Jakob W.Stadel

Die Sitzende und ihr rosaroter Hund



Als würden die Beiden in die Ferne blicken und den Sonnenuntergang betrachten,  so sitzen die überdimensional geschnitzten Holzfiguren neben der Hauptstraße nahe der Ortsmitte von Pfedelbach, einer Großgemeinde im Hohenloher Land.   

 

Fragt man einen der Ortsansässigen, welche Bedeutung diese beide Figuren denn hätten, so wird verwundert gefragt: „Ja wissen Sie`s denn nicht, gleich hier oben verläuft  doch der Limes!“ Schaut man dann immer noch unwissend drein, wird einem sogleich ausladend  erklärt: „Eigentlich ist die Sitzende ja eine keltische Kriegerin aus dem Stamm der Rauriker und heißt Sieglinde, doch weil die Kelten vor dem Limesbau ein braves, fleißiges Völklein waren und bei manch großgewachsenem Pfedelbacher wohl  auch keltisches Blut  fließen könnte, wünschte der Gemeinderat, dass der Künstler die Sitzende als friedliche Frau  gestalten soll.

 

 

Doch es sollte um das Jahr 168 n. Chr. gewesen sein,  in der Zeit als der römische Kaiser

Mark Aurel über halb Europa herrschte  und dieser zum Schutz gegen die zunehmenden germanischen Überfälle einen neuen Grenzabschnitt, den Obergermanischen-Rätischen Limes, in einer Länge von über 500 km errichten ließ.

 

Einer dieser neu errichteten Teilabschnitte, der Obergermanische Limes  im heutigen  Baden Württemberg, verlief in einer schnurgeraden Linie vom Kastell Mildenberg zu den Kastellen Walldürn, Osterburgen, Jagsthausen, Öhringen, Mainhardt, Murrhardt bis hin zum Kastell Lorch und  durchschnitt  dabei Anhöhen und Täler, Bäche und Flussläufe, ohne Rücksicht auf vorherrschende Geländeformationen.

Zwischen den einzelnen Kastellen im Abstand von  je 400 m standen  hölzerne Wachtürme die mit  Spähern besetzt waren. Bei drohender Gefahr gaben die Wächter akustische und optische Signale, die  je nach Wetterlage und Tageszeit unterschiedlich, von Wachturm zu Wachturm bis zum nächsten Kastell weitergeleitet wurden.

 

Die Kastelle in Öhringen und Mainhardt  waren  Kohortenkastelle und  mit teilberittener Infanterie in einer Stärke von etwa 500 Mann besetzt, um die römische Außengrenze zu schützen. Dies war nicht immer einfach, denn zu der damaligen Zeit  lag vor dem Limes  unwegsames Waldgebiet, tiefe fast undurchdringliche Urwälder.

 

 

Vor der Zeit des Obergermanischen Limesbaus siedelte der Germanenstamm, die Narisker, sowie   keltische Rauriken gemeinsam und friedlich  an Kocher und Jagst sowie deren Zuflüssen. Es waren Salzsieder, Bergarbeiter die Eisenerz schürften, oder einfache Bauern.

 

Im Hohenlohischen, speziell im heutigen Pfedelbach, so wird erzählt, lebte ein Rauriker-Clan mit etwa 30 Familien am Oberlauf der schmalen Ohrn. Sie betrieben Ackerbau, Schweine- und Rinderzucht und waren allesamt handwerklich gut ausgebildet. Besonders in der Eisen-und Schmiedekunst waren sie erfolgreich und  trieben regen Handel, sogar  bis in das römische Hinterland hinein.

Dies jedoch nur bis zu dem Tag, als der neue Limesabschnitt mit seinen hölzernen Wachtürmen ihre Äcker und Rinderweiden durchtrennte und sie gewaltsam in die Wälder vertrieben wurden. 

 

Die keltischen Männer waren großgewachsene  kräftige Kerle, sie überragten die römischen Söldner fast um zwei Köpfe. Ihre Frauen waren nach rauriker Brauch ihren Männern gleichgestellt, ja sie waren nicht selten auch Kriegerinnen, die mit Schwert und Bogen  umgehen konnten.

Sieglinde war eine solche Frau. Sie war die junge Witwe des früheren Clanchefs und man hatte sie zur  neuen Anführerin gewählt. Sie konnte es mit jedem Mann aufnehmen der sich ihr in den Weg stellte. Mit einer Größe von fast 2 m, einem Lebendgewicht  über 100 kg  und ihren feuerroten Haaren war sie schon von weitem zu erkennen, wenn sie plötzlich aus dem Unterholz hervortrat, ihr Schwert gen Himmel reckte und dabei einen kehlig tiefen  Kriegsschrei ausstieß.

Angst und Schrecken verbreitete sie unter den Wachen, noch dazu  wenn ihr ständiger Begleiter, der rosarote Hund, ein Bärentöter, fürchterlich zu jaulen anfing.

 

Sieglinde hatte den Römern Rache geschworen für den Tod ihres Mannes, der bei der Verteidigung ihrer Äcker und Weiden ums Leben gekommen war. 

 

Den keltischen- und germanischen Kriegern war wohl bewusst, dass sie im freien Feld und im offenen Kampf gegen die Übermacht der römischen Söldner, wenn diese in festgelegten Formationen aufmarschierten, nicht gewinnen konnten.

Doch in den Wäldern, in der Dunkelheit, und wenn sie die römischen Söldner in einen Hinterhalt locken konnten, dann gingen sie als klare Sieger hervor.

  

Die römischen Söldner erzählten sich schaurige Geschichten:

Dass die Kelten ihren Gegnern die Köpfe abschnitten und als Trophäen sammelten.

Dass sie ihre Gefangenen versklavten, und dass ihre Druiden grausame Opferrituale  durchführten.

 

Daher traute sich kaum ein „Römer“ auf das Gebiet der Kelten, geschweige denn folgte er ihnen in die scheinbar undurchdringlichen Wälder nach, in denen Totenköpfe von den Bäumen hingen und sonst noch allerlei Gefahr lauerte.

 

So lebten die Kelten meist unbehelligt im Hohenloher Land, in ihren großen Wald-siedlungen.

Doch in schlechten Zeiten, nach Missernten  und Krankheiten, ging es um´s Überleben.

Dann versammelten sie sich mit ihren  befreundeten germanischen Nariskern,  mit denen man über die vergangenen Jahrzehnte verwandtschaftliche Bande eingegangen war, und hielt  Kriegsrat.

 

An einem der darauf folgenden Abende griffen sie gleichzeitig an verschiedenen Limesabschnitten an. Überrannten  Grenzwall und Wachtürme und lockten mit Scheinangriffen die römischen Kohorten aus ihren Kastellen heraus.

Rückten die römischen Söldner an, so hörten sie nur  ohrenbetäubenden Trompetenlärm, ein höllisches Getute, das ihnen schon den Mut nahm bevor sie überhaupt einen keltischen Krieger oder einen schwer bewaffneten Germanen erblickten konnten.

 

Die germanischen Bogenschützen versteckten sich am Wegesrand, spannten ihre Bögen und im Pfeilhagel fielen die ersten berittenen Römer von ihren Pferden. Mit jedem erneuten Pfeilhagel lichteten sich deren Reihen.

Dann setzte wildes Kampfgeschrei ein, halbnackte, rußgeschwärzte Keltenkrieger,  die flach am Boden lagen, sprangen auf und stürzten sich mit ihren Schwertern auf die römischen Söldner. Dieses Geschrei, diese nackten Wilden, diese Art von Kampf war den Römischen Söldnern völlig fremd. Es gab kein Halten mehr, fluchtartig rannten sie davon. Warum sollten sie denn  auch ihr Leben riskieren für einen so kargen Sold, den sie erhielten.

 

Noch während der Kampflärm an den Grenzabschnitten anhielt, war  Sieglindes Clan im Schutze der Nacht ins römische Hinterland eingefallen. Sie konnten von wenig Gegenwehr ausgehen, denn Sieglindes rosaroter Bärentöter jaulte so laut durch die Nacht, dass Bauerlsleut, Knechte und Mägde bereits Reißaus genommen hatten noch bevor sie überhaupt auf deren Gutshöfen ankamen. Sie  plünderten die  Vorratslager, die  Kornspeicher, und was sie selbst nicht mehr abtransportieren  konnten fiel den Flammen zum Opfer.

 

Nur wenige Stunden lang dauerten die Überfälle, alles war vorher geplant und durchdacht,

und als die Sonne am frühen Morgen über dem Waldrand aufging, rollten die letzten Wagenladungen über die Grenzlinie.

 

Sieglinde und ihre Leibgarde waren die Letzten. Sie machten Rast auf ihren einstigen Ackerböden und Weiden, auf denen jetzt die hölzernen Wachtürme standen.

Sie reckten gemeinsam ihre Schwerter in die Höhe, dankten ihrer Kriegsgöttin Andaras, der Göttermutter Epona und Sieglindes rosaroter Begleiter  jaulte dazu.   

 

 

Diese Begebenheit aus der Zeit des 2. Jahrhunderts  fand keine Niederschrift, die Kelten pflegten die Kunst der Geschichtenerzählung und  je häufiger solche Geschichten  erzählt wurden, umso mehr fanden sich Nachahmer.

 

So war es der germanische Stamm der Alamannen, der immer häufiger römisches Gebiet überfiel und letztlich im Jahr 259/260 n.Chr. das Ende der römischen Herrschaft im Südwesten zwischen Rhein und Donau einleitete.

 

Nachwort:

Die Geschichte ist frei erfunden, aber dennoch könnte sie sich an dem einen oder anderen Limesabschnitt so zugetragen haben.

 

Der Dank gilt dem Künstler Georg Oehmann aus Backnang,  für die Erlaubnis, die Sitzende und ihr rosaroter Hund als Hauptakteure  der Geschichte verwenden zu dürfen.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jakob W.Stadel).
Der Beitrag wurde von Jakob W.Stadel auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jakob W.Stadel als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Tal der gebrochene Puppen: Die Muse von Paul Riedel



Myrte nach Jahren Arbeit als Kunsthändlerin organisiert das Jubiläumsfeier einer Galerie und erprobt sie ein neues Konzept, um ihre Konkurrenten zu überholen. Nur eine Muse kann sie retten.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jakob W.Stadel

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Kaufhausdetektiv als Weihnachtsmann von Jakob W.Stadel (Weihnachten)
Omas Pflaumenkuchen von Heideli . (Sonstige)
mundtot gemacht von Annie Krug (Wie das Leben so spielt)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen