Jennifer Krassow

Landschaft

Ich war alleine, ganz alleine zu Hause. Ich lag in meinem Bett und versuchte mich am Leben zu halten. Wann nur sterbe ich endlich? Wann? Ich hielt die Schmerzen nicht mehr aus. Sogar meine Eltern haben mich verlassen. Ich hustete und hustete. Mal wieder hatte ich einen Anfall. Meine Mutter hatte mich immer ausgeschimpft und herum geschrien: „Sarah! Hör endlich damit auf! Tu doch nicht so als ob du krank seist!“, und schlug mich. Immer und immer wieder. Ich konnte nichts dafür, dass es mir nicht gut ging. Anscheinend hoffte sie, dass es dadurch aufhören würde. Nein, es wurde alles schlimmer. Damals wusste man nicht was ich habe. Kein Arzt konnte es mir sagen, niemand. Immer wieder schlug sie mich aus Verzweiflung. Ich hatte Angst, große Angst. Ich flüchtete immer zu meinem Vater. Er gab mir damals Halt und Wärme. Aber ab einem bestimmten Alter tat er mir nur noch weh. Ich wusste nicht was mit mir geschah oder was ich getan habe, dass er mich so bestraft. All diese Wärme und Zärtlichkeiten, war es schon damals so? Ich wusste nicht mehr wohin. Damals bevor alles anfing, bevor ich krank wurde, war alles schön. Ich liebte das Leben, die Natur. Mein Bruder war der einzige der bis zum Schluss immer, wirklich immer für mich da war. Der mich getröstet hat und mir immer wieder neue Hoffnungen gab. Als ich immer kränklicher wurde hat er mir Mut zugesprochen. Eines Tages wusste man das ich Krebs habe, aber es wurde zu spät entdeckt und ich hatte wenig Überlebenschancen. Alle Operationen habe ich Dank meinem Bruder Eric überlebt. Ich verdanke ihm sehr, sehr viel. Wieso musste er nur so früh gehen? Ich habe keine Hoffnungen mehr und keinen Mut. Ich kann nicht mehr. Jetzt will ich nur noch sterben. Endlich in Frieden ruhen. Ich wollte doch nur glücklich sein. Nur noch einmal wie damals leben, wo alles noch gut war. Bruder, wieso bist du nicht mehr hier? Ich schaute an die Decke meines Zimmers. Nur Leere. Ich hasste es, diese Dunkelheit. Damals hatte mich Eric immer an meinem Lieblingsort, der all meine Sorgen und Probleme vergessen ließ, hingebracht. Dort war ich immer glücklich. Es schien mir immer so, als ob die Zeit dort stehen blieb und ohne mich weiterging. Ich liebte die Natur. Doch ich kann nicht aufstehen. Es ist zu schmerzhaft und ich drohte immer umzukippen. Ich konnte sie nicht mehr sehen. Wer würde mir helfen? Niemand. Ich liebte diesen Ort. Ich lächelte. Die Erinnerungen sind so schön daran, aber ich kann diesen Ort nie wieder sehen. Ich habe die Kraft nicht mehr dazu. Es war dunkel und kalt. Ich will hier raus. Kalte Tränen liefen von meinem Gesicht herab. Das einzige was ich machen konnte, war mich zu erinnern. Am Rande der Stadt auf einem Berg, war eine wunderschöne, gemütliche Hütte. Der Ausblick war so wunderschön. Man konnte die ganze Stadt und noch viel weiter schauen. Es war einfach nur herrlich. Diese frische Luft, der warme Wind der mir immer durch die Haare fuhr. Ich vermisse die frische Luft, den Wind, die Natur, diesen Ort. Nur noch einmal möchte ich dorthin. Nur noch einmal möchte ich glücklich sein. Dort wo ich es immer war. Wieder hustete ich. Mir wurde schwindelig und kalt. Ich fühlte mich schwer. Ich war sehr blass und meine Knochen taten mir weh. Es wurde Nachts. Mit jeder weiteren Nacht die ich durchleben musste, ging ein weiterer Traum in die Brüche. Ich wusste alles was ich mir jemals gewünscht hatte, würde ich nie bekommen. Ich hatte nur noch wenig Zeit. Es nützt eh nichts mehr so dahin zu Leben. Wäre mein Bruder nicht gestorben, dann... Wieder starrte ich auf die Decke. Dann wusste ich es. Ich musste all meine letzten Kräfte sammeln um mein letzten, allerletzten Wunsch zu erfüllen. Ich nahm das Telefon was neben mir lag, auch wenn es mir Schmerzen bereitete, aber dies war mir egal. Ich rief ein Taxi. Schwer atmete ich und doch musste ich es schaffen, schließlich habe ich es mir vorgenommen noch ein einziges mal dort zu sein. Nach einiger Zeit kam das Taxi bei mir an. Der Fahrer stieg aus und klopfte an meiner Tür und kam hinein, denn das hatte ich ihm aufgetragen. Meine Augen blickten den Taxifahrer an. Dann kam er auf mich zu und half mir, da er sah das es mir nicht gut ging. Er erkundigte sich nach meinem Befinden und meinte, ob es nicht besser sei hier zu bleiben. Das einzige was ich heraus brachte war ein „Nein, geht schon...“. Wir gingen gemeinsam zum Taxi. Ich konnte mich kaum noch aufrecht halten, aber ich musste es schaffen. Ich hustete erneut. Ich war zwar am Würgen doch ich hielt mich zurück. Ich blickte aus dem Fenster. Meine Miene blieb gleich. Konnte ich denn noch was fühlen? Der Fahrer schaute öfters in den Spiegel zu mir, um sich zu erkundigen wie es mir ging. Ich sah es und fühlte mich ein wenig beobachtet. Dann musste ich brechen. Gott sei Dank hatte ich eine Tüte mitgenommen. Ich war sehr blass, meine Augen sahen schon tot aus. Der Fahrer bewunderte wie stark ich bin. Doch ich meinte, dass ich es nicht sei. "Ich bin ein Schwächling." Doch er widersprach mir. „Du bist kein Schwächling. Du solltest dir mehr zu trauen, Mädchen. Was du alles aushältst. Es ist erstaunlich, dass du das durchziehst ohne aufzugeben. Du bist stark und bewundernswert.“, sagte er und blickte mich kurz durch den Spiegel an. Ich sah das er leicht lächelte. Ich wollte zwar antworten, aber es raubte nur meine Kraft. Was er auch sah. Und er hatte Verständnis dafür. Ich fand es erstaunlich, denn so jemanden hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Dann waren wir endlich da. Ich versuchte aus zu steigen, dann kam er mir zu Hilfe. „Bitte.“, und lächelte mich an. Ich versuchte ihn zurück zulächeln, doch es ging nicht. „Soll ich nicht lieber hier bleiben und Ihnen helfen?“, bat er mir an. „Nein...“, sagte ich und musste Luft holen. „Ich will allein sein. Das... bin..ich...eh..schon die ganze Zeit.“, meinte ich stockend. Ich konnte mich kaum noch halten. Dann nahm mich der Fahrer und brachte mich an die Bank die vor einem Geländer stand. „Bis dann, junge Dame.“, sagte er lächelnd und verschwand. Ich schaute auf die schöne Stadt herab. Alles ging weiter, die Zeit blieb nicht stehen. Ich lächelte. „Ja...“ Das hatte ich vermisst. Egal wo ich war, sie war immer da, bloß ich hatte sie nicht wahrgenommen. Es war die ganze Zeit hier, hier vor mir. Die Landschaft.
 
Ich schloss die Augen und lächelte für immer....

Ein Mann im mittleren Alter las früh morgens die Zeitung und hätte sich beinahe an seinen Kaffee verschluckt. Dann lächelte er. 
„Mädchen tot auf Parkbank gefunden.“, stand in der Zeitung. Ein Bild von ihr war daneben abgebildet. Es zeigte ihr Lächeln, ihren letzten Wunsch.
Der Mann legte die Zeitung auf den Tisch. „Ich werde dich nie vergessen, bis dann, junge Dame.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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