zittrigen Extremitäten Anstalten, die steile Leiter hinauf zum oberen Heuschober zu klettern. Doch bevor Katharina den Fuß auch nur auf eine einzige Sprosse stellen konnte, blickte die verängstigte Mutter noch einmal nach oben, dorthin wo sie glaubte, dass ihr Töchterchen Sieglinde sich versteckt hielt. Wie durch Zufall sah Katharina Sieglinde. Sie sah erst nur ein Beinchen des Mädchens, das aber sogleich wieder aus Katharinas Blickfeld verschwunden war. Dann kam ein Stückchen ihres grün-weiß-rot karierten Kleides und gleich darauf Sieglinde ganz zum Vorschein.

 

Das Kind stand hoch oben, ungefähr acht oder neun Meter über Katharinas Kopf. Aus Katharinas Blickfeld sah es fas so aus, als wollte das sechsjährige Mädchen jeden Moment herunter auf den harten Boden der Tenne springen.

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„Nein, Sieglinde, nein!“ schrie die nun völlig verängstigte und verzweifelte Jungbäuerin ihrem Kind zu. „Nein! Sieglinde, mach kein Blödsinn und komm sofort langsam herunter!“ Katharina wäre beinah das Herz stehengeblieben. Wäre Sieglinde von dort oben herunter in die Tiefe gesprungen, sie hätten es beide nicht überlebt. Katharina wäre zusammen mit ihrem kleinen Töchterchen des unnatürlichen Todes gestorben.

 

Das Kind war nicht herunter gesprungen, vielleicht dachte Sieglinde ja auch gar nicht daran. Sieglinde kam ganz langsam und vorsichtig die steile Leiter herunter geklettert. Als das hübsche Mädchen bald danach auf der Erde vor der Mutter stand, konnte diese sehen, dass das Kind ein paar dicke Tränen in den Augen stehen hatte. Es war kurz vor dem Heulen.

 

Erst hatte Katharina vor, Sieglinde gehörig auszuschimpfen. Als sie jedoch sah, dass das Kind nahe ans Wasser gebaut war und jeden Augenblick mit Weinen losbrechen musste, war sie lieber ruhig und sagte nichts. Nein, sie konnte dem kleinen, wehrlosen Mädchen doch jetzt nicht böse sein und sie ausschimpfen, sie war doch von Herzen froh, dass dem Töchterchen beim Hinauf- und Herunterklettern nicht das geringste passiert war.

 

Das kleine, zarte und zerbrechliche Mädchen stand mit Tränen verschmiertem und verschmutztem Gesichtchen vor der Mutter und blickte sie aus traurigen, tränenverschleierten Augen verlegen an. Es hatte vor noch nicht allzu langer Zeit – scheinbar aus Angst vor der Schule – geweint und nun, da es vor der Mutter stand, war es erneut nahe am Weinen. Das Mädchen schniefte ein-, zweimal, so dass ihre Nasenflügel leicht zu flattern begannen. Es überlegte sich, ob es einfach von da abhauen oder sich in den Rockzipfel der Mutter vergraben und laut losheulen sollte. Plötzlich sprang das Kind mit einem für ihr junges Alter gewagten Satz in Mutters Armen und begann, fürchterlich laut zu weinen.

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Die Mutter drückte die kleine Sieglinde, ihre geliebte Sieglinde, ganz, ganz fest und voller Liebe an ihre mütterliche Brust. „Mein kleiner Liebling, warum willst du denn nicht zur Schule gehen?“ fragte sie sanftmütig, viel Liebe klang in den Worte mit, während sie Sieglinde, ihrem kleinen Mädchen, zärtlich über den Hinterkopf streichelte.

 

Mit ihren kleinen zittrigen Finger rieb Sieglinde sich die Tränen aus den Augen. Sie schluchzte ein-, zweimal laut auf. Dann sagte sie halb lächelnd, aber noch immer mit tränenerstickter Stimme: „Ich mag nicht in die Schule gehen, weil da drin sind so viele böse Kinder!“

 

Mit Sieglinde zusammen setzte Katharina sich auf einen Stuhl, der irgendwo in der Scheune in ihrer Nähe herumgestanden und den sie mit einem Fuß zu sich herangezogen hatte. Die Mutter nahm das Töchterchen auf den Schoß, putzte ihm mit einem sauberen Taschentuch die Nase und wischte ihm die Augen trocken. „Du musst doch zur Schule gehen“, sagte Katharina gütig zu Sieglinde, „damit du etwas für dein späteres Leben lernst. Oder willst du immer dumm bleiben?“

 

Sieglinde nahm das Taschentuch, das die Mutter schon wieder in ihre eigene Tasche zurückstecken wollte, und wischte sich die restlichen Tränen aus Gesicht und Augen. „Nein“, sagte das 6-jährige Mädchen, während sie die Mutter mit einem ihrer schönsten Lächeln anstrahlte. „Ich will nicht immer dumm bleiben.“

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„Du willst also zur Schule gehen?“

 

„Ja, Mutter, das will ich!“

 

„Dann ist ja alles wieder in bester Ordnung“, sagte Katharina Dugros und stand mit Sieglinde zusammen auf, um hinüber in die Wohnung zu gehen. Und als sie in der Küche waren, sagte sie zu ihrem Töchterchen: „Wasch dir drüben im Bad dein Gesicht mit kaltem Wasser etwas ab. Danach bringe ich dich gleich zur Schule.“

 

3. Sieglindes rechtes Auge geht verloren

Sieglinde ging ab diesem Tag immer gerne zur Schule und lernte fleißig. Nachdem das Mädchen einmal in den Schulunterricht geschnuppert hatte, fand sie diesen gar nicht mehr so schlimm. Es hatte sich auch recht bald mit beinahe allen Kindern seines Alters angefreundet und fand diese auch überhaupt nicht mehr böse, wie sie es an ihrem aller ersten Schultag angenommen hatte.

 

Allerdings gab es da auch noch ein anderes, ungefähr gleichaltriges Mädchen, mit dem hatte Sieglinde schon ihre Schwierigkeiten, um sich mit ihm anzufreunden. Sieglinde wollte so gerne die Freundin dieses Mädchens werden, doch diese hatte nur Verachtung für sie übrig. Dieses Mädchen hieß Maria Braun und glaubte, etwas besonderes zu sein. Nur weil sie das einzige Kind und dazu noch die sehr verwöhnte Tochter eines kürzlich in Züsch zugezogenen, superreichen Bonbon- und Schokoladenfabrikanten war. Maria bekam von ihren Eltern alles, was sie sich auch wünschte und wovon manch ein anderes Kind nicht einmal zu träumen wagte. Die Familie Braun war die einzige Familie im Dorf, die keine eigenen Ländereien besaßen. Sie hatten zwar zwei, drei Dutzend wunderschöne, edle Pferde in den Koppeln auf der Weide stehen, kauften aber das Futter für die Pferde sonst wo bei anderen Landwirte im Ort. Der alte Braun, Maria Brauns Vater, war der Direktor und alleiniger Besitzer einer großen Süßwarenfabrik, in der mehr als tausend Männer und Frauen beschäftigt waren. In dieser riesigen Fabrik wurde Schokolade, Pralinen und Zuckersteine (Bonbons) und anderes Naschwerk hergestellt.

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Maria Brau war so verwöhnt, dass sie an allem, aber wirklich an allem, was andere Kinder besaßen, etwas auszusetzen hatte. Sie war auf alle Kinder des Ortes eifersüchtig. Insbesondere hatte Maria Braun es auf Sieglinde Dugros abgesehen. Um nicht zu sagen, dass sie mit anderen Kindern gut Freund wäre. Während den Pausen, wenn andere Kinder friedlich miteinander spielten, zankte Maria Braun mit Sieglinde Dugros. Manchmal wurde aus dem anfänglichen Zank ein ausgewachsener Streit. Einmal, als Sieglinde mit all ihren viele Freundinnen und Freunden, während der großen Pause auf dem Schulhof nachlaufen spielte und weil alle Kinder, die Sieglinde mochten und deshalb auch mit ihr spielten, war Maria Braun auf Sieglinde Dugros neidisch, so dass sie fast schon grün im Gesicht geworden war. Denn mit Maria spielte noch nicht einmal ein einziges Kind. Mit ihr hatte bisher noch kein Kind Freundschaft geschlossen. Maria hielt sich nicht nur für etwas besonderes, sie war auch eine Streberin. Und das konnten die anderen Kinder natürlich an Maria auf den Tod nicht ausstehen. Immer und überall, wann und wo Maria Braun nur konnte, hatte sie an den anderen irgendetwas auszusetzen. Sie rief ihnen auch Worte nach, die andere Kinder sich nicht getrauten, sie laut auszusprechen. Aber meistens ärgerte Maria Sieglinde, wann und immer sie nur konnte. Einmal hatte Maria Sieglinde für nichts und wieder nichts sogar geohrfeigt.

 

Sieglinde musste oft für ihre Mutter im Oberdorf von Züsch irgendwelche Einkäufe und andere Besorgungen erledigen. Oder sie musste für ihren Vater auf irgendeinem Amt irgendetwas besorgen. Als Maria Braun nun diese fast tägliche Erledigungen der Sieglinde Dugros herausgefunden hatte, lauerte sie der Mitschülerin in der Nähe ihres elterlichen Hofes auf.

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Als Sieglinde nun Maria vor deren Elternhaus auf der anderen Straßenseite stehen sah, lief sie einfach zu der Kontrahentin hinüber und fragte sie geradeheraus: „Warum bist du eigentlich immer so stinksauer, manchmal auch böse auf mich, rufst mir böse Worte nach und bewirfst mich oft mit Steinen und Holzstücke?“ Sieglinde war immer aus ganzem Herzen ehrlich und in allem sehr korrekt und gerade heraus. Sie konnte zwar eine gewisse Zeit lang Inkorrektheiten und Boshaftigkeiten von anderen Kindern ertragen und sogar lange darüber schweigen. Aber auf einmal platzte ihr der Kragen und es muss alles aus ihr heraus. Und heute war für das Mädchen scheinbar ein solcher Tag, an dem alles aus ihm heraus musste.

 

Maria hatte Sieglinde schon eine ganze Weile beobachtet, und jetzt, da die Rivalin vor ihr stand und sie sogar angesprochen hatte, machte sie auf dem Absatz kehrt, wollte im Anwesen ihrer Eltern schnellstens verschwinden und sich so vor einer Aussprache mit Sieglinde so schnell und so weit wie möglich verkrümeln.

 

Sieglinde war jedoch flinker als Maria. Sie trat ihr in den Weg und hielt sie einfach am Arm fest. Sieglinde war sehr darauf bedacht, dass sie dem anderen Mädchen nicht weh tat. Denn Sieglinde genoss und genießt eine gute christliche Erziehung. Deshalb war ihr Motto: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Sie fragte ihre Kontrahentin: „Warum bist du eigentlich immer so stinksauer auf mich, so dass man direkt Angst vor dir kriegen muss, wenn man dich nur von weitem sieht?“

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Maria Bauer fühlte sich von Sieglinde Dugros bedroht, deshalb schlug sie ihr eine gehörige auf den Mund, so dass Sieglindes Lippen leicht aufplatzten und ein wenig zu bluten begannen. Ein rotes Rinnsal quoll aus Sieglindes Unterlippe und troff auf ihr hübsches, helles Sommerkleidchen. Sie wehrte sich jedoch nicht, sondern dachte immer noch christlich, so wie Jesus einst im Evangelium gesagt hatte: „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, so halte ihm auch noch deine linke hin.“ So dachte Sieglinde nicht nur, so handelte sie auch.

 

„Los, du blöde Kuh, verschwinde, sonst gibt es noch mehr von denen, die nichts kosten.“ Maria kam erneut ein paar Schritte auf Sieglinde zu und wollte sie bei den Zöpfen festhalten, ihr vielleicht auch noch mal eine auf den Mund schlagen.

 

Sieglinde bekam Marias Hand zu fassen und konnte so den Schlag auf ihren Mund abwehren. „Was habe ich dir eigentlich getan, dass du so schrecklich böse auf mich bist und mich sogar schlägst?“ Sieglinde ließ Marias Hand los und hielt sich dafür die aufgeplatzte Lippe fest zu. Sie nahm mit der freien Hand ein Taschentuch aus der Jackentasche heraus und tupfte das Blut von den Lippen ab.

 

„Du blöde Kuh, ich habe dir doch eben gesagt, dass du von hier verschwinden sollst! – Das sage ich dir nicht zweimal, sonst ...“

 

„Jetzt mache aber einmal halblang“, sagte Sieglinde zu Maria, während sie wieder auf sie zuging und wollte nun ihr eine gehörige herunterhauen. Aber auf halbem Wege fiel ihr plötzlich ihr christliches Motto wieder ein. Sie hielt mit ihrem Tun inne, kehrte auf dem Absatz um und wollte friedlich ihres Wegs von dannen gehen.

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Weil Sieglinde Dugros aus Feigheit vor dem Feind den Schwanz eingezogen hatte und sich aus dem Staub machen wollte, das hatte Maria Braun so sehr auf die Palmen gebracht, dass sie ein etwas angespitztes Stück Holz von der Erde aufhob und blindwütend Sieglinde Dugros hinterher schleuderte.

 

Wäre Sieglinde stur, ohne sich noch einmal nach Maria umzudrehen, weitergegangen, so wäre ihr nicht das geringste passiert. Jedoch genau in derselben Sekunde – in der Maria das Stück Holz wie ein Wurfgeschoss abgeschleudert hatte – drehte Sieglinde sich wieder zu der blöden Ziege herum, so dass das von Maria Braun geschleuderte Stück Holz Sieglinde Dugros genau in das rechte Auge flog. Das getroffene Mädchen schrie laut auf, ein Schwall Blut spritzte aus dem Auge heraus, so dass das Mädchen mit beiden Händen das Auge fest zuhalten musste.

 

Der Alte Braun, Marias Vater, der während der ganzen Zeit die Szene der beiden Kindern vom Fenster seiner Villa aus genau mit verfolgt hatte, ließ sofort alles stehen und liegen und kam aus dem Haus herausgerannt. „Maria, Baby, was hast du getan?“ Herr Braun ging zur kleinen Sieglinde und wollte nachsehen, wie sehr verletzt der Augapfel war. Sobald Braun die Hand des Mädchens nur eine Kleinigkeit von dieser Stelle hochgehoben hatte, konnte er es genau sehen: Das Auge war so sehr verletzt, das es sehr wahrscheinlich nicht mehr zu retten sei. Brauns sehr verhätschelte und vertätschelte Tochter Maria hatte Sieglinde Dugros das rechte Auge ausgeschmissen. Der alte Herr wusste sofort, was zu tun war. „Maria, jetzt läufst du auf der Stelle hinunter ins Unterdorf zu den Dugros, Sieglindes Eltern, und berichtest ihnen, was mit Sieglinde passiert ist“, befahl der alte Braun seiner verwöhnten Tochter. Er nahm Sieglinde ohne zu zögern auf den Arm und trug sie in seine Wohnung. Im Wohnzimmer legte er das Kind auf das Sofa, dann rief er nach seiner Frau.

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Fast augenblicklich war Frau Braun zur Stelle. Herr Braun sagte zu seiner Gattin, sie solle sofort im Krankenhaus von Hermeskeil anrufen. Und sie solle am Apparat sagen, ein etwa sechs-, siebenjähriges Mädchen habe sein rechtes Auge verloren, und dass er, Braun, das Kind gleich in die Klinik brächte.

 

Als bald darauf Frau Braun aus dem Wohnzimmer verschwunden war, ging Herr Braun zu einem kleinen Schrank im Badezimmer und kramte eine Mullbinde und eine etwas größere elastische Binde heraus. Mit dem Verbandskasten und den beiden Binden ging er wieder in das Wohnzimmer zu Sieglinde zurück. Er verband, so gut er es als Laie konnte, aber dennoch fast fachgerecht, Sieglindes rechtes Auge.

 

Nach fünfzehn Minuten kam Frau Braun ins Wohnzimmer zurück und sagte zu ihrem Ehegatten: „Ich habe im Krankenhaus von Hermeskeil angerufen und ihnen von Sieglindes Unfall Bescheid gesagt. Hernach habe ich die beiden Schimmel vor unsere Kalesche gespannt, sie steht abfahrbereit vor den Stallungen. Frau Dugros, Sieglindes Mutter, ist auch schon gekommen. Sie wartet vor den Stallungen bei der Kutsche.“

 

Als Herr Braun mit Sieglinde auf dem Arm heraus zu den Stallungen kam, kam Frau Dugros – die völlig in Tränen aufgelöst war –, den beiden ein Stück entgegen. Frau Dugros nahm nun ihr Töchterchen in den Arm und fuhr ihm tröstend über das lange Haar. „Mein armer, kleiner Schatz“, sagte die Dugros’ mit in Tränen aufgelöster Stimme, „wie konnte so etwas nur geschehen?“ mit ihrem Schätzchen Sieglinde auf dem Arm setzte sie sich in den hinteren Teil der Kutsche hinein.

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Herr Braun und seine Tochter Maria nahmen vorne auf dem Kutschbock Platz. Der alte Herr nahm die Zügel, schwang laut knallend die Peitsche, schnalzte laut mit der Zunge und in schnellem Karacho ging die Fahrt auf holpriger Straße Richtung Hermeskeil los.

 

Katharina Dugros, die Mutter von Sieglinde, streichelte unentwegt zärtlich über den Hinterkopf ihres kleinen, schwerverletzten Lieblings, damit das Kind sich etwas beruhigen sollte. „Was ist eigentlich bei der Villa der Brauns passiert?“ wollte die Mutter von Sieglinde wissen.

 

Jedes Mal wenn ein Rad der Kalesche bei schneller Fahrt in ein kleineres oder etwas größeres Schlagloch fuhr, stöhnte das schwerverletzte Mädchen laut auf. „Es war... es war Maria, aber sie konnte nichts dafür“ stöhnte Sieglinde vor Schmerzen wieder einmal laut auf, „ich ganz allein war Schuld, dass ...“

 

Maria Braun, die vorne neben ihrem Herrn Papa auf dem Kutschbock saß, drehte sich mit hochrotem Kopf zu Sieglinde und Katharina Dugros herum und schüttelte kaum merkbar den Kopf: „Nein, Frau Dugros“, sagte Maria ehrlich, „ich habe der Sieglinde mit voller Absicht ein Stück Holz in das Auge geworfen. Sieglinde wollte gerne meine Freundin sein, aber ich wollte nicht, weil ich neidisch war auf sie!“

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Marias Vater knallte zweimal mit der Peitsche durch die Luft, so dass die beiden Schimmel in leichtem, langgestrecktem Schritt zu galoppieren begannen. „Ja, gnädige Frau Dugros, so war es in Wirklichkeit gewesen, die Maria hat ihrer Tochter absichtlich das Auge ausgeworfen. Ich werde für die Tat meiner ungeratenen Tochter gerade stehen. Ich finde es dennoch sehr ‚edel’ von ihrer Tochter Sieglinde, dass sie trotz allem, was meine Tochter ihr angetan hat, Maria noch schützen wollte. Das nenne ich nicht nur ‚edel’, sondern auch ‚Freundschaft durch dick und dünn’.“ Der alte Braun drehte sich zu den beiden im hinteren Teil der Kutsche herum. „Ich werde für Sieglinde ein großzügiges Schmerzensgeld zahlen. Finden sie 500.000 Reichs Mark für angemessen ...?“ mit dieser Frage ließ Braun den Preis – den er bereit war an Sieglinde Dugros zu zahlen – nach obenhin offen.

 

Im ersten Augenblick war Frau Dugros über eine derartig hohe Summe, des scheinbar mehr als ein großzügiges Schmerzensgeld, das Herr Braun ihr für das verlorene Auge ihrer Tochter angeboten hatte, sehr überrascht. Aber je länger Frau Dugros über den Verlauf des Lebens ihrer Tochter ohne das rechte Auge nachdachte, desto geringer erschien ihr diese Summe. Darum schüttelte die junge Katharina Dugros jetzt den Kopf. „Sagen wir lieber das Dreifache, 1.500.000 Reichsmark, diese Summe finde ich eher ...“

 

„Also gut, Gnädigste“, sagte Braun, während er sich nun völlig zu den beiden im hinteren Kutschenteil herumdrehte und Frau Dugros seine breite Hand reichte. „1.750.000 Reichsmark soll Sieglinde als Schmerzensgeld für das verlorene Auge bekommen.“ Braun knallte noch einmal mit der Peitsche durch die Luft, und sofort begannen die beiden Rosse etwas schneller zu laufen. „Sobald die Sieglinde in der Klinik medizinisch versorgt ist, kommen Sie, gnädige Frau, zusammen mit Ihrem Herrn Gemahl auf mein Büro. Mein Anwalt wird dann alles weitere mit Ihnen besprechen und zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erledigen.“

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Frau Dugros schämte sich noch nicht ein kleines bisschen und nahm das Angebot des Herrn Braun an, das normalerweise ihrer Tochter Sieglinde zustand, für den Schaden, der Brauns Tochter Maria an Sieglinde angerichtet hatte. Katharina wusste zwar, dass Geld das Augenlicht ihrer Tochter Sieglinde niemals ersetzen kann und sei es auch noch so viel. Aber Sieglinde konnte sich wenigsten das spätere Leben damit etwas angenehmer gestalten. Schließlich hatte das Mädchen ja auch nur noch ein Auge, und sie würde deswegen in vielen Beziehungen behindert sein. Vielleicht würde Sieglinde deswegen niemals einen Mann abbekommen.

 

Sieglinde wurde in der Klinik zu Hermeskeil nur notärztlich versorgt, danach wurde sie sofort mit einem Auto des Deutschen Roten Kreuzes in die spezielle Augenklinik des Knappschafts-Krankenhauses nach Sulzbach im Saargebiet verbracht. Denn in dieser Augenklinik – so war scheinbar überall im Deutschen Reich bekannt – ordinierten zwei russische Kapazitäten als Spezialisten für Augenkrankheiten. Doktor Wiktor Feodorowitsch Kasparow und sein jüngerer Bruder Feodor Feodorowitsch, die beiden russischen Kapazitäten konnten zwar Sieglindes rechtes Auge nicht mehr retten, denn was weg war, das war weg, das gab es nicht mehr. Aber die Wunde, die konnten sie ziemlich gut versorgen, so dass man später fast keine Narbe mehr sehen würde.

 

Volle drei Monate musste Sieglinde in der Augenklinik von Sulzbach verbringen, bis der letzte Rest der Wunde verheilt war. Schneller ging es auch in der besonderen Obhut der beiden russischen Kapazitäten nicht. Erst als diese drei Monate in Sulzbach vorüber waren, konnte Sieglinde in die Klinik nach Hermeskeil entlassen werden. Katharinas nun fast achtjähriges Töchterchen konnte immerhin noch genügend mit dem linken Auge sehen, es kam dem Mädchen aber dennoch vor, als hätte man ihm das rechte Auge mir einer Augenklappe verdeckt. Dieses Auge gab es bei Sieglinde ganz einfach nicht mehr, stattdessen klaffte an dieser Stelle eine kleine muldenartige Vertiefung. Als Sieglinde dann endlich nach Hause entlassen wurde, hatten die Bauern bereits ihre Ernte soweit eingebracht. Das Erntedankfest war lange vorüber. Und die Bauern mussten nur noch Flur und Feld umpflügen, damit während der Herbst- und Wintermonde die auf diese Weise gelockerte Erde Luft und Wasser aufnehmen konnte, und dass sie durch den Frost des Winter fein zerkrümelt wurde.

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Der behandelnde Augenarzt in Hermeskeil meinte zu Sieglindes Eltern, dass das Mädchen sich mit der Zeit an das fehlende Auge gewöhnen werde, denn: „Das gesunde, linke Auge übernimmt teilweise die Funktion des rechten Auges mit.“ Jedoch es dauerte schon ein längere Zeit, bis das Kind sich wirklich an das fehlende rechte Auge gewöhnt hatte und mit einem Auge so gut in die Welt sehen konnte, wie andere Kinder mit zwei gesunde Augen.

 

Ein Jahr und drei Monate waren ins Land gezogen, seit diesem unglückseligen Tag, an dem Sieglinde Dugros von Maria Braun das rechte Auge ausgeworfen bekam. Aber Sieglinde hatte seit diesem Tag Maria nicht mehr wieder zu Gesicht bekommen. Maria Braun hatte es nicht einmal für nötig gefunden, ihre Kontrahentin,  Sieglinde Dugros, im Krankenhaus in Hermeskeil zu besuchen, auch nicht danach zu Hause in Züsch. Und das, obwohl die Brauns nicht einmal fünfhundert Meter von den Dugros entfernt wohnten. Später hatte Herr Peter Dugros, Sieglindes Vater, so ganz nebenbei von einem Nachbarn erfahren, dass die Brauns ihre Tochter Maria in ein Internat am Bodensee geschickt hätten.

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Als Sieglinde dann wieder zu Hause bei den Eltern war und wieder zur Schule gehen konnten, gingen Herr und Frau Dugros zu Braun auf das Büro. Dort wartete schon Rechtsanwalt Dr. Herbert Braun, der Bruder des Fabrikbesitzers Kurt Braun, mit einem soweit vorbereiteten Vertrag, der auf Sieglinde Dugros ausgestellt war. Diesen Vertrag hatten der Rechtsanwalt Dr. Braun zusammen mit Herrn und Frau Dugros, zu Gunsten deren Tochter Sieglinde Dugros, ausgearbeitet. Laut diesem Vertrag standen Sieglinde Dugros ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.750.000 RM, in Worten: „Eine Million siebenhundertfünfzigtausend Reichs Mark“, zu. Nachdem Rechtsanwalt Dr. Herbert Braun im Beisein seines Sekretärs den Scheck in dieser Höhe den beiden Dugros überreichte und diese den Erhalt mit ihrer Unterschrift beglaubigt hatten, machten beide Dugros sich auf den Nachhauseweg.

 

4. Hurra, es ist Krieg

Der 26. Juni 1914 war ein Freitag. Dieser Freitag begann wie jeder andere Freitag davor auch. Jedenfalls schien es am Morgen dieses besagten Freitags noch so. Der Erzherzog von Österreich-Este, Franz Ferdinand, hielt sich an diesem Freitag zusammen mit seiner Ehefrau, der ehemaligen tschechischen Gräfin Sofie Chotek, in Sarajevo auf. Nur weil der Erzherzog einer slawischen, nationalen Bewegung angehörte, wurden beide an diesem Freitag, während der Fahrt in einer Kutsche durch die Stadt Sarajevo von einem serbischen Fanatiker erschossen. Das Attentat auf den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sofie war mithin einer der Anlässe des am 28. August 1914 ausbrechenden Krieges, der später zu einem Weltkrieges eskalierte, zum ersten Weltkrieg.

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Der deutsche Angriff in Galizien (das nördliche Vorland der Karpaten zwischen Oberlauf der  Weichsel und der Bukowina [Buchenland]) und im Baltikum mit der gleichzeitigen Eroberung von zwei Inseln führte zu einem Waffenstillstand mit den Russen. Aber als die Generalität der Russen die gleich darauf angestrebten Friedensverhandlungen vorzeitig abgebrochen hatten, besetzten deutsche Truppen mitte Januar 1918 weite russische Hoheitsgebiete.

 

Ende Januar 1918 bekam Peter Dugros seinen Gestellungsbefehl vom Dorfschulze zugestellt, wonach er sich für den Einsatz des erneuten Einmarsches in Russland zur Verfügung stellen musste. Bereits am 18 Februar 1918 meldete Peter Dugros sich bei den deutschen Kampftruppen, die sich sofort bereitmachten um bis zur Linie Dünaburg Narva Peipussee vorzustoßen und somit die Kampfhandlungen gegen die Rote Armee wieder aufnehmen wollten.

 

Peter Dugros Familie zu Hause im Deutschen Reich in der kleinen Ortschaft namens Züsch, der in unmittelbarer Nähe von Hermeskeil lag, ging es seit Beginn des Krieges überhaupt nicht gut. Keiner Familie im Deutschen Reich ging es seither in dieser schrecklichen Zeit des Krieges gut. Denn eine große Hungersnot und eine damit verbundene unbezahlbare Teuerung waren beinahe über das gesamte Europa wie schreckliche Ungeheuer hergefallen. Katharina Dugros, Peters Eheweib, das inzwischen zum dritten Mal in anderen Umständen war, konnte sich deswegen nicht mehr so gut um die harte Arbeit auf den Feldern kümmern. Deshalb hatte sie sich mit ihrem Gatten bei seinem letzten Urlaub abgesprochen, dass sie einen großen Teil der Feldern brach liegen lassen würde. Die Jungbäuerin war schon heilfroh, wenn sie das Nötigste auf dem Feld, im Stall und im Haushalt erledigen, so wie die beiden Kinder versorgen konnte. Mit dieser Arbeit, so wie das Versorgen der inzwischen 18-jährigen kranken Helene, war Katharina voll und ganz ausgelastet. Fast täglich bekam die kranke Helene eine dieser epileptischen Anfälle und fiel mit Schaum vor dem Mund einfach um. Allein um die kranke Tochter gut und rund um die Uhr versorgen zu können, hatte Katharina Dugros schon ihre Last. Denn nach einem jeden Anfall musste sie das wie besinnungslos da liegende Mädchen von der Erde aufheben und hinauf in die zum Krankenzimmer umfunktionierten Schlafkammer schaffen. Manchmal, wenn die 13-jährige Sieglinde nicht gerade in der Schule war, half das junge Fräulein der Mutter ihre kranke Schwester in das Krankenzimmer zu transportieren und versorgen. Sieglinde war jedoch noch ein im Wachstum begriffenes Kind und hatte noch nicht die Kraft einer Erwachsenen.

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Immer, wenn Katharina abends müde, abgekämpft und total überlastet in ihrem Bett lag und eine lange Zeit nicht einschlafen konnte, musste sie oft mit den Tränen kämpfen. Sie musste oft und intensiv an Peter denken. Der Ehemann fehlte der Jungbäuerin überall, an allen Ecken und Enden. „Ach geliebter Peter, wärst du doch nur hier bei uns“, stöhnte Katharine das eine um das andere Mal. „Bitte, lieber Gott, lass mein geliebter Peter wieder bald und gesund zu uns zurück in die Heimat kommen. Aber bitte, lieber Gott, lass auch unsere kranke Tochter bald wieder gesund werden, lass sie von dieser bösen Krankheit wieder genesen. Amen.“ Katharina betete jeden Abend vor dem zu Bett gehen gemeinsam mit Sieglinde, damit Peter, ihr Ehemann und Vater ihrer drei Kinder bald wieder gesund nach Hause kommen und die Helene endlich gesund werden solle.

 

Inzwischen war Sieglinde etwas älter als dreizehn Jahre alt geworden und an das fehlende rechte Auge hatte sie sich beinahe – aber nur beinahe – schon gewöhnt. Das Auge schien ihr aber auch nicht mehr zu fehlen. Das einziges was ihr und ihrer um fünf Jahren älteren und an Epilepsie erkrankten Schwester Helene an allen Ecken und Enden fehlte, war der Vater. Für beide Kinder war Peter Dugros stets ein großes Vorbild, ihm eiferten beide weibliche Kinder nach. Zusammen mit Katharina Dugros, ihrer Mutter, bangten die beiden Mädchen, dass der Vater an der Front fallen könne.

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Beinahe vier Jahre war der schreckliche Weltkrieg – den man den ‚Ersten’ nannte – nun schon vorbei, während denen Peter Dugros sich in verschiedenen Gefangenenlager unfreiwillig aufhielt. Gegen Kriegsende fiel er zuerst den sowjetrussischen Kommunisten in die Hände, die ihn drei volle Wochen lang beinahe ohne Pause über allen möglichen Kriegs- oder Zivilgeheimnisse, von denen er möglicherweise wissen könnte, verhörten. Und als die Sowjets feststellten, dass der Offizier Peter Dugros weder Träger militärischer, noch zivilrechtlicher Geheimnisse sei, sperrten sie ihn in das Gefangenenlager von Obninsk, einem kleinen Ort in der Nähe von Moskau, ein. Peter musste ziemlich genau sechs Monate in diesem Lager vor Moskau verbleiben. Dann hatten die Rotarmisten ihn nach Deutschland entlassen.

 

Der von Kopf bis Fuß zerschundene, überall am Körper mit blauen Flecken übersäte und halb verhungerte Peter Dugros machte sich per pedes auf den Weg zurück in seine deutsche Heimat. Manchmal hatte ein russischer Bauer, der mit einem Fuhrwerk, einer Karren oder einem Uraltauto daher kam, rein zufällig den gleichen Weg und Mitleid mit dem Deutschen hatte, ihn einige Werst weit mitgenommen. Zum Essen musste er sich oft irgendwo etwas stehlen. Selten meinten es christlich gesinnte Russen gut mit ihm, ließen ihn eine oder gar mehrere Nächte im Heuschober schlafen und gaben ihm ein Stück ausgetrocknetes Brot oder gar ein paar halbwegs verfaulten Kartoffeln zum Essen.

 

Als Peter Dugros nach einem langen, gewaltsamen Marsch ein Stück quer durch Russland und ein ganzes Ende durch Polen in der Nähe von Frankfurt an der Oder die nunmehr polnisch-deutsche Grenze überschritt, standen wie aus dem Erdboden geschossen fünf oder sechs deutsche Polizisten vor ihm und nahmen ihn, ohne einen plausiblen Grund anzugeben, einfach fest. Diese Möchtegern-Polizisten sperrten ihn für eine Woche in einen zum Gefängnis umgebauten Keller ein. Acht oder neun Tage nach seiner Festnahme an der Grenze von Polen zu Deutschland, wurde Peter zu den US-Amerikanern in Bayern abgeschoben, wo er wiederum über ein ganzes Jahr lang hinter einem hohen Stacheldrahtverhau zubringen musste. Von den US-Amerikanern bekam er tagelang weder etwas zu essen, noch zu trinken, wurde misshandelt, geschlagen und bis aufs Blut gequält. Einmal hatte ihn ein einfacher US-Soldat mit dem Gewehrkolben auf den Rücken geschlagen und als er am Boden lag, so lange an und auf den Kopf getreten, bis Peter letztendlich das Bewusstsein verlor. Als er wieder zu sich kam, lag er irgendwo in einem Stück Wald im Graben, halb von fauligem Laub bedeckt. Wie lange er wohl dort ohne Bewusstsein gelegen haben mochte? das wusste er nicht. So und ähnlich erging es Peter Dugros beinahe vier Jahre lang, bis er endlich nach einem langen, gewaltsamen Irrmarsch in seinem Heimatort Züsch bei seiner Familie angekommen war. Peter war quasi kraft- und saftlos, bis auf die Knochen abgemagert und fast bewusstlos seiner geliebten Frau in die Armen gesunken. Nach einer gründlichen Untersuchung hatte Dr. Herkenrath eine ausgewachsene Lungenentzündung diagnostiziert, die Peter Dugros sich in den verschiedensten Gefangenenlager eingehandelt haben musste.

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Dr. Herkenrath wusste, was zu tun war. Er ordnete ihm in erster Linie Bettruhe an. Und da Karl Herkenrath nicht nur schulmedizinische, sondern auch homöopathische Kenntnisse hatte, behandelte er ihn auf zweierlei Art. Er gab seinem Patienten fiebersenkende und schleimlösende medizinische sowohl als auch homöopathische Mittel. Es dauerte nicht sehr lange, bis sich die ersten Anzeichen einer einsetzenden Besserung zeigten. Aber es dauerte dann doch noch ein gutes Jahr, bis Peter sich soweit erholt hatte, dass er das Bett endlich wieder vollkommen verlassen konnte.

 

Erst als Peter Dugros nach seiner völligen Genesung mit Geist und Körper wieder vollkommen daheim bei seinen Lieben war, sah er ihn zum erstenmal: Den kleinen Heinrich, seinen inzwischen fast 6-jährigen Sohn. In der Zeit, als Peter hoch ansteckend erkrankt war, hatte man Heinrich nicht zu ihm gelassen. Keines seiner Kinder hatte man zu ihm ins Krankenzimmer gelassen, weil man fürsorgliche Angst hatte, auch sie könnten sich mit dieser bösartigen Krankheit infizieren. So kam es, dass Peter von seinem männlichen Nachwuchs nur wusste, dass es ihn gab, ihn aber vor seiner vollkommenen Genesung nie zu Gesicht bekommen hatte.

 

Peter Dugros war etwas länger als zwei Monate an der Ostfront in Russland, als seine junge Frau Katharina ihre Wehen zum ersten Mal bekam. Zu dieser Zeit waren nur ihre beiden Töchter, die 18-jährige, an Epilepsie (Fallsucht) erkrankte Helene und die 13-jährige aufgeweckte Sieglinde, bei Katharina gewesen. Wie meistens, wenn Katharina irgendjemand gebraucht hätte, um ihr eine oder mehrere Handreichungen zu machen, war kein Mensch und keine Seele zu Hause bei ihr, außer ihr krankes Mädchen, das sich selber nicht helfen konnte und ein verhältnismäßig noch junges Mädchen, ihre aufgeweckte Tochter Sieglinde. Ohne lange zu überlegen, hatte die Mutter sich kurzerhand entschlossen, Helene um Hilfe zu den nächsten Nachbarn zu schicken, damit im Falle eines Falles jemand bei ihr war, um ihr bei der Geburt behilflich zu sein, sollte diese inzwischen unvorhergesehen losgehen. Aber Katharina wusste auch, dass Sieglinde – trotz ihres kindlichen Alters von 13 Jahren – genau über den Hergang einer Geburt sehr gut Bescheid wusste. Und nicht nur über die Geburt wusste das Mädchen gut Bescheid, sie wusste natürlich auch genauestens, wie ein kleiner Erdenbürge im Mutterleib zustande kam.

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Kaum, dass Helene das Haus verlassen hatte, begannen bei Katharina schon wieder die Wehen. Sie kamen diesmal so heftig, so dass die junge Bäuerin an nichts anderes mehr dachte, als nur ans Sterben.

 

Ohne, dass die Mutter Sieglinde hatte etwas sagen müssen, wusste das 13-jährige Mädchen genau, was sie nun zu tun hatte. Es ging wortlos hinaus in die Küche und goss die große Schüssel randvoll mit heißem Wasser, das es vorher vorsichtshalber in einem großen Pott auf den Küchenherd zum Kochen aufgestellt hatte. Als Sieglinde wieder zur Mutter ins Zimmer zurück kam, krümmte diese sich vor Schmerzen. Sieglinde ging zu ihr ans Bett und tupfte den Schweiß von ihrer Stirn. „Mutter“, sagte Sieglinde voller Sorge, „bitte, Mutter, beißt die Zähne fest zusammen, dann empfindet Ihr die Schmerzen nicht so heftig!“

 

Die Mutter Biss natürlich die Zähne nicht zusammen. Sie ließ zuerst ein durch Mark und Bein dringendes, langgezogenes Stöhnen vernehmen, dann ein langer, lauter und schriller Schrei, der dem Mädchen Sieglinde durch Mark und Bein zu dringen schien. Auf Mutters Stirn bildeten sich erneut dicke Schweißperlen, ihr gesamter Körper glänzte vor Nässe, der Körper schien sich schier in Wasser auflösen zu wollen. Die Wehen waren jetzt so stark und heftig, dass sie sich von einer zur anderen Seite zu wälzen begann. Wilde Schreie, lautes Fauchen und schrilles Stöhnen durchdrangen das ganze Haus der Dugros. Sieglinde hatte alle Hände voll zu tun, um der Mutter nur ein klein wenig Erleichterung zu verschaffen.

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Katharina bäumte sich mit einemmal hoch auf, ihre Augen wurde ganz groß und traten weit vor die Augenhöhlen. Sieglinde wusste, dass es jetzt so weit war, und dass das Baby alle Augenblicke aus dem Mutterleib herauskommen musste. Das Mädchen legte die Beine ihrer Mutter so zurecht, dass das kleine Lebewesen ungehindert aus dem Geburtenkanal herauskommen konnte. „Mutter, pressen! Ihr müsst pressen, noch kräftiger pressen! Ja, ja! – der Kopf ist schon da! Mutter, pressen, pressen!“ ein Schwall Blut und Wasser spritze Sieglinde mitten ins Gesicht. „Mutter, feste pressen, ja, ja! Da haben wir das Kerlchen! – Mutter, es ist ein ...“, Sieglinde nahm das Baby ganz vorsichtig auf den Arm und wusch es sorgfältig in dem warmen Wasser ab. Als das Mädchen das Baby sachte trockengerieben hatte, legte es das winzige Brüderchen der Mutter in die Arme.

 

Katharina, deren Bauch jetzt um etliches dünner geworden war, nahm den Winzling aus Sieglindes Arme und drückte ihn ganz sachte und voller Liebe an ihrer mütterliche Brust, ein unverwechselbares Zeichen, dass sie den kleinen Erdenbürger, dem sie den Namen Heinrich geben wollte, in ihre Familie aufgenommen hatte.

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Seit dieser schweren Geburt waren knapp sechs Jahre vergangen. Nun saß der eben genesende Peter auf seinem angestammten Platz am Tisch, hielt seinen Stammhalter auf seinen Knien und freute sich, dass er solch ein hübsches Kerlchen fertiggebracht hatte.

 

5. Sieglinde geht nach Sulzbach

In ganz Deutschland herrschte in jener Zeit eine große Hungersnot und die Preise – nicht nur für Lebens- und Nahringsmittel – stiegen fast bis ins Unendliche. Kein Mensch in ganz Deutschland ging es so gut, dass er seinen Lebensunterhalt mit seiner Händen Arbeit bestreiten konnte. Jeder Deutsche musste sehen, wie er zurecht kam. Aber der Familie Dugros ging es gar nicht so arg schlecht, denn sie hatten ja als Kleinlandwirte schließlich alles, was sie zum Leben benötigten auf ihren Feldern und in ihren Gärten angepflanzt. Seitdem Peter Dugros aus der Gefangenschaft wieder zurück und nun wieder völlig genesen war, hatte Katharina ihn so nach und nach wieder hochgepäppelt. Und sie hatte auf ihre Art und Weise seinen ausgemergelten Körper wieder einigermaßen in Ordnung gebracht, so dass er wieder bald voll und ganz seiner Arbeit auf dem Feld nachkommen konnte.

 

Sieglinde, Katharina und Peter Dugros wohlgeratene Tochter, war inzwischen zwanzig Jahre jung geworden, sie war wunderhübsch und mittlerweile im besten heiratsfähigen Alter. Das kluge Mädchen hatte vor etwas mehr als drei Jahren mit der zehnte Klasse die Mittlere Reife mit der Note „2 plus“ absolviert, und das Gespräch zwischen ihr und ihren Eltern führte immer wieder zu einem Beruf, dass das junge hübsche Fräulein Sieglinde einmal erlernen sollte. Irgendeinen Beruf sollte Sieglinde ja schließlich erlernen, aber welchen? Diese Frage stand in letzter Zeit immer öfter zwischen den Dreien zur Debatte.

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Schon als zehn-, zwölfjährige Schülerin hatte das Mädchen seine feste Vorstellungen von einem Beruf, der zu ihr passte, den sie auch gerne erlernen und später ausüben wollte. Noch heute, als 20-jähriges Fräulein, schwärmte es von diesem Beruf, dem Beruf einer Gärtner- und Blumenbinderin. Und als Sieglinde innerhalb einer diesbezüglichen Debatte von der Mutter wieder einmal nach ihren Berufswünschen gefragt wurde, sagte sie ohne lange zu überlegen: „Ihr wisst doch sicher noch, dass ich mir schon seit ich zehn, elf Jahre alt gewesen war wünschte, den Beruf einer ‚Gärtner- und Blumenbinderin’ zu erlernen?“

 

„Wenn das heute noch immer dein sehnlichster Wunsch ist, so soll er dir auch erfüllt werden“, sagte die Mutter mit der Zustimmung des Vaters. „In dieser Beziehung wollen wir dir nichts in den beruflichen Weg legen, denn du musst es ja wissen, welchen Beruf für dich am ehesten infrage kommt.“ Und nach einiger Zeit: „Du kannst dich doch sicher noch an Tante Anna, meine um drei Jahre jüngere Schwester und deren Mann, Onkel Peter, aus Sulzbach im Saargebiet erinnern?“

 

Sieglinde nickte. Wusste das junge Mädchen doch, dass diese beiden Verwandten in dem kleinen saarländischen Bergmannsdörfchen Sulzbach, ganz in der Nähe der Grube Mellin eine Gärtnerei unterhielten. „Ja, Tante Anna und Onkel Peter, die habe ich noch gut in Erinnerung“, freute Fräulein Sieglinde sich, „aber werdet Ihr mir denn auch erlauben, so weit von zu Hause entfernt in einer Gärtnerei in die Lehre zu gehen?“ das junge Fräulein Sieglinde kannte zwar die beiden Verwandten, es wusste jedoch nicht, wo es Sulzbach auf dem Globus zu suchen hatte. Das junge Fräulein Sieglinde hatte zwar mit ihrem Auge in Sulzbach im Knappschaftskrankenhaus gelegen, wusste aber dennoch nicht, wo dieses Dörfchen zu suchen war. Sieglinde sah sich aber dennoch bald mit einem Arbeitsdress einer Gärtnerin bekleidet, in einer langen grünen Schürze und einer dementsprechenden Mütze oder Hut in Onkel Peters und Tante Annas Gärtnerei hin- und herrennen, im Gewächshaus das Gemüse oder die vielen bunten Blumen pflegen. Gärtnerin zu werden war ja schon seit Sieglindes Kindheit immer ihr heißersehnter Wunsch gewesen. Sollte nun dieser, meinen Wunsch jetzt wirklich in Erfüllung gehen? Fragte Sieglinde sich das eine um das andere Mal. Mal sehen.

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„In nächster Zeit – vielleicht schon übers nächste oder übernächste Wochenende – fahren wir, du und ich, zu meiner Schwester und meinem Schwager nach Sulzbach und sprechen wegen einer Ausbildung zusammen mit ihnen“, schlug die Mutter der Tochter vor, „bestimmt werden sie dir diese Ausbildung ermöglichen, da bin ich mir meiner Sache ziemlich sicher!“

 

„Au fein, Mutter“, freute Sieglinde sich und frohlockte, „dann fahren wir ja mit einer richtigen Dampflok?“

 

„Du kannst unsere Verwandten ja auch mit dem Telefon anrufen, sie haben ja einen solchen komischen Apparat.“ Peter stand umständlich von seinem Platz auf und verließ die Küche. Was für Sieglinde und ihre Mutter soviel bedeutete, dass für ihn nun das Gespräch für heute so gut wie erledigt sei. Peter ging hinaus in den Stall zu seinen geliebten Pferden, Kühen, Schweinen und dem alten Esel, denn dort im Stall hatte Peter noch einiges an Arbeit zu erledigen.

 

Als der Vater schon längst aus der guten Stube in den Stall verschwunden war, redeten Mutter und Tochter noch eine lange Zeit über die Fahrt mit der Dampflok nach Sulzbach, denn so arg oft fährt man ja nicht mit einem solchen monströsen, lauten Gefährt, das laut zischend und Dampf ablassend mit hoher Geschwindigkeit durch die Landschaft braust. Die Mutter vereinbarte mit der Tochter, dass sie sehrwahrscheinlich übers nächste Wochenende nach Sulzbach zur Tante Anna und Onkel Peter fahren werden, um persönlich und ausführlich mit ihnen über eine gute Ausbildung zur Gärtnerin mit ihnen zu reden. Denn am Telefonapparat könne man ja nicht alles so eingehend klären, und ein Telefonat nach Sulzbach würde schließlich viel Geld kosten, meinte die Mutter zu guter letzt. 

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Am übernächsten Samstag, morgens ganz früh, fuhren Mutter und Tochter Dugros mit einer Kutsche nach Hermeskeil, um von dort aus einen Zug, der in Richtung Sulzbach fuhr, zu bekommen. Am Schalter der Bahnstation kaufte Katharina zwei Billets, die je 2, 75 Reichsmark kosteten. Dort am Schalter erfuhr Katharina auch, dass der Zug um 9.35 Uhr von Hermeskeil in Richtung Türkismühle losfuhr, und dass sie in Türkismühle und in Neunkirchen umsteigen müssen. Ferner erfuhr Katharina von dem etwas mürrischen Bahnbeamten hinter dem Schalter, dass sie dann ungefähr um 16.50 Uhr in Sulzbach ankämen.

 

Als dann die Dampflok, die fünf Waggons hinter sich herzog, endlich zischend, keuchend und schnaubend in Hermeskeil auf dem Bahnsteig zwei ankam, zeigte die Uhr gleich 09.57 Uhr. Ungefähr zehn Männer und drei Frauen stiegen aus und neben Frau und Fräulein Dugros stiegen noch drei Männer und eine Frau in den Zug ein. Drei Minuten nachdem alle eingestiegen und die Türen von einen Schaffner in blauer Uniform und roter Mütze geschlossen worden waren, setzte das Ungeheuer von einer Dampfeisenbahn sich mit lautem Knattern, Poltern und Zischen langsam in Bewegung. Schon allein die Fahrt in dieser großen, laut zischenden und knatternden Dampflokomotive war für das junge Fräulein Sieglinde fast wie eine Weltreise, halt ein Erlebnis vom Feinsten. Denn noch niemals in ihrem jungen Leben war das junge Fräulein Sieglinde mit der Eisenbahn irgendwohin gefahren. Die nächsten Halte waren: Nonnweiler, Braunshausen, Türkismühle, Namborn, St. Wendel, Ottweiler, Neunkirchen, Friedrichsthal und dann Sulzbach. Zweimal mussten beide Frauen während der mehr als sechseinhalbstündigen Fahrt von Hermeskeil nach Sulzbach im Saargebiet umsteigen, genauso wie der Schalterbeamte es ihnen in Hermeskeil gesagt hatte.

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Nachdem beide Frauen kurz nach 16.50 Uhr in Sulzbach aus dem Zug ausstiegen, mussten sie sich erst in dem kleinen Bergmannsdorf zurechtfinden. Schließlich war es schon eine kleine Ewigkeit her, seit Katharina Dugros zum letzten Mal hier in Sulzbach bei ihrer Schwester Anna zu Besuch gewesen war. Aber es war nicht besonders schwer, bis beide Frauen den Mellinweg und in der selbigen Straße die Gärtnerei ihrer Verwandten gefunden hatten, denn Sulzbach ist ja schließlich keine Großstadt, sondern nur ein winzigkleines Bergmannsdörfchen.

 

Natürlich waren die beiden Gärtnersleute, die Schwester und der Schwager der Katharina, von dem Vorschlag, Sieglinde in ihrer Firma das Gartenbauhandwerk erlernen zu lassen, sehr begeistert. Als Katharina auf einen Lehrvertrag zu sprechen kam, meinte Onkel Peter, er sei ja schließlich Gartenbaumeister und habe von der Gärtnerinnung die Konzession zur Ausbildung von Gärtnerinnen und Gärtnern bekommen. Und daher sei es ganz selbstverständlich, dass sie Sieglinde zur Ausbildung in ihrem Betrieb aufnehmen werden.

 

Sieglinde war von diesem Gespräch so sehr begeistert, dass sie am liebsten gleich hier geblieben wäre, um morgen schon mit der Ausbildung beginnen zu können. Aber das war heute noch nicht gut möglich, denn da gab es noch etwas, was Sieglinde im Weg stand und weswegen sie nicht sofort im Saargebiet arbeiten konnte und durfte: Das Saargebiet war für die Familie Dugros Ausland, das gehörte seit dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht mehr zum Deutschen Reich. Deshalb benötigte das junge Fräulein Sieglinde Dugros eine amtliche Aufenthalts- und eine Arbeitsgenehmigung. Aber auch dieses Hindernis werden die beiden Dugros auf irgendeine Weise mit Bravour überwinden können. 

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Onkel Peter werde sich selbstverständlich höchst persönlich um die Aufenthaltsgenehmigung und um die Erlaubnis zum Arbeiten im Saargebiet kümmern. Das versprach er seiner jungen, gutaussehenden Nichte, sowie deren Mutter, seiner Schwägerin, auf die Hand.

 

Als dann am 1. September 1925 Sieglinde Dugros ihre Stelle als Auszubildende im Gartenbau bei ihren Verwandten in Sulzbach im Saargebiet angetreten hatte, waren – laut Onkel Peter – natürlich alle erforderliche Arbeitspapieren vorhanden. Onkel Peter hatte also Wort gehalten und alle Papiere rechtens besorgt. Auf den Guten Onkel Peter konnte man sich schließlich verlassen. Das junge Fräulein Dugros konnte also ganz sorglos ihre Ausbildung zur Gärtnerin in Onkels Gartenbaubetrieb beginnen.

 

Ungefähr vier Monate lang ging alles recht gut mit Sieglindes Ausbildung, die abwechslungsreiche Arbeit im Gartenbaubetrieb ihrer Verwandten bereiteten dem jungen Fräulein viel Freude. Ein kleiner netter Bekanntenkreis hatte es sich in Sulzbach auch schon aufgebaut. Aber kaum hatte Sieglinde Dugros vier Monate hinter sich gebracht, begannen auch schon die ersten Schwierigkeiten. Onkel Peter hatte plötzlich an allem, was seine Nichte Sieglinde auch tat, pausenlos herumzumeckern und zu nörgeln. Sieglinde Dugros bereute es schon recht bald, bei Tante Anna und Onkel Peter eine Ausbildung im Gartenbaubetrieb begonnen zu haben. Das Fräulein Sieglinde wusste recht bald, das es falsch war, hier eine Ausbildung zu beginnen. Das alte deutsche Sprichwort ‚Es ist noch lange nicht alles Gold, was glänzt’ passte ausgezeichnet auf diese Verwandten.

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Nach Onkel Peters Meinung machte Sieglinde fast nur noch Fehler, sie machte alles falsch, was sie auch anfasste. Sie konnte machen, was sie wollte, nie war es dem Onkel recht. An allem, was das Fräulein machte hatte er irgendetwas auszusetzen. Einmal war ihm das nicht gut genug, das andere Mal hing jenes Schleifchen schief an einem Kranz oder an einem Bukett. Und hatte der Onkel Peter einmal nichts an ihrer Arbeit auszusetzen, so war es Tante Anna, die mit ihren Tadel nicht gerade geizig umging. Lob kannte keiner von beiden mehr, weder Tante Anna, noch Onkel Peter. Aber hatte Sieglinde einmal irgendwas dagegen gesagt, hieß es von Seiten der Verwandten gleich, sie solle ihr freches Mundwerk im Zaume halten, „sonst bekommen deine Eltern es mal zu hören, was für eine rotzfreche Göre sie mit dir großgezogen haben.“

 

Soll ich meinen Eltern vielleicht einmal sagen, dass du mich schon ein paar Mal am Busen angefasst und mir manchmal unter den Rock zwischen die Beine gefasst hast? dachte Sieglinde, aber sie sagte diesbezüglich nichts.

 

Etwas später war Sieglinde damit beschäftigt, für einen ihrer guten Kunden ein Blumengebinde nach dessen Wünschen zusammenzustellen, als sie feststellte, dass Onkel Peter plötzlich dicht hinter ihr stand und bei der Arbeit kritisch zuschaute. Das hätte dem hübschen Fräulein gar nicht ausgemacht, denn Kritik gehörte schließlich zu einer guten Ausbildung wie Butter zum Brot. Wie gesagt, dass hätte Sieglinde nichts ausgemacht, wäre da nicht noch etwas anderes gewesen, nämlich Onkel Peters Hände: die eine befand sich bereits unter ihrem Rock auf dem Weg zwischen ihre Oberschenkel. Und die andere, hielt bereits schon eine der beiden Brüste umklammert. Doch als es Sieglinde bewusst wurde, in welcher verfänglichen Lage die Tante sie beide vorfinden könnte, wandte sie sich mit einer geschickten Drehung von Onkels Zugriff ab, so dass sie sich von seinem perfiden Tun befreien konnte. Während dieser etwas prekären Aktion hatte sie ihn gefragt, ob er irgendetwas an dieser Arbeit auszusetzen habe.

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„Allerdings, das habe ich“, sagte der Onkel in einem miesgelaunten Ton, dass sogar deswegen all die Blumen, die Sieglinde in der Hand hatte, erschraken und ihre Köpfe vor Aufregung hängen ließen.

 

„Und was hast du zu beanstanden?“

 

Wie aus heiterem Himmel riss Onkel Peter seiner Nichte das begonnene Blumengebinde regelrecht aus der Hand. „Die Rosen gehören nicht zu den Nelken, die gehören zu den Tulpen, du dummes Ding“, sagte Onkel Peter barsch und riss die paar Nelken aus dem Gebinde heraus, zerbrach sie und warf sie auf den Abfallhaufen. „Das vergeudete Material bezahlst du am Ende des Monats. Hast du mich verstanden, du dumme Gans?“ So und ähnlich verfuhren ihre Verwandten seit einigen Monaten mit Sieglinde, und das, obwohl das junge Fräulein sich die allergrößte Mühe gab, um nur ja alles richtig zu machen.

 

„Es sei denn“, sagte der Onkel in einem etwas freundlicherem Ton. Und während er noch einmal einige Schritte näher zu der jungen hübschen Nichte herankam, grinste er spitzbübisch, der Geifer floss ihm quasi zwischen den wenig geöffneten Lippen heraus.

 

„Und was: Es sei denn?“

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„Es sei denn, du zeigst dich mir gegenüber ein wenig liebenswürdiger!“ Onkel Peter stand plötzlich direkt vor der bildschönen Nichte und fühlte sich mit einem Mal so couragiert, dass er mit einer Hand erneut in Sieglindes Bluse griff und versuchte, ihren Busen eifrig zu begrapschen. Seine andere Hand befand sich bereits zwischen ihren Oberschenkel und auf dem Weg in ihre Vagina.

 

„Du altes Dreckschwein“, fauchte Sieglinde Onkel Peter an und wich hastig ein Stück von ihm zurück. „Schämen solltest du dich, du alter, geiler Bock. Es ist eine bodenlose Frechheit von dir, so eine Sauerei von mir, deiner noch minderjährigen Nichte, zu verlangen. Anzeigen sollte man dich deswegen.“ Zu guter letzt schlug Sieglinde dem Onkel Peter eine gehörige hinter die Ohren. Dann verschwand sie – ohne weitere Worte darüber zu verlieren – aus dem Arbeitsraum der Gärtnerei. Erst hatte sie vor, zur Tante Anna zu gehen, um ihr mal die Augen zu öffnen, damit sie endlich weiß, was sie mit Onkel Peter für einen begehrlichen Lustmolch zum Manne hatte. Aber als sie in die Nähe der Küche kam, blieb Sieglinde stehen und überlegte, ob sie es wirklich der Tante berichten sollte. Was nützt es eigentlich, dachte Sieglinde, wenn ich’s ihr erzähle, vielleicht steckt sie so gar mit ihm unter einer Decke? Sieglinde ging nicht in die Küche zu Tante Anna, sondern ein paar Meter weiter auf ihr Zimmer. Sie schmiss sich auf ihr Bett und weinte sich mal richtig aus. Als Sieglinde sich nach längerem Weinen endlich beruhigt hatte, nahm sie sich ernstlich vor, irgendwann in nächster Zeit bei Onkel Peter zu kündigen und ein anderer, besserer Ausbildungsplatz zu suchen. Aber dennoch blieb es vorerst nur bei diesem guten Vorsatz.

 

Der einzigen Trost, der dem jungen Fräulein Sieglinde noch verblieben war, war ihre gleichaltrige Cousine Waldrude, die einzige Tochter von Tante Anna und Onkel Peter. Schon morgens, während Sieglinde sich duschte, anzog und etwas später frühstückte, dachte sie mit Schmerzen an die Arbeit und die beiden Verwandten, denen sie es seit geraumer Zeit nicht mehr recht machen konnte. Sie dachte insbesondere aber an das Schwein von einem Onkel und daran, dass er vorhatte, sie überall unsittlich zu begrapschen, vielleicht auch noch mehr mit ihr tun zu wollen. Auf der anderen Seite dachte sie aber auch an die Cousine Waldrude, mit der Sieglinde nach Feierabend oft in dem kleinen Dorf namens Sulzbach ausging und oft mit Waldrude zusammen schönes erlebte. In Sulzbach – so klein dieses Bergmannsdorf auch war – war fast jeden Tag etwas besonderes los. Da konnten beide jungen Dinger die Kühe so richtig fliegen lassen. Gab es jedoch sonst einmal nichts, was wert gewesen wäre, dass beide Fräuleins hingehen konnten, dann besuchten sie einfach mal eins der beiden Lichtspielhäuser in der Hauptstraße. Denn seit einigen Monate wurde in diesen Lichtspielhäuser je dreimal in der Woche ein spannender Film vorgeführt. Einen zweiten Trost hatte Sieglinde Dugros ja auch noch, nämlich zweimal in jeder Woche konnte sie mit ihrem Vater oder ihrer Mutter zu Hause in Züsch fernmündlich sprechen. Und heute Abend war ihre Mutter an der Reihe, mit der sie telefonieren konnte. Ihr wollte das junge Fräulein heute abend erzählen, dass sie von Onkel und Tante seit einiger Zeit drangsaliert wurde. Von der zweimaligen unsittlichen Berührung ihres Onkels, wollte Sieglinde der Mutter natürlich nichts erzählen. Vorläufig noch nicht. Denn sie wollte erst einmal abwarten, wie sich das ganze entwickeln würde. Dann könnte sie sich noch dazu entschließen, der Mutter oder dem Vater davon zu erzählen.

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Der Gedanke an ihre Cousine Waldrude, und dass sie trotz allem immer feste zu ihr hielt, machte das junge Fräulein froh und glücklich. Mit ihr zusammen erlebte das junge Fräulein während ihrer beinahe sinnlos vergeudeten Lehrzeit oft schöne Stunden. Während dem Karneval (Fasching, Fastnacht) gingen beide zusammen zum Tanzen in die Turn- und Festhalle. Oder sie gingen während der Kirmes (Kirchweih) in eines der zahlreichen Tanzlokale, in denen während dieser Tage die Musik zum Tanze aufspielte. Die beiden jungen Dinger gingen halt immer dorthin, wo etwas besonderes los war, und eben dorthin, wo sie ihrer Freude frönen konnten. War aber nirgendwo etwas besonderes los, machten beide jungen Dinger einfach irgendwo irgendetwas besonderes los. Und wann sie die Hühner satteln, losmachen und mit ihnen nach Texas reiten mussten. Wo sie auch hinkamen, Trauerstimmung gab’s dort bestimmt nicht, denn Sieglinde und Waldrude brachte jedes Mal Stimmung und vor allem gute Laune mit.

 

Einmal wollten Waldrude und Sieglinde abends ins Kino gehen, um sich den neusten Film anzusehen. Leider war dem Vorführer des Films ein großes Malheur passiert, so dass er den Film an diesem Abend seinem Publikum nicht hatte zeigen können. Die meisten Besucher ließen sich das Geld, das sie für den Eintritt bezahlt hatten, wieder zurückgeben und gingen nach Hause. Nicht so die beiden jungen Fräuleins, Sieglinde und Waldrude. Sie ließen sich zwar das Eintrittsgeld zurückgeben, aber statt heimzugehen, gingen sie in ein Restaurant am Marktplatz von Sulzbach. Im Jahre 1928 war es schon ein nicht alltägliches Unterfangen, dass eine oder mehrere Fräuleins oder gar Frauen ohne männliche Begleitung ein Gasthaus oder Restaurant besuchten. Sieglinde und Waldrude wagten es trotzdem. In diesem Sinne waren die beiden jungen Dinger quasi eine Art Vorreiter der Emanzipation.

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Beinahe fünf Jahre hatte Sieglinde es in der Gärtnerei ihrer ach so lieben Verwandten trotz allem ausgehalten. An manchen Tage war die Sieglinde so down mit den Nerven, dass sie bald nicht mehr ein noch aus wusste. Mit seinen Unsittlichkeiten kam Onkel Peter noch oft zu ihr, natürlich wollte er mehr, als nur Busen und Oberschenkel streicheln und begrapschen. Aber jedes Mal ließ Sieglinde ihn wie ein kleiner Junge abblitzen, es blieb immer nur beim Versuch, denn Sieglinde wusste sich gegen das Ekel eines Onkels geschickt zur Wehr zu setzen. Ein manches Mal war das Fräulein Sieglinde mit den Nerven so down, dass sie es am liebsten über sich ergehen lassen wollte, nur damit sie ihre Ruhe vor ihm hatte. Aber es blieb denn jedes mal bei einem „Nein“. Als der Lüstling Onkel Peter bald wusste, dass er mit seinen unsittlichen Spielchen bei seiner Nichte nicht ankam, ließ er es schließlich bleiben. Dann, nur zwei Wochen nach ihrem 25. Geburtstag, war sie nach einem erneuten Streit mit Onkel Peter mit den Nerven völlig am Ende. Und als der Onkel ihr dann auch noch an den Kopf warf, dass sie ein faules Luder sei, nur das Eine im Kopf habe und er sie deshalb bei nächster Gelegenheit aus der Firma hinauswerfe, sagte sie zu ihm ganz ruhig aber frech: „Du musst mich nicht aus deiner Scheißfirma hinauswerfen, denn ich gehe von ganz allein. Am nächsten Ultimo ist für mich der Erste!“ Peng! – das saß!  „Sag mir aber mal, wer nur das Eine von wem wollte? – Doch du von mir, ich nicht von dir, oder?“

 

Sieglindes Kündigung war für den Onkel wie ein gewaltiger Faustschlag in die Nierengegend. Denn das wiederum war ihm nicht recht. Das habe ich doch nicht so gemeint, wie du es aufgefasst hast, dachte er, aber er sagte zu Sieglinde: „Halt! – Halt! – Stop!“ er steckte umständlich seine Tabakpfeife in Brand, die er kurze Zeit zuvor mit Tabak gestopft hatte. „So einfach kannst du nicht kündigen, zudem ich das vorhin nicht wirklich ernst gemeint habe.“

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Sieglinde ließ sich nicht mehr von der einmal gefasste Meinung abbringen, aber vom Onkel auch nicht ins Bockshorn jagen. Dem jungen Fräulein war dieses Gespräch gerade recht, denn ihr ging das Streiten und Zanken, das er und seine Ehefrau sich mit Sieglinde abhielten, schon lange auf den Geist. Ja, Sieglinde hatte sich früher, als sie noch ein Kind war und zur Schule ging, immer schon gewünscht, einmal Gärtnerin zu werden. Aber wegen dem zänkischen Geschrei der beiden Verwandten hatte sie nun keine Lust mehr dazu. Aber auch wegen dem andauernden Versuch ihres Onkels, sie an irgendeiner intimen Körperstelle unsittlich zu berühren, hatte das junge Fräulein plötzlich genug von diesem Beruf. Das Fräulein Sieglinde hatte ihrer Meinung zwar seit längerer Zeit schon ausgelernt, aber die dazugehörende Abschlussprüfung vor irgendeiner Prüfungskommission nie abgelegt. Einen Lehrvertrag hatte der Onkel auch nie zu Beginn ihrer angeblichen Lehre mit ihr gemacht. Nun ist es kein Wunder, dass das Fräulein von diesem Beruf die Nase randvoll – ehrlich und wirklich – randvoll hatte.

 

„Das nennt man ‚brechen eines bestehenden Arbeitsvertrages«’“, schrie der Onkel seine Nichte an. „Wenn du jetzt gehst, dann zeige ich dich bei der Kammer der Gärtner an. Hast du mich verstanden, mein liebes Fräulein Dugros?“

 

„Ich lasse mich von dir doch nicht erpressen! – Wenn nämlich jemand den Vertrag gebrochen hat, dann hast du ihn gebrochen, nicht ich! – Aber sag mit doch bitte mal, wo ist denn ein Arbeitsvertrag? ! Ich sehe keinen, weil es gar keinen Arbeitsvertrag gibt.“

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Bei dem täglichen Disput, zwischen dem Fräulein Sieglinde und ihrem Onkel Peter, ging es meistens sehr laut zu. Das hörte selbst Tante Anna, die in einem anderen, weit entfernt gelegenen Teil des Hauses Fenster putzte.

 

Gegen Sieglindes Einwand hatte der Onkel nicht das geringste einzuwenden. Weil er von seiner charakterlosen Nichte, scheinbar kein recht bekam, winkte er mit der Hand ab. Dann, nachdem er kräftig an seiner Tabakpfeife gezogen und den giftigen Dampf durch die Zähne wieder ausgepustet hatte, sagte er in etwas leiserem Ton: „Ach, Sieglinde, mach doch, dass du aus meinem Betrieb und aus meinem Privaten Bereich des Hauses verschwindest, am besten jetzt gleich, sofort und auf der Stelle!“ 

 

Genau im selben Augenblick wurde die Tür des kleinen Büros von außen aufgerissen und Tante Anna kam hereingestürzt. „Was fällt dir dumme Pute denn eigentlich ein, so mit deinem mehr als großzügigen Onkel zu reden?“ wandte Anna sich nun an die treulose Nichte. „Hat dir dein Onkel Peter diese gute Stelle gegeben, damit du jetzt undankbar zu ihm bist? – Aber das eine lass dir gesagt sein, wenn du jetzt unsere Gärtnerei bösartig verlässt, dann brauchst du unser Haus nicht mehr wieder zu betreten! – Hast du mich verstanden, du undankbares Gör? !“

 

Auch Tante Anna konnte ihre Nichte Sieglinde nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Da konnte die Tante Anna so lange mit einem Hausverbot drohen wie sie wollte. Sieglinde hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, die Gärtnerei ihres ach so netten Onkel Peter zu verlassen, und das tat sie auch zum nächsten ersten. Eine neue, vielleicht bessere Stelle hatte das junge Fräulein Dugros vor vier Wochen ja auch schon gefunden. Als das Fräulein Sieglinde sich damals – vor ziemlich genau vier Wochen – um die neue Stelle beworben hatte und sie schließlich auch zugesagt bekam, wusste Sieglinde nur noch nicht genau, ob es sich dafür oder dagegen entscheiden sollte. Heute und jetzt wusste Sieglinde es.

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In der Hauptstraße von Sulzbach gab es ein großes, gut renommiertes und eingebürgertes Restaurant, das ‚Deutsche Haus’. In diesem Restaurant konnte Sieglinde sofort in der Küche als Beiköchin zu arbeiten anfangen. „Ich bleibe dabei – und wenn ihr beiden euch auf den Kopf stellt – am nächsten Ultimo ist für mich der Erste!“ aus, Schluss, basta!

 

Sieglinde hatte es sich während der Arbeit noch am selben Nachmittag anders überlegt. Da sie glaubte, den schrullig albernen Verwandten gegenüber keinerlei Verpflichtungen mehr zu haben – entlohnt wurde das Fräulein ja sowieso nur mit Naturalien – packte Sieglinde am Abend sämtliche Kleider und alle anderen Sachen, die sie hier in Sulzbach bei sich hatte, zusammen und stopfte alles fein säuberlich in den großen Koffer, beziehungsweise in eine große Reisetasche. Nachdem sie alles soweit zusammengepackt, den Koffer und die Reisetasche geschlossen hatte, schaffte sie beides mühevoll hinunter zum Bahnhof und stelle sie zusammen in einem Schließfach ab. Sieglinde warf eine Münze in den dafür vorgesehenen Schlitz ein, sperrte sorgfältig ab und verließ den Bahnhof. Von hier aus ging das junge Fräulein in das Restaurant Deutsches Haus in der Hauptstraße und verlangte den Chef des Hauses zu sprechen. Als der Sekretär des Chefs an der Rezeption ihr sagte, dass der Chef des Hauses im Augenblick nicht zu sprechen sei, da er in seinem Büro mit Japan telefonieren würde, ließ Sieglinde dem Chef durch seinen Stellvertreter mitteilen, dass sie wegen der offenen Stelle in zwei oder drei Stunden wieder vorbeikäme.

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Daraufhin meinte dieser, es sei vielleicht besser, heute abend gegen 20.00 Uhr oder 20.30 Uhr wieder zu kommen.

 

Das junge Fräulein Sieglinde versprach es dem Sekretär und verließ darauf das Restaurant.

 

Drei Stunden später – gegen Mittag – war Sieglinde mit der Cousine Waldrude im Gasthaus Kirner-Eck – ihrer beiden Stammkneipe – verabredet. Als das junge Fräulein Sieglinde um 11.50 Uhr das Lokal betrat, saß die Cousine bereits an ihrem angestammten Tisch in der hinteren rechten Ecke, auf den Sieglinde nun zusteuerte und gegenüber Waldrude gleich darauf Platz nahm.

 

„Wie ist es im Deutschen Haus gelaufen, ist die Anstellung dort perfekt?“ fragte Waldrude Sieglinde, kaum, dass sie richtig am Tisch saß.

 

Sobald Sieglinde am Tisch saß, kam auch schon die Kellnerin mit dem stets muffigen Gesicht und fragte, was das junge Fräulein zu trinken wünschte. Fräulein Sieglinde bestellte sich eine klare Zitronenlimonade. Als die Kellnerin gleich darauf wieder vom Tisch verschwunden war, sagte sie zu der Cousine: „Als ich im ‚Deutschen Haus’ war, war der Bos am Telefonieren und für niemanden zu sprechen. Deshalb muss ich heute abend um acht oder halb neun wieder hinkommen.“

 

„Meinst du, dass du besagte Stelle in der Küche bekommst?“

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Sieglinde nickte. „Ich glaub schon“, sagte sie, während sie Waldrude eine Zigarette anbot, sich selber eine nahm und sie der Cousine und sich selber ansteckte. „Als ich vor ungefähr vier Wochen dort vorstellig war, hat man mir diese Stelle fest zugesagt. Aber ich war mir damals noch nicht im Klaren darüber, ob ich zugreifen sollte oder nicht. Heute weiß ich es mit Sicherheit.“

 

6. Sieglindes neue Stelle 

Am 1. September des Jahres 1930, einem Montag, trat die nunmehr 25-jährige Sieglinde Dugros in dem gut renommierten Restaurant ‚Zum Deutschen Haus’ ihre neue Stelle als Beiköchin an. Gleich, nachdem sie am frühen Vormittag gekommen war, hatte der Chef des Hauses die junge Frau höchst persönlich in ihre neue Arbeit eingewiesen. Das Arbeitsfeld ihrer Beschäftigung war in erster Linie die sehr modern eingerichtete Großküche des Restaurants. Sie musste den beiden Köche und der Köchin zur Hand gehen. In einem solchen Betrieb musste jeder Handgriff auf Anhieb sitzen und alles musste Hand in Hand und wie am Schnürchen laufen. Sieglindes Hauptaufgabenbereich war in erster Linie Salat und Gemüse putzen, Kartoffel schälen und zubereiten, Geschirr aufwaschen, die Küche putzen und alles was in einer solchen Großküche an Nebenarbeiter anfällt. Und wenn es im Gastraum einmal vonnöten sein sollte, musste Sieglinde auch schon mal beim Bierzapfen oder auch beim Servieren den Bierzapfern und den Serviererinnen helfend zur Hand gehen. Es war eine sehr abwechslungsreiche und vor allen Dingen angenehme Arbeit, wie Sieglinde gleich am ersten Arbeitstag feststellen konnte. Es stellte sich aber sehr bald heraus, dass hier der normale Arbeitstag viel länger war, als in dem Gartenbaubetrieb ihrer Verwandten – oft sogar vierzehn, fünfzehn oder gar mehr Stunden täglich. Aber das Arbeiten machte dem Fräulein nicht das geringste aus, da es von zu Hause an Arbeit gewöhnt war.

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Sieglinde Dugros ging gerne zu dieser Arbeit, vor allen Dingen, weil sie hier von niemandem – auch von ihrem Chef nicht – kritisiert oder beschimpft wurde. Und was besonders angenehm für Sieglinde Dugros bei dieser Arbeit war: Sie wurde von keinem ihrer Arbeitskollegen – auch von ihrem Chef nicht – unsittlich betatscht und befummelt. Bei dieser Arbeit lernte sie so allerhand nette Leute kennen, junge, alte, reiche, arme, dicke, dünne, große, kleine, Männer und Frauen, Leute aller Rassen und Hautfarben und aus allerlei Religionsgemeinschaften. Zu jedem Mann und jeder Frau war sie stets freundlich. Und die Hauptsache für sie war, dass kein Mensch wegen der Arbeit den lieben, langen Tag mit ihr schimpfte, weil sie dies und jenes nicht rechtens gemach hatte.

 

Nun war Sieglinde schon nahezu ein halbes Jahr im Gasthaus ‚zum Deutschen Haus’ als Beiköchin beschäftigt. Am vergangenen Wochenende, Freitag, Samstag und Sonntag musste sie im Restaurant beim Bedienen der Gäste mithelfen, denn eine der vier Kellnerinnen hatte sich am Donnerstagnachmittag den rechten Fuß verstaucht und musste sich deswegen für fünf oder sechs Tage krankmelden.

 

Am frühen Samstagabend war der Andrang sehr groß. Das heißt: An einem normalen Samstag ist der Andrang im Restaurant ‚zum Deutschen Haus’ immer groß. Viele der ständigen Gäste gehören der Religionsgemeinschaft der Juden an. Sie hatten dieses Lokal zu ihrem Stammlokal auserkoren, nicht nur um einen Schoppen Wein oder ein paar frische Bierchen zu trinken, sondern auch um ihre tägliche Mahlzeiten einzunehmen. Denn am Samstag (für die Juden der Samstag = Sabbat, er beginnt Freitags nach Sonnenuntergang) darf ein Jude – religionsbedingt – keinerlei Arbeiten verrichten, die Frauen dürfen noch nicht einmal kochen. Spät am Abend, als der größte Ansturm auf die Küche ein wenig nachgelassen hatte, hatte Sieglinde zwischendurch ein wenig Zeit. Sie setzte sich hin und wieder in eine Ecke an einen freien Tisch, um ebenfalls eine Kleinigkeit zu essen, zu trinken und hernach auch mal einpaar Züge an einer Zigarette zu machen.

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Ungefähr eine Stunde bevor an diesem Abend der Geschäftsführer Feierabend geboten hatte, kamen plötzlich drei junge Männer in die nur noch wenig besuchte Schankstube herein. Die drei jungen Burschen waren wahrscheinlich leicht angetrunken. Sie stellten sich an den Tresen und blieben auch dort stehen, jeder von ihnen bestellte einen Schoppen Bier. Und als sie es nach ganz kurzer Zeit ausgetrunken hatten, bezahlten sie und verließen bald darauf lautlos das Lokal wieder. Nach ein paar Minuten kam einer dieser drei späten Gäste wieder in die Schankstube zurück. Während er erneut auf demselben Platz wie vorhin an der Theke stand und einen Schoppen Bier bestellte, schaute er immerfort zu dem jungen hübschen Fräulein Sieglinde hinüber, das allein in der hintersten Ecke an einem Tisch saß und ihre Zigarette zu Ende rauchte.

 

Auch Sieglinde musste recht oft den hübschen, jungen Kerl mit den wunderschönen blauen Augen in dem schicken Zweireiher ankucken. Immer, wann Sieglinde zu dem hübschen Mannsbild hinüberblickte, begann ihr kleines Herz wie wild in der Brust zu schlagen. Beide junge Menschen schienen den Nagel aneinander gefressen zu haben.

 

Spät in der Nacht, die Gäste waren längst beinahe alle nach Hause gegangen, da stand dieser hübsche junge Mann noch immer treu und brav an der Theke und nippte ab und zu an seinem Bier.

 

Bevor Sieglinde den Schankraum verließ, um hinauf in ihre kleine Wohnung zu gehen, warf sie noch einen allerletzten Blick in den verrauchten Gastraum hinein. In demselben Augenblick, als sie die Tür aufmachte, stand der junge, hübsche Kerl direkt vor ihr und lächelte sie mit seinem scharmantesten Lächeln, das er darzubieten hatte, an. „Schönes Fräulein, haben Sie Lust, an diesem schönen, mondklaren Abend mit mir einen ausgedehnten Spaziergang zu machen?“ Mit seinen klaren Augen und einem zuckersüßen Lächeln blickte er sie so herausfordernd an, als wollte er Sieglinde mit den Augen geradewegs nackt ausziehen und auf der Stelle in der Schankstube vernaschen.

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Bei diesem provokativen aber sonst so hübschen Gesicht, hätte Sieglinde stutzig werden und sofort bemerken müssen, dass dieser junge Mann nicht ganz sauber war, und irgendetwas böses im Schilde zu führen gedachte. Aber dieser hübsche junge Mann hatte das junge Fräulein Sieglinde so sehr neben das Häuschen gebracht, dass es diese feine Geste unmöglich bemerken konnte. Zudem war das Fräulein Sieglinde mit dem anderen Geschlecht so gut wie nie in Berührung gekommen und deshalb darin noch sehr unerfahren. So hatte Sieglinde die Einladung dieses liebenswürdigen, jugendlich aussehenden Charmeurs mit Dank angenommen. „Ja, gerne, wenn Sie noch etwas Geduld haben! ? – Ich möchte mir noch schnell etwas überziehen, denn es ist abends noch recht kalt. In fünf Sekunden bin ich wieder hier unten bei Ihnen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, war Sieglinde auch schon hoch in ihre kleine Wohnung gehastet. Es dauerte noch nicht einmal drei Minuten, bis das junge Fräulein wieder unten bei ihrem gut aussehenden Verehrer war. Gleich darauf verließen beide junge Leute hintereinander das Lokal.

 

Draußen, auf der Straße hakte Sieglinde sich bei dem hübschen, jungen Mann einfach unter, und sie schlenderten die Hauptstraße in Richtung Hammersberg entlang. Bei der Einmündung der Straße ‚Im Hessenland’ bog das junge Paar in diese ein. Der jugendliche Charmeur lenkte seine Begleiterin gekonnt rechts am Eingang zum Friedhof vorbei, auf den nahe Wald zu. Er dirigierte sie an der hohen Friedhofsmauer entlang, die sehr steile Straße hinauf, von wo aus es nicht mehr allzu weit bis zu den ersten Bäumen des St. Ingberter Forsts war.

 

„Sagen Sie mal, junger Freund, wo wollen Sie eigentlich mit mir hin?“ fragte das junge Fräulein Dugros den Schönling, weil es ihr mit einem Mal komisch zumute geworden war und ihr etwas eiskalt den Rücken herunterlief. So ganz allein mit einem fremden jungen Mann im Wald, der hat doch bestimmt mit mir etwas schlimmes vor, machte das junge Fräulein Dugros sich so seine Gedanken. Vielleicht vergewaltigt er mich sogar.

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Der junge Schnösel gab seiner Begleiterin auf diese Frage hin keine Antwort. Er lenkte sie immer weiter, immer tiefer in den Wald hinein. Sie waren mittlerweile schon ganz schön tief im St. Ingberter Forst, vielleicht schon ein ganzes Ende weiter in einer ganz anderen Gemarkung des Waldes. Sie waren hier einsam und völlig allein auf weiter Flur, so dass Sieglinde sich schon nicht mehr darin auskannte. Sieglinde glaubte mit einem Mal zu wissen, was der junge Schönling mit ihr vorhatte. „Ich weiß ganz genau, was Sie hier mit mir vorhaben“, sagte sie mit leicht bebender, ängstlicher Stimme. Auf einmal begann ihr kleines Herz bis hoch zum Hals hinauf wild und laut zu klopfen. Nicht aus jugendlicher Verliebtheit, sondern aus Angst, dass der fremde Mann ihr etwas schreckliches antun könnte. Und als Sieglinde noch immer keine Antwort von ihrem Begleiter bekam, sagte sie laut und mit Bestimmtheit: „Bitte, bringen Sie mich sofort und auf der Stelle zu meiner Wohnung in die Hauptstraße zurück!“

 

Der junge Lover reagierte überhaupt nicht auf die Worte des hübschen Fräuleins, sondern lenkte sie gekonnt immer weiter, immer tiefer in den ihr unbekannten Forst hinein. Er lenkte Sieglinde dorthin, wo keine Leute mehr hinkamen, denn es war ja auch schon wieder fast am hell werden.

 

Sieglinde wollte sich vom Arm des Fremden losreißen. Aber als dieser bemerkte, was sie vorhatte, hielt er ihren Arm wie ein Schraubstock festumklammert, so dass sie nicht mehr aus seiner Schraubzwinge herauskommen konnte. Das junge Ding begann mit einem Mal, laut um Hilfe zu schreien.

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Plötzlich zwang der Fremde Sieglinde stehenzubleiben und den Mantel auszuziehen. Während er mit einer Hand ihre Armen festhielt, machte er sich mit der anderen an ihrer Bluse zu schaffen. Er versuchte die Knöpfe aufzubekommen. Und als er es nicht fertig brachte, riss er einfach den Stoff der Bluse von oben her entzwei. Danach wollte der Schönling die Ösen des Büstenhalters öffnen, und als ihm auch dies nicht auf Anhieb gelang, probierte er es mit dem Rock.

 

Aber Sieglinde hielt nicht einfach still, sie wehrte sich mit aller Kraft, gegen diesen Fiesling. Bei diesem Kampf fiel plötzlich Sieglindes künstliches Glasauge aus der Augenhöhle heraus und ging im Dunkel der Nacht im Laub des Waldes verloren. Aus Wut wegen des verlorenen Auges schlug das Fräulein wild um sich. Hierbei war es Sieglinde ganz egal, wo sie hintraf. Auf einmal traf sie mit der geballten Faust ihrem Kontrahenten mitten ins Gesicht.

 

Für einen kurzen Augenblick öffnete der Fremde seinen Schraubstock, ließ Sieglindes Arm los und hielt seine malträtierte Nase fest. Ein Rinnsal Blut rann aus dieser heraus, lief seinen Hals hinunter, über seine Hand und tropfte auf seinen piekfeinen Nadelstreifen und bekleckerte letztlich den Gabardinemantel.

 

Sieglinde nutzte nun diese Gelegenheit erneut und schlug mit der Faust ein zweites Mal zu. Diesmal traf sie ihn genau auf den Mund, so dass beide Lippen aufplatzten und er einen Schwall Blut spucken musste. Der Galan wusste im Augenblick scheinbar nicht mehr wie ihm geschah und ließ von seinem Opfer ab, um sich Mund und Nase zuzuhalten. 

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Das wiederum nutzte Sieglinde voll aus und trat ihm direkt in die Mitte zwischen die Beine, genau an die Stelle, wo er sehr empfindlich war und es ihm sehr weh tat. Es tat ihm schrecklich weh, er hielt sich genau diese Stelle zu und begann fast augenblicklich, eine Art indianischen Freudentanz zu vollführen. Weil Sieglindes Kontrahent jetzt überhaupt nicht mehr wusste, wie ihm geschah, aber auch wegen des Indianertanzes keine Zeit mehr hatte, sich um sein Opfer zu kümmern, ließ er völlig von Sieglinde ab. Darin wiederum sah das junge Fräulein Dugros seine Chance, im Halbdunkel des aufziehenden Morgens, im dichten Unterholz unterzutauchen und so aus den Augen des Möchtegern Büchsenöffners zu verschwinden. Sieglinde irrte den Rest der Nacht in dem für sie unbekannten Forst herum. Erst eine ganze Weile später, als die Sonne längst schon hoch über dem Horizont am Firmament stand, begegnete sie einem älteren Herrn, der scheinbar im Wald seinen alltäglichen Morgenspaziergang machte.

 

Als der einsame Spaziergänger sah, dass Sieglinde ziemlich malträtiert ausschaute, die Bluse und der Büstenhalter zerrissen und verhältnismäßig großflächig mit Blut verschmiert war und zudem, dass ihr rechtes Auge fehlte, fragte er sie, was mit ihr im dunklen Wald geschehen sei. Wegen ihres zerzausten Aussehens schämte Sieglinde sich vor dem fremden Mann und sagte, nichts sei ihr im Forst geschehen, so würde sie jedes Mal nach einem nächtlichen Waldspaziergang aussehen. Aber er könne ihr vielleicht sagen, wie sie auf dem schnellsten Weg nach Sulzbach zurückkäme.

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Jetzt wurde der fremde Spaziergänger noch neugieriger, denn er wusste zu gut, dass dieses junge Ding von diesem Dorf ziemlich weit entfernt war. „Jetzt hören Sie mir mal gut zu, junge Frau! – Wollen Sie eigentlich zu Fuß nach Sulzbach laufen?“

 

Sieglinde war über die Antwort des fremden Mannes so sehr überrascht, dass sie ihn fragen musste: „Ist das eigentlich ein so großes Ereignis, zu Fuß von hier aus nach Sulzbach zu laufen?“

 

Der Fremde grinste spöttisch. „Junge Frau“, sagte er breit grinsend, „wissen Sie eigentlich überhaupt, wie weit Sie hier von Sulzbach entfernt sind?“

 

Sieglinde schüttelte ahnungslos den Kopf. „Nicht genau. Aber ich glaube, zwei oder drei Kilometer!“

 

„Junge Frau“, sagte der ältere Mann zum zweitenmal und stützte sich auf seinen Spazierstock auf. „Sie sind hier in der Nähe von Kirkel, das sind gut und gern ungefähr 20 Kilometer bis nach Sulzbach. Ein bisschen weit, um zu Fuß von hier aus dorthin zu gehen, finden Sie nicht auch?“

 

Das junge Fräulein fühlte sich von dem älteren Mann veralbert. „Wie?“ fragte es etwas verzweifelt, „wie das denn? – Ich kann doch unmöglich so weit von Sulzbach gelaufen sein. Zwanzig Kilometer? – Ist das denn die Möglichkeit?“

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„Kommen Sie, junge Frau, wir setzen uns dort hinten auf die Bank, dann erzählen Sie mir, was mit Ihnen letzte Nach dort im dunklen Wald passiert ist.“ Der fremde, ältere Mann nahm seine Umhängetasche von der Schulter, öffnete sie und entnahm ihr einen Flachmann mit Cognac heraus. Er öffnete den Flachmann und hielt ihn Sieglinde hin. „Hier, trinken Sie mal ’nen kräftigen Schluck davon, dann nehmen Sie alles gleich viel leichter!“

 

Sieglinde überlegte einen Augenblick lang, ob sie tatsächlich etwas von dem Teufelszeug trinken sollte. Dann schüttelte sie ablehnend den Kopf und machte eine entsprechende Handbewegung. „Lieber nicht, ich muss einen klaren Kopf behalten.“

 

„Ein kleines Schlückchen können Sie ruhig davon trinken, das schadet Ihnen bestimmt nicht“, sagte der ältere Fremde, während er Sieglinde voraus zur Bank hinüber ging. Er benutzte nicht den dafür vorgesehenen Waldweg, sondern ging geradewegs quer durch das dichte Gestrüpp des Unterholzes. „Übrigens, wie heißen Sie eigentlich? – Mein Name ist Fritz Lander, Sie können mich einfach beim Vornamen nennen. Also Fritz zu mir sagen!“

 

Der Abstand zwischen Sieglinde Dugros und Fritz Lander wurde langsam größer. Ab und zu blieb Sieglinde sogar eine Zeitlang hinter dem älteren Mann, der sich selber Fritz Lander nannte, stehen, damit der Abstand zwischen ihr und ihm noch etwas größer werden sollte. Denn was dieser junge Schönling, dem Sieglinde so sehr vertraut hatte, ihr letzte Nacht im Wald angetan hatte, das reichte ihr für eine sehr, sehr lange Zeit. Das möchte sie mit diesem älteren Fremden hier nicht noch einmal erleben müssen. „Weder trinke ich einen Schluck von Ihrem Teufelszeugs, das Sie Cognac nennen, noch sage ich Fritz zu Ihnen. Aber ich verrate Ihnen auch nicht meinen Namen. Und Sie können sich meinetwegen auf die Bank dort drüben setzen. Ich dagegen bleibe lieber hier in sicherer Entfernung stehen. Und wenn Sie von mir wissen wollen, was mir vergangene Nacht im Wald zugestoßen ist, dann müssen Sie sich vorher ausweisen, sonst lasse ich Sie hier allein zurück und ziehe meines Weges weiter.“ 

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Fritz Lander suchte etwas in seiner Rocktasche. Als er nach kurzem Suchen gefunden hatte, wonach er suchte, zog er es heraus und zeigte es Sieglinde. Es war ein scheckkartengroßer, vergilbter Ausweis, den er Sieglinde dicht vor das linke Auge hielt, denn er glaubte, des fehlenden rechten Auges wegen, könnte das junge Fräulein                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          nicht gut sehen.

 

Sieglinde ging etwas näher zu Lander heran, um sich den Ausweis etwas genauer anzusehen. Als sie zum Lesen nahe genug heran war, kam das junge Fräulein aus dem Staunen fast nicht mehr heraus, der Ältere hielt ihr doch tatsächlich einen Polizeiausweis eines Kripobeamten hin. Der Namen der darauf stand, stimmte mit dem überein, den er Sieglinde Dugros genannt hatte: Fritz Lander, so stand es jedenfalls Schwarz auf Weiß – wie man so schön sagt – auf dem kleinen Stück Papier. Sogar ein Foto, nach dem man den Kripomann, der vor Sieglinde auf der Bank saß, aber nicht identifizieren konnte. „Entschuldigen Sie, bitte, Fritz! – Ich darf Sie doch noch Fritz nennen, oder?“

 

Fritz Lander nickte. „Aber nur, wenn ich Sie ebenfalls beim Vornamen ansprechen darf! ?“

 

„Also gut“, sagte das junge Fräulein, während es ihm die Hand zur Versöhnung hinhielt. „Ich heiße Sieglinde, Sieglinde Dugros!“

 

7. Sieglinde lernt Fritz kennen

Fritz Lander nahm Sieglinde Dugros’ Hand und drückte sie leicht. „Erzählen Sie mir jetzt, was Ihnen letzte Nacht dort im Wald schreckliches zugestoßen ist, Sieglinde?“ Fritz stierte Sieglinde aus einem paar, für sein Alter, wunderbare blau leuchtende, aber dennoch erotisch wirkende Augen begehrlich an.

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Jetzt erst nahm das hübsche Fräulein neben dem Polizisten auf der Bank Platz. Jetzt erst hatte Sieglinde ein wenig Vertrauen zu dem älteren Herrn gefunden. „Zu aller erst muss ich einen kräftigen Schluck aus Ihrem Flachmann trinken.“

 

Fritz nahm den Flachmann wieder aus seiner Rocktasche heraus, öffnete den Drehverschluss umständlich und hielt ihn Sieglinde hin.

 

Diese nahm den Flachmann aus seiner Hand und trank einen kräftigen Schluck daraus. Die braune Flüssigkeit – die der Teufel persönlich hergestellt haben mochte – brannte in ihrem Rachen wie das wahre Höllenfeuer. Das Fräulein schluckte, hüstelte und schluckte eine kurze Minute lang. Dann bemerkte Sieglinde auch noch, dass sie plötzlich im Gesicht rot wurde. „Verdammt“, sagte sie, nachdem sie noch etliche Mal gehüstelt hatte. „Das ist aber ein höllisch brennendes Teufelszeug, das Sie mir zum trinken angeboten haben, finden Sie nicht auch?“ Sieglinde musste jetzt richtig husten. Das Fräulein musste solange husten, bis es die Farbe wirklich wechselte und nun im Gesicht grün und blau zu sein schien. Nachdem sie sich wider von diesem verdammten Hustenanfall ein klein wenig erholt hatte, begann sie Lander alles, was ihr letzte Nacht im Wald zugestoßen war, zu erzählen. Sie berichtete ihm, dass dieser junge, gutaussehende Mann – in den sie so viel Vertrauen gesetzt hatte – letzte Nach versucht habe, sie im dunklen Wald zu vergewaltigen. Während Sieglinde Fritz alles der Reihe nach erzählte, schossen ihr plötzlich ein paar dicke Tränen in die Augen. Dann begann das Fräulein auch noch, jämmerlich und laut zum Gotterbarmen zu weinen.

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Lander hörte dem jungen Fräulein geduldig zu. Als er glaubte, dass das Fräulein Sieglinde ihm alles von letzter Nacht erzählt hatte, räusperte er sich. Und als er sie fragen wollte, ob sie diesen Sittlichkeitsverbrecher kannte, schmiss Sieglinde sich ihm in die Armen und begann erneut, zum herzerweichen zu weinen. Fritz legte Sieglinde seinen Arm tröstend um die Schulter und ließ sie erst einmal in Ruhe, damit sie sich ausweinen konnte. Als das Fräulein Sieglinde sich nach einiger Zeit ausgeweint und keine Tränen mehr hatte, fragte er sie, was ihm schon einige Zeit auf der Zunge brannte: „Kennen Sie diesen Mann? – Ich meine, können Sie ihn eventuell so beschreiben, dass einer unserer Beamten ein Phantombild von ihm anfertigen könnte?“

 

Sieglinde musste Lander wie unter Zwang immer wider in die Augen schauen. Denn sie fühlte sich, seit sie sich an seinen Schultern ausgeweint und er sie mit zärtlichen Streicheleinheiten getröstet hatte, von diesem älteren Mann auf irgendeine seltsame Weise wie verzaubert. Wäre Fritz Lander nicht so alt, dass er beinahe ihr Vater hätte sein können, so hätte sie sich in diesen Fritz glatt verliebt. Bei diesem Gedanken lief es ihr das eine um das andere Mal erst heiß, bald wieder eisig kalt über den Rücken. Dann überkam sie auch noch eine gehörige Gänzehaut. Sieglinde wusste ganz genau, dass es für sie unmöglich war, sich in Fritz Lander zu verlieben. Oder hatte sie sich bereits schon bis über beide Ohren in ihn verliebt? Sie zwang sich, ihn nicht mehr so oft und so intensiv anzuschauen und auch nicht mehr an ihn im Zusammenhang an ‚körperliche Liebe’ zu denken. Ohne Fritz Lander noch einmal anzublicken schüttelte Sieglinde Dugros auf Fritz’ Frage hin den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich ihn beschreiben kann“, sagte sie, ganz in Gedanken verloren, zu ihm. „Aber wir könnten es ja wenigsten mal versuchen!“ ganz entgegen ihrem festen Vorsatz, nicht mehr an ‚körperliche Liebe’ zu denken, stellte Sieglinde sich plötzlich vor, wie es mit Fritz zusammen im Bett so sei. Sie fragte sich das eine um das andere Mal, ob er in seinem Alter dazu noch fähig wäre, eine junge Frau wie sie körperlich zu ‚befriedigen’ und ‚glücklich’ zu machen. Was für Gedanken gingen ihr da durch den Kopf? – Sie versuchte mit allen Mitteln, diese Gedanken ein für alle mal loszuwerden. Doch sie wurde sie nicht los, sondern sie begannen sich immer schneller und intensiver in ihrem Kopf herum zu drehen.

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„Gut, Sieglinde, ich fahre Sie erst zu sich nach Hause, damit Sie sich duschen, etwas frisch machen und andere Kleider anziehen können. Sie müssen sich auch noch ein neues Auge einsetzen. Sobald Sie fertig sind fahren wir zu meinen Kollegen auf die Polizeiwache. Dort wird einer meiner Männer versuchen, nach Ihren Angaben ein Phantombild von diesem gefährlichen Sittenstrolch anzufertigen!“

 

Bei dem Gedanken, dass Fritz Lander allein mit in ihrer Wohnung sei, lief es ihr schon wieder heiß und kalt den Rücken hinunter. Mit einem Mal wusste das junge Fräulein, dass es sich unsterblich in diesen älteren Polizisten verliebt hatte und das, obwohl Fritz altersmäßig ihr Vater hätte sein können. Aber war denn das so schlimm, dass der Mann, den sie unsterblich zu lieben glaubte, ungefähr achtzehn oder gar zwanzig Jahre älter war, als sie selbst, im Prinzip sogar hätte ihr Vater sein können? – „Gut“, sagte sie, während sie immer nur an Fritz in ihrer Wohnung, sie ganz allein mit ihm in ihrer Wohnung, denken musste. „Wo haben Sie ihr Automobil stehen?“ Sieglinde stellte sich die ganze Zeit über schon vor, wie es im Bett mit ihm wohl wäre. Ob Fritz stark gebaut sei? Fragte Sieglinde sich immer und immer wieder. Stark muss er gebaut sein, aber hoffentlich nicht zu stark, damit er mich nicht mit seiner Stärke verletzt, ließ Sieglinde Dugros sich durch den Kopf gehen.

 

Beide standen von der Bank auf und gingen hinüber zu dem Weg, der aus dem Wald hinaus zur Hauptstraße – der Verbindungsstraße von Saarbrücken nach Mainz – führte. Nach wenigen Metern hatten sie einen kleinen freien Platz in der Nähe dieser Hauptstraße, auf dem ein etwas älteres Modell der Marke Opel abgestellt war, erreicht. Fritz ging vor dem jungen Fräulein zu dem Fahrzeug, öffnete die Beifahrertür und ließ das junge Ding, das gut und gerne seine Tochter hätte sein können, vor sich einsteigen.

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Während der Fahrt musste Fritz immer zu das jungen Fräulein Sieglinde von der Seite her anblicken. Auch ihm ging es nicht besser, als dem hübschen jungen Fräulein. Der Kriminalbeamte Fritz Lander hatte sich in die attraktive junge Küchenhilfe – die gut und gern seine Tochter hätte sein können – wie ein Primaner bis über beiden Ohren verliebt. Der Kripobeamte konnte sich kaum noch auf die Straße konzentrieren, ihm spukte es genauso wie Sieglinde im Kopf herum. Auch er sah sich zusammen mit ihr im Bett liegen und sah im Geiste, wie sie irre miteinander das Spiel aller Spiele spielten. Am liebsten wäre er noch einmal in den Wald zurückgefahren und hätte irgendwo im Gebüsch mit ihr gesielt. Auch Fritz Lander machte sich über Sieglinde Dugros so seine Gedanken. Auch er fragte sich, ob er sie mit seiner Stärke nicht verletzen könne. 

 

Die Fahrt dauerte nur knapp achtzehn oder zwanzig Minuten, bis sie in Sulzbach ankamen. Nun mussten sie nur noch aus der Straße ‚Im Hessen Land’ kommend in die Hauptstraße links einbiegen, und es dauerte nur noch eine oder zwei Minuten, bis sie in Sieglindes kleinem Mansarden-Appartement ankamen. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, bot Sieglinde ihrem frühen Gast Platz an und fragte ihn, ob er etwas zu trinken haben möchte: Kaffee, Tee, Bier oder Wein? Als Fritz Lander ein Getränk dankend ablehnte, verschwand das junge hübsche Fräulein sofort im Bad, um sich zu duschen, etwas frisch zu machen, andere Klamotten anzuziehen und um ein Neues Glasauge in die Augenhöhle einzusetzen. 

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Im Badezimmer zog Sieglinde sich nackt aus. Dann drehte sie erst das kalte Wasser auf, dann das heiße, und als das Wasser genau die richtige Temperatur hatte, stellte sie sich unter den gut temperierten Strahl. Während das warme Wasser sanft über ihren makellosen, nackten Körper rieselte, überlegte sie sich, ob sie es eine Zeitlang mit Fritz wagen sollte. Aber das junge Fräulein wusste noch nicht einmal, ob Fritz Lander verheiratet war oder nicht. Aber für Sieglindes Eskapaden, die sie mit Fritz vorhatte, war ihr das ganz einerlei. Die heißen ‚Spiele aller Spiele’, die sie gleich über sich ergehen lassen wollte, werden sowieso nicht von langer Dauer sein. Denn sie wusste natürlich, würden ihre Eltern in Züsch davon Wind bekommen, wäre zu Hause mit Bestimmtheit der Teufel los.

 

Eine gute Stunde später kam Sieglinde aus dem Bad heraus. Nun stand sie wie aus dem Erdboden geschossen vor Fritz. Sie hatte nichts an, als ein hauchdünnes Nichts eines Negligés, durch das er ihren wohlgeformten nackten Körper deutlich sehen konnte. Ihre wonnigen, prallen Brüsten, ihren zierlich kleinen Nabel, der wie eine kleine Insel genau in der Mitte ihres leicht vorgewölbten Bauches anmutete, ihre strammen Oberschenkel und dazwischen, das für alle Männern wichtigste weibliche Organ: Ihre leicht kraus umwucherte, tiefschwarz und feucht schimmernde ‚Mitte der Welt’.

 

Als nun Fritz Sieglinde in dem Hauch von Nichts so verführerisch vor sich stehen sah, wurde es ihm mit einem Mal ganz anders. Erst lief es ihm heiß, dann wieder kalt über den Rücken, zudem überzog eine gehörige Gänsehaut seinen nicht mehr jungen Körper. Der alternde Fritz stand langsam von seinem Stuhl auf und ging gemächlich auf Sieglinde zu. Als er vor ihr stand, nahm er sie bei den Händen, drückte sie einige Zentimeter von sich Weg und bewunderte ihren wunderschönen, zarten, attraktiven und begehrlichen Körper. Dabei bemerkte er, dass sich bei ihm etwas drastisch zu regen begann, und dass sein leicht übergewichtiger Körper mit einemmal erschauderte. Als Fritz nun dicht vor Sieglinde stand, breitete sie die Armen aus und beide fielen wie zwei wilde Tiere übereinander her. Sie küssten sich, gierig und voller hemmungsloser Leidenschaft. Dann passierte das zwischen den beiden mit heiß begehrlicher Wollust, was Sieglinde und Fritz sich seit einiger Zeit sehnlichst voneinander gewünscht hatten.

 

Sie spielten mit zügelloser Wildheit das Spiel aller Spiele miteinander. Es dauerte irrsinnig lange, bis es sie beide wie ein heftiger Blitzschlag mit einer gewaltigen Wucht bis hoch zum Gehirn wie ein Blitz durchzuckte. Es war für beide der pure Wahnsinn, dieses hemmungslos leidenschaftliche Spiel aller Spiele.

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Für Sieglinde war es das erste Mal, dass sie mit irgendeinem Mann so irrsinnig das Spiel aller Spiele gespielt hatte, und es war ein unbeschreiblich schönes Erlebnis, das sie so hurtig nicht vergessen würde. Als er und sie sich bald wieder wie zwei Furien in die Armen fielen, sich wild und voller irrsinniger Leidenschaft küssten und bald erneut mit einer erbarmungslos wild verlangender Heftigkeit zu spielen begannen, tat es ihr erst ein wenig weh, so dass sie schon laut vor Schmerzen aufschreien und zu weinen beginnen wollte. Aber dann, als Fritz eine kurze Spielpause eingelegt hatte und hernach in schnellerem Rhythmus mit dem Spiel fortfuhr, wurde es plötzlich so angenehm schön, dass Sieglinde im gleichen Rhythmus leise zu stöhnen und fauchen begann, und nicht mehr genug davon bekommen konnte.

 

Später, als Fritz und Sieglinde keine Lust mehr zum Spielen hatten, saßen beide völlig nackt wie sie waren im Schneidersitz auf ihrem breitem französischem Bett. Sie tranken guten, rubinroten Bordeaux, den Sieglinde von ihrem Chef zu ihrem 25. Geburtstag geschenkt bekam, und sie rauchten starke, schwarze, französische Zigaretten dazu.

 

„Bist du eigentlich verheiratet, Sieglinde“, fragte Fritz nach einer gewissen Zeit, nachdem sie sich noch einmal leidenschaftlich geküsst hatten..

 

Sieglinde, die sich ja auch schon mal Gedanken darüber gemacht hatte, ob Fritz verheiratet sei oder nicht, schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie auf seine Frage hin, „und du? – bist du verheiratet?“

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„Leider, ja! – frag mich aber bitte nicht, ob ich mich scheiden lassen will, denn das kommt überhaupt nicht infrage.“

 

„Danach wollte ich dich ja eigentlich gar nicht fragen, sondern nur, wie es mit uns beiden weitergehen soll.“

 

„Es wird mit uns beiden bestimmt in keiner Weise weitergehen. Ich liebe nämlich meine Frau, meine beiden Töchter und meinen Sohn sehr. Meine Familie möchte ich wegen einer anderen Frau auf keinen Fall verlassen. Auch nicht wegen dir!“

 

„Aber ...“

 

„Es gibt kein Aber. Wir dürfen uns nie mehr wieder sehen. Das hier war nur ein an sich harmloses Liebesabenteuer, eine wunderschöne Romanze, die sich auf gar keinen Fall wiederholen darf.“

 

„Ganz leise ging der Vorhang zu, zu Ende geht das allerschönste Rendezvous“, sagte daraufhin Sieglinde mit einem melancholisch traurigen Lächeln über ihren hübschen Lippen. Sieglinde lag quer über ihm und spielte mit einer Hand an seinen winzigen Brustwarzen.

 

Fritz blickte Sieglinde über sich begierig an und nickte bedächtig mit dem Kopf. „So könnte man es natürlich auch ausdrücken!“

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„Aber du wirst doch sicher noch eine oder zwei Stunden Zeit haben, damit wir diese wunderschöne Romanze noch eine Zeitlang miteinander erleben können, oder?“ die hübsche junge Sieglinde hatte nun einmal an dem sinnliche Spiel aller Spiele geschnuppert und da wollte sie, dass der Vorhang dieses Rendezvous niemals mehr zugehen würde, oder zu mindest nich so schnell. Sieglinde fand dieses Spiel so berauschend schön, dass sie nicht wollte, dass die Liebe, die sie gerade mit Fritz zusammen zum erstenmal erfahren hatte, sobald wieder vorbei war.

 

Fritz hatte heute noch viel Zeit – sozusagen alle Zeit dieser Welt – um zusammen mit der jungen Sieglinde dieses berauschend schöne Spiel aller Spiele noch ziemlich oft mit ihr zusammen zu erleben. Und sie erlebten es beide noch sehr viele Mal an diesem Tag miteinander. Auch er konnte nicht genug davon kriegen. Das kam sicherlich daher, weil ein alter Knacker – wie er nun mal einer war – es mit einer jungen, verführerischen Gespielin wilder und leidenschaftlicher erlebte, als mit seiner über fünfundzwanzig Jahren ihm treuergebenen Ehefrau. Als Fritz Sieglinde dann verließ, war es längst weit nach Mitternacht. Aber zu einem Phantombild des Sittlichkeitsverbrechers war es dennoch nicht gekommen.

 

Der alternde aber immerhin noch sehr attraktive Fritz Lander hatte das junge, hübsche Fräulein Dugros an diesem Tag und in der darauffolgenden Nacht zu einer jungen, hübschen Frau Dugros gemacht. Danach ging Fritz Lander zurück zu seiner Familie, ohne Sieglinde auf wiedersehen zu sagen. Er hatte sich nämlich vorgenommen, Sieglinde in seinem Leben niemals mehr wieder zu sehen.

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Sieglinde Dugros konnte diese paar wunderschöne und romantische Stunden, in denen sie der alternden Fritz Lander – der gut und gern ihr Vater hätte sein können – mit ihr das Spiel aller Spiele gespielt hatte, für lange Zeit nicht vergessen. Aber dennoch, als Fritz Lander von ihr für immer fortgegangen war, wusste sie, dass es keine Liebe gewesen war, was sie für den Polizisten in Zivil empfunden hatte. Sie wusste, dass es nur ein gieriges Verlangen nach seiner Stärke war, die sie gewissermaßen erotisch angezogen hatte und die sie unbedingt in sich erleben wollte. Aber auch das seltsam gierige Gefühl der höchsten Wollust wollte Sieglinde durchaus einmal tief in ihrem Innersten verspüren. Sieglinde wusste aber auch, dass auch sie Fritz Lander in ihrem Leben niemals mehr wiedersehen würde.

 

Am nächsten Morgen musste Sieglinde wieder im Restaurant, unten im Haus, zur Arbeit erscheinen. Der Chef des Hauses, sowie sein engster Mitarbeiter hatten sich um sie schon große Sorgen gemacht. Als Sieglinde den beiden dann noch erzählte, was mit ihr vorgestern Nacht im Wald passiert war, meinten beide einhellig, sie solle diesen Dreckskerl doch bei der hiesigen Kriminalpolizei anzeigen, damit man ihm das Handwerk legen könne. Sie meinten weiter, wenn die Polizei diesen Verbrecher nicht bald dingfest macht, würde er bestimmt noch einmal versuchen, eine oder mehrere Frauen zu vergewaltigen. Die Junge Frau jedoch wollte diese Tat nicht zur Anzeige bringen, da ihr ja doch niemand glauben werde, weil es keinen einzigen Zeugen dafür gäbe. Sie fragte die beide Chefs, welcher Sittenstrolch würde auch eine solche Straftat begehen, wenn eine dritte Person als Zeuge dabei wäre? Sie glaubte, dass ihr Chef und dessen Stellvertreter sich damit abfinden werden. Aber weit gefehlt; keiner der beiden gab sich mit dieser Antwort der jungen Frau zufrieden. Denn ohne, dass sie ihrer Hilfsköchin ein Sterbenswörtchen davon sagten, verständigten sie noch am gleichen Vormittag die Kripo von Sulzbach davon.

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Zwei Tage später. Sieglinde war eben von einem gesunden, nächtlichen Schlaf aufgewacht, und verschlafen wie sie war, aus den Federn gekrochen. Sie saß bald darauf nur mit einem Nichts von einem Tanga, einem knappen Büstenhalter und mit einem leichten, hauchdünnen Negligé bekleidet am Tisch und frühstückte, als es an der Korridortür ihrer kleinen Wohnung langanhaltend und schrill klingelte. Wer mag mich denn schon zu dieser frühen Morgenstunde besuchen kommen? fragte Sieglinde sich, während sie schnell einen Morgenmantel überzog, den sie bis hoch zum Hals zuknöpfte. Dann ging sie zur Korridortür und öffnete sie. Durch den zwei handbreiten Spalt, den die eingehakte Sicherheitskette zuließ, konnte die junge Frau geradewegs in die Augen zwei junger Männer blicken. „Meine Herren, wie kann ich Ihnen helfen?“ fragte sie diese beiden Männer.

 

Einerder beiden griff in dass Innere seiner Jacke, zog ein gelblicher Ausweis heraus und zeigte ihn kurz Sieglinde vor. Und während er den Ausweis wieder in die Innentasche seiner Jacke zurücksteckte, sagte er: „Wir sind von der Kripo Sulzbach. Ich bin Hauptkommissar Berger und das hier ist mein Kollege, Kommissar Becker. Wir kommen wegen der versuchten Vergewaltigung vorletzter Nacht im Wald von Kirkel. Ihr Chef und unsere Hauptkommissar Lander haben uns von der versuchten Vergewaltigung in Kenntnis gesetzt.“

 

„Das wird ja immer schöner“, sagte Sieglinde wütend und wollte schon wieder die Korridortür vor ihrer Nase zuknallen. Aber Berger war schneller und hatte den Fuß dazwischen gestellt. „Ich habe wegen dieser Lappalie keine Anzeige gemacht, und deshalb verschwindet so schnell wie ihr gekommen seid von hier!“

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Berger versuchte an Sieglinde vorbei in die Wohnung zu gelangen, aber die vorgelegte Kette versperrte ihm den Durchgang. Kommissar Becker wollte die Kette aus ihrer Verankerung herausreißen, aber Hauptkommissar Berger hinderte ihn daran, so dass  Becker es erst gar nicht mehr versuchte. „Selbst die versuchte Vergewaltigung ist schon eine Straftat, schon allein deshalb müssen wir dieser Tat auf den Grund gehen“, sagte Hauptkommissar Berger, „dürfen wir vielleicht zu Ihnen in die Wohnung hereinkommen?“

 

Daraufhin löste die junge Frau ungern die Kette, bat beiden Polizisten gezwungener Maßen in die Wohnung und bot ihnen sogar Platz an, da sie momentan keine andere Möglichkeit sah.

 

Die Beamten nahmen Frau Dugros Angebot an, kamen in die Wohnung und nahmen sogar Platz .

 

„Darf ich den Herren vielleicht etwas zum Trinken anbieten? – Kaffee? – Mineralwasser? – Tee? – oder vielleicht etwas anderes?“ fragte Frau Sieglinde höflich. Und als die beiden Polizeibeamten verneinten, da sie ja schließlich im Dienst seien, setzte Sieglinde sich direkt neben Berger an den Tisch.

 

„Wollen Sie eine Anzeige gegen Unbekannt machen?“ fragte Kommissar Becker, der jüngere der beiden Beamten.

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„Muss ich das denn?“

 

„Natürlich nicht, da uns schon wegen dieser Strafsache eine Anzeige vorliegt. Aber Sie können ...“

 

„Dann möchte ich mir das noch einmal in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Oder darf ich mir das nich durch den Kopf gehen lassen?“

 

Während Berger in einem fort auf Frau Dugros tollen Busen starrte, legte er ein Bein quer über das andere. „Sicher dürfen Sie sich das in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen“, sagte er daraufhin freundlich, „aber eine dementsprechende Aussage werden Sie doch jetzt wohl machen wollen?“

 

Sieglinde räusperte sich. Dann setzte sie sich ein wenig bequemer zurecht und schlug das rechte Bein über das linke, wobei sich ihren strammen Oberschenkel ein wenig entblößte. „Das werde ich mit hundertprozentiger Sicherheit tun“, sagte die junge Frau. Und als sie bemerkte, wo Berger die ganze Zeit gierig hinstierte, wurde sie rot im Gesicht. Sie drehte sich etwas zur Seite herum, nahm ihr Bein vom anderen herunter und zog das Revers des Morgenrocks am oberen Ende etwas enger zusammen.

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 „Also, wo haben Sie diesen Mann kennen gelernt?“ wollte Hauptkommissar Berger nun von der jungen Frau Dugros wissen. Und als er bemerkte, weswegen Frau Dugros plötzlich rot wurde, schaute er in eine andere Richtung.

 

„Unten im Speiselokal“, sagte Sieglinde Dugros wahrheitsgemäß, „am späten Abend kam er mit zwei anderen jungen Kerlen ins Lokal, zusammen stellten sie sich an den Tresen und sie tranken jeder ein Bier. Gleich darauf, als sie ihre Gläser geleert hatten, bezahlten sie und verließen sofort wieder das Lokal. Ein paar Minuten darauf kam jener allein zurück, stellte sich an denselben Platz, an dem er eben gestanden hatte und bestellte sich ein erneutes Bier. Kurz bevor das Lokal von meinem Chef geschlossen wurde, fragte er mich, ob ich Lust hätte, nachher mit ihm ein wenig spazieren zu gehen. Ich nahm seine Einladung an, denn ich war froh, dass ich diesen Abend einen netten Begleiter gefunden hatte.“ Den letzten Satz hatte Sieglinde so hingesagt, woraus ein jeder Mensch schließen konnte, sie ginge einem ganz bestimmten Gewerbe nach.

 

Berger räusperte sich. „Sie gingen so ohne weiteres mit diesem Typen mit, obwohl Sie ihn gar nicht kannten?“ Auch Kommissar Becker musste in einem fort auf Frau Dugros tollen Busen starren. Und er machte sich so seine Gedanken, über die Aussage seines Gegenübers.

 

Plötzlich kreuzte Sieglinde die Armen vor der Brust, so dass weder Berger noch Becker etwas von ihrem tollen Busen erhaschen konnte. „Ja“, sagte sie auf Kommissar Beckers Frage hin, „wer ahnt denn auch gleich so etwas, von so einem netten, gutaussehenden jungen Mann? !“

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„Hätten Sie sich nicht irgendwo anders mit ihm verabreden können, Fräulein Dugros?“ Berger suchte in seinen Rock- und Hosentaschen nach Zigaretten, als er nirgendwo welche fand, legte er seine Hände vor sich auf den Tisch. „Vielleicht sogar hier in Ihrem Appartement?“ 

 

„Wie kommen Sie denn auf so etwas? – Ich verabrede mich doch nicht gleich am ersten Tag ...“

 

Hauptkommissar Berger unterbrach Sieglinde mitten im Satz, denn seine Überlegung hatte sein Gegenüber soeben fast bestätigt. „Gehen Sie vielleicht der Prostitution nach?“ fragte er sie deshalb geradewegs.

 

„Wo hätte ich auch nach Mitternacht noch mit diesem Typen hingehen sollen, als irgendwo im nahe gelegenen Wald spazieren? – Aber merken Sie sich mal eins, nämlich, dass ich keine Prostituierte bin. Übrigens, das verbitte ich mir energisch. Ich bin ein anständiges Mädchen, aus gutem Haus.“

 

Hauptkommissar Berger sah Sieglinde zu, wie sie mit ihren Fingern nervös auf der Tischplatte herum hämmerte und klopfte. „So versucht ihr euch doch alle herauszureden.“

 

Frau Dugros blickte Hauptkommissar Berger fragend an. „Was wollen Sie damit sagen?“ sie war über Bergers saublöde Bemerkung sichtbar schockiert. Sie fand, dass dessen dumme Anspielung eine bodenlose Frechheit sei. „Wollen Sie damit andeuten, dass meine Eltern mich zur Prostitution gezwungen haben?“

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„Vergessen Sie’s“

 

„Jetzt machen Sie aber, dass Sie sofort und auf der Stelle meine Wohnung verlassen, beide“, schrie Sieglinde die beiden ungehobelten Polizeibeamten an, während sie hastig aufstand.

 

Die Kriminalbeamten standen ebenfalls auf. Becker kam zu Sieglinde Dugros um den Tisch herum und reichte ihr die Hand. „Bitte, Fräulein Dugros, verzeihen Sie es meinem Kollegen Berger, er hatte es bestimmt nicht so gemeint!“

 

Die junge Frau Dugros ignorierte einfach Beckers Hand. „Los, verschwindet, sonst werde ich meinen Freund anrufen, er ist Rechtsanwalt und wird euch beiden schon Beine machen. Es ist eine Schande, mich, das eigentliche Opfer, zu verhören. Oder bin ich in euren Augen vielleicht die Täterin, hat nicht dieser Typ mich zu vergewaltigen versucht, sondern ich ihn? Los, verschwindet endlich, macht, dass ihr aus meiner Wohnung so schnell wie möglich verschwindet!“

 

Beide Polizisten verließen fast fluchtartig Fräulein Sieglindes kleine Wohnung. Und als sie schon die halbe Treppe zur nächst unteren Etage gerannt waren, rief Sieglinde ihnen noch hinterher: „Lasst euch nur nicht mehr hier blicken, ihr Sittenstrolche!“

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Es war für die junge Frau mit Sicherheit von großem Vorteil, dass die zwei Kriminalisten die letzten Worte nicht mehr gehört hatten. Hätten sie diese Worte noch gehört, hätten sie das junge Fräulein wegen Beamtenbeleidigung mit Sicherheit verhaftet, vielleicht sogar angezeigt. Und das hätte Sieglinde teuer zu stehen kommen können.

 

In den nun folgenden Wochen und Monaten verlief das Leben des jungen Fräulein  Sieglindes ziemlich gerade in seinen Bahnen. Nichts, aber auch rein gar nichts deutete im eigentlichen Sinne heute noch daraufhin, was ihr damals im Wald in der Nähe von Kirkel schlimmes passiert war. Von dem üblen Verbrecher fanden die Kriminalisten natürlich nicht die geringste Spur. Er war und blieb verschwunden. Auch ließ er sich und seine Kumpels nicht mehr im Gasthaus ‚Zum Deutschen Haus’ blicken. Und nachdem eine gewisse Zeitlang nach diesem miesen Kerl gefahndet wurde, und die Kripo diesen Missetäter nirgendwo hatten finden und schließlich verhaften können, schlossen sie die Akte ‚Sieglinde Dugros’ ein für allemal zu. Für die Beamten der Sulzbacher Kripo war nun dieser Fall erledigt und wurde ad acta gelegt.

 

Nur für Sieglinde Dugros war der Fall noch lange Zeit danach nicht erledigt. Sie hatte wochenlang nacht für nacht von der versuchten Vergewaltigung Alpträume und war oft in Schweiß gebadet und laut schreiend aufgewacht. Und was für sie fast noch schrecklicher war, als diese markverzehrende Alpträume von der versuchten Vergewaltigung, war, dass Sieglinde nur drei Wochen nach dem phantastisch schönen Abenteuer, das sie mit dem Kripobeamten namens Fritz Lander hatte, mit großem Schrecken feststellen musste, dass sie heute ungefähr im dritten Monat von Fritz Lander schwanger war.

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Heute ist die hübsche, junge Sieglinde Dugros – Gott sei’s gedankt – endlich von der Wahnvorstellung der versuchten Vergewaltigung los, aber auch von der eingebildeten Schwangerschaft durch diesem Fritz Lander. Und dass sie davon losgekommen war, daran hatte Sieglindes neuer Freund eine nicht geringe Schuld.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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