Luki K

chez la madame

 

- laissez le bon temps rouler




Vor 2 Jahren hatte ich in Hyères einen Sprachaufenthalt gemacht. Diesen Sommer reiste ich erneut nach Südfrankreich, wo ich meine Ferien bei Oria verbrachte, der Frau, bei welcher ich während dem damaligen Aufenthalt  logiert hatte.

 

 

I – en retard

Nach dem Flug von Genève nach Nice habe ich eine etwa zweistündige Wartezeit am Bahnhof der Hafenstadt zu bewältigen, doch ich weiss das Intervall gut zu überbrücken. Leute beobachten ist meine Lieblingsbeschäftigung während dem Warten.

Ich schwitze und die Luft ist stickig. Heimatklänge von Patent Ochsner dringen in meine Ohren. Ich mag die Grossstädte nicht und freue mich auf die Ankunft in Hyères, wo nur schon am Bahnhof mehr Luft zum Atmen vorhanden ist, als hier.

Mein Blick huscht stets auf die Anzeigetafel, doch neue Informationen gibt es keine: Man weiss in Frankreich immer erst im letzten Moment, auf welchem Gleis der Zug fahren wird. Fünf Minuten vor fahrplanmässiger Abfahrt werde ich langsam nervös und frage bei einem Angestellten nach. Dieser zuckt mit der Schulter, meint, „c’est pas déjà marque“ und ich müsse mich noch etwas gedulden.

Ich schaff’ es dann doch noch in den Zug, nehme meinen Platz ein und schwitze weiter. Die Klimaanlage in diesem Waggon ist defekt. Der Schweiss rinnt mir wortwörtlich von der Stirn herunter, die Leute fächern sich mit etwas in der Not gefundenem Luft zu. Eine Frau zieht sich den Rock von den Unterschenkeln leicht in Richtung Oberschenkel, um so in dieser Region an Luft zu kommen. Die Beine hält sie während der Prozedur konservativ aneinander gepresst. Es verdrehen alle ihre Augen, weil es so heiss ist. Nicht das Rockhochziehen, sondern die Temperatur des Wetters. Männer versuchen mit Schraubenziehern und Zangen die Fenster zu öffnen, doch diese klemmen fest.

Mir wird es zu viel und ich wechsle den Zugswagen. Erleichtert atme ich auf, lasse mich in einen dreckigen Sessel fallen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, welche immensen Unterschiede es in einem Nachbarland haben kann. Es ist alles dreckiger als bei uns in der Schweiz (und ich möchte damit nicht eingebildet klingen, aber es stimmt…) und es ist alles so… anders. Beispiel: Der Zug fährt nach einem Halt bei einem Bahnhof nicht gerade weiter. Nach einigen Minuten beginnt sich etwas Unruhe breit zu machen, einer steht auf und murmelt etwas von wegen Kontrolleur suchen. Er kommt zurück und verkündet, es daure noch „un petit peu“.

Ein bisschen. Keine genauen Zeitangaben, keine genauen Gründe wieso. C’est super!

40 Minuten (!) – und das ist keineswegs übertrieben – dauerte der Spuck, dann rollt der Zug weiter. Kurz und gut: Mit Verspätung komme ich dann doch noch in Hyères an und Oria steht wartend, geduldig und freudig am Bahnhof. So wie ich sie in Erinnerung behalten habe.

 

 

II – j’ai besoin d’un velo

Es ist noch alles genau gleich wie vor zwei Jahren. Das Kissen im Bett scheint mir noch immer zu hart, es ist noch genau so heiss wie damals, alles in der Stadt sieht identisch aus wie im vorletzten Sommer und; Ich brauche noch immer ein Fahrrad. Zu Fuss ist man hier echt aufgeschmissen. Oria wohnt etwas ausserhalb von centre ville und auch zum Strand dauert es ein Weilchen. Darum… Ein Fahrrad muss her! Ich leihe mir bei einem Fahrradverleihcenter also ein Zweirad.

Zurück in der Stadt setz’ ich mich auf eine Bank und beobachte die Leute, welche sich durch die engen Gassen Hyères schlängeln. Es hat in diesem Jahr nicht so viele Touristen, auch diese Gegend bekommt die Grippepandemie zu spüren.

Ach, ich liebe diese Region! Die Gelassenheit, welche man hier an den Tag legt. Dass die Kellner nicht einfach „Bonjour“ sagen, sondern dich mit „jeune homme tout seul“ ansprechen, oder wenn man mit einer Gruppe da ist mit „medames, messieurs, bonsoir“. Es wird einem nicht so ein unfreundliches „Grüezi“ an den Kopf geschmettert, wie es einige in der Schweiz tun. Ich mag den Duft der Gemüsestände in den schmalen Fussgängerpassagen, die Unbekümmertheit und die kleinen Tellerchen für das Rückgeld. Das „ça va?“ und das belanglose, leicht gelangweilt klingende „ça va, oui“ als Antwort. Les formules. Und ich mag die Menschen und den Umgang untereinander.

La tranquillité.

Während meinem Aufenthalt ist auch noch ein Student, der die Sprachschule besucht, bei Oria einquartiert. Patrick, 24 Jahre alt, ebenfalls aus der Schweiz. Mit diesen Informationen bin ich schon vor meiner Reise betraut worden. Patrick hat mir gestern nach dem Essen gesagt, er werde für das Wochenende mit einem Mietauto nach Nice fahren. Wir zwei haben uns auf Anhieb gut verstanden und er hat gesagt, ich könne gerne mitkommen, wenn ich Lust hätte. Ich habe also den ganzen Morgen lang Zeit, mir über das Gedanken zu machen, obwohl meine Entscheidung eigentlich schon längst gefallen ist: Natürlich komme ich mit!

Und so machen wir uns mit einem Peugeot 207 – einem Cabriolet! – gegen Abend auf nach    Nice. Dort angekommen schlendern wir zum Hotel, wo uns ein Portier, welcher kein Französisch spricht, in Empfang nimmt. Wir gehen nach dem Zimmerbezug ziemlich bald in die Stadt, wo wir uns in einem kleinen Restaurant den Bauch vollschlagen. Dann bummeln wir etwas durch die Strässchen und auf dem Rückweg zum Hotel meint eine Nutte, ich sei ihr „mon amour“. Ich schmunzle still in mich hinein. Gute Nacht.

 

 

III – chez les riches

Einmal mehr verbringe ich den Schweizer Nationalfeiertag im Ausland – und es ist mir total egal. Wir frühstücken in einer Brasserie, wo viele ältere Männer ebenfalls einen Café trinken und über ihr Leben und die Politik diskutieren. Es kommt mir in Frankreich immer so vor, als ob niemand arbeitet, sondern immer alle in diesem gemütlichen Ambiente sitzen, quatschen, rauchen und den Frauen nachschauen. Nach einem croissant fahren wir mit unserem Superwagen nach Monaco. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass unser Auto in denjenigen der anderen kläglich untergegangen ist. Wir fanden uns in Mitten superreicher Leute wieder, Bonzen, die ihr ganzes Leben auch noch normal finden und es nicht zu schätzen wissen. Millionäre, welche sich zur Schau stellen und noch arroganter rüberkommen, als sie es ohnehin schon sind. Wir genehmigen uns im Restaurant Casino eine Cola (Preis unkommentiert) und schauen zu, wie sie ihre Autos präsentieren und mit Sonnenbrille und ausgestrecktem Ellbogen eine Runde vor dem Hotel de Paris drehen, um sich so hervorzuheben. Einen Tisch hinter uns sprechen einige über ihr Leben und prahlen, wie viele Autos sie zu Hause stehen haben, und wie viele Frauen.

Etwas später laufen wir zum Prinzenpalast und schauen uns die Altstadt auf dem Monte Carlo an, ebenfalls ein wunderschönes Städtchen, vielen Touristenläden und einem wundervollen Königsanwesen. Eine Taube fliegt auf mich zu und ich weiche instinktiv aus, obwohl ich ja weiss, dass sie mir sowieso vorher aus dem Weg gehen würde. Scheiss Tauben!

Wir fahren weiter nach villefranche-sur-mer, eine herzige kleine Bucht direkt am Mittelmeer. Ein Hauch von Nostalgie und ganz viel südlicher Mentalität. Herrlich.

Wir gönnen uns ein Bad in den Wellen des Mittelmeeres und bräunen uns in der Nachmittagssonne. Einige Tauben spazieren auf dem Sand herum. Tauben, die ihr Leben geniessen. Die frei sind. Die machen können, was sie wollen. Essen, was sie finden. Über die Badetücher der Touristen laufen. Die Leute von der Luft aus vollkacken… Scheiss Tauben!!

Das Nachtessen nehmen wir wiederum in Nice ein, in der Altstadt mit dem italienischen Touch. Dieser Ort ist das Highlight meiner Reise, es ist einfach fantastisch da. Wunderschöner Hauptplatz, meterlange Sandstrände, idyllische Gassen. Wir speisen in einem gemütlichen Restaurant, werden von einem humorvollen Kellner bedient und sprechen einmal mehr über Gott und die Welt, über Bücher, über Frauen und darüber, was für Arschlöcher wir Männer oft sind. Zum Glück ist Patrick kein Migräne-Typ, einer, der am Abend lieber zu Hause bleibt und ein Buch liest oder immer müde ist und früh schlafen gehen will. Schön, dass er unternehmenslustig und weltoffen ist.

Es ist eigentlich – ganz grundsätzlich betrachtet – schon komisch, dieses blinde Vertrauen, das man an den Tag legt. Dass ich einfach so, mit einer mir fremden Person in einem fremden Hotelzimmer in einer fremden Stadt verweile. Ach, ich liebe dieses Feeling… So unbekümmert und unbeschwert, so frei und unabhängig.

 

 

IV - bonheur

Wir geben uns zum letzten Mal der eindrucksvollen Altstadt Nice hin, frühstücken wiederum in einer Brasserie und flanieren dann noch über den Markt, wo ein Verkäufer lautstark und immer wieder 2kg Früchte für 3€ anpreist. Er schreit regelrecht. Vermutlich ein Italiener…

Auf dem Rückweg zum Parkhaus bummeln wir noch einmal durch die schmalen Wege, bewundern Springbrunnen, den Palais de justice und weitere Sehenswürdigkeiten für Touristen wie uns.

Den Peugeot 207 haben wir im Parkhaus Mozart übernächtigen lassen, einer Tiefgarage, in welcher ein Parkplatz läppische 25€ par jour kostet. Wir gönnen uns den Luxus, einerseits weil wir in den Ferien sind und andererseits, weil wir sonst schlichtweg nirgends Platz gefunden hätten. Im Mozart-Parkhaus läuft die ganze Zeit einen eigens dafür kreierten Radiosender, der natürlich nur Klassisches spielt. Ich weiss nicht, ob es auch wirklich von Mozart ist.

Schnellstmöglich – wir mögen die Musik beide nicht – verlassen wir die Garage und öffnen die Abdeckung unseres Wagens. Der Fahrtwind bläst uns ins Haar, bessere Musik dringt in unsere Ohren und wir machen uns auf, auf in den letzten Tag zusammen mit unserem Schlitten. Der Weg führt uns der Küste entlang nach Antibes und danach nach Cannes. Wiederum eine sehr reiche Stadt, mit sehr reichen Gästen. St. Tropez und Monaco lassen grüssen.

Reich ist sowieso relativ. Was ist Reichtum? Irgendwodurch sind wir doch alle reich. Reich an Lebensfreude, reich an Freunden, reich an Kraft und an Motivation. Da gibt es keine eigentliche Definition dafür.

Wir speisen in einem gemütlichen Restaurant und machen uns dann auf zur letzten Destination unseres Ausfluges: Grasse. Die Stadt des Parfums. Hätte ich Süsskinds Roman nicht gelesen, wäre mir der Besuch dieses Dorfes nicht so wichtig, doch so freue ich mich drauf. Wir laufen durch das Städtchen, doch weil Sonntag ist, haben viele Geschäfte geschlossen und auch sonst scheinen wenige Feriengäste da zu sein. Wir besuchen eine Gratisführung in einer Parfümerie, wo wir in einem 20-Minuten-Vortrag über die Herstellung und das Destillieren des Parfums und sogar über Seife vollgelabert werden. Das einzig Interessante ist die hübsche Referentin…

Via Autobahn fahren wir zurück „nach Hause“ und können während der gut eineinhalbstündigen Fahrt den sich langsam anbahnenden coucher de soleil beobachten. In der Nähe von Hyères machen wir dann noch einen definitiv letzten Stopp und spazieren zum Meer.

Wenn man von Beginn weg von irgendetwas begeistert ist, spricht man in Frankreich von einem coup de coeur. Und dieser Moment ist so einer. Der Wind ist stark und das Meer wellt hoch. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu. Möwen flattern im gelblichen Licht über das Wasser. Und ich fühle mich gut.

Liberté. Egalité. Fraternité.

Ich fühle mich glücklich und unbesorgt. Ich fühle mich reich. Es ist einfach… unbeschreiblich. Le bonheur.

 

 

V – mistral de la merde

Der erste Tag am Strand von almanarre – und schon macht mir der eklige, beständige Wind „mistral“ einen Strich durch den schönen Plan. Immer mal wieder kommt mistral die Region rund um Hyères besuchen. Er verschwindet zwar meist nach einem Tag wieder für eine Weile, doch wenn er mal da ist, windet er mit unglaublicher Stärke. Es hat immens hohe Wellen für die sonstigen Verhältnisse dieses Strandes und Sand peitscht uns ins Gesicht. Wir – Patrick, zwei seiner Schulkollegen und ich - bleiben trotzdem kurz und attackieren die Wellen, lassen uns von ihnen umherwirbeln und ins salzige Wasser drücken.

Nach etwa einer Stunde haben wir dann doch genug, es ist zu ungemütlich, um ruhig am Strand liegen zu können. Wir fahren also zurück zum Platz Massillon, welchen neben dem Aussichtsturm ein halbes Dutzend Restaurants schmückt. Oben in der Stadt windet es nie so stark wie unten à la plage, weshalb wir in aller Ruhe eine coca geniessen. Und einen café au lait. Und einen coupe des galcés.

Abends entferne ich beim Duschen noch die restlichen Sandkörner aus Haar und Ohr. Sand im Ohr! Und das nur wegen dem mistral…

Oria kocht für uns pâtes bolognaise und nach dem herrlichen Gericht schwingen Patrick und ich uns abermals auf den Fahrradsattel. Wir fahren zum Hafen, wo im Rahmen des Musikfestivals ein Konzert stattfindet. Seine Mitschüler warten bereits auf dem Gelände und wir nehmen ebenfalls unseren Platz ein. Das gut 90-minütige Konzert ist relativ schnell zusammengefasst: Die tambours du bronx präsentieren uns ein monotones, aggressives Electro-Benzinfass-Getrommel. Ich wäre froh, hätte ich den Sand beim Duschen in den Ohren gelassen…

 

 

VI – la ville d’art

Heute steht der Ausflug nach Aix-en-Provence an, und dort angekommen schnappe ich mir zuerst einmal  einige Prospekte im Tourismuscenter und gönne mir einen Tee. Und jetzt weiss ich auch, weshalb hier immer alle einen Expresso auf dem Tisch stehen haben: Es liegt einzig und alleine am Preis. Ich habe fast 4€ für den thé fruit bezahlt…

Nachdem ich mir mittels Stadtplan eine kleine Übersicht über die Umgebung geschaffen habe, zahle ich den Tee (ich gebe kein Trinkgeld) und mache mich auf, Aix auszukundschaften. Die Kunststadt des französischen Südens bietet malerisch verträumte Plätze, für mich Harmonie ausstrahlende Gässchen, eine mediterrane Stadt halt, typisch französisch. Ich schlendere durch einen Markt, kaufe mir als Souvenir die berühmten callisons und bestelle um die Mittagszeit wieder einmal eine formule. Diesmal mit Kaffee. Einem Aix-Presso.

Nachmittags mache ich mich auf nach Marseille. Die Stadt habe ich schon im Jahre 2007 gesehen, aber warum nicht meinen ersten, eher schlechten Eindruck wettmachen und mich von einer neuen Portion Marseille verzaubern lassen? Mit dem Bus fahre ich einer trockenen und felsigen Landschaft entlang, man erkennt Hügel und Gestrüpp, etwas Wald und einzelne Häuser. Dann plötzlich ein Industriegebiet, Einkaufscenter, Kinos und Restaurants. Die Zivilisation weicht erneut der Wildnis, und mit ihr kommt abermals Holz, das wild herumliegt. Und immer mal wieder schwarze, düstere Graffitis, welche an Brücken gesprüht worden sind.

In Marseille lande ich in einem anderen Teil der Stadt als dies vor zwei Jahren der Fall war. Doch ich mag diese nach Abgas stinkende, dreckige, verlogene und kriminelle Stadt immer noch nicht. Ich weiss nicht ob mir das nur so vorkommt, doch ich habe echt das Gefühl, die Leute dort seien unfreundlicher und unglücklicher als in anderen Städten der Region. Trotzdem spazierte ich ein bisschen in der Stadt umher, setzte mich in ein Kaffee und lese in meinem Buch.

Am Bahnhof, wieder einmal auf den Zug wartend, leiht sich ein jeune fille mein Mobiltelefon kurz aus, da ihr eigenes - warum auch immer - nicht mehr zu funktionieren scheint. Es stellt sich heraus, dass auch sie auf dem Weg nach Hyères ist und so teilen wir uns für den gemeinsamen Reiseweg ein Zugsabteil. Das Höflichkeitsgespräch während der Fahrt fällt relativ kurz aus. C’est comme ça.

 

 

VII – c’est la vie

Patrick hat mir schon von den Bibelis erzählt, heute lerne ich sie kennen. Und sie sind genau so, wie ich sie mir vorgestellt habe: Knapp volljährige Weiber, die kichernd und viel zu laut etwas umherquaken und –schnattern. Ich bin seit elf Uhr am Strand – ohne Wind – und geniesse den strahlend blauen Himmel. Soweit es denn geht, denn die Bibelis sind nicht meine einzige Sorge: Mir wurde schon im Jahre 2007 immer nahe gelegt, das Fahrrad auch wirklich überall und wenn möglich mit doppelter Sicherheit abzuschliessen, es werde so schnell gestohlen hier. Tat ich dann auch immer. Dumm nur, wenn man den Schlüssel für sein eigenes Fahrradschloss nicht mehr findet. Irgendwie merke ich mein Missgeschick plötzlich und watschle zurück zum Fahrrad. Irgendwo muss der Schlüssel doch sein, denke ich mir und suche den Boden rundherum ab. Und wie es so geht im Leben, ich finde ihn nicht. Nicht im Sand beim Fahrradparkplatz, nicht in der Hose, nicht im Rucksack. Leicht panisch, was ich denn nun machen soll, rufe ich beim Vermieter des Zweirades an und frage, ob ich den Zweitschlüssel abholen kommen könne. Doch wie es so geht im Leben, die haben nur diesen einen Schlüssel. Eigentlich logisch, dass davon keine Kopie vorhanden ist, ich bin ja hier schliesslich in Frankreich. Noch einmal schaue ich akribisch jeden Zentimeter ab, finde aber nichts. Zwei ältere Frauen helfen mir sogar bei der Suche, erzielen aber ebenfalls keinen Erfolg. Ich schreibe eine SMS an Patrick, der schnappt sich an der Schule eine Riesenzange und so zwicken wir abends – unter komischen Blicken anderer Urlaubsgäste – mein Schloss auseinander. Und mein daraus folgendes Zitat des Tages: Lieber den Schlüssel im Sand verlieren, als 200€ Depot für ein Fahrrad in den Sand stecken.

 

 

 

 

VIII - rosé

Mein letzter Tag in Hyères. Mein letztes café am Morgen, die Leute beobachtend, dem Bettler zuschauend und in meinem Buch lesend. Mein letztes Panini in der Stadt als Mittagessen. Meine letzte Fahrt an den Strand.

Nachdem die Studenten die Schule fertig haben, kommen sie ebenfalls à la plage. Eine schmiert sich eine rote, mouse-artige Paste auf die Haut – und soweit ich ihr mit einem extrem englischen Akzent gespicktes Französisch richtig verstehe, soll es ihre Haut bräunen.

Ich geniesse diesen letzten Nachmittag in vollen Zügen. Während sich die Sonne immer weiter dem Horizont zuneigt, lausche ich den Wellen des Meeres und einigen Klängen von „Chan Chan“ – meinem Ferienlied schlechthin. Ich schaue aufs Wasser und fühle mich gut.

Auf dem Nachhauseweg kaufe ich mir noch Proviant für die bevorstehende Heimreise. Und zwar im Supermarkt, was sich als Fehler herausstellt: Die haben da viele Leute, die anstehen, um ihre Waren zu bezahlen. Und die haben da viel zu wenig geöffnete Kassen. Und die haben da – in meiner Schlange logischerweise – eine Quasseltante. Und die warten wirklich, bis der Kunde nach dem Zahlen sämtliche Sachen eingepackt und sich von der Kasse entfernt hat, und erst dann bedienen sie den Nächsten an der Kasse. Und bei Feierabend nehmen sie ihr Kässeli unter die Arme, stolzieren zu den anderen Mitarbeiterinnen und verabschieden sich bei allen mit zwei Küsschen und einem kurzen Gespräch über das bevorstehende Wochenendprogramm. Und während die Kunden noch immer anstehen und darauf warten, endlich zahlen zu können, quasseln sie munter weiter, auf welche Party sie gehen und was sie dazu anziehen werden.

An meinem letzten Abend in Frankreich sitzen Patrick, die anderen Studenten und ich gut gelaunt an einem gemütlichen Platz in der Altstadt, trinken Wein und hören den Musikinterpreten zu. Die singen „Et maitenant“, leider in einer billigen Cover – Version, und noch billigere Covers von Mariah Carey. Wir alle finden die Musik auf alle Fälle schrecklich, doch vielleicht liegt das auch am rosé und nicht an den Sängern.

Wir quatschen, haben es lustig. Irgendwie landet immer wieder eine Flasche auf dem Tisch und niemand weiss so recht, wer das eigentlich alles bezahlt hat. Wir sprechen über die verschiedenen Dialekte und Sprachen, machen uns über das Schweizerdeutsch und das Schwedisch lustig und tauschen Wörter in den diversen Sprachen aus, von denen ich mittlerweile schon wieder alle vergessen habe.

 

 

IX – et de retour

Ich schwinge mich müde und etwas schwummerig fühlend aus dem Bett um Oria und Patrick au revoir zu sagen. Er muss zur Schule, sie muss zum Arzt. Ich rede noch ein bisschen mit Patrick, man sagt sich, dass wir in Kontakt bleiben werden. Das habe ich gestern auch den anderen Studenten versprochen, doch kaum zu Hause, fügt man sich auf facebook zu seinen Freunden hinzu, aber eigentlich auch nur, um die Urlaubsfotos austauschen zu können. Während man sich sagt, ab und zu noch zu schreiben, weiss man schon, dass es bis auf das obligate „Bist du noch gut nach Hause gekommen?“ eh nichts Weiteres zu kommunizieren gibt.

Ich esse etwas Weniges, packe meinen Koffer und werde dann von Orias Tochter zum Bahnhof gefahren. Mit dem Zug fahre ich ein letztes Mal der wunderschönen Küste entlang, Richtung Nice. Ich entdecke den Ort Saint-Raphaël, der sich herzig am Strand räkelt und den ich gerne noch etwas ausgiebiger bewundert hätte. Während der Zug vor sich hin rattert, beschäftigt sich die Bahnpolizei mit zwei Frauen, die anscheinend am falschen Platz sitzen, und das, obwohl sie mit der Miene „mais ecoutez – moi, monsieur…“ versichern, dass alles korrekt sei so.

Ich geniesse die Fahrt, lasse noch einmal meinen Blick über die wunderschöne Landschaft, le mer und den azurblauen Himmel schweifen. In Nice steige ich um in den bereitstehenden Bus zum Flughafen und entdecke zwei alte Männer, die auf einer Bank sitzend Pfeife rauchen und einem Minirock nachschauen, der sich ihnen provozierend nahe vorbeigeschoben hat.

Das Flughafenfeeling selbst ist dann wie immer ziemlich wartend, Leute die herumsitzen und lesen, Musik hören oder über ihre Ferien quasseln. Während dem Rückflug sitze im am Fenster und sehe – nun wirklich zum letzten Mal – die bezaubernde Landschaft, von oben. Den Hafen und die Küste von Nice, grosse Gebäude etwas im Inneren des Landes, und je näher wir Richtung Schweiz fliegen, desto grüner wird die Erde.

Wir landen, ich betrete wieder festen Boden unter meinen Füssen und warte beim Fliessband auf meinen Koffer. Ich bin immer der Letzte, der sein Gepäckstück bekommt. Ich habe immer das Gefühl, dass ich minutenlang gebannt auf das Laufband starre – ausschauhaltend nach meinem Gepäck.

Ich krieg’s dann doch noch und mit dem Zug meistere ich das letzte Stück der Heimreise und erfreue mich an der Heimat. Mir wird jedes Mal bewusst, wie schön wir es hier haben. So grün und so heimelig. Und ich fühle mich gut. Immer wieder, wenn ich vom Ausland nach Hause komme, ein coup de coeur.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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