Lothar Atzert

Seelenverwandt

 

 

Seelenverwandt

(den Fischen, den Ziegen und der Göttin der Musik gewidmet)

Teil 1 Shiva und Parvati

Freude ist ein beglückender Strom, der Dürste löschend das Land Gegenwart durchzieht. Wohin, zu welchem Ozean?

Als Gott Shiva sein nacktes Weib Parvati eines Nachts einmal schlafend fand, so die Legende, geriet er vom Strahlen ihrer unerträglichen Schönheit, dem Ebenmaß der Gestalt bis in die einzelnen Poren der Haut, die vollkommen das Wesen der Göttin spiegelten, in Extase und mußte den Segensstrom, der ihn tausendarmig packte, in ein Bett bringen, derweil sonst alle Welten und Sternenhimmel augenblicklich davongeschwommen wären. Der Segensstrom aus der Quelle der Selbstlosigkeit, nur wenige wissen's, ist der mächtigste Strom des Universums. Doch sein Mitleid mit den Wesen war so grenzenlos, daß Shiva handelte:

Er nahm zwei Kürbisse, höhlte sie zu Kalebassen, schuf daraus Klang-Körper, verband sie durch einen Holzsteg und gab dem Instrument nach weiteren Verfeinerungen durch sieben Saiten, sowie Gewinde und Bünde den Namen "Rudra-Veena".

Jeder, der den Klang jener Veena jemals höre, solle an der Extase des Gottes teilhaben - schließlich entsprach der Klang Seinem Empfinden beim Anblick weiblicher Vollkommenheit. Das war die Idee, die ihn handeln ließ. Die Extase ist unmöglich in Worte zu fassen, aber durch verklingende Töne erfahrbar - im Sinne des Fahrens durch Ihre unendlich weite Gestalt. Damit die Wesen durch den Hörgenuß ihre vollkommene Gottheit in sich selbst erkennen und also auf jene Weise in Seligkeit fallen.

Und so geschah es - reihenweise erlöste der Gott seine Anbeter durch die Zaubertöne der Rudra-Veena, von denen ein jeder einzelne zehntausend neue Töne zum schwingen brachte. Jeder Ton eine Welt, die ihrerseits.... und immer so weiter und weiter, ja raumozeanweit.......

 

Doch nach und nach gewöhnten sich die Ohren der Sterblichen daran und die Hörenden begannen zu sagen: "Naja, die Seligkeit läuft ja nicht fort, ich will erstmal was Unseliges kosten, das Leben genießen - und später zahlen usw. Mein Nachbar tut's auch schon seit langem und dessen Nachbar...

Und weil Unseligkeiten kosten aber was kostet, war das Leben ab da plötzlich mit Mühsal, durch Beschaffungskosten verbunden. Es kostete..... den Verstand - keiner von den Verwandten hörte mehr, wem er angehörte. Weil jeder Eigendünkel die süße Wirklichkeit der Gegenwart vom Herzen ins Untergeschoß des Geschlechts verdrängt. Und das Geschlecht hat schnell nur noch Ohr für Verschlechterung... Eigentlich sagt das die Sprache auch schon. (weswegen sie einige "Reformer" zu hassen scheinen.)

Mit diesem Verderbniss der Gier und des Unverstands ausgestattet fand Shiva die Menschen also bald vor. Doch es drang etwas an sein Ohr, was sogar einen zur Vergeltung bereiten Gott zu fällen in der Lage ist, wie eine vom Blitz getroffene Eiche: ein Kind weinte bitterlich. Und weil es ein so zerbrechliches Wesen war, so allem schutzlos ausgeliefert und Shivas Herz voller Liebe, sprach der Mächtige zu ihm: nun, ich will für dich, du armes Menschenkind, zu deiner Erlösung eine abgeschwächte Form der Verzückung verfügbar machen, auf daß auch dein Herz noch unter Verdorbenen gestillt werden kann und du Freude empfängst." - und er nahm diesmal nur einen Kürbis, sowie Stege und Saiten, wie zuvor bei der Veena und..... baute daraus die Sitar, wie sie heute noch in Indien gespielt wird.

Das ist der Philosoph unter den Musikinstrumenten. Es verlangt, das Wirkliche mittelst dem Wort vorzuverstehen - also philosophisch zu denken. Denn die Sitar zeigt uns ein Geheimnis, welches die Veena bloß erahnen läßt: das Geheimnis des Mitschwingens dessen, was übereinstimmt. Wird eine bestimmte Schwingungszahl erreicht, so tönen die Resonanz- oder Oktavseiten in allen Welten und Ebenen einfach mit, ohne daß sie der manuellen Berührung bedürften. Diese Saiten nämlich sind bei der Sitar zusätzlich und sichtbar angebracht: Es erkennt sich Tönendes aufgrund gleicher Schwingungsfrequenz, ganz wie Familienangehörige sich erkennen. Daher stammt schließlich das Wort "angehören". Und wenn einer zu singen anfängt, singen und jubilieren die gleichgestimmten Welten einfach mit....

 

Gibt es im Menschen nicht auch das, was den Oktavsaiten entspricht, daß plötzlich man absichtslos mitschwingt mit einem anderen, einer Melodie, einem Wort, einer Geste, einem Gesicht? Und Begeisterung springt uns an, wie die Flamme einer brennenden Kerze auf den Docht einer noch nicht brennenden springt.... ein Erinnern will raus.....

Oh ja, die Antwort ist eindeutig: freilich, das muß es ja geben, viel feiner sogar! Dadurch auch selten - Feines ist immer flüchtig, denTönen gleich, nachfolgend in den Äther......

Gäbe es das nicht, Gleichgestimmte irrten aneinander vorbei, erkennten sich nicht als geeinte Seelen.

Weil aber das Feine in unserer Zeit ein fast ausgestorbenes Wesen ist - die Kürbisse sind zu voll mit Selbstgefälligkeiten - treffen sich Gleichgestimmte immer seltener.

Lebende Wesen schwingen zusammen, so sie leer genug sind - leer von Absichten. Unendlich feiner, als die den Empfindungen großzügiger Liebenden nachgeschöpften Musikinstrumente, ist das als Seele bezeichnete Wesen. Das Instrumentarium, alles Instrumentielle ist nur Hilfsmittel, welche nichtsdestotrotz den Menschen großes Vergnügen bereiten können. Es lag dies ja in der Absicht beim Bau der Rudra-Veena, die keine äußeren Oktavsaiten benötigte - sie wollte die verborgenen inneren Saiten des Zuhörers zum Tönen bringen, wollte dem Erstarrten wieder zu Leben verhelfen, so daß der Energiefluß seinen Fortgang zum Meer des Bewußtseins, wie es der Gott erlebt, wieder aufnehmen hätte können.

Dann nämlich bräuchte es keine räumliche Nähe mehr für Seelenverwandtes - vielleicht nicht mal zeitige, da Zeit und Raum in der Extase aufgehoben sind. An den entferntesten Orten mag es dann schwingen - als ein gemeinsam sich aufhebender Sternenhimmel.

Denn für einen Gott, sowie die fliehenden Geister ist die Geliebte ein ewiger Sternenhimmel.

 

Enthaltsamkeit oder Entbehrung sensibilisiert für das, dessen wir uns enthalten, dessen wir entbehren: wer für längere Zeit in Dunkelheit verbringt, dem wird geringstes Licht zum erhellenden Strahl. Je länger, umso heller. Lichtverbraucher können das nicht erfassen. Schließlich sieht der Asket die Kraftfelder der Töne. Entsprechend wer in Stille weilt, dem dröhnt bald der Herzschlag des Geliebten wie eine allmächtige Trommel. Das geeinte Herz, die eine Trommel. Eine Trommel, die uns mit purem Leben erfüllt........

Rudra ist nicht zufällig der alte Gott der Gewitter, der schwarze Mantel der Stürme, Wechsel und Umstürze, ja der Zeit! Unendlich viel nackter, als bloße körperliche Erscheinung ist dieses Selbstbewegende im Innersten des Empfindens.

Und in der Stimme eines Menschen verrät es sich, offenbart sich dem Seelenverwandten... in allem zeigt es sich dem, der es liebt..........

 

Als ich einmal eine Distel im Garten ausreißen wollte, sah ich plötzlich vor dem inneren Auge verhungernde Distelfinke - und so erschrocken, lasse ich fortan immer einige Disteln wachsen. Mehr als einige, obwohl es doch sinnvoll wäre, geht nicht in diesen unseligen Zeiten, wo die Nachbarn mit Gesetzen auf der Lauer liegen, ob denn eine Distel weiter, als 5 Zentimeter hinüber wächst........

Solches tönt die ganze Zeit in jedem, nur wird es augenblicklich durch Kalkül verdrängt: "Unkraut im Ziergarten? Bei mir nicht! Soll's wo anders wachsen! Aber beim Nachbarn soll's auch nicht wachsen. S' könnte ja rüber kommen." Wo also?

Doch wer die Distel nicht duldet, verursacht der nicht real den Tod einer Spezies, welche von Disteln lebt? Und durch die wieder andere - und so weiter, bis die Reihe schließlich am Verursacher ist.... Einmal etwas zuende gedacht, liebe Freunde, ist nichts mehr, wie es war. Nur die Welt würde wieder gesund beim Zuendedenken - und danach handeln. Deshalb denkt auch kaum einer zu- und ans Ende, das immer näher, mit jedem Atemzug näher kommt...........

 

Ein Instrument muß immer wieder neu gestimmt werden, da die Mechanik von Kräften abhängig ist, die lebendig und also selbststimmend sind. Die Mechanik ist Hilfsmittel, mehr nicht. Leichteste Temperaturschwankungen im Wechsel der Jahreszeiten verändern schon die Spannungszustände. Und das Schwankende ist ja allgegenwärtig, ist Teil des Lebens und Sterbens. Genauso verhält es sich mit uns Menschen. All diese Leichenstarre des Vor-Stellens muß täglich nachgezogen werden, muß in "Über-Ein-Stimmung der Natur, oder mit einem möglichst unverrückbaren Maß gebracht werden und dieses einzig unverrückbare Maß für Verrückte ist das Frei-Sein von aller Bedingtheit: das maßlose Maß sozusagen, falls man Paradoxa liebt.

Was nicht stimmt, muß gestimmt werden. Stimmen heißt, nach etwas Beständigem zu ordnen. Das Beständige ist das Wahre, weil es währt; das Gute, weil es aus Wahrem fließt und das Schöne als Spiegelung der Güte. Die Liebe zu diesem Prinzip ist das einzige Maß aller Dinge. Wer nicht liebt, ist verstimmt, mit dem läßt sich vor dem Stimmen nicht wirklich spielen - stimmt's?

Gier, Haß und Dummheit sind im Menschen, was Temperaturschwankung dem Instrument ist. Wobei Dummheit aus Gier und Haß gleichermaßen kommt.

Daß sich am Klang einer Stimme also für den, der seiner Bestimmung folgt, Stimmendes heraushören läßt, ist aus dem Vorangegangenen zu folgern. Das ist gemeint mit: man hört, wem man angehört. Die Stimme offenbart dem Lesekundigen die Innenwelt dessen, der mit ihm übereinstimmt - Singen und Hören sind, wie Shiva und Parvati, eins.

 

Wenn es einem aber vergönnt ist, still zu sein, wenn man dafür bereit war, in der Vergangenheit auf den Grund hinzuhören, (statt in die ablenkende Reizwelt) schwingt sofort Entsprechendes mit. Hiersein, leer sein um der tönenden Liebe willen - das ist eigentlich alles.

Was bedeutet das Ent-Sprechende? - Das, was dem Grad des Gestilltseins entsprechend mitschwingt, mitspricht. Was genau das ist und wieviel, hört der Stille. Er hört die Schwankungen, das uralte Spiel zwischen Feuer und Wasser, wie sie den Wind zeugen und dieser die Hohlräume der Erde zum Tönen bringt, so daß aus Erde Werde wird. Und die Töne schwanken in Rhythmen und Wellen, die Feuer und Wasser durch Mischung erspielen. Und hört immer, wem er angehört: dem, was mit ihm über-einstimmt, dem also, was ohne sein Zutun in ihm selbst zu tönen beginnt. Diesem Einen gehört jeder an.....

 

Hört er nichts, so hört er doch die eigene Rastlosigkeit. Und es macht auf natürliche Weise den Liebenden melancholisch, jenes Wissen, daß alle Körper-Berührung für den Geist Illusion ist und jedes Greifen eine Ablenkung vom Wahren, Schönen und Guten. Je greifbarer, umso illusionärer das Ablenkende, umso ferner ist das rührende Herz. Nur Stoff läßt sich mit stofflichen Händen greifen, aber nicht das, was extatisches Einssein genannt werden kann. Vereinigung ist immer Tod des Vereinzelten - und zugleich Aufgehen, ja vielleicht sogar Auferstehung im unbenennbaren Urgrund - den jeder nennt, wie er's vermag.

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Lothar Atzert).
Der Beitrag wurde von Lothar Atzert auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Lothar Atzert als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Das Licht umarmen: Gedichte von Maria Pfanzelt



Die Nähe zu den Menschen und die Auseinandersetzung mit dem Mensch-Sein geben meinen Gedanken eine Stimme.
Die Hinwendung zum Ich und der innere Dialog haben meine Gefühle zum Klingen gebracht.
Der Poesie gelingen die Worte, den vielen Facetten, den Höhen und Tiefen unseres Seins Ausdruck zu verleihen.



Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spirituelles" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Lothar Atzert

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Thank you von Lothar Atzert (Wahre Geschichten)
Gott schüttelt den Kopf von Gabriela Erber (Spirituelles)
London...20.August 2011 von Rüdiger Nazar (Trauriges / Verzweiflung)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen