Helmut Wurm

Mephisto und die bündischen Informationsgespräche

Mephisto und die bündischen Informationsgespräche an einem Werbetag

 

Mephisto ist völlig verzweifelt über seine Misserfolge gegenüber den Bündischen und besonders wegen der geschickten und erfolgreichen Gegenmaßnahmen des alten bündischen Führers. Er sitzt schon seit Wochen grübelnd auf seinem Lieblingssitz, dem Brockengipfel. Wo kann er sich Ideen holen, was könnte er versuchen. Denn aufgeben, das kann, will und wird er nicht, trotz aller seiner Versprechungen – aber ein Teufel lügt ja von Berufs wegen und wer einem Teufel glaubt, ist selber an seiner baldigen Enttäuschung schuld.

 

Mephisto hat sich in der teuflischen Bibliothek ein Buch geholt mit dem Titel „Auch bei vielen Misserfolgen nicht aufgeben, dafür die Strategie wechseln“. Aber wie kann er seine Strategie wechseln? Er blättert darin und findet den Hinweis, dass wenn große Aktionen nichts bringen, viele kleine Schritte vielleicht langfristige Erfolge bringen. Er muss also statt seiner bisherigen strategischer Großaktionen kleine taktische Schritte planen und durchführen, Schritte, die der alte Gandalf und seine Zuträger nicht mitbekommen, deren Vorbereitung und Durchführung möglichst wenig auffällt.

 

Mephisto (murmelt vor sich hin): Kleinvieh macht auch Mist... Aber was im Detail könnte ich versuchen?

 

Er geht unruhig hin und her und schickt seine Beobachtungsteufel aus, um die Bündischen genau zu beobachten und ihm alles zu berichten, was sich bei diesen tut und was diese planen.

Schließlich berichtet ihm einer etwas, was ihn aufmerken lässt. Die Bündischen in XY-Stadt planen einen großen Werbetag. Auf einer großen Wiese im Park sollen in einer langen Reihe Kohten aufgebaut werden und davor sollen bündische Gruppen stehen, die den Interessenten, und natürlich besonders Jugendlichen, vom bündischem Leben berichten und möglichst auch viele anwerben sollen... Da kommt Mephisto eine Idee, er erhebt sich und winkt einige seiner Spähteufel herbei.

 

Mephisto: Liebe böse Späh-Teufel, ich brauche eine Kohte und nur eine kleine Gruppe von euch, die sich als Bündische verkleiden. Wir mischen uns mit einem eigenen Stand und einer eigenen Kothe als bündische Gruppe der Roten Ritter unter die Werbegruppen in XY-Stadt und versuchen, Interessierte auf uns aufmerksam zu machen und einige möglichst anzuwerben. Die dürfen aber nicht merken, zu welcher Art von Gruppe sie gestoßen sind. Wir werden als kleine Gruppe scheinbar das übliche Wandervogel-Leben vorleben, aber wen wir mal haben, den werden wir langsam beeinflussen – in unserem Sinne (und dabei lacht Mephisto hämisch). Wir werden sehr gefährliche, für wenig kritische Führer aber sehr gefällige Theorien verbreiten und dann hoffen, dass sich diese gefährlich-gefälligen Theorien auf andere, ebenfalls wenig kritische Gruppen, weiter ausbreiten. Also los, holt mir eine schwarze Kothe, die Farbe dürfte in unserem teuflischen Trecking-Arsenal vorhanden sein, und zieht euch um. Morgen geht es los.   

 

Es sollen jetzt die vorsichtigen kleinen Vorbereitungsschritte des Mephisto übergangen werden und auch, wie der alte bündische Führer doch von der Sache erfahren hat. Denn hier sollen einige Gespräche genauer wiedergegeben werden, die Mephisto, als Gruppenführer getarnt, mit interessierten Besuchern führt. Das ist wichtig und interessant.

 

Es ist also jetzt der große bündische Werbesonntag, auf der großen Stadtpark-Wiese stehen die Kohten in einer Reihe, davor stehen jeweils einige Bündische mit Bildtafel, Werbeheften und Anmelde-Formularen zum Eintreten in die Gruppe. Die Kohte des Mephisto und seiner Roten Ritter steht wie zufällig am Anfang, aber trotzdem etwas zurück. So kann er früh auf Besucher hoffen, gleichzeitig aber steht er unauffällig im Hintergrund. Mephisto selber ist als zwar erwachsener, aber jugendlich wirkender bündischer Führer trapiert: Kniebundhosen, hohe Wanderstiefel (er muss seinen Pferdefuß verstecken), verschiedene Führerabzeichen, Barett...  Mephisto ist recht zufrieden und hofft auf einen kleinen Erfolg...

 

Er weiß aber nicht, dass seine Rote-Ritter-Kohte bereits sorgfältig beobachtet wird, dass in den umliegenden Bäumen Abhör-Geräte, als Nistkästen getarnt, hängen, dass ein Tonband mitläuft und alle eine Gespräche aufzeichnet, dass vom alten bündischen Führer Freunde ausgewählt worden sind, die als Interessenten getarnt Mephisto aushorchen werden und dass der alte bündische Gandalf mit seinen Freunden nur darauf wartet, mit feinem Lächeln auf die Roten Ritter zuzutreten und ihnen vor aller Augen die Baretts vom Kopf zu nehmen und ihre kleinen Hörner allen sichtbar zu machen. Aber alles der Reihe nach...

 

Rein zufällig schlendert ein Ehepaar auf die Rote-Ritter-Kohte zu und bleibt vor Mephisto stehen. Der Mann stellt sich als Grundschullehrer und die Frau als Kindergärtnerin vor.

 

Der Grundschullehrer (gut gekonnt unsicher): Ich stelle in den letzten Jahren fest, dass in den Familien immer weniger ein Zusammenhalt gepflegt und für die Kinder eine Geborgenheit geschaffen wird. Da suche ich nach Möglichkeiten und Gruppierungen, wo ich die Kinder nach meiner 4. Klassen hin empfehlen kann, die ihnen Geborgenheit bieten, auch wenn ich meine, dass mit 10 Jahren Kinder eigentlich noch zu jung für das bündische Leben sind.

 

Mephisto: Da sind sie hier bei mir gerade richtig. Einmal gebe ich ihnen in der Beziehung Recht, dass viele Familien immer weniger wirkliche Familien, sondern immer mehr nur noch Versorgungsgemeinschaften sind. Da müssen Kinder einen Familienersatz bekommen, so wie bei uns. Das ist unser wichtigstes Anliegen. Am besten sollten die Kinder ganz den modernen Familien entfremdet werden und ihre meiste Zeit nur noch in bündischen Gruppen verbringen.

Wir sagen den Jugendlichen immer: Lasst euch ernähren und kleiden von eueren Eltern, geht pflichtgemäß, aber nicht mit Engagement in die Schule und verbringt die andere Zeit nur noch bei uns und nehmt nur unsere Erziehungsziele und Erziehungsinhalte an. Viele Eltern sollten nur noch Produzenten von Kindern sein, sonst sollten sie keine anderen wichtigen Funktionen mehr haben... Was uns bündischen Gruppen beim Anwerben von Jugendlichen am meisten schadet, das sind funktionierende Familien. Da fühlen sich Kinder wohl und gehen nicht so früh in unsere Gruppen und nehmen nicht so leicht unsere Erziehungsinhalte an. Wir müssen die Familien weiter demontieren, damit wir mehr Jugendliche anwerben können, die bei uns einen Familienersatz suchen.

 

Zum anderen gebe ich ihnen aber nicht Recht, dass Kinder mit 10 Jahren noch nicht alt genug für bündisches Leben sind. Noch viel jüngere Kinder sollen zu uns kommen. Je jünger, desto besser können wir sie beeinflussen. Man muss das bündische Leben eben auf solche frühen Altersstufen abstimmen. Je früher Kinder lernen, von zu Hause möglicht viel fort zu sein, desto

weniger entwickelt sich bei ihnen ein Bedürfnis nach einem Zuhause. Das Zuhause soll die bündische Gruppe werden. Und je früher Kinder weite Fahrten machen, desto eher entwickelt sich in ihnen das Fernweh. Fernweh ist die andere wichtige Grundlage bündischen Lebens. Das Fernweh verhindert die Entwicklung eines Heimatgefühls und eines Familiengefühls. Je früher wir das Fernweh fördern, desto mehr sind die Jugendlichen uns verfallen. Die Heimat für einen Bündischen ist die weite Welt. Heimatgefühl und Wandervogel-Sein passen nicht zusammen (Mephisto dreht den Kopf zur Seite und flüstert zu den anderen bündischen Teufeln) und sollen auch nicht zusammen passen... Damit schaden wir Deutschland, hä, hä hä.

 

Die Kindergärtnerin (sie war auf einiges Schlimme vorbereitet gewesen, ist aber nun wirklich entsetzt): Lässt sich denn Familie nicht mit Bündisch-Sein vereinbaren? Die Kinder in meiner Kindergartengruppe sehnen sich nach Familie, Geborgenheit und brauchen Bezugspersonen. Da verkümmert in ihnen doch etwas, wenn man sie Familie, Eltern und Geborgenheit nicht erfahren lässt.

 

Mephisto: Sie schließen sich dafür enger an die bündische Gruppe und an uns Führer an. Wir Führer werden dann die eigentlichen Eltern. Und das ist ein großes Glücksgefühl für uns die wichtigste Bezugsperson für ein Kind zu sein. (und dann pathetisch) Familie ist die Gruppe und Eltern sind wir Führer. Welch eine Stärkung für unser Selbstgefühl!

 

Die Kindergärtnerin (sie schaudert heimlich): Aber diese den Familien entfremdeten Kinder werden dann selber wohl kaum noch als Erwachsene Familien gründen wollen und können. Ist das denn richtig? Gibt es denn keine Möglichkeit, Familie und Bündisch-Sein zu verbinden?

 

Mephisto (zuerst hämisch zur Seite): Die sollen ja selber keine Familien mehr gründen wollen und können, damit schaden wir Deutschland und der bündischen Bewegung gleichermaßen, hä, hä, hä. (Dann zu der Frau gewandt und gedehnt): Ja doch, das ließe sich wohl verbinden, aber dann müssten wir Führer mehr mit den Eltern zusammen arbeiten und unsere Rolle als Bezugsperson und unser Erziehungseinfluss würden geringer... Welcher Führer will das schon?

 

Das Ehepaar (schaut sich entsetzt an): Eine solche, die Familie abwertende Erziehung finden wir nicht richtig... Wir möchten deshalb doch gerne auch noch andere Gruppen besuchen.

 

Das Ehepaar geht weiter, angeblich zum nächsten bündischen Stand, aber in Wirklichkeit zum alten Gandalf.

 

Mephisto (ruft ihnen noch wütend nach): Dann bleibt doch bei eueren Idealen von Familie und der Vereinbarkeit von bündischem Leben mit Familie und Heimat... Wir unterstützen das nicht... Mit solchen Familien-Spießern wie ihr wollen wir übrigens auch nichts zu tun haben!

 

Der alte bündische Führer (der alles mitgehört hat, flüstert dem Ehepaar zu): Das ist ja furchtbar... Welche Gefahr kann ein bündischer Führer darstellen, der so denkt. Die bündische Bewegung kann und sollte Familie und Heimat ersetzen, wo sie fehlen, aber sie darf sie nicht demontieren... Das Normale muss sein, dass sich Familie und Bündisch-Sein vereinbaren lassen, am besten, dass sie sogar gut miteinander harmonieren... Aber Achtung, jetzt kommt unser nächster Test-Interessent!

 

Ein Junge von ca. 14 Jahren kommt wie zufällig am Stand der Roten Ritter vorbei und bleibt stehen. Er betrachtet sich die ausgelegten Broschüren und sagt dann gut gekonnt zögernd.

 

Der Junge: Die Bilder von den Fahrten und Lagern gefallen mir gut... Irgendwie habe ich so etwas schon immer gesucht, aber bisher noch nicht gefunden. Kann ich mal mehr erfahren?

 

Mephisto: Das kannst du natürlich. Gehörst du denn schon irgendeiner anderen Gruppe an?

 

Der Junge (bewusst zögerlich-schüchtern): Ach, ich habe immer solche Hemmungen, mich irgendwo anzuschließen... Nachher lachen die anderen über mich, weil ich kein Draufgänger bin... Ich würde aber gerne anders werden. Meine Mutter hat mich vielleicht zu sehr umsorgt... Ich war bisher meistens zu Hause...

 

Mephisto (seitwärts zu den anderen): Aha, ein Muttersöhnchen, ein Stubenhocker, das sind besonders dankbare Objekte für unsere Umerziehungsstrategien. Dem muss man das Wasser im Mund zusammen laufen lassen, was für Kerle aus Bündischen werden können und was man in der weiten Welt alles erleben kann. Dem werde ich jetzt ein tolles bündisches Wunderbild vorgaukeln...

 

(Dann zu dem Jungen gewandt): So, so, also fast immer zu Hause gesessen... Und von der Mutter verwöhnt worden... Dagegen gibt es kein besseres Heilmittel als eine gute bündische Gruppe... Hör mal zu, was dich bei uns alles erwartet: Wir treffen uns einmal die Woche zu einem – zugegeben etwas wilden – Heimabend und sind fast an jedem Wochenende und in allen Ferien unterwegs, möglichst weit fort von zuhause. Wir trampen zu den jeweiligen Zielen. Wir lagern in Wäldern und Schluchten, schlafen in Kohten und unter freiem Himmel. Wir singen am Sonntagmorgen wüste Lieder vor Kirchen, wenn wir daran vorüber kommen. Wir paddeln, üben bergsteigen und segeln um die Welt. Wir singen, besser grölen, die Nächte hindurch am Feuer. Wir singen bei einem Treffen gnadenlos alle anderen Gruppen nieder. Wir fliegen mit Segelflugzeugen und tauchen in den großen Flüssen und Seen. Griechenland und Skandinavien wirst du wie deine Heimat kennen lernen. Du wirst von deinen Kameraden bewundert werden.

 

Der Junge: Wandern wir auch mal am Wochenende und bei den großen Fahrten? Meine Eltern sagen immer, wandern wäre gesund und sollte in der Jugend geübt werden.

 

Mephisto (abwehrend): Wer wandert denn heute noch... Das machte man früher, als es noch keine oder nur wenige Autos gab... Lass dich doch von deinen Eltern nicht wie ein Junge vor 50 Jahren erziehen... Du bist doch kein Muttersöhnchen, sondern schon fast ein Mann... Bei uns lernst du eine Zigarette drehen, eine Pfeife stopfen, einen Tschai mit viel Rum kochen, eine Flasche Bier  trinken, ohne nachher zu schwanken, als blinder Passagier nach Kreta zu fahren, auf den Feldern Kartoffeln und Kohl zu finden, nachts in Fischteichen angeln, dich wie ein Lumpazi durch die Welt schlagen... Du wirst dich von dem ganzen ordentlichen Spießerleben deiner Eltern lösen und ein freier junger Mann werden...

 

Der Junge (langsam ärgerlich reagierend): Ich möchte aber keine Kartoffeln und Kohl auf den Feldern „finden“ und Fische in fremden Fischteichen angeln. Ich finde es nicht gut, dass ich als Junge schon rauchen und trinken lernen soll... Das sind für mich keine Ideale, die ich anstrebe, sondern eine falsche Erziehung... In eine solche bündische Gruppe möchte ich nicht eintreten.

Ich gehe jetzt mal zu den anderen Gruppen, ob ich da eine ordentlichere finde.

 

Mephisto (ruft ihm verärgert nach): Dann suche dir doch eine Gruppe, die gerne ängstliche, verweichlichte, gewissenhafte Muttersöhnchen aufnimmt... In eine Muttersöhnchen-Gruppe passt du besser... Wir wollen so Jungen wie dich auch gar nicht!

 

Der Junge ist um die Ecke gegangen, angeblich zu anderen Gruppen, in Wirklichkeit aber zum alten bündischen Führer, der hinter einer Baumgruppe steht und alles mitgehört hat.

 

Der alte Führer: Das ist ja furchtbar... Welche Gefahr kann ein bündischer Führer darstellen, der so denkt. Vor einer solchen Pädagogik muss man landauf-landab warnen. Natürlich gefällt das manchem Jungen in der Pubertät, aber dieses Jugend-Programm bedeutet ja den Abbau aller Anständigkeit, aller Werte, aller Gewissenhaftigkeit. Hoffentlich gibt es hier keine Führer, die sich so bei den Jungen beliebt machen wollen... Aber still, da kommt unser nächster Test-Interessent.

 

Ein Mann in mittlerem Alter, in Wanderkleidung und mit einem kleinen Rucksack locker auf der Schulter kommt herbei geschlendert und bleibt wie zufällig am Stand der Roten Ritter stehen. Er blättert interessiert in den ausliegenden Prospekten über die bündischen Aktivitäten, die Mephisto bisher natürlich nicht gemacht, sondern sich über die höllische Internet-Abteilung aus dem Internet besorgt hat. Er nickt dabei zustimmend mit dem Kopf und wendet sich dann  an den Gruppenführer Mephisto.

 

Der Mann (gut gekonnt etwas schüchtern): Ich komme eigentlich nicht zufällig hierher, ich habe von dieser interessanten Informationsveranstaltung in der Zeitung gelesen. Ich hatte als Junge leider keine Möglichkeit, in eine Pfadfinder- oder Wandervogelgruppe einzutreten, weil es für mich solche Angebote in erreichbarer Nähe nicht gab. Das habe ich sehr bedauert, denn ich bin ein begeisterter Wanderer, lebe gerne in der Natur und beobachte gerne die Natur. Nun dachte ich, ob ich noch als Erwachsener einer solchen Gruppe beitreten kann... Ich würde das gerne tun.

 

Mephisto (betrachtet den Mann neugierig-kritisch): In die Jugendbewegung kann man in jedem Alter noch eintreten, wenn man sich jugendlich fühlt und benimmt. Insofern steht deinem Wunsch prinzipiell kein Hindernis im Wege. Wir haben einen Älterenkreis in unserem Bund der Roten Ritter. Man sollte allerdings die passenden Voraussetzungen mitbringen... Fangen wir damit mal an: Haben Sie ein Auto?

 

Der Wanderer (verlegen): Derzeit habe ich leider kein Auto. Ich hatte in den letzten Jahren finanziell eine Pechsträne und habe mein Auto deswegen abgeschafft. Ist das denn so wichtig?

Ich dachte, der Begriff „Wandervogel“ beinhaltet „viel wandern“?

 

Mephisto (belehrend): Was, Sie haben kein Auto? Sie wollen wandern? Das galt früher, heute nicht mehr. Heute liegen unsere Treffen und Fahrtenziele weit verstreut in Deutschland und Europa und man muss oft weite Strecken hin- und herfahren. Einige fahren, wenn das möglich ist, mit dem Zug, andere trampen, aber die meisten fahren mit dem eigenen Auto. Wenn Sie als Erwachsener kein Auto haben, dann fehlt Ihnen eine wichtige Voraussetzung für eine aktive bündische Mitarbeit... Welches Instrument spielen Sie?

 

Der Wanderer (wieder verlegen): Ich bin leider unmusikalisch... Ich habe als Jugendlicher mal Klavierunterricht gehabt, aber auch das hat nichts gebracht. Ich habe auch mal versucht, mit selber das Gitarrenspielen beizubringen, aber das hat genau so wenig geklappt.

 

Mephisto (distanziert): Wie bitte, Sie sind noch dazu unmusikalisch? Aber da fehlt ihnen ja die wichtigste, die entscheidende Voraussetzung für eine bündische Mitgliedschaft. Wir treffen uns mit den erwachsenen Bündischen, ich will sagen mit den „erwachsenen ewigen Jugendlichen“ hauptsächlich zum Singen... 

 

Der Wanderer: Aber was hat das Gitarrenspielen so notwendig mit dem Wandervogel-Sein zu tun? Wandervögel wandern doch, so sagt es doch der Name.

 

Mephisto (distanziert-korrigierend): Früher waren auch die Erwachsenen Wandervögel, das heißt sie sind mit Rucksack gewandert. Heute sind wir eigentlich nur noch Gitarrenspieler und Sänger. Wir treffen uns, um eine ganze Nacht hindurch zu singen, solange bis wir mitten im Singen vor Erschöpfung einschlafen... Die meisten Erwachsenen bei uns sind seit vielen Jahren kaum noch eine Stunde zu Fuß gegangen. Die fahren mit dem Auto oder Wohnmobil möglichst dicht bis an die große Feuerstelle, um die wir dann sitzen und singen...

 

Der Wanderer: Wenn die Bündischen viel singen, so mache ich da gerne mit. Ich singe auch gerne und habe früher in einem Gesangverein mitgesungen.

 

Mephisto (spöttisch): Gerne und laut Singen ist das Allerallermindeste, was man von einem Bündischen verlangen muss... So, so, Sie haben also in einem Gesangverein mitgesungen. Aber wahrscheinlich meinen Sie so eine Art Singen wie in einem Männergesangverein. Dieses Singen hat mit bündischem Singen nichts zu tun... Was sind sie eigentlich für ein Spießbürger. An ihnen scheint nichts Bündisch-Interessantes dran zu sein... Vertragen Sie viel Rotwein und Bier?

 

Der Wanderer (erstaunt): Ich trinke sehr gerne ein bis zwei Gläser Wein, besonders Rotwein. Bier trinke ich weniger gern... Aber was hat Wein- und Biertrinken mit Wandervogelleben zu tun? Ich denke, da wird hauptsächlich gewandert?

 

Mephisto (ungeduldig-abfällig): Ich versuchte Ihnen doch bereits mehrfach klar zu machen, dass heute bei den erwachsenen Bündischen das Wandern eine völlig untergeordnete Rolle spielt... Weshalb ich nach dem Wein- und Biertrinken frage? Wenn wir die Nächte am Feuer oder Kamin mit Spielen und Singen verbringen, da wird auch ein guter Tropfen Wein oder viel Bier ausgeschenkt. Und so eine Nacht ist lange und man muss schon etwas vertragen können. Sie scheinen mir ja so ein richtiges spießbürgerliches Sensibelchen zu sein...

 

Der Wanderer (mit einem gut gekonnten verlegenen Gesicht): Ich muss gleich bekennen, dass ich gar nicht gerne die Nächte versingen und vertrinken möchte. So ab Mitternacht werde ich müde und möchte schlafen... Denn ich will am nächsten Tag zum Wandern einigermaßen ausgeruht sein.

 

Mephisto (etwas verzweifelt): So hören Sie doch endlich mit der Bemerkung „Wandern“ auf. Ich versuche Ihnen doch seit längerem klar zu machen, dass der Name Wandervogel mit dem Programm der Älteren kaum noch etwas zu tun hat... Sie können einem wirklich leid tun: Kein Auto, unmusikalisch, singt nur wie in einem Männergesangverein, verträgt wenig Alkohol, wird abends schnell müde... Sie sind ja ein richtiges Weichei!    

 

Aber sehen Sie denn wenigstens noch jugendlich genug für uns aus? Schließlich sind wir eine Jugendbewegung. Hier haben Sie eine Kniebundhose oder noch besser eine Lederhose. Ziehen Sie die mal an. Ich hoffe, sie sehen dann wenigstens wie ein großer Junge mit muskulösen Beinen aus.

 

Der Wanderer (noch mehr verlegen): Ich möchte eigentlich keine Kniebundhose und noch weniger eine Lederhose tragen... Denn ich habe etwas dünne Beine, das sieht komisch aus... Aber ich kann trotzdem gut und ausdauernd wandern.

 

Mephisto (langsam sehr ärgerlich): Weshalb wollen Sie dann gerade zu den Älteren bei uns Roten Rittern? Und weshalb reden sie denn dauernd unbelehrbar vom Wandern? Wir wandern nicht mehr, das versuchte ich Ihnen bereits x-mal klar zu machen. Wir wollen wie Jugendliche aussehen, mit dem Auto zu unseren Treffen fahren, die ganze Nacht singen und guten Wein und gutes Bier trinken. Wir sind eine jugendlich aussehende Sängerbewegung – zumindest was die Erwachsenen betrifft.

 

Der Wanderer (deutlich verunsichert): „Jugendliche Sängerbewegung – zumindest, was die Erwachsenen betrifft“ - das verstehe ich nicht. Ich möchte zum Wandervogel, ich möchte wandern, ich möchte so alt aussehen wie ich bin und auch ohne musikalische Begabung eine schöne Zeit verbringen.

 

Mephisto (tritt zurück und betrachtet den Mann verkniffen): Eigentlich, das kann ich schon sagen, sind sie hier bei uns an der völlig falschen Adresse... Solch einen farblosen, sensiblen und spießbürgerlichen Mann können wir eigentlich nicht brauchen... Aber vielleicht gibt es noch eine letzte Möglichkeit, dass wir Sie aufnehmen können: Haben sie viel Geld?

 

Der Wanderer (jetzt völlig erstaunt-verwirrt): Viel Geld? Was hat das mit dem Eintritt in eine Wandervogelgruppe und mit Wandern zu tun?

 

Mephisto (zwingt sich sichtbar zur Ruhe, aber sein Atem geht doch stoßweise): Lieber Mann, ich versuchte Ihnen die ganze Zeit klar zu machen, dass der Name Wandervogel aus einer früheren Zeit stammt, aber mit der Realität zumindest bei den erwachsenen Bündischen nichts mehr zu tun hat. Man sollte deswegen auch besser den Begriff „Bündische“ benutzen statt des überholten „Wandervögel“. Man sagt ja z.B. heute auch immer noch „An den Pranger stellen“, obwohl es nirgends mehr in Deutschland einen Pranger gibt... Also: Wir brauchen viel Geld, für die vielen großen Zelte, für die modernen Gruppenheime, für die weiten Auslandsfahrten, für die vielen Feste... Bündische sind keine armen, anspruchslosen Leute mehr. Wir haben deshalb  einen „Unterstützerkreis“ gegründet, er uns zu einem erheblichen Teil das nötige Geld spendet. Wenn Sie dort eintreten würden und uns monatlich, sagen wir 200 € spenden würden, könnten wir über ihre anderen Defizite hinwegschauen und Sie tolerieren.   

 

Der Wanderer (nun auch verzweifelt): Ich habe doch bereits angedeutet, dass ich kein Auto habe, weil ich finanziell Unglück gehabt habe und sparen muss... Ich könnte vielleicht einen kleinen regelmäßigen zusätzlichen Beitrag...

 

Mephisto (lässt den Mann nicht mehr weiter reden. Erverliert völlig die Beherrschung und brüllt): Was, Sie haben auch kein Geld? Was wollen sie denn überhaupt hier bei uns? Weshalb habe ich nur meine kostbare Zeit mit Ihnen verschwendet... Gehen sie in einen Wanderverein und singen sie in einem Gesangverein, aber lassen Sie uns in Ruhe, Sie Weichling, Sie fader, unmusikalischer, halbabstinenter, sensibler Spießbürger... Wir brauchen hier andere Männer als Sie... Oder probieren Sie sich doch mal mit einer Zeitmaschine 100 Jahre zurück versetzen zu lassen... Da gab es unter dem Namen Wandervogel noch denjenigen Verein, den sie sich wünschen. Aber heute gibt es den bei uns nicht mehr. Und den soll es auch nie mehr geben!!!

 

Der Wanderer geht, scheinbar völlig beschämt weiter zu einer der nächsten Gruppen, aber in Wirklichkeit zu dem alten Führer hinter der Baumgruppe. Der empfängt ihn tatsächlich mit sehr sorgenvollem Gesicht und einigen Schweißtropfen auf der Stirn.

 

Der alte bündische Gandalf: Das ist ja furchtbar, was ich da hören musste... Welche Gefahr kann solch ein bündischer Führer darstellen, der solch eine Älterengruppe aufbaut. Vor solchen bündischen Älterengruppen muss man landauf-landab warnen... Das ist ja der Ausverkauf oder zumindest die völlige Verflachung der großen Ideale und Werte der Wandervogelzeit... Ich bin noch ganz fassungslos... Aber Mephisto hat einen Fahler gemacht, er hat die Nerven verloren und zu erkennen gegeben, was er insgeheim als Ziel anstrebt. Da werden wir gegensteuern... Ruft schon mal leise die anderen bündischen Gruppen hier bei mir zusammen... Wir werden gleich handeln... Aber still, da kommt unser letzter Test-Informant.

 

Ein älterer Mann mit einem Krückstock kommt, etwas gebeugt, leicht hinkend und unsicher herbei gegangen und bleibt wie zufällig vor der Kohte der Roten Ritter stehen. Er liest die Broschüren, schaut sich die verkleideten bündischen Teufelchen an und sagt dann glücklich:

 

Der Alte Mann: In solch einer Gruppe wäre ich gerne in meiner Jugend gewesen. Aber leider haben es meine Eltern nicht erlaubt. So möchte ich wenigstens im Alter eine solche Gruppe finanziell unterstützen. Ich denke, Jugend kann immer Geld gebrauchen.

 

Mephisto: Da hast du Recht, alter Mann, unsere Gruppe braucht Geld, viel Geld. Hier bist du mit deinem guten Willen richtig. Was könntest du denn spenden?

 

Der alte Mann: Ich bin Rentner und habe keine große Rente. Davon müssen meine Frau und ich leben und für die Enkel soll auch noch das eine andere kleine Geschenk möglich sein. Ich dachte so an 60 € im Jahr. Das ist nicht viel, aber wenn andre auch noch so viel  spenden, kommt doch etwas zusammen.

 

Mephisto (desinteressiert-gleichgültig): Gut, Alter, du kannst uns das Geld ja überweisen. Auch Kleinvieh macht Mist. Hier hast du unsere Bankverbindung.

 

Dann wendet er sich ab. Der alte Mann bleibt noch stehen und fragt, gut geübt zögerlich.

 

Der alte Mann: Ihr macht doch sicher einmal im Jahr ein Berichtstreffen von eueren schönen Fahrten und Treffen. Würdet ihr mich dann zu solchen Jahresrückblicken einladen, damit ich an euerem bündischen Leben auch etwas teilhaben kann?

 

Mephisto (zischt wütend): Wir sind doch kein Animationsverein für alte Leute. Was macht das für einen Eindruck auf unsere Jungen, wenn da alte Leute vor ihnen im Saal sitzen. Wir wollen Jugendliche anwerben und in unserem Sinne beeinflussen... Bei euch Alten interessiert uns nur das Geld... Diejenigen Alten sind uns am liebsten, die tüchtig zahlen und von denen wir sonst nichts hören und sehen... Troll dich fort! Auf deine mageren 60 € können wir gerne verzichten, wir haben bei unseren Ansprüchen und unserem Lebensstil andere Summen nötig.

 

Nach diesen Sätzen richtet sich der angeblich alte Mann auf, lehnt den Krückstock an einen Baum und wirkt auf einmal gar nicht mehr so alt. Dann winkt er zu der Buschgruppe hin, hinter der der alte Führer steht, um den sich bereits eine größere Schar von Bündischen gesammelt hat.

 

Der alte Führer: Das ist ja furchtbar, was ich da hören musste... Welche Gefahr kann solch ein bündischer Führer darstellen, der so mit Älteren umgeht (dann hebt er die Hand): Freunde, es wird Zeit, dass wir diesem Treiben unseres Freundes Mephisto ein Ende bereiten und die Reißleine ziehen. Kommt mit!

 

Daraufhin kommt eine große Schar von Bündischen aller Altersstufen hinter der Buschgruppe hervor, rennt auf die Roten Ritter zu und reißt ihnen johlend die Baretts von den Köpfen. Jetzt werden die kleinen Teufelshörner bei allen Roten Rittern deutlich und alle zeigen lachend und johlend auf diese nun gut sichtbaren Teufels-Attribute.

 

Mephisto (zuerst völlig überrascht, dann in einem letzten teuflischen Wutanfall): Verdam..., wir sind entdeckt. Und wieder ist uns dieser verfluch... alte Gandalf auf die Schliche gekommen

und stellt uns bloß. (Dann zu seinen Hilfsteufeln) Zurück in unsere Welt...dahin wollen wir...

 

Und bei diesen berühmten und bereits bekannten Wegbeam-Worten lösen sich Mephisto und seine Hilfsteufel in Rauchwirbel auf, es riecht noch eine Weile noch Schwefel und als der Rauch verzogen ist, stehen auch keine Kohte und kein Tisch mit teuflisch-bündischen Prospekten mehr da. Nur das Gras wirkt an dieser Stelle etwas verbrannt.

 

(Aufgezeichnet von discipulus socratei, der das Geschehen als Beobachter miterlebt hat)   

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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