Es war einmal ein kleiner Stern, der war so winzig, dass er von keinem der anderen Sterne gesehen wurde. Abend für Abend nahm er sich vor, heller zu strahlen als je zuvor. Nacht für Nacht wurde er traurig, weil sein Licht nicht einmal ausreichte, um den nächsten Stern zu erreichen. Und Morgen für Morgen schlief er vor Erschöpfung ein. Doch der kleine Stern ließ sich nicht entmutigen. Sobald es anfing zu dämmern, packte ihn ein ungeheurer Mut, sein Glück von Neuem zu versuchen. Er war so sehr damit beschäftigt, noch besser und noch heller zu strahlen, dass er nicht einmal seine eigene Einsamkeit bemerkte.
Eines Abends, als der Mond gerade am Himmel erschien, sammelte der kleine Stern wieder einmal seine Kräfte und sagte bei sich:" Heute Nacht schaffe ich es! Jetzt werde ich der ganzen Welt zeigen, wie schön ich leuchten kann!" Er strahlte heller als je zuvor, blinkte den anderen Sternen Signale zu und war überzeugt davon, heute endlich gesehen zu werden. Die anderen Sterne unterhielten sich in Sternsprache, knüpften an ihre gestrigen Gespräche an und erzählten sich von ihren Träumen. Der kleine Stern wünschte sich so sehr, mit ihnen reden zu können, denn an diesem Tag hatte er einen sehr interessanten Traum gehabt. Er merkte nicht, wie die Zeit verging, bis die Morgenröte langsam hereinbrach und die anderen Sterne sich einen guten Tag wünschten. Erschöpft und einsam ließ er sein Licht langsam erlöschen, wieder ohne von irgendeinem anderen Stern bemerkt worden zu sein. Der kleine Stern wurde traurig, denn heute war sein Geburtstag. Nun versuchte er schon seit 2 Millionen 3199 Jahren sein Glück, ohne den kleinsten Erfolg. Müde und traurig legte er sich schlafen , doch der ersehnte Schlaf, der ihn ins Reich der Träume bringen sollte, kam nicht. Er dachte lange nach. "Warum sieht mich nie jemand? 2 Millionen 3199 Jahre bin ich nun hier, ohne dass irgend jemand von meiner Existenz weiß." Eine einzelne Träne löste sich und schwebte zeitlos durch die Umlaufbahn. Der kleine Stern dachte an die Zeit, die er damit verbracht hatte, heller und schöner zu strahlen. Dachte an all die Nächte, in denen er seine Zeit vergeudet hatte. "Wenn ich jetzt verschwinde, wird das auch keiner merken. 2 Millionen 3199 Jahre versuche ich nun mein Glück, ohne ein einziges Mal gesehen worden zu sein. Vielleicht ist es an der Zeit, die Welt zu verlassen." Der kleine Stern war nicht glücklich über diese Gedanken- schließlich hatte er sich lange gewünscht, wie die anderen zu sein. "Warum bin ich anders?" fragte er sich. "Warum bin ich so klein, dass mich niemand sieht? Irgend einen Sinn muss mein Dasein doch haben, sonst gäbe es mich ja nicht..." Er grübelte noch eine Weile, bis er vor Erschöpfung einschlief.
Als der Abend dämmerte, erwachte er. Er fühlte sich einsamer als je zuvor und wollte erst gar nicht anfangen, zu leuchten. Doch irgendetwas in ihm wehrte sich gegen seine Resignation, Irgendwas war nicht bereit, die Welt für immer zu verlassen. Da strömte auf einmal ein seltsames Licht aus seiner Mitte, welches er nie zuvor bemerkt hatte. Es leuchtete so grell, dass er erstmal gar nicht wahrnahm, dass dieses Licht von ihm kam. Erst als er die Unruhe um sich herum bemerkte, wurde er aufmerksam. "Was ist das für ein Licht?" fragte der Stern links von ihm seinen Nachbarn. "Ich weiß nicht. Das habe ich noch nie zuvor gesehen." Der kleine Stern wunderte sich. Er fragte sich, ob er wohl noch träume. "Doch wie kann ich träumen? Ich sehe doch die anderen Sterne und den Mond." murmelte er vor sich hin. "Hast du das gehört?" fragte sein Nachbarstern. "Wer bist du?" Da durchströmte ihn ein solches Glücksgefühl, dass er sogleich heller strahlte, als die großen, alten Sterne neben ihm. Und endlich wurde er gesehen.
Der kleine Stern strahlte noch lange heller und schöner, als er es sich je erträumt hätte. Morgen für Morgen verabschiedete er sich von den anderen Sternen. Tag für Tag träumte er die schönsten Träume. Und Abend für Abend freute er sich, den anderen seine Träume erzählen zu können. Niemals in den 2 Millionen 3199 Jahren seines einsamen Daseins hatte er bedacht, dass Wünsche oft erst dann in Erfüllung gehen können, wenn man ihnen den Freiraum gibt, sich ganz von alleine zu verwirklichen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.09.2009.
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