Helmut Wurm

Sokrates und die auslandsversessenen Wandervögel

Sokrates und die auslandversessenen (man könne auch modern sagen „die auslandsgeilen“) Wandervögel

 

Sokrates fährt mit seinem Auto auf einer Schnellstraße von einem großen deutschen Flughafen zurück. Es ist Spätsommer. Sokrates hat hier in Deutschland natürlich auch eine Wohnung, neben seinem Hauptwohnsitz in Athen und weiteren Nebenwohnsitzen in Frankreich, Italien und anderen europäischen Staaten. Sokrates ist kein unmoderner Mann. Seine Devise ist, dass man die Zeit und die Zeitbedingungen nur kritisch beurteilen kann, wenn man sie kennt. So benutzt er auch Fernseher, Handy, PC und Internet, und natürlich auch das Auto. Er hat sich einen größeren PKW zugelegt, keinen teuren, aber einen geräumigen mit 6 Sitzplätzen. Denn er möchte gerne Leute mitnehmen, wenn er irgendwohin fährt, einmal um sich mit ihnen zu unterhalten und sie dabei zum Nachdenken anzuregen, aber auch um ein gutes Werk für die Umwelt zu leisten, denn dann können die Mitfahrer ihre Autos in der Garage lassen. So ist es auch jetzt.

 

Sokrates hat von dem großen Flugplatz 2 frühere Bekannte abgeholt, denen er Deutschland zeigen möchte. Der eine kommt aus Griechenland, der andere aus Skandinavien. Beide kennen Deutschland und die Deutschen nur aus Berichten und Büchern und möchten sich vor Ort genauer informieren. Und Sokrates als intimer Kenner hat sich angeboten, sie zu führen. Sie fahren also erst einmal zur Wohnung von Sokrates, die das Standquartier sein soll.

 

Beide sind sehr überrascht von der Schönheit und Vielfalt der deutschen Landschaften und tuscheln ab und zu miteinander, wenn sie nicht gerade wieder wortlos staunend aus dem Fenster blicken.

 

Der Gast aus Griechenland (begeistert-erstaunt): Was ist das für ein schönes, grünes Land, dieses Deutschland. So grün und waldreich und frisch in den Farben hätte ich es mir nicht vorgestellt... Was muss es eine Freude sein, hier zu wohnen. Ich kann nicht verstehen, dass in den Sommermonaten so viele Deutsche unsere griechischen Inseln und Strände bevölkern. Bei uns ist dann alles durch die Sonne ausgedörrt und grau-grün. Vor der Hitze fliehen die meisten Griechen in ihre schattigen Häuser, während sich die deutschen Touristen in der Sonne am Strand aufhalten. Das macht kein vernünftiger Grieche und das ist auch ungesund... Die Hitze, das intensive Licht...

 

Wie schön muss der Sommer hier in Deutschland sein... Wenn ich Deutscher wäre, ich würde im Sommer doch nicht Deutschland verlassen... Jetzt kann ich gut verstehen, weshalb so viele Griechen, Kreter, Türken, Araber nach Deutschland wollen... Ich würde auch gerne hier immer bleiben...

 

Der Gast aus Skandinavien (ebenfalls begeistert): Ja, in der Tat, Deutschland ist ein sehr schönes Land. Wir haben zwar noch mehr Wälder und unser Skandinavien ist noch grüner, aber es ist ein dunkleres Grün der kühlen Nadelwälder... Aber bei uns ist die Luft feuchter und nebliger, es regnet öfter, weniger Vögel sind zu hören und die vielen Millionen Steckmücken... Die fressen einen manchmal geradezu auf... Und dann die dunklen, kalten Winter mit ihrer depressiven Stimmung. Wie gerne würde ich in Deutschland mit seiner landschaftlichen und kulturellen Vielfalt wohnen... Die Siedlungen sind bei uns weiter voneinander entfernt, es gibt kaum Altstädte mit schönen Fachwerkbauen, nur wenige Burgen und Schlösser, keinen Wein und keine Straußwirtschaften... Aber überall sehe ich hier Geschichte und Romantik...

 

Wie schön muss der Sommer hier in Deutschland sein... Wenn ich Deutscher wäre, ich würde im Sommer doch nicht Deutschland verlassen... Jetzt kann ich gut verstehen, dass so viele Griechen, Kreter, Türken, Araber nach Deutschland wollen... Ich würde auch gerne hier immer bleiben...

 

Sokrates (er hat das leise Gespräch mitgehört): Ich kann es auch nicht verstehen, wie wenig die Deutschen ihr Deutschland schätzen. Die Deutschen sind die reise-lustigste Nation der Welt. Welch ungeheure Summen schleppen sie als Urlauber in andere Länder, auch in meine Heimat. Und was sie da jedes Jahr  hinaus zieht, ist eigentlich nur das Andere, das Fremde... Sie ohrfeigen eigentlich jeden Sommer ihr schönes Heimatland, indem sie es wie fluchtartig verlassen...

 

Währenddem sieht Sokrates am Straßenrand einen jungen Mann stehen und das bekannte Tramper-Zeichen mit der Hand machen. Der junge Mann sieht etwas ungewohnt aus. Er hat ein Barett auf, ein buntes Halstuch um, trägt Trecking-Hosen und schwere Wanderstiefel. Vor ihm steht ein schwerer Rucksack und darauf ist eine Flöte geschnallt. Ah, denkt Sokrates, ein Wandervogel, der von seiner Sommerfahrt zurückkommt. Den nehme ich natürlich mit... Wandervögel nehme ich immer mit... Der kann sicher Interessantes von seiner Sommerfahrt erzählen. Wo der wohl war...? Sokrates hält an.

 

Sokrates: Horridoh, junger Wandervogel. Kann ich dich mitnehmen? Ich fahre nach X-Stadt.

 

Der junge Wandervogel I (froh): Das ist ungefähr die Richtung, in die ich auch will. Gerne fahre ich ein Stück mit. (Er setzt sich neben Sokrates auf den Beifahrersitz, packt seine Flöte aus und beginnt leise einige griechische Lieder zu spielen.)

 

Sokrates (im Weiterfahren): Als Wandervogel bis du aber kein deutscher Volkslied-Sänger  und (nach einem Blick auf den Rucksack, aus dem eine Flasche Samos heraus schaut) auch kein Weinverächter. Bei den Wandervögeln früher, vor dem 1. Weltkrieg, hieß es doch: Wir begleiten mit Gitarre, schätzen besonders das deutsche Lied und alle unsere Veranstaltungen sind alkoholfrei...

 

Der Wandervogel I (brummt vor sich hin: Was weiß denn der von der Zeit vor 100 Jahren? Überhaupt ein komischer Kauz mit seinem Umhang... Dann laut): Wir gehen eben mit der Zeit, auch bezüglich der Instrumente und des Alkohols und bezüglich unserer Lieblingsfahrtenziele...

 

Sokrates (lächelnd): Es war ja nur so eine Bemerkung...Ich habe früher auch gerne auf der Panflöte gespielt. Und für Erwachsene ist ein Glas Wein übrigens erlaubt und sogar gesund... Wie war übrigens deine Sommerfahrt nach Griechenland?

 

Der Wandervogel I: Woher weißt du denn, dass ich in Griechenland war. Ich fahre übrigens immer nach Griechenland, wenn der Sommer kommt.

 

Sokrates (weiter fein lächelnd): Die Flöte, die du gerade spielst und die Flasche Samos, die aus deinem Rucksack schaut, lassen mich das vermuten... Samos ist ein guter Wein, ich habe ihn schon früher gerne getrunken, als er noch in Amphoren und stark geharzt aufbewahrt wurde. Auch heute trinke ich ihn noch gerne – mit Maßen.

 

Der WandervogelI (murmelt etwas erstaunt-unsicher): Samos in Amphoren gab es doch nur vor 2500 Jahren bei den alten Griechen, aber heute doch nicht mehr... (dann laut) Wenn ich von Griechenland zurückkomme, habe ich immer eine Flasche Samos dabei... Ich fahre jeden Sommer nach Griechenland, sonst nirgends woanders hin.

 

Sokrates: Und weshalb fährst du als Wandervogel hauptsächlich nach Griechenland?

Es gibt doch hier in Deutschland-Mitteleuropa auch sehr schöne Ziele für Fahrten.

 

Der Wandervogel I: Das ist so eine Tradition. Das machen wir in unserer Gruppe seit vielen Jahren so. Griechenland und Kreta sind für uns heilige Wandervogelländer. Da ist es immer warm, da kann man in den griechischen Pinten sitzen und Wein trinken... Da gibt es einsame Gegenden, wo man einfach im Freien schlafen kann, ohne dass so ein blöder Förster kommt und es verbietet. Da kann man am Strand liegen, dösen und angeln... Ich brauche einfach die Luft in Griechenland, sie riecht nach Meer, Kräutern und Wärme... Es ist das Fernweh, es lockt mit Zaubermacht... Hier in Deutschland ist es doch nur langweilig, stickig und überall stehen Häuser und Fabriken. Hier braucht man sich erst gar nicht Fahrtenziele auszusuchen... Und überhaupt machen wir das alle so, eben aus Tradition... Wir sind so eine Art Hellas-Wandervögel... Wir können nicht verstehen, dass man woanders als nach Griechenland oder Kreta fahren kann.

 

Sokrates: Weshalb bleibst du dann nicht ganz da unten, wenn Hellas das Land deiner Träume ist?

 

Der Wandervogel I (gedehnt): Wir haben schon mal überlegt, in Griechenland ein Haus zu kaufen. Aber hier ist alles besser bezüglich Arbeit, Sozialversicherung, Schule und Straßen... Auch wenn die deutsche Landschaft hässlich und langweilig ist, ist es doch praktischer hier seinen Hauptwohnsitz zu haben. Vielleicht mal im Alter, nach der Rente...

 

Die beiden Gäste (hinten im Auto, stoßen sich an und murmeln abwechselnd): Der weiß nicht, wie schön Deutschland-Mitteleuropa ist... Der schätzt seine Heimat gar nicht... Der hat überhaupt keinen Bezug zu seiner Kultur... Wenn möglichst viele Deutsche so dächten und man ihnen günstige Arbeitsplätze bei uns anbieten würde, könnten dafür möglichst viele von uns nach Deutschland ziehen... Wir wüssten Deutschland besser zu schätzen...

 

Währenddem sieht Sokrates am Straßenrand noch einen jungen Mann stehen und das be-kannte Tramper-Zeichen mit der Hand machen. Der junge Mann sieht etwas ungewohnt aus. Er hat ein Barett auf, ein buntes Halstuch um, trägt Trecking-Hosen und schwere Wander-stiefel. Vor ihm steht ein schwerer Rucksack und darauf ist ein Büffelhorn mit Mundstück geschnallt. Ah, denkt Sokrates, ein weiterer Wandervogel, der von seiner Sommerfahrt zurück kommt. Den nehme ich natürlich auch mit... Wandervögel nehme ich immer mit... Der kann sicher Interessantes von seiner Sommerfahrt erzählen. Wo der wohl war...? Sokrates hält an.

 

Sokrates: Horridoh, junger Wandervogel. Kann ich dich mitnehmen? Ich fahre nach X-Stadt.

 

Der junge Wandervogel II (froh): Das ist ungefähr die Richtung, in die ich auch will. Gerne fahre ich ein Stück mit. (Er setzt sich nach hinten auf den Rücksitz, schnallt sein Büffelhorn ab und beginnt leise einige norwegische Wikingerlieder zu blasen.)

 

Sokrates (im Weiterfahren): Als Wandervogel bis du aber kein Sänger deutscher Volkslieder und (nach einem Blick auf den Rucksack, auf den auch ein Rentierfell geschnallt ist). Bei den Wandervögeln früher, vor dem 1. Weltkrieg, hieß es doch: Wir begleiten auf der Gitarre, singen hauptsächlich deutsche Lieder und machen vor allem innerhalb Deutschlands unsere Fahrten.

 

Der Wandervogel II (brummt vor sich hin: Was weiß denn der von der Zeit vor 100 Jahren? Überhaupt ein komischer Kauz mit seinem Umhang... Dann laut): Wir gehen eben mit der Zeit, auch bezüglich unserer Lieder, unserer Instrumente und bezüglich unserer Lieblingsfahrten-Ziele...

 

Sokrates (lächelnd): Es war ja nur so eine Bemerkung... Wie war übrigens deine Sommerfahrt nach Skandinavien?

 

Der Wandervogel II: Woher weißt du denn, dass ich in Skandinavien war? Ich fahre übrigens immer nach Skandinavien, wenn der Sommer kommt...

 

Sokrates (fein lächelnd): Das Büffelhorn und das Rentierfell auf deinem Rucksack lassen mich das vermuten. Rentierfelle sind übrigens eine sehr warme Unterlage... Ich habe früher gerne auf Ziegenfellen gelegen, als es bei uns noch überall Ziegen gab.

 

Der Wandervogel (murmelt etwas erstaunt-unsicher): Auf Ziegenfellen schliefen früher doch die alten Griechen, aber heute doch niemand mehr... (dann laut) Wenn ich von Skandinavien zurückkomme, bringe ich immer ein Rentierfell mit zurück... Ich fahre jeden Sommer nach Skandinavien, sonst nirgends woanders hin.

 

Sokrates: Und weshalb fährst du als Wandervogel hauptsächlich nach Skandinavien? Es gibt doch hier in Deutschland-Mitteleuropa auch sehr schöne Ziele für Wandervogel-Fahrten.

 

Der Wandervogel II: Das ist so eine Tradition. Das machen wir in unserer Gruppe seit vielen Jahren so. Skandinavien ist für uns das heilige Wandervogelland. Da ist es immer grün, da gibt es einsame Gegenden, wo man einfach im Freien schlafen kann, ohne dass so ein blöder Förster kommt und es verbietet... Da kann man an See-Ufern, am Strand sitzen und angeln und die Mittsommernacht erleben... Ich brauche die frische Nordlandluft, sie riecht nach Wasser, Nadelbäumen und Moos... Es ist das Fernweh, es lockt mit Zaubermacht... Hier in Deutschland ist es doch nur langweilig, stickig und überall stehen Häuser und Fabriken... Hier braucht man sich erst gar nicht Fahrtenziele auszusuchen... Und überhaupt machen wir das alle so, eben aus Tradition... Wir sind so eine Art Nordland-Wandervögel. Wir können uns nicht vorstellen, dass man woanders als nach Skandinavien fahren kann.

 

Sokrates: Weshalb bleibst du dann nicht ganz da oben, wenn Skandinavien das Land deiner Träume ist?

 

Der Wandervogel II (gedehnt): Wir haben schon mal überlegt, in Skandinavien ein Haus zu kaufen. Aber hier ist alles besser bezüglich Arbeit, Sozialversicherung, Schule und Straßen... Auch wenn die deutsche Landschaft hässlich und langweilig ist, ist es doch praktischer hier seinen Hauptwohnsitz zu haben. Vielleicht mal im Alter, nach der Rente...

 

Die beiden Gäste (hinten im Auto, stoßen sich an und murmeln abwechselnd): Auch einer, der nicht weiß, wie schön Deutschland-Mitteleuropa ist... Auch der schätzt seine Heimat gar nicht... Auch der hat überhaupt keinen Bezug zu seiner Kultur... Wenn möglichst viele Deutsche so dächten und man ihnen günstige Arbeitsplätze bei uns anbieten würde, könnten dafür möglichst viele von uns nach Deutschland ziehen... Wir wüssten Deutschland besser zu schätzen...

 

Währenddem sieht Sokrates am Straßenrand noch einen dritten jungen Mann stehen und den bekannten Tramper-Wink mit der Hand machen. Der junge Mann sieht etwas ungewohnt aus. Er hat ein Barett auf, ein buntes Halstuch um, trägt Trecking-Hosen und schwere Wander-stiefel. Vor ihm stehen ein schwerer Rucksack und eine Gitarre. Ah, denkt Sokrates, ein weiterer Wandervogel, der von seiner Sommerfahrt zurückkommt. Den nehme ich natürlich auch mit. Wandervögel nehme ich immer mit... Der kann sicher Interessantes von seiner Sommerfahrt erzählen. Wo der wohl war...? Sokrates hält an.

 

Sokrates: Horridoh, junger Wandervogel. Kann ich dich mitnehmen? Ich fahre nach X-Stadt.

 

Der junge Wandervogel III (froh): Das ist ungefähr die Richtung, in die ich auch will. Gerne fahre ich ein Stück mit. (Er setzt sich neben den Wandervogel II auf die hintere Sitzbank, holt ein Päckchen Batavia-Tabak heraus und beginnt sich eine Zigarette zu drehen)

 

Sokrates (im Weiterfahren): Als Wandervogel bis du offensichtlich kein Nichtraucher und (nach einem Blick auf den Rucksack, aus dem eine Flasche Jamaika-Rum schaut) auch kein Schnaps-Verächter. Bei den Wandervögeln früher, vor dem 1. Weltkrieg, hieß es doch: Alle Veranstaltungen sind alkohol- und nikotinfrei.

 

Der Wandervogel III (brummt vor sich hin: Was weiß denn der von der Zeit vor 100 Jahren? Überhaupt ein komischer Kauz mit seinem Umhang... Dann laut): Wir gehen eben mit der Zeit und mit dem, was wir auf unseren großen Fahrten kennen lernen.

 

Sokrates (lächelnd): Es war ja nur so eine Bemerkung... Wie war übrigens deine Sommerfahrt in die Karibik?

 

Der Wandervogel III: Woher wissen Sie denn, dass ich in der Karibik war?... Ich fahre übrigens immer weit weg, irgendwo hin, wenn der Sommer kommt... Ich bin ein Weltfahrer.

 

Sokrates (fein lächelnd): Der Batavia-Tabak und die Flasche Rum in deinem Rucksack lassen mich das vermuten... Schnaps kann übrigens manchmal gut tun, wenn es sehr kalt ist. Ich habe früher ab und zu bei Kälte auch gerne den Ouzu getrunken, wie die spartanischen Krieger im Winter, damit sie nicht froren... Aber sonst sollte man ihn meiden.

 

Der Wandervogel III (murmelt etwas erstaunt-unsicher): Den Ouzu wie die spartanischen Krieger getrunken, damit ihnen nicht kalt wurde... Spartaner gibt es doch gar nicht mehr, die gab es vor 2500 Jahren... (dann laut) Wenn ich von meinen Weltfahrten zurück komme, bringe ich immer ein typisches Getränk von weither mit zurück. Manchmal ist es Whisky, manchmal Rum, manchmal Wodka... Ich fahre jeden Sommer weit weg und immer woanders hin.

 

Sokrates: Und weshalb fährst du als Wandervogel immer weit weg und immer woanders hin? Es gibt doch hier in Deutschland-Mitteleuropa auch sehr schöne Ziele für Wandervogel-Fahrten. Habt ihr früher Deutschland nicht kennen gelernt?

 

Der Wandervogel III: Das ist so eine Tradition. Das machen wir in unserer Gruppe seit vielen Jahren so. Fahrten in Deutschland haben wir nicht gemacht. Die weite ferne Welt, das ist für uns das heilige Wandervogelland. Da ist alles anders als bei uns, da gibt es einsame Gegenden, wo man einfach im Freien schlafen kann, ohne dass so ein blöder Förster kommt und es verbietet. Da gibt es Meere, Steppen, Wüsten, Urwälder, Hochgebirge, einsame Inseln und Eisfelder... Ich brauche die Luft der großen weiten Welt, sie riecht nach Ferne und Abenteuer... Es ist das Fernweh, es lockt mit Zaubermacht... Hier in Deutschland ist es doch nur langweilig, eng, stickig und überall stehen Häuser und Fabriken... Hier braucht man sich erst gar nicht Fahrtenziele auszusuchen... Und überhaupt machen wir das alle so, eben aus Tradition... Wir sind so eine Art Weltenbummler-Wandervögel... Wir können uns nicht vorstellen, dass man woanders als in die weite Welt und immer woanders hinfahren kann.

 

Sokrates: Weshalb bleibst du dann nicht ganz irgendwo auf einem Schiff oder einer fernen Insel, wenn die weite Welt das Gebiet deiner Träume ist?

 

Der Wandervogel III (gedehnt): Wir haben schon mal überlegt, in der Karibik auf einer Insel ein Haus zu bauen... Aber hier ist alles besser bezüglich Arbeit, Sozialversicherung, Ärzten, Schulen und Straßen... Auch wenn die deutsche Landschaft hässlich und langweilig ist, ist es doch praktischer hier seinen Hauptwohnsitz zu haben. Vielleicht mal im Alter, nach der Rente...

 

Die beiden Gäste (hinten im Auto, stoßen sich an und murmeln abwechselnd): Noch einer, der nicht weiß, wie schön Deutschland-Mitteleuropa ist... Auch der schätzt seine Heimat nicht, auch der hat überhaupt keinen Bezug zu seiner Kultur... Wenn möglichst viele Deutsche so dächten und man ihnen Lebensmöglichkeiten auf fernen Inseln anbieten würde, könnten dafür möglichst viele von uns nach Deutschland ziehen... Wir wüssten Deutschland besser zu schätzen...

 

Sokrates (ist nachdenklich geworden und fährt langsamer; er murmelt leise): Ich muss da etwas tun, das kann ich nicht einfach so hinnehmen... die Gegend hier ist dafür geeignet; (dann laut) Ich werde jetzt von meiner direkten Route nach X-Stadt abweichen. Ich möchte hier in der Nähe noch kurz einen Bekannten besuchen. Es ist kein großer Umweg... (Und zu den 3 Wandervögeln gewandt: Ihr könnt mit fahren, es ist nur ein geringer Zeitverlust, ich kann euch hier aber auch raus lassen...

 

Die drei Wandervögel (gelangweilt, abwechselnd): Ja, wir fahren mit... Auf den kurzen Umweg kommt es auch nicht mehr an... Deutschland ist eh langweilig, da werde ich ein wenig im Auto pennen...

 

Sokrates biegt von der Schnellstraße ab und fährt in eine bewaldete Mittelgebirgslandschaft mit einem lang gezogenen Tal und fährt dieses Tal hinauf. Es ist eine wunderbare, romantische

Landschaft mit einem kleinen Fluss, Talwiesen, Burgen, kleinen Fachwerkdörfern, Weinbergen und sogar einem Schloss auf einem der bewaldeten Berge. Die beiden fremden Fahrgäste schauen verwundert und dann begeistert nach rechts und links aus den Fenstern. Sie stoßen sich gegenseitig an und sagen leise:

 

Die beiden fremden Gäste (abwechselnd): Mensch ist das schön hier... So etwas gibt es bei uns nicht... Der herrliche Wald... Die schönen Fachwerkhäuser... Die bunten Wiesen mit den Herbstblumen... Solche massiven Burgen mit dicken Mauern... Und das schöne Schloss...Alles so dicht zusammen... So eine bunte Mischung auf engem Raum... Weißt du was, wir bleiben hier... Hier gehe ich nicht mehr weg... Sokrates soll uns helfen hier zu bleiben...

 

Auch die Wandervögel sind auf einmal aufmerksam geworden; selbst der, der pennen wollte, hat den Kopf erhoben und schaut nach draußen. Sie murmeln ab und zu leise vor sich hin oder zu dem anderen:

 

Die drei Wandervögel (abwechselnd): Hej, wo sind wir denn da gelandet... Ich habe ja gar nicht gewusst, dass es in Deutschland so schön sein kann... Das sieht ja hier super aus... Noch schöner als in Süd-Schweden... Selbst noch schöner als auf Attika... Mensch, so etwas gibt es nicht mal auf einer Südsee-Insel... Und die schönen Wanderwege hier am Tal-Rand... Das ist ja eine richtige Fahrtengegend hier... Das juckt ja richtig in den Füßen... Mal eine Nacht unter so einem großen grünen Baum am Wiesenrand pennen, das wäre Klasse... Hier vor dem Schloss unter der Linde lässt sich stimmungsvoll singen... Die Luft hier riecht ja ganz toll frisch und nach Fernweh... Ich habe noch 2 Tage Zeit, wollen wir hier aussteigen?

 

Sokrates hält vor einem Haus unterhalb des Schlosses. Es sieht aus wie das zugehörige Ver-walterhaus und geht hin.

 

Sokrates (leise zu sich): Der Verwalter kennt mich nur flüchtig, aber ich tue mal so, als wenn wir gute Bekannte wären. (dann laut) Ich bin bald wieder zurück. Ihr könnt euch ja mal den Schlossgarten anschauen, er ist offen, meine ich. (damit geht er in das Verwalterhaus)

 

Die Mitfahrer steigen auch aus. Die beiden fremden Gäste gehen interessiert durch das Schlosstor in den Schlossgarten. Die Wandervögel stehen zuerst vor dem Auto, besprechen sich kurz, packen dann ihre Rucksäcke und Klampfen und wandern einfach weg. Vorher rufen sie noch den beiden Fremden zu:

 

Die drei Wandervögel: Hej, sagt dem komischen Alten mit dem komischen, altertümlichen Umhang, wir wären weg... Wir wollten noch ein bisschen diese Gegend erwandern... Dieser Teil Deutschlands ist tatsächlich schönes Fahrtenland... Hej, und auch euch beiden Horridoh!

 

Nach einer Weile kommt Sokrates zurück. Er sieht sofort, dass die drei Wandervögel weg sind und auch ihr Gepäck nicht mehr im Auto liegt. Er nickt zufrieden. Und als ihm die beiden fremden Gäste die kurzen Abschiedsworte der Wandervögel, etwas höflicher formuliert, mitteilen, lächelt er noch zufriedener.

 

Sokrates (vor sich hin): Es hat geklappt... Der Verwalter konnte sich anfangs nicht mehr an mich erinnern... Aber dann kam es doch zu einem Gespräch... Ich musste ja eine Zeit im Haus bleiben, damit die 3 Deutschland-Flüchter sich absprechen konnten, hier auszusteigen und zu wandern... Vielleicht ist das ein Anfang... Es muss ja nicht nur Deutschland sein, auf eine gute Mischung kommt es an... Natürlich sind auch der Norden, der Süden und die Karibik schön...

 

Sokrates steigt wieder in das Auto, die beiden fremden Gäste mit ihm.

 

Die beiden fremden Gäste (unterwegs vertraulich zu Sokrates): Sokrates, Deutschland ist ja wirklich ein sehr schönes Land... Eigentlich wollten wir nur einige Zeit zu Besuch hier bleiben, aber jetzt finden wir es hier so schön, dass wir gerne immer hier bleiben möchten... Gibt es da keine Möglichkeit?... Kannst du uns helfen?... Wir würden es wirklich schätzen, in Deutschland zu leben, wir würden Deutschland und seine Vielseitigkeit schätzen...

 

Sokrates (brummt vor sich hin): Hm, Möglichkeiten dazu gäbe es, aber...

 

Es ist hier nicht beabsichtigt, weiter mitzuteilen, ob und eventuell wie Sokrates den beiden geholfen hat. Und ebenfalls wird nicht weiter verfolgt, wie die Wanderung der drei bündischen Deutschland-Flüchter verlaufen ist und ob sie zu einer Entdeckung der Schönheit Deutschlands geführt hat.... Zu wünschen wäre das.

 

(Verfasst von discipulus socratei nach dem späteren Bericht des Sokrates im engeren Kreis)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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