Thomas Lippert

Blitzeinschlag vor Anker








Schiffe sind im Hafen am
sichersten.

Doch dafür wurden sie nicht
gebaut.

Englisches Sprichwort 







 
Die hier geschilderten Geschehnisse ereigneten sich
in der Nacht vom 09. zum 10. August 2009 in der Bucht von Piran (nördliche
Adria).



 
Blitzeinschlag vor Anker
 
Sicher wäre alles ganz anders gekommen. Hätte ich nur nicht den kleinen Blitz übersehen, der im Wetterschaubild erkennbar war. Hätte ich bloß auf dieses geringfügige Zeichen geachtet und nicht nur darauf, aus welcher Richtung der Wind kommt und wie stark er bläst.

Es wäre auch anders gekommen, hätten wir tagsüber nicht Wind und Wellen auf unserer Seite gehabt. Unsere Yacht Cleo kam gut voran, so dass Claudia und ich beschlossen, nicht in einen Hafen einzulaufen, sondern so weit als möglich an unser Reiseziel für den nächsten Tag heranzufahren, an das slowenische Hafenstädtchen Piran. Für die kommende Nacht gingen wir also in der Bucht von Piran vor Anker. Ich glaubte, der Ankerplatz vor dem kroatischen Campingplatz Kanegra, sei sicher für uns und auch für unser Schiff. Am nächsten Morgen hätten wir dann gemütlich in den Hafen einlaufen können.

Genau so wäre es gekommen.

Wenn, ja wenn ...

Als wir in der Bucht eintreffen, liegen bereits zwei weitere Segler vor Anker. Das werten wir als gutes Zeichen.

Der Südostwind, der uns hierher gebracht hatte, lässt langsam nach, die Wasserfläche wird ruhig. Bisher immer ein gutes Omen für eine ruhige Nacht vor Anker. Inzwischen ist es kurz vor neun. Die beiden anderen Segler haben eben ihre Anker gelichtet und entschwinden ganz langsam auf dem Meer. Der freie Platz wird sofort von einem weiteren Segelschiff gefüllt, dessen Crew ihren Anker etwa einhundert Meter von uns entfernt fallen lässt. Gutes Zeichen? – Vermutlich haben sie umgekehrt unser Ankern als gutes Zeichen für sich gewertet. Sie werden ihre Entscheidung noch verfluchen. So wie wir die Unsrige.

Die Dämmerung bricht an und es wird kühler, der Himmel zieht sich zu. Aus der Ferne ist ein Grollen zu vernehmen. Auf der Rückseite des nahen Bergkammes kriechen dicke Haufenwolken empor. Sie verharren auf einer niedrigen Höhe hinter dem Bergrücken, so als spähten sie heimtückisch nach ihren Opfern für den bereits geplanten Angriff. Ich möchte die Augen davor verschließen, doch diese mächtigen Wolken stehen beinahe greifbar nah und als belauerten sie uns mitsamt unserem kleinen Fleckchen Schiff. Gewaltige Schwestern dieser gefährlichen Wolken bauen ihre dichten Formationen jetzt auch ringsherum auf. Wir sind eingeschlossen.

"War denn kein Gewitter gemeldet?" fragt mich Claudia. "Gewitter wissen die vom Wetter doch im Voraus. Das wissen die doch, wenn so etwas kommt!"

Ich lasse mich den Niedergang hinab und öffne den Laptop. Da ich das Gerät nie komplett runterfahre, sondern nur zuklappe, ist das Wetterbild, welches ich heute betrachtet hatte, noch im Browser. Und: ja – da ist es. Unter dem Wolkensymbol lugt ein kleiner gelb-oranger Blitz hervor. Ich hatte ihn nicht beachtet. Niemals wären wir sonst vor Anker gegangen! Doch jetzt bricht bereits die Nacht herein. Sollen wir einen Hafen ansteuern?

Aus allen Himmelsrichtungen lässt der Donnergott nun seine Blitze mit bedrohlichen Grollen über das komplette Himmelsrund wandern. Die sich schwärzenden Wolken nähern sich wie apokalyptische Reiter unserem Ankerplatz. Wir sitzen in der Falle. Wind kommt auf. Nicht aus Süden, wie erwartet, aus Westen. Noch. Denn die Windrichtungen werden sich jetzt ständig ändern.

Claudia steht starr wie im Schockzustand im Salon unserer Cleo und schaut aus dem Seitenfenster hinaus. Nur zu deutlich sieht sie das anrollende Unheil.

"Komm, lass uns erst einmal hinlegen. Die Nacht kann lang genug werden." möchte ich das Wettergeschehen verharmlosen.

Keine Antwort von ihr, sie schaut weiter auf das dunkle Meer hinaus. Redet sie nicht mehr mit mir?

"Komm, lass uns ein wenig ausruhen." Ich versuche es erneut.

"Geh du doch hin, du bist müde. Ich kann sowieso nicht schlafen." Mit aufgerissenen Augen schaut Claudia nach draußen, ich spüre ihre Angst, die sich um sie herum ausbreitet.

Auf der Koje, versuche ich etwas zu dösen. Cleos Bewegungen im aufgewühlten Wasser werden stärker. Ihr Bug hebt und senkt sich. Schließlich schüttelt sie sich immer häufiger und heftiger, sie rollt in der sich mit den Wellen überlagernden Dünung. Ich stehe wieder auf.

Claudia hat sich keinen Zentimeter von ihrem starren Beobachtungsposten im Salon wegbewegt.

"Das Gewitter zieht sicher bald vorbei." wiegele ich ab.

"Das ist kein Gewitter. Das ist ein ausgewachsenes Unwetter." Sie sagt das ganz ruhig, ohne eine erkennbare Gefühlsregung. Doch Tränen stehen in ihren Augen. "Das wird keine schöne Nacht." Und schon rummst einer der grellen Blitze durch den eben noch schwarzen Himmel über uns. Claudia zuckt zusammen, Cleo bäumt sich auf, dreht sich seitwärts und kommt wieder zurück.

Was macht der Anker. Wird er halten?

Die Ankerposition unseres Schiffes verändert sich, das GPS-Gerät zeigt immer neue Zahlen an. Die Yacht wandert eindeutig nach Südosten ab, in Richtung Strand. Nicht langsam, nein recht schnell. Schneller als ich die Positionen aufschreiben kann. Aufschreiben nicht mehr nötig. Ein Klackern an der Bordwand dringt nach innen.

"Was ist das?" Claudia ist völlig verschreckt.

"Es ist die Schwimmabsperrung vom Campingplatz. Wir sind dagegen getrieben." Bis zum Strand können wir jetzt fast spucken. Die aufgefädelten Kunststoffkugeln der Sperre scharren beängstigend an der Bordwand unseres Seglers. Ich will raus, öffne das Steckschott zum Cockpit.

"Du bleibst hier, du gehst jetzt da nicht raus!" schreit mich Claudia an.

"Ich muss, wir stranden in weniger als einer Minute!"

"Nein, bleib hier! Dann hält uns eben die Schwimmabsperrung!" Claudia ist am Ende mit den Nerven.

"Und wenn nicht, dann haben wir die Leine der Schwimmabsperrung in der Schraube und sind manövrierunfähig!" – Ich schreie lauter als Claudia und stürme ins Cockpit, starte den Motor. Die Schwimmabsperrung ist bereits unter Cleo, das Schiff hängt (noch?) mit dem Kiel daran fest. Doch unser Schiffchen springt mit den Wellen.

Ich werfe den Motor an und schalte in den Vorwärtsgang, Cleo schiebt sich voraus. Kurz lege ich den Leerlauf ein, der Propeller darf sich nicht in der Leine verfangen, der Schwung muss einfach ausreichen, um über die Sperre zu gleiten. Und es klappt! Die Kugeln der Absperrung bleiben achtern zurück.

Nur ein Teilsieg. Denn jetzt kommt der schwierigere Teil: Anker hoch und neu auslegen. Raus aufs Meer zu fahren fällt uns in der Situation nicht ein. Hier bleiben, in jedem Falle; hier bleiben. Hier ist es sicherer. Hier ist auch der Campingplatz, hier sind Menschen in der Nähe.

Ich ziehe und zerre den Anker herauf. Auf dem wild auf und abgehenden Vorschiff rutscht mir die Kette aus den Händen, der Anker rauscht wieder nach unten. Noch einmal von vorne. Nur zu gerne hätte ich jetzt eine elektrische Winsch.

Claudia steht am Steuer: "Es ist der Wind, der das mit Cleo macht! Sie lässt sich nicht steuern!" Claudia verzweifelt beinahe am Ruder. Das Schiff kann die eingeschlagene Richtung nicht halten, wird herumgeschleudert.

"Immer raus, Richtung Meer. Wenigstens versuchen müssen wir es in diese Richtung!" rufe ich und befestige schließlich den gelifteten Anker mit einem Bändsel am Bug.

Wieder am Steuer muss ich Claudia beruhigen. Es sieht nicht gut aus. Wie können wir bei diesem Wind und Welle einen neuen Ankerplatz finden? Und dann den Anker ausbringen. Geht das überhaupt? Ist das seemännisch richtig? Hatte Claudia Recht, hätten wir uns auf das Halten der Schwimmsperre verlassen sollen und auch können? Und wieder lässt der Donner die Luft erbeben.

Das Echolot zeigt eine Tiefe von zwölf Metern an. Ich fahre näher an die Felsen am westlichen Ufer. Acht Meter. Doch der Anker hat auf dieser Tiefe schon ein Mal nicht gehalten. Weniger Tiefe wäre mir jetzt deswegen lieber, also näher ran. Verdammt: jetzt zeigt das Echolot wieder fünfzehn Meter. Claudia hält sich mühevoll an der Bugreling fest und wartet auf mein Anker-fallen Kommando, während ich einen zweiten Ansteuerungsversuch starte.

Jetzt, sechs Meter.

"Rein den Anker!" brülle ich aus Leibeskräften. Claudia lässt den Anker mit seinen zehn Meter Kettenvorlauf fahren. "Und gib noch fünfzehn Meter Leine hinterher!" – wenn Claudia das akustisch überhaupt verstehen geschweige bei diesem Gehopse das so genau steuern kann.

Die Wellen und der Wind drücken das Schiff sofort achterwärts. Wir spüren, wie der Anker einruckt. Dann sitzt er fest. Zumindest hoffe ich, dass der Ruck genau dies bedeutet.

Claudia hangelt sich mühsam über das herumgeschupste Schiff zurück zu mir ins Cockpit. Ich bin froh, dass sie unversehrt wieder hier ist. Sie steigt sofort runter zum Kartentisch, schreibt die neue GPS-Position auf und prüft sie fortlaufend. Der Wind dreht jetzt. Cleo strebt erneut gegen die Schwimmabsperrung, es geht ganz schnell. Doch plötzlich nähert sie sich der Absperrung nicht weiter. Wir bleiben etwa fünf bis zehn Meter davor stehen. DER ANKER HÄLT. Mir fällt ein ganzer Felsen vom Herzen.

Und der Wind dreht weiter. Cleo’s Heck deutet jetzt auf die Felsen der Ostseite. Doch die sind in der Dunkelheit nicht zu sehen. Nur wenn eine Welle sich an ihnen bricht, höre ich es Klatschen und sehe deren weißen Schaum. Oh Gott, was ist das alles so nah! Der Wind verstärkt sich und ich gebe dem Anker jetzt Unterstützung mit dem Motor. Damit der Anker hält, nicht vom ständigen Zerren und Rucken erneut ausreißt. Mit längst durchnässter Regenjacke, die Claudia mir herausreichte, sitze ich fast eine Stunde bei prasselnden Regen in der Pfütze der Cockpitbank, eine Hand an der Pinne. Mit der anderen halte ich mich an der festgeknoteten Großschot fest.

Sehen kann ich nicht viel in der Dunkelheit, nur die Kämme der Wellen. Die Wellentäler wirken durch den ständigen Regen wie in Nebel eingehüllt. Gelegentlich erhellt ein Blitz die Szenerie und ich freue mich jedes Mal über diese willkommene Beleuchtung. Kann ich so doch die Schwimmabsperrung und somit unsere Position ausmachen. Eine Gefährlichkeit von Blitzen kommt mir gar nicht in den Sinn. Das wird sich in nur noch wenigen Minuten blitzartig ändern.

Der andere Ankerlieger verlässt unter Motor die Bucht, vermutlich mit Ziel Italien. Seine Positionslichter leuchteten schon eine ganze Weile, also lief sein Motor ebenfalls. Ich beobachtete seinen Kampf die ganze Zeit. Einen Leidensgenossen zu haben hilft unheimlich. Doch ab sofort sind wir allein hier am Ankerplatz.

Sind wir verrückt, wenn wir jetzt hier bleiben? Was weiß der Andere, was wir nicht wissen? Was kann er, was wir nicht können? Sollten wir auch abhauen? Wohin? Nein, aufs Meer hinaus möchten wir nicht.

Claudia schreibt innen immer noch die GPS-Positionen auf. Kurz vor Mitternacht lässt der Wind nach. Claudia beschwört mich, endlich rein zu kommen. Ja, ich schalte den Motor ab.

Claudia ist müde, ihr ist übel, sie möchte sich hinlegen und geht ins Vorschiff zur Koje. Ich führe ihre GPS-Positionsbeobachtungen fort. Das Schiff schwojt, dreht sich ständig um den Anker. Ich schreibe die geänderten Positionen immerzu auf. Auch um ein Gefühl für den "Schwojenkreis in Zahlen" zu bekommen. Eben will ich meinen vierten Eintrag innerhalb dieser Minute machen. Ich komme nicht mehr dazu.

Durchs Seitenfenster gleißt ein tagheller Schein. Ein gewaltiger Knall fährt durch das Schiff. Cleo erschüttert an ihrem ganzen Leib. Aus der Bugkabine her schreit Claudia:

"Thomas!"

"Ja!" rufe ich zurück. Ist etwas passiert? Was ist passiert?

Erst nach Sekunden bemerke ich, dass ich im Dunkeln stehe. Alle Lichter sind ausgefallen. Die Instrumentenbeleuchtung ist nicht mehr sichtbar. GPS-Position aufschreiben unnötig. Das Gerät hat keinen Strom mehr.

Wir vergewissern uns gegenseitig, dass uns nichts zugestoßen ist. Ein Geruch von verschmortem Kunststoff breitet sich aus. Mit der Taschenlampe schaue ich im Batteriekasten nach. Nichts. Dann in den Motorraum. Es ist kaum etwas zu sehen. Einen Brand haben wir zum Glück nicht an Bord.

"Wir sind manövrierunfähig. Wenn jetzt der Anker ausreißt, dann haben wir nichts mehr zu lachen."

Mittels Beobachten der Umgebung durch die seitlichen Salonfenster versuche ich über unsere Position Klarheit zu bekommen. Irgendwann sehe ich nur noch die entfernten Lichter Sloweniens, die von Piran und Portorož. Auf der anderen Seite, namentlich die nahe Beleuchtung des Zeltplatzes ist verschwunden. Sind wir so schnell in die Weite der großen Bucht hinausgetrieben? Wir haben nichts gespürt.

Bei näherem Augenschein stelle ich fest, dass ein Wirtschaftsgebäude des Zeltplatzes noch schwach beleuchtet ist. Nur die hellen Straßenlaternen auf dem Platz sind ausgefallen. Sie leuchten nach einiger Zeit jedoch wieder. Am nächsten Tag erfahren wir, dass auch dort ein Blitz eingeschlagen hat.

Wir treffen eine Entscheidung. Bei Nachlassen der Blitze werden wir das Schiff verlassen, um am nahegelegenen Campingplatz Schutz zu suchen. Nur weg hier!

Unter Kerzenlicht packen wir unsere nötigsten Sachen zusammen und warten auf eine Gewitterpause.

"Komm, wir setzen jetzt schnell zum den Strand über, bevor die nächste Gewitterwelle hereinbricht." Rasch werfen wir unsere Taschen ins Dingi und klettern flugs selbst hinein. Mit kräftigen Zügen rudere ich uns dem Strand zu. Bei Näherkommen sehen wir im Schein der Campingplatzbeleuchtung zwei Personen auf unsere voraussichtliche Landungsstelle zulaufen. Es sind eine Frau und ein Mann, die unsere Dingileine anbinden.

Wir müssen nicht in den Waschräumen des Campingplatzes übernachten, wie wir es uns vorgenommen hatten. Nein, die beiden Camper Mertha und Henk geben uns eine große Matratze samt Decken und wir dürfen die restliche Nacht in einem Zelt schlafen. Wir sind so dankbar für diese spontane Hilfe.
 
 

Hilfsbereitschaft ohne Ende
Kaffee, Croissants,
Marmelade. Alles steht bereit. Wir sind zu Gast bei Mertha, Henk und
ihren Teenager Kindern Lena und René. Mit dem heißen Becher in der Hand
sitzen wir da, unterhalten und freuen uns.
Unsere niederländischen Gastgeber stehen mit ihrem
Wohnwagen an einer zentralen Wegkreuzung des Platzes. Darum kommen hier
viele andere Camper vorbei: "Habt ihr Findelkinder aufgenommen?" und
ähnliche freundlich gemeinte Worte werden herüber gerufen.
Vom Gewitter ist nichts mehr zu sehen. Noch einmal
kam es in dieser Nacht zurück, ließ das Tal vom Tosen des Donners laut
wiederhallen. Doch nun ist es vorüber. In der Bucht liegt Cleo friedlich und ruhig vor Anker. Als hätte es die letzte Nacht nicht gegeben.

Für unser Segelschiff hat Henk auch schon mitgedacht. Einem Zeltnachbar
gehört ein größeres Schlauchboot. Der würde uns bestimmt in einen Hafen
schleppen. Henk managed das alles für uns, sobald der
Schlauchbootbesitzer aus seinem Zelt kommt.
Und der kennt sich hier mit den Wettergegebenheiten aus.
"Diese Bucht ist eine Horrorbucht. Bei Gewitter kommt es aus allen
Himmelsrichtungen. Im Osten sind die steilen Berge des Kvarner, im
Norden und Nordwesten die Alpen und nach Süden kommt das Gewitter auch
nicht über Istrien weg. Deshalb drückt es hier in die Bucht, alles
entlädt sich genau hier und kann nicht weg."
Und ausgerechnet hier ankere ich bei Gewitter. Ich Unglücksrabe, denke ich bei mir.
Und ja, er schleppt uns nach Umag, wenn wir möchten. Umag
sei der nächste Hafen in Kroatien, knapp zehn Seemeilen entfernt. Nach
Kroatien wollten wir nun eigentlich nicht, wende ich ein. Da hatten wir
doch eben erst schon nichts repariert bekommen.
 
"Nach Slowenien kann ich Euch nicht schleppen. Das kostet dann nämlich
eine saftige Schleppgebühr." – Verstehen kann ich das nicht, doch
irgendwie kassiert uns der Zielhafen dann offenbar ab, da wir vom
Ausland – was Kroatien aus slowenischer Sicht ist – kommen.
Ich willige ein, wir bringen sein Schlauchboot zur Cleo und jetzt hole ich nur noch unsere Siebensachen und Claudia vom Zelt ab. Dann kann es los gehen.

Vor dem Platz von Henk und Mertha parkt inzwischen ein Jeep oder
Landrover. Neben ihm steht Dieter, wie wir erfahren. Er rät uns
dringend von Umag ab. Auch er hat ein Boot hier, bereits seit zwanzig Jahren.

"Repariert bekommt ihr in Umag nichts. Ich kenne den Laden dort."
Dieter hält ganz offensichtlich nichts vom Service hierzulande. Er hat
genügend Erfahrungen sammeln müssen.
Und vom Service in Portoroz auf
slowenischer Seite der Bucht rät er ebenso ab. Einzelheiten seiner
geschilderten Erfahrungen erspare ich mir. Er gibt uns nur einen Tipp:
Italien.
"Fahrt nach Grado. Die haben die gängigen Ersatzteile da, dort wird Euch schnell und
zuverlässig geholfen." So macht er es jedanfalls immer mit seinem Boot.

Doch dahin müssen wir mit eigener Kraft kommen, wegen dieser bedauerlichen Schleppgebühr.

"Eure Batterien sind vom Blitz sowieso kaputt. Soviel ist sicher. Kauft
Euch erst mal wenigstens eine neue Batterie, eventuell noch ein
Starterkabel. Ich kann euch im Notfall auch mit meinem Boot Starthilfe
geben." Er weiß noch ein paar Tipps, wie wir unser Boot wieder flott
bekommen und so verzichten wir vorerst nur zu gerne auf die Option der
Schlepphilfe nach Umag.

Wir steigen in seinen Wagen und er fährt uns zu einer Autowerkstatt.
Dort kaufen wir eine neue Batterie. In einem anderen Autozubehörladen
erstehen wir ein Starterkabel. So ausgerüstet klettern wir auf unser
havariertes Schiff.
Bei Tageslicht untersuchen wir das Schiff jetzt
eingehend. In der Vorschiffskoje, auf Claudia’s Seite, ist das
Leselicht kaputt. Das runde, mehrere Millimeter dicke Glas mit einem
Durchmesser von nur etwa Zentimetern ist zerbrochen. Es hängen noch
einige Splitter an der Fassung. Die feinen Splitter der Glühlampe sind
auf dem Kopfkissen verteilt. Wir erinnern uns: Claudia hatte sich
gerade eben an diesen Platz gelegt, als der Blitz einschlug. Die Lampe
war zu diesem Zeitpunkt nicht an. Da hatten wir großes Glück, dass sie
nicht verletzt wurde. Neben der Matratze, unterhalb dieser zerbrochenen
Leuchte, liegt immer eine Funk-Armbanduhr. Sie ist genau um 23:57 Uhr
stehen geblieben. Das war zur Zeit des Einschlags. Vermutlich gab es in
dem Moment ein großes elektromagnetisches Feld, welches der sowieso
nicht mehr ganz taufrischen Batterie der Armbanduhr den Garaus machte.
Gerne möchte ich noch erfahren, wie kaputt denn
unsere alten Schiffsbatterien sind. Mit dem Spannungsprüfer checke ich
beide Batterien ab. Beide 13,x Volt. Wie neu! Schade um die 995 Kuna
für die taufrische Batterie. Die Instrumentenbeleuchtung funktioniert
dennoch nicht, auch kein Versorgungsstrom im Schiff. Doch ich drehe am
Startknopf für den Motor. Der Motor springt an! Das hätte ich nicht
erwartet. Ein Alarmsignal pfeift zwar fürchterlich und ununterbrochen,
aber der Motor läuft!
Das schrille Pfeifen zeigt an, dass die Lichtmaschine ausgefallen ist.
Die brauchen wir jetzt nicht. Ich klemme das Kabel zum Alarmsignal ab.
Mit Mühe bekommen wir den Anker raus. Der hat sich bombenfest
am Grund verhakt. Ein Schlauchboot mit einem Pärchen kommt noch auf uns
zu. Sie haben von unserem Pech gehört. In Umag
gäbe es eine Werkstatt. Sie möchten uns helfen. Uns freut das ungemein,
wir fühlen uns wohl bei so vielen freundlichen Menschen. Am Ufer stehen
Henk und Mertha mit Freunden. Alle winken uns, als wir die Bucht mit
Kurs auf Grado in Italien verlassen.
Gestern hatten wir noch keinen von ihnen gekannt.
 


 © by Thomas Lippert    www.segelfilmer.de


 
  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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