Susanna Giehl

Die Manthey - Prolog

PROLOG

 

Mit aufgerissenen Augen starte sie in die dunkle Nacht hinein. Ihr Herz schlug unbegreiflich schnell und ihren Atem vermochte sie kaum zur Ruhe zu bringen. Schweiß stand auf ihrer Stirn, pure Angst schrie ihr ganzes Ich.

Alles um sie herum war still, kein Laut war zu hören. Der Wind hörte auf zu wehen, die Grillen verstummten abrupt. In ihrem Zimmer herrschte eine tiefe Dunkelheit, ein tiefes unbeschreibliches Schwarz. Der Mond war verschwunden und kein Stern spendete ihr sein tröstendes Licht.

Was war nur gerade geschehen? Wie konnte sie mit offenen Augen nur so etwas träumen? Wie konnte sie den Schmerz des Verlustes nur so tief in ihrem Herzen spüren, als wäre es die Realität? Wie konnte sie hinein in ihren Körper sehen und etwas erkennen was noch jedem verborgen blieb?

Sanft strich sie über ihren noch flachen Bauch und eine Träne huschte fast unmerklich über ihre Wange. Nur ein leichtes kitzeln blieb auf ihrer weißen dünnen Haut zurück. Wie konnte es nur geschehen, wie konnte es entstehen?

Noch immer beherrschte diese unheimliche Stille den ganzen Raum und ihr unruhiger und schneller Atem gab dem ganzen eine schaurige Melodie.

Zitternd rieb sie sich ihre bernsteinfarbenen Augen bis diese in einem tiefen rot getränkt waren und brannten. Ihre zarten Hände waren feucht vor Angst und kalt wie der Tot. Sie hatte wirklich Angst! Zum ersten Mal seit sie denken konnte und in eigener Verantwortung den Dingen gegenüber stand, hatte sie Angst. Doch nicht um sich, sondern um den, den sie liebte und um das was sie lieben wird.

Geschehnissen taten sich auf einmal vor ihr auf, Taten wurden ihr aufgezeigt, alles was ihr und ihrer Liebe widerfahren würde. Alles was sie Opfern müssten, alles was sie schmerzlich verlieren würden und alles was sie dafür erhielten. Doch in der Relation stand es in keinem Fall.

Sie begann zu zweifeln, zum ersten Mal seit sie begann für ihr Zuhause zu kämpfen, zweifelte sie. Wieder streichelte sie sanft ihren Bauch und wieder begann sie zu weinen, leise, fast unmerklich.

Wie konnte man von ihr verlangen dieses Opfer zu bringen, diesen Schmerz ertragen zu müssen, alles zu verlieren für das es sich Lohnen würde zu sterben.

Langsam legte sie sich wieder zurück in ihre weichen, mittlerweile ausgekühlten Kissen und zog das dünne Laken bis unter ihr Kinn. Ein seltsamer Schauer überkam sie und sie ahnte dass etwas geschehen würde. Jemand würde kommen!

Als es geschah wurde es hell in ihrem Zimmer, wärme flog ihr zu und etwas streichelte zärtlich ihre Wange. Langsam richtete sie sich auf und ihre Angst begann zu schwinden. Als hätte sie nie existiert, als wäre es ein Spiel ihrer Einbildung gewesen.

Das Licht verschwand genauso schnell wie es erschienen war und nur ein kleiner Funken blieb in ihrer Dunkelheit zurück. Dieser Tanzte wie ein aufgedrehtes Glühwürmchen wild um sie herum und sie musste kindlich Lachen, denn es erinnerte sie an diese Zeit. An die Zeit in der sie noch unbeschwert und einfach nur Kind war. An der nicht die Existenz ihres zu Hause von ihren Taten abhing. Es erinnerte sie daran des es Zeiten gab an denen sie keine folgenschwere Entscheidungen treffen musste, wo sie nicht nachts wach lag und hoffte das Richtige getan zu haben. Es erinnerte sie an eine Zeit, bevor sie ihr Herz an einen Mann verlor, dessen Herz auch nicht das ihre sein dürfte. Eine Liebe die keine Zukunft haben konnte, ohne Perspektiven, ohne ein offenes Zugeständnis.

Vor ihrem Gesicht hielt der Funke auf einmal an und begann mit einer, ihr bekannten, weichen und lieblichen Stimme zu ihr zu sprechen. Als dieser Funke das Wort an sie Richtete überzog sie ein schwerer Schauer und gab andere Erinnerungen frei.

„Ich grüße dich Seilerra.“

Kaum wagte sie zu atmen als sie ungläubig fragte:“ Jy, Jy bist du das wirklich?“

Der Funken antwortete ihr und man glaubte in seinen Worten ein Lächeln zu hören:“ Ja, ich bin es. Ich bin hier, um dir die Angst zu nehmen, den Zweifel zu vertreiben. Dein Herz zu unterstützen, damit es eine kluge Entscheidung treffen kann. “

Traurig senkte sie ihr Haupt und blickte auf ihre noch immer kalten Hände. Ein Ring hing schwer an ihrem Finger, es war das Zeugnis ihres Seins, das Gefängnis ihres Tuns, die ständige Bestätigung ihrer Fehler.

„Wir wissen es schon sehr lange.“

Beantwortete der Funken, den sie Jy nannte, ihre stumme Frage und fuhr leise fort:“ Kaum etwas lässt sich vor uns verbergen, kaum etwas das wir nicht wissen. Wir spüren deine Liebe zu ihm und seine Liebe zu dir. Wir, die immer getrennt waren kehrten zusammen um zu urteilen.“

Erschrocken blickte sie nun direkt in den Funken. Ihre sonst so glatte Stirn schlug mit einem mal tiefe Falten und sie hatte zum ersten Mal Anzeichen ihres unausgesprochenen alters in ihrem Gesicht.

„Welch Urteil? Werde ich für etwas bestraft das ich nicht steuern konnte, dessen ich mich nicht entziehen wollte?“

Wieder spürte sie wärme auf ihrer Wange, als würde der Funken sie berühren.

„Ihr habt beide gegen ein uraltes Gesetz verstoßen. Ihr seid über einen Graben gestiegen, den man anlegte um die jeweiligen anderen zu schützen.“

Der Schmerz in ihren Augen wurde immer sichtbarer, das Leid in ihrem Herzen erdrückte sie fast von innen. Mit fester und doch bebender Stimme sagte sie überzeugt:“ Wir sind nur neue Wege gegangen. Haben etwas hinter uns gelassen das es schon lange nicht mehr geben dürfte. Ich erkenne keine Schuld in mir und werde mich auch dessen so äußern. Ich sehe in ihm keinen Fehler, nein, ich lasse diesen Gedanken nicht zu. Ich lasse mir von dir nicht mein Glück nehmen nur weil die Ahnen eine Fehde nicht vergessen können. Bestraft mich, aber das Gefühl das in mir hegt, seit ich ihm mein Gegenstück erkannte, das werdet ihr mich nicht nehmen. Ich gebe ihn nicht auf, denn wenn ich es täte würde ich mich verlieren.“

Die Stimme des Funken wurde ernster, verlor fast den lieblichen Klang:“ Du hast einer Bestimmung zu folgen! Du hast einen Weg zu gehen der dir Bestimmt ist! Du wurdest als Königin geboren, als Königin erzogen und sitzt nun auf dem Thron der dir Bestimmt war! Er gehört nicht dazu, nicht er. Die Sterne zeigten dir einen anderen Weg voraus, du solltest einen anderen gehen.“

„Die Menschen sagen: Der Mensch allein ist seines Schicksals Schmied. Ich gehe einfach voran, verlasse mich nicht auf das Trugbild der Sterne. Schritt für Schritt geh ich voraus und komme auch so an mein Ziel. Er, ist ein Streckenposten, eine erholsame Pause auf dem langen Weg den ich schon gegangen bin und den ich wohl noch gehen muss. Ich kann nicht mehr ohne ihn sein, ich kann meinen Weg ohne ihn nicht finden.“

„Der Mensch ist ein naives Geschöpf! Glaubt nur an das was für ihn in diesem Moment das Richtige zu sein scheint, an das profitabelste.  Du bist kein Mensch, dein Glück ist bestimmt. Wenn du den Falschen Weg einschlägst wirst du alles verlieren, so wie in deiner Vision.“

Sie erstarrte und blickte wieder in den Funken, dabei streichelte sie sanft ihren Bauch. Ihr Atem war schwer, ihre Augen müde und als sie ihm antwortete glaubte sie selbst kaum was sie in diesen Sekunden sagte:“ Dann soll es so sein. Ich nehme das Alleinsein im Tot in Kauf, habe ich doch nur seine Nähe im Leben. Ich nehme die Art wie ich sterben werde hin, denn ich weiß, das es das wert ist, dies in mir zu spüren, es zu sehen und zu wissen das es aus unserer Liebe entstand, denn es ist ein Wunder. Und dieses Gefühl, dieses Wissen, kann mir keiner nehmen, Jy. Nicht einmal die Ahnen.“

„Du stellst dich gegen alle die dich schützen wollen? Du stellst dich gegen mich und denkst nicht einmal über meine berechtigten Zweifel nach?“

Der Funken bebte ein wenig und die Stimme die aus ihm heraus erklang zitterte. Hektisch schüttelte sie den Kopf und widersprach:

„Nein, ich würde mich niemals gegen dich, meinem Lebensgeist, stellen. Ich verstehe die Zweifel, auch wenn ich zu wissen glaube, das es nicht deine eigenen sind.“
Sie schwieg kurz und strich sich eine ihrer braunen Strähnen aus dem Gesicht bevor sie mit neuem Atem fort fuhr:“ Und ja, ich stelle mich gegen die Ahnen, die sich einreden mich schützen zu wollen, doch wollen sie nur ihren Weg sichern. Die alten Traditionen nicht verlieren, denn sie haben Angst in Vergessenheit zugeraten. Doch in dem Glauben alles Richtig zu machen, begehen sie einen Fehler nach dem anderen. Ich nenne nur einen von vielen…: Guay.“

Der Funken sank fast kraftlos auf ihre Knie herab und die Stimme gab traurig zu:“ Dies war ein Fehler, gewiss, etwas das nicht wieder gut zu machen ist. Einen Weg der Falsch gewählt wurde.“

„Da sagst du es doch selbst, vielleicht wählte man meinen Weg auch Falsch. Ich glaube fest daran, dass alles was geschehen ist, geschehen sollte. Das meine Liebe alle retten wird und wenn es noch ewig dauern soll. Mein Herz interessiert es nicht was die Sterne sagen und die Ahnen verlangen. Mein Herz hat Recht und egal was mit mir, oder dem Wesen unter meinem Herzen geschehen wird, weiß ich doch,  dass es Richtig ist. Es wird sich alles finden und selbst die Sterne werden ihr Bild verändern und sich dem anpassen. Das Leben findet immer einen Weg und das Licht, wird über das Dunkel triumphieren!“

 „Du nimmst ein endliches Leben mit ihm in Kauf und verzichtest auf die Zweisamkeit in der Ewigkeit?“

Verzweiflung hörte man aus dem kleinen Lichtchen, doch sie antwortete stark und überzeugt:“ Du weißt genauso gut wie ich, das wir niemals eine Zweisamkeit haben dürfen, nicht dort wo man uns verurteilt. Lieber ist etwas endlich, als das es gar nicht erst existiert!“

Ein langes Schweigen machte sich zwischen ihnen breit und nach einer Ewigkeit meinte der Funken ernst:“ Nun denn…, so soll es so  sein!“

Der Funken erhob sich wieder und aus ihm heraus entstand langsam eine schlankes Wesen, gehüllt in einem dunklen Umhang. Das Gesicht versteckt durch eine tief herab gezogene Kapuze, nur ein scheues lächeln strahlte darunter hervor und die zarten Hände griffen bestimmend nach den ihren. Nun umgab beide diese Dunkelheit und es schien als würden sie sich gegenseitig festhalten um zu verhindern darin verloren zu gehen.

„Nun werde ich dir sagen, was die Ahnen und ich sahen: Du wirst deinen Weg gehen Seilerra, wie schon immer, doch nicht mit diesem Kind.“

Sie wurde bleich und wollte sich ihren Händen entziehen, doch Jy hielt diese rigoros fest in den ihren.

„Wir erhielten eine deutliche Botschaft und wissen nun, wenn es überleben sollte, es unsere Rettung sein wird.“

„Was sollten dann deine Worte, was sollten diese Vorwürfe?“
Ihr Blick trug pure Verzweiflung und ihre Stimme zitterte vor Wut.

„Wir mussten doch sehen, ob du wirklich und tatsächlich alles aufgeben würdest.“

Jetzt berührte einer ihrer Hände den Bauch ihres Schützlings und es wurde angenehm warm unter ihrer Berührung.

„Wir mussten deinen Weg verstehen, Seilerra, um die neuen Zeichen lesen zu können… Alles hat sich verändert, wie du sagtest, jeder Stern begibt sich in diesen Minuten in eine andere Konstellation… Es… es hat begonnen zu Enden!“

Sie verstand nicht, was geschah gerade, was war vor wenigen Minuten geschehen? Warum ahnte sie dass ihr Herz gleich weinen würde!

„Wir müssen es schützen, fortbringen von hier, denn auch ER erfuhr von dem was sein Ende sein könnte. Er will es haben Seilerra, er will es zerstören, mit aller Macht!“

Tränen lösten sich aus ihren Augen, schweigen, nicht mehr als ein tiefes schmerzvolles schweigen konnte sie wiedergeben. Jys Stimme wurde schwer:“ Du wirst es nicht austragen können und du wirst es nicht in den Armen halten können. Es wird dich niemals ansehen…, niemals deine Liebe spüren.“

Ihre Augen wurden leer, Übelkeit stieg in ihr auf, und ihr Herz weinte.

Es viel ihr schwer den Kopf zu schütteln doch sie tat es und ihre Stimme war rau als sie zu Jy sagte, nein, fast flehte sie:“ Das kannst du nicht von mir verlangen…! Es ist ein Teil von mir und ihm, es gehört zu uns…! Nehmt es mir nicht weg.“

Sanft berührte Jy ihre Wange und Kniete vor ihr nieder.

„Wir nehmen es dir nicht weg, das könnten wir gar nicht, du musst es uns geben um es zu beschützen, um alles was wir sind zu retten…! Es wird immer nur dein sein, es wird euch beide bis in alle Ewigkeit vereinen, doch musst du es schützen damit es uns retten kann. Es muss fort, denn du hast heute Nacht auch gesehen was mit dir geschehen wird. Schütze es vor dem Tod, Seilerra, denn davor kannst du nicht davon laufen. Es wird das Ende des Weges sein den du gehen wolltest, den du für den Richtigen hieltest. Und glaube mir, es war der Richtige, der einzig Richtige, denn damit hast du etwas geschaffen das einem Wunder gleicht, etwas das uns endlich wieder zusammenführen wird und nichts war umsonst.“

Seilerra schwieg und blickte eine Ewigkeit auf ihre Hände, die bebten, die so Hilflos waren.

„Es wird Leben?“

Ihre Stimme zitterte und brach, ihr Herz setzte ab und zu aus und ihr Hals schmerzte von dem unterdrückten Schluchzen tief in ihrer Kehle.

„Es, ist ein Mädchen. Sie wird wunderschön sein, unbeschreiblich mächtig und sie wird den Namen Keyra tragen.“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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