Klaus Lutz

Der Arztbesuch 36 (n. Fassung)


Die letzten Tage waren diese Zelle das Wunder des
Universums. In den letzten Tagen war diese Zelle
alles Licht des Universums. In den letzten Tagen
war diese Zelle alle Erkenntnis des Universums.
Und all das hat mir gesagt: "Du bist Wunderbar!" Du
bist Herrlich! Du bist Unvergleichlich! Du bist
Alles. Und all das ist Gut. Die letzten Tage war-
en es, all die Erkenntnisse die ein Leben haben
kann. All die Wahrheit, die ein Leben finden kann.
All die Schönheit, die ein Leben wahrnehmen kann.
Und all das war in dieser Zelle. Und all das hat
mir gesagt: "Das bist Du!" Und all das hat mir ´
die Sprache genommen. Es hat mich Schweigen las-
sen. Es hat mich Still werden lassen. Ich habe
nur auf dieser Pritsche gelegen. Und diese 250 kilo
an Masse, waren nicht mehr da. All die Flatulenz
hat mich nicht mehr gestört. All dieses Gedonner
von Rülpsern. Das habe ich nicht mehr gehört.
Etwas anderes war in diesem Raum. Etwas Neues.
Etwas mit dem ich Neu sehe. Etwas mit dem
ich Neu denke. Etwas mit dem ich es weiß: "Ich
bin so Himmlisch! Ich bin so bezaubernd! Ich
bin so grossartig!" All das bin ich. Ich bin
nicht diese Männerbrust. Wie ein Hängebusen. Hin-
ter einem Urwald aus Haaren. Ich bin nicht die-
ser Bauch. Der die Erde berührt. So als wolle
er alles ausfüllen und grösser und grösser wer-
den. Ich bin nicht diese Arme. Mit Fingern und
einer Hand, die unter Fettwülsten verschwunden
sind. Ich bin nicht dieses Kinn, mit diesem Bart
wie die verlorene Flagge eines Piratenschiffes.
Ich bin nicht dieser Bauch. So als wolle der
Himalaya seine wahre Grösse zeigen. All das bin
ich nicht. Die letzten Tage haben es mir gezeigt.
Was ich in Wahrheit bin: "Die Schönheit meiner
Seele. Die Güte meines Herzens. Dieses große und
reine Gewissen!" Die letzten Tage haben es mir
gezeigt. Die letzten Tage haben mir mein wahres
Wesen gezeigt. Und die letzten Tage, haben mir
auch eine Aufgabe gegeben. Die letzten Tage haben
es mir gezeigt. All das, was ich in Wahrheit bin.
Und von diesen Tagen habe ich diese Aufgabe: "Die
Sprache für all das zu finden!" Für all das, mit
dem ich dieses Wunder bin.

Aber dann denke ich wieder an Mainz. Und warum ist
es für mich alles geworden: "Nur irgendwo zu sitzen
Und Menschen zu beobachten!" Warum ist es für mich
alles geworden: "Einfach ein paar Sachen zu nehmen.
Einen Reisepass. Etwas Keidung. Und etwas Geld. Und
dann eine Weltreise zu beginnen!" Und das immer all-
ein. Warum ist das Allein sein für mich alles gewor-
den? Was wollte ich? Was habe ich gesucht? Oder hat-
te ich es einfach gefunden. Ich habe nie mehr an die-
se Frau gedacht. Mit der ich groß geworden bin. An
all das, was es war. Aber ich hatte auch nie mehr nach
ihr eine feste Freundschaft. Ich denke, es war dies-
es ungebunden sein. Und was das alles sein kann. Selbst
heute in dieser Zelle ist es da. In Wahrheit stört
mich alles. Auch, diese Dreimal am Tag, wo ich jeman-
den sehe, der mir die Mahlzeiten bringt. Es stört
mich. Es ist die Freiheit. Und diese Freiheit gibt mir
alles. Sie zeigt mir alles. Ich glaube, es ist die
Stille. Ich liebe die Freiheit. Und all die Stille
die sie hat. Das war es.

Das war es immer was mich begeistert hat. Ich habe ein-
en Menschen lächeln sehen. Und diese Stille und die-
se Freiheit waren es. Mit der ich allein diesen Gedan-
ken hatte oder haben konnte: "Wie groß dieses Lächeln
ist!" Das war die Schönheit dieses Augenblicks. Der un-
zerstörbar und in aller Größe bei mir Platz fand. Ich
habe in einer Teestube gesessen. Irgendwo in Asien.
Ich habe die Menschen gesehen und gehört. Und diese
Stille und Freiheit waren es. Mit dem ich das Erkannte
was da geschah: "Das Leben!" Und das es schön sein
kann. Das war die Schönheit dieses Augenblicks. Der Un-
verwundet von allem bla bla bla und aller Nichtigkeit
bei mir sein konnte. Bei mir seinen Platz fand. Das
war dieses Allein sein. Und der Zauber, der es für
mich war. Das ist so etwas, das mir in Mainz klar wur-
de: "All das, was die Stille und das Allein sein ist!"
Oder sein kann. Es kann wirkich mehr sein, als alles
andere. Es kann diese Blicke geben. Mit dem sich Gott
zeigt. Das ist es, wenn die Stille und das Allein sein
stimmen. Es ist so eine wahre Ruhe und Kraft, die in
einem Mensch wachsen kann. Eine Ruhe und Kraft die Un-
zerstörbar ist. Eine Ruhe und Kraft die gewaltig ist.
Eine Ruhe und Kraft mit den Dimensionen die alles
denkbare sprengen kann. Das eigene Universum. Mit
all dem Leben, das nur Wahrheit ist. Mit all dem Leb-
en, das nur Schönheit ist. Mit all dem Leben, das ein
Mensch besitzen kann. Mit aller Liebe der Welt. Dieses
Erkennen von all Dem. Das hat mich fasziniert. Und es
fasziniert mich noch heute. Ich muß nicht immer per-
fekt sein. Dieses Vollkommene, was in diesem Kulturkreis
als Vollkommen angesehen wird. Ich kann mir hin und
wieder ein Callgirl rufen. Ich kann auch mal ein
Piccolo trinken. Ich kann auch mal ausrasten. Ich
darf mich nur nie aus dem Blick verlieren. Das ist
das Einzige, was mich zerstört. Wenn ich mir oder
dem was mein Leben ist untreu werde.

So bin ich immer durch Mainz gelaufen. Mit wunder-
baren Spaziergängen. Und habe die Dinge immer wieder
neu gesehen. Den Dom! Den Fastnachtsbrunnen! Den
Rhein. All die Cafes, die ich besucht habe. Und dann
natürlich die "Pinte!" Die "Pinte" war für mich das
Lokal. All die Menschen, wenn sie auch nur im Ansatz
wußten, was das Leben sein kann. Wie Wunderbar! Wie
Einzigartig! All die Menschen waren da versammelt. Es
war diese bunte Mischung von Gästen aus allen sozia-
len Schichten. Das war es. Die immer lebendigen Ge-
spräche. Die Musik, die damit anders war. Das ganze
Leben wie es sein kann. Und wie anders es sein kann.
Das ist mir in diesem Lokal, in dieser Pinte klar geworden.
Das Leben kann anders sein: "Es kann Gespräch sein. Es
kann Zuneigung sein. Es kann Mitfühlend sein. Das Leben
kann einfach lebendig sein. Das war es: "Die Pinte!" Die-
ses Lokal. Es war das lebendig gewordene Leben. Und
dann natürlich auch der Künstlerfreund von mir: "Volker
Erich Ari Achin Erasmus Ruhland!" Ich denke und glaube
es dann wirklich: "Das war die Freundschaft, wenn sie
Vollkommen ist!" Die Freundschaft, die es geben kann.
Und es war auch das, was ich für mich erkannt oder ge-
sehen habe. Das Leben, das zu mir paßt. Hin und wie-
der einen Job. Aber im Wesentlichen spazieren gehen.
Oder irgendwo sitzen. Und über das Leben nachdenken.
Warum auch immer? Oder wieso auch immer! Aber damit
war ich zufrieden. Ich denke, ich hatte dieses Leben
gefunden. Diese Offenheit und diese Klarheit mit der
nichts schief gehen kann.

Nehmen wir mal an. Oder sagen wir es mal so: "Wenn das
Leben ein langer Weg ist. Den es zu gehen gilt. Dann
hatte ich da den Blick gefunden, mit dem alles Leben war!"
Der Blick, der mir das Wesen der Dinge zeigt. Der Blick,
der mir das Wesen des Lebens zeigt. Ich bin wirklich
durch alle Städte gebummelt, die ich besucht habe. Ein-
mal bin ich für Stunden und Stunden durch Bombay gebum-
melt. Und es waren Stunden und Stunden voller Klarheit.
Wo sich das Leben zeigt. All das, was mehr als das Läch-
eln zeigt. Mehr als die Traurigkeit. Das Leben, das mehr
als das Leben zeigt. In Bombay gab es so einen riesig-
en Schlafraum von der Salvation Army. Einfache Betten.
Gepflegt, aber nur eben mit Betten. Sonst nichts. Dort
übernachteten Menschen aus allen Ländern. Menschen die
ein Abenteuer wollten. Menschen auf dem Weg zu neuen
Ideen. Menschen die ihre Träume leben wollten. Menschen
die etwas neues Wissen wollten. Menschen die einfach
etwas Neues beginnen wollten. Offen für jedes Gespräch.
Offen und immer Interessant. Neugierig auf Neues. Voller
Wissen und Ideen. Das, was die Lebendigkeit von Mensch-
en sein kann. Mit allem was es gibt. Und das war es. Das
hat mich begeistert. Das waren die Spaziergänge und das
Reisen. Dieses lebendige an Leben, das wieder da war.
Menschen die sich öffnen und die das ganze Universum an
leben sind, das ein Mensch sein kann. In Wahrheit ist es
Unbeschreiblich: "Das Leben und dann wenn ein Mensch es
entdeckt, das es mehr gibt!"

So lag ich in den letzten Tagen auf dieser Pritsche.
Und zwischen riesigen Fürzen. Und den immer gleichen
Gesichtern. Mit all dem, was nur noch der Trott des
Lebens ist. Und ohne jedes Leben ist. Habe ich mir
das gedacht. Ich habe gebetet. Ich habe das leben an-
gebetet: "Zeig mir alles was Du hast!" Auch wenn ich
ein Gefangener bin. Fett gierig und immer nur an Fres-
sen denkend. Auch wenn mein Leben nur noch kauen und
kacken ist: "Zeig mir Liebe!" Das war es, was ich gebe-
tet habe: Zeig mir zwischen diesen Urströmen aus
Schweiß die durch diese Speckschwarten fliessen. Und
all dem, was dieser Körper sonst nur noch so ist. An
Tälern und Gebirgen von Fett. Zeig mir da Neues!
Zeige mir da Liebe! Gib mir einen neuen Anfang. Denn
all das war nur das Leben. Und die letzten fünfzehn
Jahre, in diesem Haus. Diese Gleichgültigkeit, die
mich infiziert hat. Die Lügen dieser fünf sechs
Menschen. Ihr widerliches, schleimiges, sülziges, greu-
liches, hinterhältiges, falsches und verlogenes blablabla.
Aber dann habe ich mich wieder auf die Pritsche gelegt.
Ich habe den Wärter gerufen. Zum erstenmal wieder nach
Wochen. Ich habe ihn nach Aspirin gefragt. Aber es war
wie immer: "Er hat mich ignoriert!" Für ihn bin ich im-
mer noch nichts anderes als diese 250 kilo. Er sieht nur
dieses langen fettigen Haare. Dieses Doppelkinn. Diese
kleinen blutunterlaufenen Augen. Diesen Mund ohne Zäh-
ne. Diesen Kopf, der direkt auf den Schultern zu sitzen
scheint. Alles andere ist einfach weg. Hinter dem Fett
verschwunden. Ich bin dann einfach auf der Pritsche lie-
gen geblieben. Und habe so einfach das Leben gedacht.
Dieser Mensch, der ich bin. Das Allein sein und die
Spaziergänge von mir. Das Allein sein und all die Ge-
danken von mir. Das Allein sein und all die Freiheit
von mir. Das Allein sein und all die Reisen von mir.
Das Allein sein und all die Abenteuer von mir. Das
Allein sein und immer wieder der Versuch das Leben neu
zu entdecken. Das allein sein und die Stille. Die Stille,
die es mehr und mehr gab. Das allein sein, das immer
mehr diese Stille war. Um so mehr ich das Leben be-
herrscht habe. Die Stille, die voller Abenteuer war.
Die Stille, die immer eine Reise war.

Aber dann habe ich auch so gedacht. Jetzt wo der
Körper von mir wieder gesund ist. Jetzt könnte es
wieder mit einer Frau funktionieren. Auch mit diesen
250 kilo. Und mit diesen Fettwülsten. Es funktioniert
wieder. Sie müßte sich mit dem Gesicht zu mir setzen.
Ich müßte mit beiden Händen das Fett und den ganzen
Bauch zu mir ziehen. Dann könnte sie sich auf mich set-
zen. Ich weiß nur nicht, ob ích dann die Fettwülste
loslassen kann. Dann, wenn sie auf mir sitzt. Würden sie
dann ihren Unterkörper begraben. Auf jeden Fall funk-
tioniert es wieder. Aber wie es funktioniert, das ist
die Sache. Ohne das sie dabei verletzt wird. Oder sie
unter diesem Fett einfach gefangen bleibt. Aber ich der
Gefangene. Und dann diese Phantasien. Ich der Gefan-
gene und all das was nur Phantasie bleibt. Und diese
Spiele des Denkens. Die nur noch Spiele des Lebens
bleiben. Ich der Gefangene! Und das Leben, das nur noch
ein Spiel ist. Ich der verratene, belogene, verführte ver-
leumdete. Ich der Eingekerkerte, in dieser Zelle.
Unter Lügen und Verrrat begraben. Ich der Gefangene.
Der immer noch voller Spaziergänge ist. Ich der Gefan-
gene, der immer wieder die Liebe entdeckt. Ich der Ge-
fangene, der lebendiger ist als alles andere auf die-
ser Welt. Ich der Gefangene: "Ich bin die Freiheit der
Welt!" Ich bin das Leben, für das es immer nur die Frei-
heit gibt: "Denn ich bin die Wahrheit!"

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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