Harald Stobbe

Haushaltsfragen

"Na toll – und an wem bleibt wieder alles hängen, Darian?" Yasmina schnaufte hörbar aus und fuhr unmittelbar fort, ohne auf meine Antwort zu warten, was verständlich war, denn eigentlich erwartete sie auch keine von mir. "Natürlich bei mir!" Ich schaute sie nur an, denn ich wusste aus Erfahrung, dass sie wie ein Riesentanker auf dem Meer nur schwer zu stoppen war, wenn sie einmal Fahrt aufgenommen hatte. Ich lehnte mich zurück und hoffte, dass der Anfall bald vorbei wäre, wobei ich mir keiner Schuld bewusst war. Haushalt ist nun einmal Frauensache, war mein Credo und lange Jahre sah Yasmina das auch so, bis sie im Frühjahr wieder zu arbeiten begonnen hatte. Seitdem nahmen die Diskussionen über die Führung des gemeinsamen Haushaltes ständig zu und verschärften sich immer mehr.

Heute hatte sie mir wieder eine ganze Liste von Dingen aufgestellt, die ich erledigen sollte, aber nach dem Tag hatte ich nun überhaupt keine Lust dazu und so hörte ich mir ihre Standpauke ziemlich gelangweilt an, während ich in meinem Lieblingssessel saß und in meinen Buch las. So wie der Sturm gekommen war, so legte er sich mit einem Mal und ich fragte mich schon, ob dies nur das Auge des Hurrikans ist, als Yasmina plötzlich innehielt, sich die blonden Locken aus dem Gesicht strich und das Thema wechselte. "Ich glaube, es wird Zeit, dass du mal wieder eine Runde läufst", sagte mir ruhiger, aber doch bestimmter Stimme, während ihr rechter Zeigefinger leicht auf meine Brust trommelte. Ich hatte auch schon mit diesem Fluchtgedanken gespielt, aber da ich mir nicht sicher war, ob sie es ernst meinte, wollte ich das zum Anschein wenigstens hinterfragen und setzte daher eine skeptische Miene auf. "Ist es wirklich schon so schlimm?"
"Nein, aber du wirkst etwas angespannt von der Arbeit. Bevor du deine Dinge hier erledigst, könnte dir eine Runde auf der Strasse nicht schaden. Die positiven Auswirkungen auf Psyche, Beine und Po sind ja bekannt, wenn ich das sagen darf."

Bisher hatte sie nie was an Beinen und Po auszusetzen. Aber mit der Psyche hatte sie Recht. Ich sollte wirklich mal wieder die Beine bewegen und so ging ich nach einem gemurmelten "Na. Gut, du hast ja Recht", scheinbar geschlagen zum Umziehen. Kurz darauf stand ich in voller Laufmontur wieder vor ihr.

"Ja, ich geh dann jetzt." sagte ich und war zugleich froh, der Haushaltsdiskussion zu entfliehen und hoffte, dass sie sich in der Zwischenzeit wieder beruhigt würde.
"O.K. – aber damit du dich wirklich entspannen kannst, habe ich noch was für dich."

Nun war ich verwirrt und stand ein wenig ratlos herum, bis Yasmina wieder kommt und mir ein kleines Gerät entgegen streckt. "Hier. Ein MP3-Player. Steck dir die Dinger in die Ohren und lauf los. Ich habe dir etwas Entspannungsmusik draufgepackt. Dann geht es dir gleich besser." Leicht verwirrt schaute ich mich um, ob außer mir noch jemand im Raum war, denn diese süße Stimme passte gar nicht zu der Stimmung von vorhin. Ich setzte meinen typischen Ehemann-Blick – frustriert, aber glücklich – auf, nahm das High-tech Teil und schloss die Tür hinter mir.

Und schon hörte ich das erste Stück, dass ich direkt erkannte: "You never walk alone", die Hymne, die ich früher so oft in den Fussballstadien gehört hatte und ich merkte, wie ich eine erste leichte Gänsehaut bekam.
Ich war begeistert, denn das ist ja wohl genau das richtige Lied für einen Alleinläufer und ich merkte, wie ich instinktiv mitsummte. Eine erste Entspannung war schon fühlbar, als ich ein plötzliches Hupen hörte und mich wunderte - an ein Hupen konnte ich mich in diesem Stück nicht erinnern. Im rechten Augenwinkel sah ich gerade noch einen Wagen auf mich zukommen, das Gesicht des Fahrers zu einer Fratze verzerrt. Mit einem beherzten Sprung brachte ich mich auf dem Gehsteig in Sicherheit und landete nach einem dreifachen Salto wieder auf den Füßen.

Das war gerade noch mal gut gegangen, ging mir durch den Kopf, während ich mir den Schweiß von der Stirn wischte. Ich dachte immer, dass jedes Auto Bremsen hat, aber da war ich wohl einer Falschinformation aufgesessen. Schon begann das nächste Stück in meinen Ohren zu brummen. "Who want's to live forever". "Oh Gott, hat meine Frau hellseherische Fähigkeiten?" durchfuhr es mich, während ich leicht zitternd und langsam weiter lief. Nachdem ich als nächstes "Das Beste" von Silbermond zu hören bekam, war ich zunächst wieder versöhnt und glaubte, Yasmina wäre wirklich besänftigt. "Klasse Zusammenstellung" dachte ich mir, während mein Schritt im Takt der Musik beschwingter wurde.

Plötzlich – eine Stimme. Nicht irgendeine Stimme, sondern Yasminas Stimme!. Ich drehte mich um, aber sie war nicht da. Sie schien direkt in meinen Ohren zu sein und so lauschte ich ihrer Stimme.

"Lieber Schatz, ich hoffe, die Musik hat dir ein wenig Spaß gemacht. Wenn du gleich wieder entspannt zu Hause bist, gibt es noch einige Dinge, die du heute erledigen solltest. Deinen Zettel mit deinen Aufgaben hast du offensichtlich verlegt, daher habe ich für diesen Weg entschieden. Als erstes wäre der Rasen zu mähen, dann dein Hobbykeller aufzuräumen, die Birnen im Wohnzimmer sind wahrscheinlich kaputt und müssten getauscht werden. Und wenn du morgen noch ein frisches Hemd willst, solltest du noch eine Maschine Buntes ansetzen und bügeln.
Übrigens solltest du dir in der Zwischenzeit überlegen, was du dir gleich zu essen machst. Falls ich es noch gesagt haben sollte – Ich bin gleich mit Claudia zum Essen verabredet. Es wird wohl spät – daher warte nicht auf mich. Bis morgen früh, mein Schatz."

"Oh Gott, was war das?" Ich schaute mich wieder nach der versteckten Kamera um, während meine Gedanken zu kreisen begannen. Mit einem Mal wurde mir klar, warum sie heiß darauf war, mir dieses Ding anzudrehen".

Die kommenden Stücke überhörte ich nahezu, so war ich mit der Aufarbeitung des Gehörten beschäftigt. Auf den letzten Metern, kurz vor der Haustür, hörte ich noch einmal die Stimme aus dem OFF.

"Übrigens. Schaaattttz" drang es mit gedehnter Stimme an mein Ohr, die erst süß säuselte, um dann plötzlich an Schärfe zuzunehmen "Wenn du noch mal so ne Schnepfe beim Laufen triffst – behalt es einfach für dich!"

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich es hasste, mit einem MP3 Player zu laufen. Zuhause angekommen duschte ich ausgiebig und setzte mich anschließend in meinen Lieblingssessel und las in meinem Buch.
Am nächsten Morgen fragte mich Yasmina scheinheilig, nachdem sie den nicht gemähten Rasen, den unaufgeräumten Hobbykeller, die kaputten Birnen im Wohnzimmer und den Berg Wäsche gesehen hat: "Na, Schatz, hattest du einen schönen Abend? Wie war das Laufen mit dem MP3 Player? Entspannend, oder?"

"Das kann ich dir nicht sagen, mein Schatz. Das erste Lied war prima, aber dann waren wohl die Batterien zu Ende und ich musste das Teil ausmachen. Aber entschuldige mich jetzt, ich muss meine hausmännlichen Pflichten erledigen."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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