Rolf Kirsch

Warum nicht Mörike?

 

Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen, bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt, herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen. - Da staunen Sie, Bredenberg, was?

Klar, Hartmann, Sie und Mörike?

Meine Tochter musste es für die Schule lernen, und ich musste abhören, zigmal. Da habe ich gedacht, ich komme mal zu Ihnen damit.

Wegen Mörike?

Nein, wegen des Herbstes.

Ich bin gespannt, Hartmann.

Es ist so, Bredenberg. Ich bin im Nebenjob neben meiner Bäckerei auch Redaktionsmitglied des Werbe- und Mitteilungsblattes des hiesigen Handels- und Gewerbevereins. Für die Oktober-Ausgabe haben wir uns ein Herbstgedicht vorgestellt, auf Seite zwei gleich hinter dem Cover.

Ja, nehmen Sie doch den Mörike.

Wir haben uns etwas Modernes gedacht. Aber herbstlich muss es schon sein. Auf dem Cover ist ein Mähdrescher.

Ich schlage Greiffenberg vor: Freud'erfüllter / Früchtebringer / vielbeglückter Jahres-Koch / Grünung-Blüh und Zeitung-Ziel / ... undsoweiter.

Hört sich modern an. Aber unverständlich. Ich denke an unsere Leserschaft da draußen.

Ist nicht modern, sondern von 1662, merkt aber keiner.

Sie verstehen mich noch nicht, Bredenberg. Also geradeheraus. Könnten Sie uns nicht ein Herbstgedicht machen, verständlich und doch modern, und vielleicht auch unsere Region dabei einbeziehen?

Ich und ein Herbstgedicht? Wie kommen Sie darauf?

Sie schreiben doch hin und wieder was. Zuletzt für den Kaninchen-Züchter-Verein.

Aber Gedichte sind so gar nicht ...

Ich habe auch ein Reimlexikon. Habe ich mir für die Silberhochzeit meines Schwagers angeschafft. Der hat sich gewünscht, dass ...

Nein, lassen Sie mal, Hartmann. Wissen Sie, über den Herbst ist schon alles gesagt. Dazu fällt mir nichts mehr ein.

Zum Beispiel?

Bunt sind schon die Wälder, gelb die Stoppelfelder ...

...und der Herbst beginnt. Kenn ich. Weiter, Bredenberg!

Fetter grüne, du Laub, am Rebengeländer hier mein Fenster herauf. ...

Ist eher für Weinbaugebiete. Von wem?

Goethe. Oder vielleicht: Mürrisch braust der Eichenwald, aller Himmel ist umzogen, und dem Wandrer, rau und kalt, kommt der Herbstwind nachgeflogen ...

Unsere Leserschaft wandert selten.

Vielleicht kann ich mit Hebbel dienen: Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah! Die Luft ist still, als ....

Nicht Hebbel !

Neuer Vorschlag: Komm in den totgesagten Park und schau: der Schimmer ferner lächelnder Gestade, ...

Hören Sie auf, Bredenberg. Kein Park, kein Gestade, keinen Schimmer. Haben Sie noch etwas?

Gewaltig endet so ein Jahr mit goldenem Wein und Frucht der Gärten. ...

Kartoffeln, Mais, Hafer ja, Wein nein. Noch etwas?

Das muss der Herbst sein. Er runzelt die Braue. Die Vogelwolke steigt aus auf besudelten Wipfeln und nimmt nach Norden unverständliche Richtung.

Was ich sage, unverständlich. Was kommt nun?

Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume? - Wie gut, dass sie am Sterben teilhaben! ...

Bredenberg, bitte.

Und jetzt Krolow, passt auch zum Mähdrescher: Den Staub des Sommers unter den Fingernägeln, den Dieselgeruch noch immer im faulenden Laub. ...

Ich hatte mehr so folgende Richtung gedacht: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr, undsoweiter.

Prima, Hartmann, ist von Rilke. Dann nehmen sie es doch.

Geht nicht, Bredenberg.

Warum nicht?

Den Ärger mit unserem hiesigen Immobiliengewerbe möchte ich nicht haben.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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